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Die
Rede von Johann Georg August Wirth (1832)
auf dem
Hambacher Fest 1832 lässt
sich wie folgt in Form eines
Parallelkonspekts erfassen:
Berufen von der Natur, um in Europa der Wächter des Lichts, der Freiheit
und der völkerrechtlichen Ordnung zu sein, wird die deutsche Kraft gerade
umgekehrt zur Unterdrückung der Freiheit aller Völker und zur Gründung
eines ewigen Reiches der Finsternis, der Sklaverei und der rohen Gewalt
verwendet. So ist denn das Elend unseres Vaterlandes zugleich der Fluch
für ganz Europa. [...] Die Ursache der namenlosen Leiden der europäischen
Völker liegt einzig und allein darin, dass die Herzoge von Österreich und
die Kurfürsten von Brandenburg den größten Teil von Deutschland an sich
gerissen haben, und [...] nicht nur ihre eigenen [...] Länder, nach
orientalischen Formen beherrschen und deren Kräfte zur Unterdrückung der
Freiheit und Volkshoheit der europäischen Nationen verwenden, sondern auch
ihr Übergewicht über die kleineren Länder Deutschlands benützen, um auch
die Kräfte dieser dem Systeme fürstlicher Alleinherrschaft und
despotischer Gewalt dienstbar zu machen. Bei jeder Bewegung eines Volkes,
welche die Erringung der Freiheit und einer vernünftigen Staatsverfassung
zum Ziele hat, sind die Könige von Preußen und Österreich durch Gleichheit
der Zwecke, Gesinnungen und Interessen an Russland geknüpft, und so
entsteht jener furchtbare Bund, der die Freiheit der Völker bisher immer
noch zu töten vermochte. Die Hauptmacht dieses finstern Bundes besteht
immer aus deutschen Kräften, da Russland ohne die Allianz mit Preußen und
Österreich ohnmächtig wäre und durch innere Stürme in Zerrüttung fallen
würde. So riesenhaft daher die Macht des absoluten Bundes auch sein mag,
so ist ihr Ende doch in dem Augenblicke gekommen, wo in Deutschland die
Vernunft auch in politischer Beziehung den Sieg erlangt, d. h. in dem
Augenblicke, wo die öffentlichen Angelegenheiten nicht mehr nach dem
despotischen Willen eines Einzigen, nicht mehr nach den Interessen einer
über ganz Europa verzweigten Aristokraten-Familie, sondern nach dem Willen
der Gesellschaft selbst und nach den Bedürfnissen des Volkes geleitet
werden. In dem Augenblicke, wo die deutsche Volkshoheit in ihr gutes Recht
eingesetzt sein wird, in dem Augenblicke ist der innigste Völkerbund
geschlossen, denn [...] das Volk gönnt [.. .] die Freiheit, Aufklärung,
Nationalität und Volkshoheit auch dem Brudervolke: das deutsche Volk gönnt
daher diese hohen, unschätzbaren Güter auch seinen Brüdern in Polen,
Ungarn, Italien und Spanien. Wenn also das deutsche Geld und das deutsche
Blut nicht mehr den Befehlen der Herzoge von Österreich und der Kurfürsten
von Brandenburg, sondern der Verfügung des Volkes unterworfen sind, so
wird Polen, Ungarn und Italien frei, weil Russland dann der Ohnmacht
verfallen ist und sonst keine Macht mehr besteht, welche zu einem
Kreuzzuge gegen die Freiheit der Völker verwendet werden könnte. [...]
Europa ist wiedergeboren und auf breiten natürlichen Grundlagen dauerhaft
organisiert. [...]
Wenn demnach die Reform Deutschlands so sehr im Interesse Frankreichs
liegt, so scheint es natürlich, dass die deutschen Patrioten in ihrem
schweren und ungleichen Kampfe gegen die Verräter ihres Vaterlandes ihre
Hoffnung vorzüglich auf Frankreich setzen sollten. [...] Leider dürfen wir
aber dieser Hoffnung uns noch nicht ergeben. Die gegenwärtig in Frankreich
herrschende Partei, gestützt auf die ganze Masse der Reichen und
Wohlhabenden, will um jeden Preis den Frieden erhalten. Ihr ist es nur um
kleinliche materielle Interessen zu tun, sie begreift das wahre Bedürfnis
Europas so wenig, als die Aufgabe des Jahrhunderts. Sie ist insbesondere
völlig unfähig, sich zu der Idee zu erheben, dass Frankreich die Reform
Deutschlands aus höheren politischen Rücksichten völlig eigennützig
unterstützen müsse. Könnte daher diese Partei auch zu einer Unterstützung
der Bewegung in Deutschland sich entschließen, so würde sie das linke
Rheinufer als den Preis ihrer Hilfe fordern. [. ..] Von Frankreich haben
wir daher im dem Kampfe um unser Vaterland wenig oder keine Hilfe zu
erwarten. [...] Das Mittel liegt in einem Bündnisse der Patrioten zum
Zwecke der Belehrung des gesamten deutschen Volkes über die Art und Weise
der notwendigen Reform Deutschlands. Der Vaterlandsverein war bei seiner
Gründung für diesen Zweck bestimmt. Wie aber derselbe inzwischen sich
gestaltet hat, kann er den großen Zweck der Wiedergeburt des Vaterlandes
nicht mehr erreichen, weil die Mitglieder desselben, und namentlich die
Vorsteher den Zweck einer klar erkannten, bis in die Details genau
bestimmten und konsequent zu verfolgenden Reform Deutschlands entschieden
ableugnen und dem Vereine dafür den vagen und unbestimmten Zweck
unterschieben, für die freieste Entwicklung patriotischer Gedanken über
die Mittel zur Förderung des Wohls der deutschen Völker, die Unterstützung
der ganzen Nation in Anspruch zu nehmen. Der Verein kann in einer solchen
Weise zwar auch nützlich sein, allein den Zweck der deutschen Reform
vermag er nie zu erreichen. Die Sehnsucht nach einem bessern politischen
Zustande ist nämlich bei uns fast überall laut geworden.
Allein gerade über die Hauptsache, d. h. worin das Bessere bestehe,
darüber ist noch Niemand einig, nicht einmal die Häupter der Opposition.
So lange ein solcher Zustand besteht, ist die Opposition selbst planlos,
und muss notwendig zur Verwirrung Anlass geben. [...] Wenn dagegen die
reinsten, fähigsten und mutigsten Patrioten über die zweckmäßigste Reform
unseres Landes sich verständiget und zugleich sich verbunden haben, um
durch eigene Journale die öffentliche Meinung des Gesamtvolkes für diese
Reform zu gewinnen [...], wenn sie in ihrer Sendung nie müde werden, nie
erzittern, nie erbleichen, wenn sie alle Verfolgungen von Seite der
Vaterlandsverräter mit Freudigkeit ertragen, wenn sie der Gewalt kein
haarbreit weichen und lieber 1000 mal sich zermalmen lassen, als von ihrem
heiligen Kampfe abzustehen, wenn endlich die guten Bürger in den lichtern
Gegenden unseres Landes das Wirken solcher Männer durch Verbreitung deren
Schriften öffentlich oder im Stillen unterstützen; ja fürwahr, dann wird,
dann muss das große Werk gelingen. [...] Deutschland wird die Freiheit und
den Frieden sehen, es wird zur herrlichsten Macht und Größe emporblühen.
[...] Darum, deutsche Patrioten wollen wir die Männer wählen, die durch
Geist, Feuereifer und Charakter berufen sind, das große Werk der deutschen
Reform zu beginnen und zu leiten. [...] Dieser schöne Bund möge dann das
Schicksal unseres Volkes leiten; er möge unter dem Schirme der Gesetze den
Kampf für unsere höchsten Güter beginnen; er möge unser Volk erwecken, um
von innen heraus, ohne äußere Einmischung, die Kraft zu Deutschlands
Wiedergeburt zu erzeugen; er möge auch zu gleicher Zeit mit den reinen
Patrioten der Nachbarländer sich verständigen, und wenn ihm Garantien für
die Integrität unseres Gebietes gegeben sind, dann möge er immerhin auch
die brüderliche Vereinigung suchen, mit den Patrioten aller Nationen, die
für Freiheit, Volkshoheit und Völkerglück das Leben einzusetzen
entschlossen sind. Hoch! dreimal hoch leben die vereinigten Freistaaten
Deutschlands! Hoch! dreimal hoch das konföderierte republikanische Europa!(aus: Johann Georg August Wirth, Das Nationalfest der Deutschen in
Harnbach, Neustadt 1832 (Neudruck 1981), S. 41 ff., dt. Orthografie
modernisiert) |
These: Der deutschen Frage fällt eine
Schlüsselrolle bei der weiteren Entwicklung Europas zu.
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D. ist
von Natur aus eine Vorreiterrolle zugedacht
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D. im
Augenblick aber keine fortschrittliche, sondern eher reaktionäre
Kraft in Europa („Fluch für Europa“)
Ursachen:
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Machtpolitik Preußens und Österreichs, die den größten Teil
Deutschlands unter ihre Kontrolle gebracht hat und allerorten
despotische Regime nach eigenem Muster etabliert bzw. stützt.
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Zusammen mit Russland sind Preußen und Österreich in der »Heiligen
Allianz« gegen Freiheitsbewegungen aller Art zusammengeschlossen,
wobei die beiden letzteren die darin maßgebenden Kräfte sind.
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Zusammenbruch der »Heiligen Allianz«, wenn das deutsche Volk seine
Geschicke selbst in die Hand nimmt („deutsche Volkshoheit“)
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Befreiung Deutschlands vom Despotismus schafft Voraussetzung für
eine neue Art von Völkerbund, der auf den Prinzipien Freiheit,
Aufklärung, Nationalbewusstsein und Volkshoheit beruht.
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Dann
auch Unterstützung andere nationaler Bewegungen wie der in Polen,
Ungarn und Italien.
These: Die Deutschen müssen sich bei der
Lösung der deutschen Frage auf sich selbst verlassen.
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Neue
Regierung in Frankreich will nach der Juli-Revolution 1830 aus
materiellen Interessen nur noch die Aufrechterhaltung des Status quo
in Europa, verweigert sich der deutschen Nationalbewegung bzw.
unterstützt sie unter Umständen nur unter der Voraussetzung, dass
das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten wird
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ergo:
Frankreich ist derzeit kein Verbündeter der deutschen
Nationalbewegung
These:
Deutsche Opposition muss sich zusammenschließen und neue
organisatorische Strukturen schaffen.
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Der
traditionelle Vaterlandsverein bzw. dessen Führung „verwässert“
konkrete politische Ziele und strebt keine konkreten Reformen an
(Beschränkung auf die Entwicklung patriotischen Gedankenguts). Daher
kein Forum und keine Organisation für die kommenden Aufgaben.
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Nötig
ist ein gemeinsames politisches Reformprogramm der Opposition.
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Nur
mutige, entschlossene und prinzipienfeste Männer können solche
Aufgaben anpacken.
Der Kreis dieser Männer soll gewählt werden und
deren Bund die folgenden Aufgaben erfüllen:
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Die nationale Bewegung anführen und leiten.
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Unter dem Schutz der Gesetze agieren.
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Das Volk politisieren und für die Ziele
begeistern, die aus eigener Kraft erreicht werden müssen.
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Die politische Verständigung mit den Patrioten der
Nachbarländer anstreben, die die territoriale Integrität umfasst.
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Den Zusammenschluss in Form einer Konföderation
zwischen allen (z. T. erst noch zu errichtenden) Nationalstaaten
anstreben, die für die Werte Freiheit, Volkshoheit und Völkerglück
eintreten.
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Ziel ist zunächst die Errichtung einer
deutschen Konföderation („vereinigte Freistaaten
Deutschlands“) dem ein konföderiertes republikanisches Europa
in der Zukunft folgen soll.
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Biographische Autornotiz
Johann Georg August Wirth (1798-1848), politischer Schriftsteller des
Vormärz; Jurastudium an der Universität Erlangen, dort 1817 Mitglied im
Corps Franconia; nach dem Scheitern seiner juristischen Karriere 1831
Übersiedlung nach München; Tätigkeit als Redakteur der regierungstreuen
Cottaschen Zeitschrift; nach Wechsel des politischen Lager Gründung der
Zeitschrift "Deutsche Tribüne". Gerät immer wieder mit der Staatsmacht in
Konflikt, versucht aber unbeirrt die Lücken der Zensur zu finden, um für
die die Erweiterung der bürgerlichen Freiheiten und Rechte einzutreten.
Seine Hoffnung, in der zum bayerischen Königreich gehörenden Pfalz
(Rheinbayern) mehr Spielraum für seine publizistische Tätigkeiten zu
finden erfüllt sich nicht. 1832 wird seine Zeitung vom Bundestag des
Deutschen Bundes verboten. Im Mai 1832 ist Wirth Mitorganisator des
Hambacher Fests, wo er eine Rede hält. Wird mit Siebenpfeiffer und
weiteren elf weiteren Wortführern des Pressvereins verhaftet und in einem
Hochverratsprozess in der Festung Landau vor Gericht gestellt. Dank der
pfälzischen Geschworenengerichtsbarkeit kommt es aber beim Freispruch der
Angeklagten. Im November 1833 werden Wirth und Siebenpfeiffer wegen
Beleidigung inländischer und ausländischer Behörden vor dem
Zuchtpolizeigericht, bei dem keine Geschworenen mitwirken konnten, zu
einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Während Siebenpfeiffer der
Haft durch Flucht in die Schweiz entkommt, lässt Wirth einen
Befreiungsversuch pfälzischer Sympathisanten ungenutzt, muss seine Haft
ohne Anrechnung seiner 22 Monate dauernden Untersuchungshaft in
Kaiserslautern absitzen. Nach seiner Freilassung wird er in Hof unter
Polizeiaufsicht gestellt, flieht allerdings 1836 nach Frankreich und von
dort in die thurgauische Schweiz. 1840 gab er die in Konstanz erscheinende
"Deutsche Volkshalle" heraus und verfasst eine Geschichte der Deutschen
(Stuttgart 1843-45, 4 Bde.; 4. Aufl., fortges. von Zimmermann, 1860-62).
1847 Umsiedelung nach Karlsruhe. In den reußischen Fürstentümern wurde er
in die deutsche Nationalversammlung gewählt, verstarb jedoch kurz darauf
am 26. Juli 1848 in Frankfurt. Wirth stirbt am 26. Juli 1848 als
Abgeordneter des preußischen Fürstentums Schleiz-Lobenstein kurz nach der
Eröffnung der ersten deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche zu
Frankfurt. |
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
29.09.2013
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