Rainer Lepsius (1966, S. 28) kommt bei seiner Analyse
des Wählerverhaltens von Arbeitern in der • Weimarer Republik zu dem
Schluss:
"Das Arbeitermilieu verfügte [...] neben den Gewerkschaften in den
Arbeiterparteien über eine direkte, milieuhomogene politische
Repräsentation, die auch in Krisenzeiten wenigstens symbolisch wirksam
blieb. Dementsprechend blieben für die organisierten Arbeiter die
schichtspezifischen Bezugssysteme für die politische Orientierung gültig
[...]
Aus diesem Ansatz heraus ließe sich die Hypothese ableiten, dass die
Arbeiter weniger nationalistischen Parolen folgten, weil ihre
schichtspezifischen Ordnungsvorstellungen stärker institutionalisiert
waren."
Eberhard Kolb
(1984) referiert die weiteren Forschungsergebnisse von Rainer
Lepsius, die eine bemerkenswerten Stabilität des deutschen
Parteiensystems zwischen 1871 und 1928 konstatieren:
"Die Stabilität des Parteiensystems führt Lepsius auf die
unmittelbare Verbindung der Parteiformation mit je relativ geschlossenen
»Sozialmilieus« zurück: Die politische Integration und Organisation der
deutschen Gesellschaft erfolgte nicht nur nach Klasseninteressen, sondern
wurde durch eine komplexe Konfiguration religiöser, regionaler, sozialer
und wirtschaftlicher Faktoren bestimmt; keine der großen
Parteigruppierungen war in einem strengen Sinn klassenhomogen, die
Parteien blieben auf ihr jeweiliges »sozialmoralisches Milieu«
angewiesen. Daher brach dieses Parteiensystem zusammen, als sich im Zuge
der fortschreitenden Industrialisierung, der wachsenden Mobilität und
sozialen Differenzierung diese Milieus langsam auflösten. Die Bindung an
die jeweiligen Sozialmilieus lockerte sich im Laufe der zwanziger Jahre
zwar auch bei Zentrum und Sozialdemokratie, aber der eigentliche
Zusammenbruch erfolgte in der politischen Mitte."
(aus:
Kolb 1984,
S.169)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.12.2024