Preußische Zensurverordnung - 18. Oktober 1819
Art. 1. Alle im unseren Lande herauszugebende Bücher und Schriften, sollen
der in den nachstehenden Artikeln verordneten Zensur zur Genehmigung
vorgelegt, und ohne deren schriftliche Erlaubnis weder gedruckt noch
verkauft werden.
Art. 2. Die Zensur wird keine ernsthafte und bescheidene Untersuchung
der Wahrheit hindern, noch den Schriftstellern ungebührlichen Zwang
auflegen, noch den freien Verkehr des Buchhandels hemmen. Ihr Zweck ist,
demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ohne
Rücksicht auf die Meinungen und Lehren einzelner Religionsparteien und im
Staate geduldeter Sekten, zuwider ist, zu unterdrücken, was die Moral und
gute Sitten beleidigt, dem fanatischen Herüberziehen von
Religionswahrheiten in die Politik und der dadurch entstehenden Verwirrung
der Begriffe entgegen zu arbeiten; endlich zu verhüten, was die Würde und
Sicherheit, sowohl des Preußischen Staats, als der übrigen deutschen
Bundesstaaten, verletzt. Hierher gehören alle auf Erschütterung der
monarchischen und in diesen Staaten bestehenden Verfassungen abzweckende
Theorien; jede Verunglimpfung der mit dem Preußischen Staate in
freundschaftlicher Verbindung stehenden Regierungen und der sie
konstituierenden Personen, ferner alles was dahin zielt im Preußischen
Staate, oder den deutschen Bundesstaaten Missvergnügen zu erregen und
gegen bestehende Verordnungen aufzureizen; alle Versuche im Lande und
außerhalb desselben Parteien oder ungesetzmäßige Verbindungen zu stiften,
oder in irgend einem Lande bestehende Parteien, welche am Umsturz der
Verfassung arbeiten, in einem günstigen Lichte darzustellen.
Art. 3. Die Aufsicht über die Zensur aller in Unsern Landen
herauskommenden Schriften, welchen Inhalts sie sein mögen, wird
ausschließlich den Ober-Präsidenten, sowohl in Berlin als in den
Provinzen, übertragen, welche für jedes einzelne Fach eine zur
größtmöglichsten Beschleunigung erforderliche Anzahl vertrauter
wissenschaftlich gebildeter und aufgeklärter Zensoren durch das im §. VI.
bestimmte Ober-Zensur-Kollegium, dem Polizei-Departement des Ministeriums
des Innern, in Absicht auf auswärtige Verhältnisse, dem Ministerium der
auswärtigen Angelegenheiten, und auf theologische und wissenschaftliche
Werke dem Ministerium der geistlichen Angelegenheiten und des öffentlichen
Unterrichts vorschlagen werden, um unter ihrer Leitung und nach den ihnen
gegebenen Instruktionen sich der Beurteilung der ihnen übergebenen
Manuskripte, nach den im Artikel II. festgesetzten Grundsätzen zu
unterziehen.
Art. 4. Die Zensur der Zeitungen, periodischen Blätter und größeren
Werke, welche sich ausschließlich oder zum Teil mit der Zeitgeschichte
oder Politik beschäftigen, steht unter der obersten Leitung Unsers
Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, die der theologischen, rein
wissenschaftlichen Werke, unter dem Ministerium der geistlichen
Angelegenheiten und des öffentlichen Unterrichts. Alle übrige Gegenstände
der Zensur unter dem Polizei-Departement im Ministerium des Innern.
Die Zensur von Gelegenheits-Gedichten und Schriften, Schulprogrammen und
ändern einzelnen Blättern dieser Art, außer den Ober-Präsidial-Städten,
bleibt den Polizei-Behörden des Druckortes, jedoch unter der Aufsicht und
Kontrolle der Ober-Präsidenten, überlassen.
Art. 5. Alle katholischen Religions- und Andachtsbücher müssen, ehe sie
der gewöhnlichen Zensur übergeben werden, von dem Ordinarius oder seinem
Stell- Vertreter das Imprimatur erhalten haben, wodurch bezeugt wird, dass
sie nichts enthalten, was der Lehre der katholischen Kirche zuwider wäre.
Art. 6. Es soll in Berlin ein nach Verschiedenheit der Gegenstände den
in den §§. III. und IV. benannten Staats-Ministerien unmittelbar
untergeordnetes, aus mehrern Mitgliedern und einem Sekretär bestehendes
Ober-Zensur-Kollegium für die ganze Monarchie errichtet werden.
Dessen Hauptbestimmung soll sein:
1) die Beschwerden der Verfasser und Verleger wegen gänzlicher oder
partieller Verweigerung der Erlaubnis zum Drucke zu untersuchen, und nach
dem Geiste des gegenwärtigen Gesetzes in letzter Instanz darüber zu
entscheiden;
2) über die Ausführung des Zensur-Gesetzes zu wachen, jede ihm bekannt
gewordene Übertretung desselben, so wie die Fälle, wo die verordneten
Zensoren dem Geiste des gegenwärtigen Gesetzes nicht Genüge geleistet zu
haben scheinen, oder über welche sich eine fremde oder einheimische
Behörde beklagt hat, mit einem Gutachten dem betreffenden Ministerium
anzuzeigen;
3) mit den Ober-Präsidenten und Zensur-Behörden über
Zensur-Angelegenheiten zu korrespondieren, ihnen die von den oben
erwähnten Staats-Ministerien ausgehenden Instruktionen zukommen zu lassen,
so wie ihre allfallsige Zweifel und Bedenklichkeiten nach den ihm von den
gedachten Ministerien gegebenen Vorschriften zu heben;
4) das Verbot des Verkaufs derjenigen innerhalb oder außerhalb
Deutschlands mit oder ohne Zensur gedruckten Bücher, deren Debit
unzulässig scheint, durch Berichte an die vorgedachten Ministerien zu
veranlassen.
Art. 7. Die der Akademie der Wissenschaften und den Universitäten
bisher verliehene Zensur-Freiheit wird auf fünf Jahre hiermit suspendiert.
Art. 8. Die inländischen Buchhändler sind gehalten, die Bestimmungen
des gegenwärtigen Gesetzes auch alsdann zu beobachten, wenn sie ein Buch
im Auslande drucken lassen, auch sind sie dieser Verpflichtung nicht
entbunden, wenn! die ganze Auflage bloß fürs Ausland bestimmt ist.
Art. 9. Alle Druckschriften müssen mit dem Namen des Verlegers und
Buchdruckers, letzterer am Ende des Werks, alle Zeltungen und
Zeitschriften mit dem Namen eines im preußischen Staate wohnhaften
bekannten Redakteurs versehen sein.
Die Ober-Zensurbehörde ist berechtigt, dem Unternehmer einer Zeitung zu
erklären, dass der angegebene Redakteur nicht von der Art sexy, das nötige
Zutrauen einzuflößen, in welchem Falle der Unternehmer verpflichtet ist,
entweder einen ändern Redakteur anzunehmen, oder wenn er den ernannten
beibehalten will, für ihn eine von Unsern oben erwähnten
Staats-Ministerien auf den Vorschlag gedachter Ober-Zensurbehörde zu
bestimmende Kaution zu leisten.
Art. 10. Es bleibt einem Buchdrucker oder Verleger überlassen, das von
ihm zu druckende Werk entweder im Ganzen in einer deutlichen Abschrift,
oder stückweise in gedruckten Probebogen zur Zensur einzureichen, in
letzterem Falle hat er es sich jedoch selbst beizumessen, wenn nach
Vollendung eines Teils des Drucks der Zensor einen folgenden Abschnitt
unzulässig fände, und durch Wegstreichen desselben das bereits Gedruckte
unnütz würde. Das zur Zensur überreichte Manuskript wird von dem Zensor
auf der ersten und letzten Seite mit seinem Namen und dem Datum
bezeichnet.
Ist das Werk bogenweise der Zensur überreicht worden, so muss das
Imprimatur auf jedem Bogen ausgedrückt sein. Die Erlaubnis zum Druck ist
nur auf ein Jahr gültig; ist der Druck nicht im Laufe desselben besorgt
worden, so muss eine neue Erlaubnis nachgesucht werden.
Art. 11. Keine außerhalb der Staaten des deutschen Bundes in deutscher
Sprache gedruckte Schrift, kann in den Königlichen Staaten verkauft
werden, ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Ober-Zensurbehörde.
Art. 12. Keine in Deutschland verlegte Schrift in irgend einer Sprache,
wo auf dem Titel nicht der Name einer bekannten Verlagshandlung steht, und
welche der Buchhändler nicht durch diese oder eine andere bekannte, welche
für die Richtigkeit dieses Namens Gewähr leistet, erhalten hat, darf
verkauft werden.
Art. 13. Der Buchdrucker und Verleger, welcher die in gegenwärtigem
Gesetze bestimmte Vorschrift befolgt und die Genehmigung zum Abdruck einer
Schrift erhalten hat, wird von aller fernem Verantwortlichkeit wegen ihres
Inhalts völlig frei. Sollte der im §. 6. des Bundesgesetzes vom 20sten
September vorausgesehene Fall eintreten, und die Bundesversammlung die
Unterdrückung einer solchen unter gehöriger Beobachtung der gegenwärtigen
Zensur-Vorschrift erschienenen Schrift verfügen; so hat der Verleger
Anspruch auf Entschädigung zu machen. Dem Verfasser kann in keinem Falle
eine gleichmäßige vollständige Befreiung von Verantwortlichkeit zu Statten
kommen, sondern, wenn es sich finden sollte, dass er des Zensors
Aufmerksamkeit zu hintergehen (z. B. durch eingestreute strafwürdige
Anspielungen oder Zweideutigkeiten, deren beabsichtigter Sinn dem Zensor
verborgen bleiben konnte) oder sonst durch unzulässige Mittel die
Erlaubnis zum Druck zu erschleichen gewusst habe, so bleibt er deshalb,
besonders bei einzelnen, in einem weitläufigen Werke vorkommenden
unerlaubten Stellen, nach wie vor verantwortlich. Ist in einem solchen
Werke der Verfasser nicht genannt, so muss der Verleger denselben
anzeigen; wenn er dieses nicht kann oder nicht will, oder der Verfasser
ist nicht ein im Lande gegenwärtiger preußischer Untertan, so muss der
Verleger die Verantwortung an dessen Stelle übernehmen. Übrigens versteht
es sich von selbst, dass wenn in einer Schrift Stellen vorkommen, wodurch
eine Person sich für beleidigt hält, derselben, der erfolgten Zensur und
Erlaubnis zum Druck ungeachtet, ihre Rechte gegen den Verfasser und
Verleger vorbehalten bleiben.
Art. 14. Eine unveränderte neue Auflage eines Werks, das seit der
Bekanntmachung gegenwärtiger Zensur-Vorschrift mit Erlaubnis erschienen
war, kann ohne weitere Zensur auch im Auslande gedruckt werden, nur muss
der Verleger der Zensurbehörde, unter welcher der Buchdrucker steht, oder
wenn es außerhalb gedruckt wird, derjenigen seines Wohnorts die gehörige
Anzeige machen.
Art. 15. Der Verleger ist, wenn er ein Werk mit Erlaubnis hat drucken
lassen, zu keiner Entrichtung für Zensur-Gebühren, auch von Bekanntmachung
gegenwärtiger Zensur-Vorschrift an, zu keiner Ablieferung von irgend einem
Frei-Exemplar an eine Bibliothek verbunden. Jedoch verbleibt die
Verpflichtung zur Abgabe eines Exemplars an den Zensor.
Art. 16. 1) Jeder Buchdrucker in Unsern Staaten, welcher eine Schrift
druckt, und jeder inländische Verleger, der eine Schrift im Inn- oder
Auslande drucken lässt, ohne diesen Zensur-Vorschriften zu genügen,
verfällt bloß deshalb in eine polizeiliche Strafe, nach Maßgabe der
Gefährlichkeit des Inhalts von Zehn bis Einhundert Reichstaler und
außerdem ist die Polizei befugt, die ganze Auflage einer solchen Schrift
in Beschlag zu nehmen. Bei Wiederholung dieses Vergehens wird die Strafe
verdoppelt. Ist der Verfasser selbst Verleger, so treffen auch ihn die
Strafen des Verlegers. Buchhändler und Buchdrucker, die zum dritten Male
sich solcher Vergehungen schuldig machen, sollen der Befugnis zu diesem
Gewerbe verlustig sein.
2) Ist der Inhalt einer solchen Schrift an sich strafbar, so treten
außerdem die gesetzlichen richterlichen Strafen ein, wobei Wir erklären,
dass bei frechem und unehrerbietigem Tadel und Verspottung der
Landesgesetze und Anordnungen im Staate es nicht bloß darauf ankommen
soll, ob Missvergnügen und Unzufriedenheit veranlasst worden sind, sondern
eine Gefängnis- oder Festungs-Strafe von Sechs Monaten bis Zwei Jahren
wegen solcher strafbaren Äußerungen selbst verwirkt ist. Eine gleiche
Strafe soll Statt finden, bei Verletzung der Ehrerbietung gegen die
Mitglieder des deutschen Bundes und gegen auswärtige Regenten, und bei
frechem, die Erregung von Missvergnügen abzweckendem Tadel ihrer
Regierungen.
3) Für den Inhalt der Schrift ist zunächst der Verfasser, wenn aber der
Verleger diesen Unsern Gerichten nicht stellen kann oder will, auch der
Verleger verantwortlich.
4) bloß die Unterlassung der wahren Anzeige des Verlegers auf dem Titel
einer Schrift, wenn sie auch mit Zensur gedruckt ist, soll polizeilich mit
eitler Geldbuße von fünf bis fünfzig Reichstalern an den Verleger bestraft
werden. Eben so soll der Drucker bestraft werden, der eine Zeitung oder
periodische Schrift ohne den Namen des Redakteurs druckt.
5) Wer verbotene Schriften verkauft oder sonst aussiebt, soll außer der
Fiskation der bei ihm davon vorhandenen Exemplare mit einer Polizeistrafe
von zehn bis einhundert Reichstalern, im Wiederholungs-Falle mit
Verdoppelung derselben und im dritten Falle, außer der doppelten Geldbuße,
mit Verlust des Gewerbes bestraft werden.
Zu den Verbotenen gehören alle in Deutschland, ohne Namen des Verlegers
erscheinende Schriften, und alle deutsche Zeitungen und Zeitschriften, auf
denen der Name des Redakteurs fehlt.
Art. 17. Zeitungen und andere periodische Schriften, sobald sie
Gegenstände der Religion, der Politik, der Staatsverwaltung und der
Geschichte gegenwärtiger Zeit in sich aufnehmen, dürfen nur mit
Genehmigung der oben gedachten Ministerien erscheinen, und sind von
denselben zu unterdrücken, wenn sie von dieser Genehmigung schädlichen
Gebrauch machen.
(aus:
http://www.heinrich-heine-denkmal.de/dokumente/zensurgesetz.shtml
, - an moderne Rechtschreibung angepasst)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.10.2023