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Die nationalsozialistische Diktatur 1933-45

Müssen wir uns heute noch schuldig fühlen?

Äußerungen zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz (2005)


  Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma:
„Die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen stellt sich für jede Generation als Aufgabe und Herausforderung neu. Mein Eindruck ist, dass diese Geschichte von den jungen Menschen nicht als Last empfunden wird, sondern vielmehr als Maßstab für unsere gemeinsame Verantwortung in der Gegenwart.“ (aus: Stern 5(2005), S.45)

Daniel Jonah Goldhagen, Historiker und Verfasser von: „Hitlers willige Vollstrecker“
„Deutsche, die während der Nazi-Jahre nicht an der Verfolgung der Juden oder an anderen Gräueltaten teilnahmen, sollten sich nicht schuldig fühlen, weil sie nicht schuldig sind. Das schließt selbstverständlich alle ein, die nach dem Krieg geboren wurden. Schuld ist niemals kollektiv. Aber als Mitglieder einer politischen Gemeinschaft, die moralische und juristische Verpflichtungen eingeht, sollten Deutsche, die immer noch bestehende Verantwortung ihres Landes anerkennen und den Schaden reparieren, den eine frühere (populäre) Regierung und so viele ihrer Landsleute gegen Juden und andere angerichtet haben. Unter anderem bedeutet dies, im eigenen Land unermüdlich gegen Antisemitismus (der in Deutschland wieder aufflammt) zu kämpfen und im Ausland eine sichere nationale Gemeinschaft der Juden zu unterstützen.“ (aus: Stern 5(2005), S.45)

Gerhard Schröder, Bundeskanzler:
"Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist eine bleibende Verpflichtung. Denn nur wer sich erinnert, auch wenn er keine Schuld auf sich geladen hat, kann verantwortungsbewusst mit der Geschichte umgehen. Auch wenn Erinnerung anstrengend ist, wir dürfen der Versuchung zum Vergesse oder zum Verdrängen nicht nachgeben, Vergangenheit können wir weder ungeschehen machen noch „bewältigen“. Aber aus der Geschichte lernen können wir: Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dürfen nie wieder eine Chance haben in Deutschland.“ (aus: Stern 5(2005), S.45)

Halina Birkenbaum, israelische Schriftstellerin und Auschwitz-Überlebende:
"Ein Sohn kann nicht schuldig sein, wenn der Vater ein Mörder ist. Aber auf ihm klebt ein Fleck. Ein junger Deutscher hat eine Verantwortung, nie so zu sein, wie die Verbrecher damals. Als Sohn eines Mörders muss er noch mehr als alle anderen tun, damit er zeigen kann, dass er ein ehrlicher Mensch ist, dass er nie jemanden verfolgen, nie jemanden umbringen wird. Wer stolz auf Goethe, Schiller und Beethoven ist, muss auch Schande empfinden für Hitler. […] Die Deutschen sollten sich immer daran erinnern, was Deutsche mit den Juden gemacht haben. Es schmerzt, wenn heute Deutsche behaupten: ‚Das gab es nie.’ Wer zulässt, dass junge Nazis wieder ‚Heil Hitler’ brüllen, der muss sich schuldig fühlen." (aus: Stern 5(2005), S..44)

Bernhard Schlink, Juraprofessor und Schriftsteller (»Der Vorleser«):
Wer im „Dritten Reich“ schuldig geworden ist, indem er Unrecht getan hat oder hat geschehen lassen, bleibt schuldig – wer sollte ihm vergeben und die Schuld von ihm genommen haben? Vergeben können nur die Opfer, und wenn die Opfer tot sind, kann niemand die Schuld von den Tätern nehmen. Auch die Generation der Kinder bleibt schuldig, soweit sie dadurch schuldig geworden ist, dass sie mit der Generation der Väter nicht gebrochen hat. Die Liebe der Kinder zu ihren Eltern, die Verehrung der Lehrer, Meister, Pfarrer, Professoren, Vorgesetzten und Chefs, das Lernen von ihnen, die Dankbarkeit ihnen gegenüber und die Verbundenheit mit ihnen verstricken in deren Schuld. Für die Enkel, die ihren Großeltern kaum noch persönlich begegnen, gibt es auch die Verstrickung in deren Schuld kaum noch, und die Urenkel sind von ihr frei. Was dann noch bleibt. Ist nicht mehr Schuld. Geschuldet bleiben aber die Erinnerung an die Opfer, der Respekt ihnen gegenüber und der Takt gegenüber ihren Nachfahren. (aus: Stern 5(2005), S..45)

Ralf Giordano, Schriftsteller:
Als häufig geladener Zeitzeuge und Überlebender des Holocaust bläue ich der Generation der Enkelinnen und Enkel dreierlei ein: Erstens: In seid an den Nazi-Verbrechen in jeder Beziehung schuldlos – de jure, de facto, politisch, moralisch, historisch. Doch steht ihr in der Kette nationaler Geschichtsverantwortung, dass dergleichen in keiner Form wieder aufstehen und obsiegen könnte. Darum ist Erinnerung nötig, und darum stehe ich vor euch. Denn Hitler, und was der Name symbolisiert, ist zwar militärisch, nicht aber auch geistig geschlagen, immer noch nicht.
Zweitens: Nicht die Opfer des Nationalsozialismus sorgen für die lang fallenden Schatten des Hakenkreuzes, es ist das Morduniversum der NS-Täterschaft, das die Erinnerung wach hält und so die These vom „Tausendjährigen Reich“, wenn auch nicht im Sinne ihrer Schöpfer, wahr machen wird.
Und drittens, ihre Enkelinnen und Enkel: Bewahrt euch, trotz allem, die Fähigkeit, euch zu freuen, zu lächeln, glücklich zu sein, zu lieben, aufeinander zuzugehen und, dies vor allem, den Humor nicht zu verlieren.
Stärkere Bundesgenossen für Menschlichkeit kenne ich nicht. (aus: Stern 5(2005), S..44)

Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland
Schuld ist eine ganz persönliche Angelegenheit. Es kann keine Rede davon sein, dass Menschen, die während des Holocaust oder danach geboren worden sind, mit irgendeiner Schuld in Zusammenhang stehen. Aber dieser Personenkreis trägt dennoch eine Verantwortung. Nicht für die Vergangenheit und für das, was damals geschehen ist. Diese Menschen tragen Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft. Denn ohne die Kenntnisse dessen, was geschehen ist, kann es eine verantwortungsbewusste Zukunft nicht geben. (aus: Stern 5(2005), S..44)

Heinrich August Winkler, Historiker
"Schuldig geworden sind bei der Vernichtung der europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg nicht nur die Täter an der Spitze des ‚Dritten Reiches’ und die vielen, die ihre mörderischen Weisungen in die Tat umsetzten. Schuldig geworden sind alle, die auf unterschiedliche Weise mitgewirkt haben an dem, was der Vernichtung vorausging: die Ausgrenzung und Entrechtung der Juden. In diesem Sinne sind Millionen von Deutschen schuldig geworden. Eine Schuld der Nachlebenden gibt es nicht. Aber aus der historischen Schuld ist eine bleibende Verantwortung der Deutschen erwachsen: Sie müssen sich ihrer widerspruchsvollen Geschichte stellen und Folgerungen aus dem ziehen, wohin diese Geschichte nach der Machtübertragung an Hitler geführt hat. ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.’ So heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes aus dem Jahr 1949. Das war damals eine Antwort auf die Erfahrungen der NS-Zeit. Es gibt keine bessere Antwort." (aus: Stern 5(2005), S..44)
 

 
   
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie die Kernpunkte der Antworten auf die Problemfrage heraus: Müssen wir uns noch heute schuldig fühlen?

  2. Vergleichen Sie die Standpunkte miteinander.

  3. Nehmen Sie zu den Auffassungen kritisch Stellung.
     

 
       
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