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Daniel Defoe: Robinsons Bilanz nach seiner Rettung aus Seenot

Robinsonmotiv/Robinsonade

 
FAChbereich Deutsch
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[…] Ueberhaupt gebrach es mir, so viel Gegenstände ich auch um mich aufgehäuft hatte, doch an einer Menge sehr wesentlicher Dinge, so zum Beispiel außer der Tinte an einer Hacke und einem Spaten, oder einer Schaufel, um die Erde damit umzugraben; ferner an Nähnadeln, Stecknadeln und Zwirn. Was die Wäsche angeht, so gewöhnte ich mich schnell daran, sie zu entbehren.

Dieser Mangel an Gerätschaften erschwerte natürlich alle meine Arbeiten, und so dauerte es zum Beispiel fast ein Jahr, bis ich die Einzäunung meiner Wohnung beendigt hatte. Die Pfähle, die ich so schwer wählte, als ich sie nur tragen konnte, nahmen viel Zeit zum Fällen, Vorbereiten und Heimschaffen in Anspruch. Zuweilen brauchte ich zwei Tage, um eine von diesen Palissaden fertig an Ort und Stelle zu bringen, und einen dritten Tag, um sie in die Erde zu treiben. Hierzu bediente ich mich anfangs eines schweren Holzstückes, später aber nahm ich dazu eine der eisernen Brechstangen. Trotzdem war es ein mühsames und zeitraubendes Werk, diese Pfähle festzumachen. Aber was lag daran, daß irgend Etwas, das ich verrichtete, Zeit kostete, da ich ja deren in Ueberfluß hatte? Denn so viel ich vorläufig übersah, blieb mir nach Vollendung jener Arbeit nur noch die übrig, die Insel nach Lebensmitteln zu durchsuchen, was ich ohnehin schon jetzt fast an jedem Tage that.

Ich faßte nun meine Lage ernsthaft ins Auge und setzte das Ergebniß schriftlich auf, nicht sowohl um den Bericht Denen zu hinterlassen, die etwa nach mir einmal auf die Insel kommen würden (denn ich hatte wenig Aussicht auf Erben), als um mich dadurch von den Gedanken, die täglich auf mich einstürmten und mir die Seele verdüsterten, zu befreien. Meine Vernunft begann allmählich Herr zu werden über meine verzweifelte Stimmung; ich tröstete mich dadurch, daß ich das Gute meiner Lage dem Schlimmen derselben gegenüberstellte und unparteiisch, gleichwie der Kaufmann sein Soll und Haben, die Freuden gegenüber den Leiden, die ich erfuhr, folgendermaßen verzeichnete:

Das Böse

Das Gute

Ich bin auf ein wüstes, trostloses Eiland ohne alle Hoffnung auf Befreiung verschlagen.

Aber ich lebe und bin nicht, wie alle meine Gefährten, ertrunken.

Ich bin vereinsamt und von aller Welt geschieden, dazu verurtheilt ein elendes Dasein zu führen.

Jedoch bin ich auch erlesen aus der ganzen Schiffsmannschaft, vom Tode verschont zu bleiben, und der, welcher mir das Leben wunderbar erhalten hat, kann mich auch aus dieser elenden Lage wieder erlösen.

Ich bin von der Menschheit getrennt, ein Einsiedler, verbannt vom Menschengeschlechte.

Trotzdem bin ich auf diesem öden Orte nicht Hungers gestorben

Ich habe keine Kleider, um meine Blöße zu bedecken.

Aber ich befinde mich in einem heißen Klima, wo ich Kleider, hätte ich sie, schwerlich tragen könnte.

Ich bin ohne Vertheidigungsmittel gegen irgend einen gewaltsamen Angriff von Menschen oder Thieren.

Allein ich bin an eine Insel verschlagen, wo ich keine wilden Thiere zu sehen bekomme, wie ich sie an der afrikanischen Küste sah. Was wäre aus mir geworden, hätte ich dort Schiffbruch gelitten?

Ich habe keine Seele, um mit ihr zu reden, oder mich von ihr trösten zu lassen.

Aber Gott schickte durch wunderbare Fügung das Schiff so nahe ans Land, daß ich so viele Dinge daraus holen konnte, die zur Befriedigung meiner Nothdurft selbst dienen oder mir die Mittel zur Befriedigung derselben an die Hand geben werden, so lange ich lebe.

Alles in Allem ergab diese Uebersicht, daß es zwar kaum eine unglücklichere Lage als die meinige in der Welt gab, daß aber doch negative und positive Umstände darin vorhanden waren, um derentwillen ich dankbar sein mußte. Daraus mag man lernen, daß kein Zustand existirt, der nicht etwas Tröstliches darbietet, und bei dem wir nicht bei der Verzeichnung des Guten und Schlimmen immer dem Debet gegenüber auch Etwas auf die Seite des Credit zu setzen haben.

Nachdem ich mich auf solche Weise mit meinem Zustand einigermaßen ausgesöhnt, dagegen aber die Hoffnung, auf der See ein Schiff zu erspähen, aufgegeben hatte, begann ich, mir das Leben so angenehm einrichten, als es nur möglich war.

Meine Wohnung habe ich bereits beschrieben. Sie bestand, wie erwähnt, aus einem Zelt zu Füßen eines Felsens, das mit eigner starken Einzäunung von Pfählen und Tauen umgeben war. Ich durfte diese wohl eine Mauer nennen, besonders nachdem ich eine Art Wall von Erdstücken, etwa zwei Fuß hoch, an der Außenseite auf derselben aufgeführt und nach Ablauf von etwa anderthalb Jahren von diesem Wall aus Holzstücke gegen den Felsen gestemmt und sie mit Baumzweigen und Aehnlichem bedeckt hatte, um den Regen abzuhalten, welcher während gewisser Jahreszeiten sehr heftig war.

Meine Güter hatte ich sämmtlich in diese Einhegung und die im Hintergrund derselben befindliche Höhlung gebracht. Anfangs hatten sie dort einen unordentlichen Haufen gebildet und mir allen Platz weggenommen, so daß ich kaum mich hatte rühren können. Daher hatte ich mich daran gemacht, die Höhlung zu erweitern und tiefer in den Felsen einzudringen. Dieser bestand aus lockerem Sandstein und gab leicht nach. Da ich mich gegen wilde Thiere doch hinlänglich geschützt glaubte, arbeitete ich mich ganz durch den Felsen durch und bekam so eine Thür nach Außen hin, durch die ich meine Festung verlassen konnte. So hatte ich nicht nur einen Aus- und Eingang, sondern auch einen größern Behälter für meine Besitztümer bekommen.

Ich begann sodann mir diejenigen Gegenstände anzufertigen, die mir die notwendigsten schienen, nämlich vor Allem einen Tisch und einen Stuhl, da ich ohne diese nicht einmal die geringe Behaglichkeit, die mir auf der Welt geboten war, zu genießen vermocht haben würde. Denn ohne Tisch hätte ich weder schreiben, noch essen, noch andere dergleichen Geschäfte mit einiger Bequemlichkeit vornehmen können.

Hierbei kann ich nicht umhin zu bemerken, daß, da die Vernunft die Wurzel und der Ursprung der Mathematik ist, Jedermann durch vernünftige Berechnung und Ausmessung der Dinge binnen kurzer Zeit ein Meister in allen mechanischen Künsten zu werden vermag. Ich hatte in meinem früheren Leben niemals Handwerkszeug zwischen den Fingern gehabt, und trotzdem erkannte ich jetzt bald, daß es mir durch Arbeit, Ausdauer und Eifer möglich sein würde, Alles, was ich brauchte, wenn ich nur das nöthige Geräthe gehabt hätte, selbst anzufertigen. Indeß machte ich eine Menge Dinge auch ohne Handwerkszeug. Einige lediglich mit Hobel und Hackbeil, und zwar waren das Gegenstände, die wohl nie früher auf solche Art verfertigt waren. Zum Beispiel, wenn ich ein Brett nöthig hatte, blieb mir Nichts übrig, als einen Baum zu fällen und ihn mit der Axt von beiden Seiten so lange zu behauen, bis er dünn wie ein Brett war, worauf ich ihn dann mit dem Hobel glättete. Freilich konnte ich auf diese Weise aus einem ganzen Baum nur ein einziges Brett erhalten; doch da half Nichts weiter als die Geduld, und wenn auch die Anfertigung eines einzigen solchen Gegenstandes mich eine enorme Menge Zeit und Arbeit kostete, so war ja Arbeit und Zeit für mich von geringem Werth, und es kam Nichts darauf an, ob ich sie so oder so verwendete.

Zunächst machte ich mir aus den kurzen Latten, die ich auf meinem Floße aus dem Schiffe geholt hatte, Tisch und Stuhl. Ferner brachte ich, nachdem einige Bretter in der oben angegebenen Weise fertig geworden waren, große Fächer von anderthalb Fuß Breite übereinander an der Seitenwand meiner Höhle an, um alle meine Werkzeuge, Nägel und eiserne Geräthe darauf zu legen und Alles zur größeren Bequemlichkeit an einer bestimmten Stelle zu haben. Hierauf schlug ich Pflöcke in die Felswand, um mein Gewehr und Anderes dergleichen daran zu hängen. Meine Höhle sah jetzt aus wie ein großes Magazin von allen unentbehrlichen Dingen, und ich hatte Jegliches so zur Hand, daß diese Ordnung mir ein großes Vergnügen gewährte.
Von nun an begann ich auch ein Tagebuch zu führen und darin meine täglichen Beschäftigungen zu verzeichnen. Früher hatte es mir zu sehr an Ruhe, besonders an Gemüthsruhe gefehlt, und mein Journal würde in dieser Zeit mit vielen unbedeutenden Dingen angefüllt worden sein. Da hätte ich zum Beispiel vom 30. September Nichts zu berichten gehabt, als etwa: Nachdem ich gelandet und dem Tod des Ertrinkens entronnen war, bin ich, nachdem ich zuvor eine ganze Menge Salzwasser, das ich verschluckt, gebrochen hatte und wieder ein wenig zu mir gekommen war, statt Gott für meine Errettung zu danken, mit dem Ausruf: »Ich bin verloren! ich bin verloren!« händeringend am Strand auf- und abgelaufen, bis ich müde und matt mich auf die Erde zur Ruhe legen mußte, wo ich aber nicht schlafen konnte, aus Furcht gefressen zu werden.

Einige Tage nachdem ich schon Alles vom Schiff geholt hatte, konnte ich es nicht unterlassen, doch wieder einmal die Spitze des kleinen Berges zu ersteigen und auf die See hinauszuschauen, in der Hoffnung, ein Schiff zu erblicken. Wirklich bildete ich mir auch ein, in großer Entfernung ein Segel zu erspähen. Ich täuschte mich lange mit dieser Hoffnung und blickte starr auf das Meer, bis ich fast erblindete. Dann gab ich es auf, setzte mich nieder, weinte wie ein Kind und vergrößerte so durch eigne Thorheit mein Elend.

Erst nachdem ich diesen Kummer einigermaßen überwunden, meine Niederlassung beendigt und mein Hauswesen eingerichtet hatte, und Alles um mich so hübsch wie möglich geordnet war, begann ich mein Tagebuch. Ich will den kärglichen Inhalt desselben (ich konnte es nämlich nur so lange fortsetzen, bis mir die Tinte ausging) hier mittheilen, obwohl dasselbe viele Dinge wiederholt, die schon berichtet sind.

(aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe, übersetzt von Karl Altmüller, Leipzig 1869, Kap. 4) Projekt Gutenberg

 Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 26.12.2023

    
   Arbeitsanregungen:
  1. Untersuchen Sie Robinsons Bilanz und stellen Sie fest, wovon seine Erfahrung der Situation abhängt.

  2. Zeigen Sie auf, welche Überlebensstrategie er entwickelt.

 
 
 

 
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