Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner
selbst verschuldeten Unmündigkeit.
Unmündigkeit ist das Unvermögen,
sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet
ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des
Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner
ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines
eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der
Aufklärung. |
I.
Definition
axiomatische
Definition Aufklärung, Unmündigkeit (ex negativo:
Mündigkeit), Selbstverschulden Wenn
Unmündigkeit "selbstverschuldet" ist, dann ist sie
historisch erst entstanden. Der Mensch, der von Natur aus mit
seiner Vernunft ausgestattet ist, besitzt also eine
natürliche Mündigkeit, die verlorengegangen ist.
= aufklärerische Botschaft von der natürlichen Vernunftbegabung
des Menschen |
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der
Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei
gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig
bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern
aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das
für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat,
einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, usw.: so brauche ich mich
ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur
bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich
übernehmen. Dass der bei weitem größte Teil der Menschen, (darunter das
ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem dass er
beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon
jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen
haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht
haben, und sorgfältig
verhüteten, dass diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem
Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften: so zeigen sie
ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es wagen. Nun ist
diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einige mal
Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht
doch schüchtern, und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen
ab. |
II.
Ursachen der Unmündigkeit
trotz
gesellschaftlicher Weiterentwicklung und physiologischer Reife des
Einzelnen: Faulheit, Feigheit des Einzelnen
Formen der
Unmündigkeit im Alltag: Seelsorger, Arzt
Vormünder
= die Herrschenden:
haben
Interesse an der Aufrechterhaltung der Unmündigkeit (=Feigheit des
Einzelnen, sich gegen die Herrschenden zu stellen)
unmündiger
Mensch = Hausvieh der
Herrschenden!
Strukturskizze
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Es ist, also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm
beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie
sogar liebgewonnen, und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines
eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon
machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines
vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Missbrauchs seiner Naturgaben, sind
die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch
abwürfe, würde dennoch auch über den schmalesten Graben einen nur
unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht
gewöhnt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist,
durch
eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu
wickeln, und dennoch einen sicheren Gang zu tun. |
III. Wege
aus der Unmündigkeit
1.
Möglichkeiten für den Einzelnen
-
hat
Unmündigkeit schon internalisiert (beinahe zur Natur geworden)
-
Es
genügt nicht, Regeln und Normen einfach nur zu negieren
-
daher:
üblicherweise scheitert der Einzelne
-
aber:
wenigen gelingt der Schritt zur Mündigkeit durch Reflexion und
eigene (autodidaktische) Schulung
|
Dass aber ein Publikum1 sich
selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit
lässt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar
unter den eingesetzten Vormündern des großen
Haufens, finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst
abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen
Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten
werden. Besonders ist hierbei: dass das Publikum, welches zuvor von ihnen
unter dieses Joch gebracht worden, sie hernach selbst zwingt, darunter zu
bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller
Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist, es
Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen,
die, oder deren Vorgänger, ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein
Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird
vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotism und
gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre
Reform der Denkungsart zu Stande kommen; sondern neue Vorurteile werden,
eben sowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens
dienen. [...] |
2.
Möglichkeiten für die Öffentlichkeit
1Publikum;
h: Gesellschaft, gesellschaftliche Öffentlichkeit
-
Für eine
liberale verfasste Gesellschaft möglich; Voraussetzung:
Freiheit (Redefreiheit, Meinungsfreiheit als öffentlicher
Gebrauch der Vernunft, akademische Freiheit?)
-
Aufgeklärte
Eliten der Herrschenden verbreiten aufklärerisches Gedankengut
-
aber:
auch eine Aufklärung von oben ist langwierig und schwierig,
da
-
die
antiaufklärerischen Eliten (z.B. Kirche?) sich wehren
-
unmündiges
Volk von Anhängern der Anti-Aufklärung aufgewiegelt wird
-
daher:
Langwierigkeit des Aufklärungsprozesses, denn Aufklärung ist
-
eine
"wahre Reform der Denkungsart"
- Ziel: Änderung des Menschen (Erziehung des
Menschengeschlechts)
-
kein
revolutionärer Vorgang des "gedankenlosen
großen Haufens", was nur neue Vorurteile, neue
Vormünder und damit das Fortbestehen der Unmündigkeit bedeuten
würde.
|
Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten
Zeitalter: so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.
Dass die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im ganzen genommen, schon
im Stande wären, oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in
Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines andern
sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein, dass jetzt
ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten, und die
Hindernisse der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer
selbst verschuldeten Unmündigkeit, allmählich ,weniger werden, davon
haben wir doch deutliche Anzeigen. In diesem Betracht ist dieses Zeitalter
das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert
Friederichs2
. |
IV.
Epochencharakter der Aufklärung
Aufklärung
als Prozess
2FRIEDRICH
II. d. Große, 1712-1786; preuß. König; Förderer von Wissenschaft und
Kunst, Vorliebe für die Aufklärungsphilosophie (Voltaire); aufgeklärter
Absolutismus; Ideal des selbstdenkenden Herrschers aufgeklärter
Absolutismus: Anpassung der absolutistischen Herrschaftsform
("Der Staat bin ich!" Ludwig, XIV.) an die humanitären
Staatsidee der Aufklärung: Fürst als "erster Diener"
seines Staates, Sachwalter des Gemeinwohls und einer begrenzten
Reformpolitik (Bauernbefreiung, staatliches Schulwesen, Ansätze zur
Rechtsstaatlichkeit) |
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023
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