Bundes-Untersuchungsgesetz - Karlsbader Beschlüsse (20.09.1819)
Art. 1 Innerhalb vierzehn Tagen, von der Fassung gegenwärtigen Beschlusses
an zu rechnen, versammeln sich in der Stadt und Bundesfestung Mainz eine
aus sieben Mitgliedern, mit Einschluss eines Vorsitzenden,
zusammengesetzte, außerordentliche, von dem Bundes ausgehende
Zentral-Untersuchungs-Kommission.
Art. 2 Der Zweck dieser Commission ist gemeinschaftliche, möglichst
gründliche und umfassende Untersuchung und Feststellung des Tatbestandes,
des Ursprungs und der mannigfachen Verzweigungen der gegen die bestehende
Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als einzelner
Bundesstaate, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen
Verbindungen, von welchen nähere oder entferntere Indizien bereits
vorliegen, oder sich in dem Laufe der Untersuchung ergeben möchten.
Art. 3 Die Bundesversammlung wählt durch Mehrheit der Stimmen der
engern Versammlung die sieben Bundesglieder, welche die
Zentral-Untersuchungs-Kommissarien zu ernennen haben.[2]
Den Vorsitzenden bestimmen die sieben von den Bundesgliedern ernannten
Kommissarien, nach ihrer Konstituierung als
Zentral-Untersuchungs-Kommission durch Wahl aus ihrer Mitte.
Art. 4 Zu den Mitgliedern der Zentral-Untersuchungs-Kommission können
nur Staatsdiener ernannt werden, welche in dem Staate, der sie ernennt, in
richterlichen Verhältnissen stehen, oder gestanden, oder wichtige
Untersuchungen instruiert haben.
Jedem Kommissarius wird ein auf das Protokoll verpflichteter Aktuarius
oder Sekretär von seiner Regierung beigegeben, welche zusammen das
Kanzlei-Personale bilden.
Der Vorsitzenden verteilt die zu erledigenden Geschäfte unter die
einzelnen Mitglieder.
Beschlüsse werden auf vorgängigen Vortrage gefasst.
Art. 5 Um ihren Zweck zu erreichen, wird die
Zentral-Untersuchungs-Kommission die Oberleitung der in verschiedenen
Bundesstaaten teils schon angefangenen, teils noch anzufangenden
Lokal-Untersuchungen übernehmen.
Die Behörden, welche dergleichen Untersuchungen bisher geführt haben, oder
künftig führen werden, sind von ihren Regierungen anzuweisen, die bei
ihnen verhandelten Akten in möglichst kurzer Zeit an die
Zentral-Untersuchungs-Kommission entweder in Urschrift oder in Abschrift
einzusenden, den von der besagten Bundes-Kommission an sie gelangenden
Requisitionen schleunigst und vollständig zu willfahren, in Gemäßheit
derselben die erforderlichen Untersuchungen mit möglichster Genauigkeit
und Beschleunigung vorzunehmen oder fortzusetzen, und mit Verhaftung der
inkulpierten Personen vorzuschreiten.
Neue, zur Entdeckung führende Spuren sind die Lokalbehörden auch ohne
vorläufige Anfrage bei der Zentral-Untersuchungs-Kommission unverzüglich
zu verfolgen, jedoch zugleich der letztern davon Kenntnis zu geben
verpflichtet.
Überhaupt werden die Lokalbehörden von ihren obersten Landesbehörden
angewiesen werden, sowohl mit der Zentral-Bundes-Kommission als unter
sich, in fortgesetzter Kommunikation zu bleiben, und sich gegenseitig in
Beziehung auf den Art. 2 der Bundes-Akte zu unterstützen.
Art. 6 Sämtliche Bundesglieder, in deren Gebiet bereits Unruhen
eingeleitet sind, verpflichten sich, der Zentral-Untersuchungs-Kommission
unmittelbar nach ihrer Konstituierung die Lokalbehörden oder Kommissionen,
welche sie die Untersuchung anvertraut haben, anzuzeigen.
Die Bundesglieder, in deren Staaten Untersuchungen dieser Art noch nicht
eingeleitet sind, jedoch aber noch nötig werden sollten, sind verbunden,
auf das dieser wegen der Zentral-Untersuchungs-Kommission an sie
gelangende Ansinnen, sogleich die Untersuchung vornehmen zu lassen, und
der Zentral-Kommission die Behörde namhaft zu machen, welcher sie hierzu
den Auftrag erteilten.
Art. 7 Die Zentral-Untersuchungs-Kommission ist berechtigt, wenn sie es
nötig findet, ein oder das andere Individuum selbst zu vernehmen. Sie wird
sich um Sistierung derselben an die obersten Staatsbehörden der
Bundesglieder oder an die ihr, vermöge Art.6, bekannt gemachten Behörden
wenden. Bei, von der Zentral-Kommission anerkannter, unumgänglicher
Notwendigkeit sind dergleichen Personen auf die, erwähnten Maßen an die
obersten Staats- oder bereits designierten Lokalbehörden gerichteten
Requisition der Zentral-Kommission zu verhaften und unter sicherer
Bedeckung nach Mainz abzuführen.
Art. 8 Zu sicherer Verwahrung der an dem Sitz der Commission zu
transportierenden Individuen sollen die erforderlichen Anstalten getroffen
werden.
Die Kosten der Commission, so wie der Untersuchung selbst, sind von dem
Bunde zu tragen.
Art. 9 Auf gegenwärtigen Bundesschluss wird die
Zentral-Untersuchungs-Kommission anstatt besonderer Instruktion verwiesen.
In allen Fällen, wo sich Anstände ergeben, oder überhaupt die
Zentral-Untersuchungs-Kommission weitere Verhaltungsbefehle einzuholen, in
den Fall kommen sollte, hat dieselbe an die Bundesversammlung zu
berichten, welche zur Einleitung der Beschlussnahme und Vortrag über
solche Anfragen eine Commission von drei Mitgliedern aus ihrer Mitte
ernennen wird.
Art. 10 Eben so ist über die Resultate der möglichst zu
beschleunigenden Untersuchung von der Zentral-Untersuchungs-Kommission
Bericht an die Bundesversammlung von Zeit zu Zeit zu erstatten.[3]
Die Bundesversammlung wird nach Maßgabe der, sowohl im Einzelnen, als nach
geschlossener Untersuchung aus den ganzen Verhandlungen sich ergebenden
Resultate, die weitern Beschlüsse zur Einleitung des gerichtlichen
Verfahrens fassen
(aus:
Protokolle der Bundesversammlung, 1819, 35. Sitzung, § 220., -
an moderne Rechtschreibung angepasst)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.10.2023