Friedrich Schiller (1788)

Die Götter Griechenlands


Da ihr noch die schöne Welt regieret,
An der Freude leichtem Gängelband
Glücklichere Menschenalter führtet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!
Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,                     5
Wie ganz anders, anders war es da!
Da man deine Tempel noch bekränzte,
Venus Amathusia!

Da der Dichtung malerische Hülle
Sich noch lieblich um die Wahrheit wand, -                 10
Durch die Schöpfung floss da Lebensfülle,
Und was nie empfinden wird, empfand.
An der Liebe Busen sie zu drücken,
Gab man höhern Adel der Natur,
Alles wies den eingeweihten Blicken,                         15
Alles eines Gottes Spur.

Wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen,
Seelenlos ein Feuerball sich dreht,
Lenkte damals seinen goldnen Wagen
Helios in stiller Majestät.                                           20
Diese Höhen füllten Oreaden,
Eine Dryas starb mit jenem Baum,
Aus den Urnen lieblicher Najaden
Sprang der Ströme Silberschaum.

Jener Lorbeer wand sich einst um Hilfe,                      25
Tantals Tochter schweigt in diesem Stein,
Syrinx' Klage tönt' aus jenem Schilfe,
Philomelens Schmerz in diesem Hain.
Jener Bach empfing Demeters Zähre,
Die sie um Persephone geweint,                                30
Und von diesem Hügel rief Cythere,
Ach, vergebens! ihrem schönen Freund.

Zu Deukalions Geschlechte stiegen
Damals noch die Himmlischen herab;
Pyrrhas schöne Töchter zu besiegen,                         35
Nahm Hyperion den Hirtenstab.
Zwischen Menschen, Göttern und Heroen
Knüpfte Amor einen schönen Bund,
Sterbliche mit Göttern und Heroen
Huldigten in Amathunt.                                              40

Betend an der Grazien Altären
Kniete da die holde Priesterin,
Sandte stille Wünsche an Cytheren
Und Gelübde an die Charitin.
Hoher Stolz, auch droben zu gebieten,                        45
Lehrte sie den göttergleichen Rang
Und des Reizes heil'gen Gürtel hüten,
Der den Donnrer selbst bezwang.

Himmlisch und unsterblich war das Feuer,
Das in Pindars stolzen Hymnen floss,                         50
Niederströmte in Arions Leier,
In den Stein des Phidias sich goss.
Bessre Wesen, edlere Gestalten
Kündigten die hohe Ankunft an,
Götter, die vom Himmel niederwallten,                        55
Sahen hier ihn wieder aufgetan.

Werter war von eines Gottes Güte,
Teurer jede Gabe der Natur.
Unter Iris' schönem Bogen blühte
Reizender die perlenvolle Flur.                                    60
Prangender erschien die Morgenröte
In Himerens rosigtem Gewand,
Schmelzender erklang die Flöte
In des Hirtengottes Hand.

Liebenswerter malte sich die Jugend,                          65
Blühender in Ganymedas Bild,
Heldenkühner, göttlicher die Tugend
Mit Tritoniens Medusenschild.
Sanfter war, da Hymen es noch knüpfte,
Heiliger der Herzen ew'ges Band,                               70
Selbst des Lebens zarter Faden schlüpfte
Weicher durch der Parzen Hand.

Das Evoe muntrer Thyrsusschwinger
Und der Panther prächtiges Gespann
Meldeten den großen Freudebringer,                          75
Faun und Satyr taumeln ihm voran;
Um ihn springen rasende Mänaden,
Ihre Tänze loben seinen Wein,
Und die Wangen des Bewirters laden
Lustig zu dem Becher ein.                                         80

Höher war der Gabe Werth gestiegen,
Die der Geber freundlich mit genoss,
Näher war der Schöpfer dem Vergnügen,
Das im Busen des Geschöpfes floss.
Nennt der meinige sich dem Verstande?                    85
Birgt ihn etwa der Gewölke Zelt?
Mühsam späh' ich im Ideenlande,
Fruchtlos in der Sinnenwelt.

Eure Tempel lachten gleich Palästen,
Euch verherrlichte das Heldenspiel                            90
An des Isthmus kronenreichen Festen,
Und die Wagen donnerten zum Ziel.
Schön geschlungne, seelenvolle Tänze
Kreisten um den prangenden Altar,
Eure Schläfe schmückten Siegeskränze,                    95
Kronen euer duftend Haar.

Seiner Güter schenkte man das beste,
Seiner Lämmer liebstes gab der Hirt,
Und der Freudetaumel seiner Gäste
Lohnte dem erhabnen Wirt.                                      100
Wohin tret' ich? Diese traur'ge Stille,
Kündigt sie mir meinen Schöpfer an?
Finster, wie er selbst, ist seine Hülle,
Mein Entsagen - was ihn feiern kann.

Damals trat kein grässliches Gerippe                       105
Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuss
Nahm das letzte Leben von der Lippe,
Still und traurig senkt ein Genius
Seine Fackel. Schöne, lichte Bilder
Scherzten auch um die Notwendigkeit,                    110
Und das ernste Schicksal blickte milder
Durch den Schleier sanfter Menschlichkeit.

Nach der Geister schrecklichen Gesetzen
Richtete kein heiliger Barbar,
Dessen Augen Tränen nie benetzen,                        115
Zarte Wesen, die ein Weib gebar.
Selbst des Orkus strenge Richterwaage
Hielt der Enkel einer Sterblichen,
Und des Thrakers seelenvolle Klage
Rührte die Erinyen.                                                120

Seine Freuden traf der frohe Schatten
In Elysiens Hainen wieder an,
Treue Liebe fand den treuen Gatten
Und der Wagenlenker seine Bahn;
Orpheus' Spiel tönt' die gewohnten Lieder,               125
In Alcestens Arme sinkt Admet,
Seinen Freund erkennt Orestes wieder,
Seine Waffen Philoktet.

Aber ohne Wiederkehr verloren
Bleibt, was ich auf dieser Welt verließ,                    130
Jede Wonne hab' ich abgeschworen,
Alle Bande, die ich selig pries.
Fremde, nie verstandene Entzücken
Schaudern mich aus jenen Welten an,
Und für Freuden, die mich jetzt beglücken,              135
Tausch' ich neue, die ich missen kann.

Höhre Preise stärkten da den Ringer
Auf der Tugend arbeitvoller Bahn;
Großer Taten herrliche Vollbringer
Klimmten zu den Seligen hinan.                             140
Vor dem Wiederforderer der Toten
Neigte sich der Götter stille Schar;
Durch die Fluten leuchtet dem Piloten
Vom Olymp das Zwillingspaar.

Schöne Welt, wo bist du? - Kehre wieder,               145
Holdes Blütenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch deine goldne Spur.
Ausgestorben trauert das Gefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,                  150
Ach, von jenem lebenwarmen Bilde
Blieb nur das Gerippe mir zurück.

Alle jene Blüten sind gefallen
Von des Nordes winterlichem Wehn;
Einen zu bereichern unter allen,                              155
Musste diese Götterwelt vergehn.
Traurig such' ich an dem Sternenbogen,
Dich, Selene, find' ich dort nicht mehr;
Durch die Wälder ruf' ich, durch die Wogen,
Ach! sie wiederhallen leer!                                      160

Unbewusst der Freuden, die sie schenket,
Nie entzückt von ihrer Trefflichkeit,
Nie gewahr des Armes, der sie lenket,
Reicher nie durch meine Dankbarkeit,
Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre,                    165
Gleich dem toten Schlag der Pendeluhr,
Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere,
Die entgötterte Natur.

Morgen wieder neu sich zu entbinden,
Wühlt sie heute sich ihr eignes Grab,                      170
Und an ewig gleicher Spindel winden
Sich von selbst die Monde auf und ab.
Müßig kehrten zu dem Dichterlande
Heim die Götter, unnütz einer Welt,
Die, entwachsen ihrem Gängelbande,
Sich durch eignes Schweben hält.                           175

Freundlos, ohne Bruder, ohne Gleichen,
Keiner Göttin, keiner Ird'schen Sohn,
Herrscht ein Andrer in des Äthers Reichen,
Auf Saturnus' umgestürztem Thron.
Selig, eh sich Wesen um ihn freuten,                       180
Selig im entvölkerten Gefild,
Sieht er in dem langen Strom der Zeiten
Ewig nur - sein eignes Bild.

Bürger des Olymps konnt' ich erreichen,
Jenem Gotte, den sein Marmor preist,
Konnte einst der hohe Bildner gleichen;                   185
Was ist neben dir der höchste Geist
Derer, welche Sterbliche gebaren?
Nur der Würmer erster, edelster.
Da die Götter menschlicher noch waren,
Waren Menschen göttlicher.                                   190

Dessen Strahlen mich darnieder schlagen,
Werk und Schöpfer des Verstandes, dir
Nachzuringen, gib mir Flügel, Wagen,
Dich zu wägen - oder nimm von mir,
Nimm die ernste strenge Göttin wieder,                   195
Die den Spiegel blendend vor mir hält,
Ihre sanftre Schwester sende nieder,
Spare jene für die andre Welt.

(in der Rechtschreibung modernisiert)
 

 
   Arbeitsanregungen:

   Interpretieren Sie das Gedicht.

  1. Fassen Sie den Inhalt dieser Elegie Friedrich Schillers in Form einer Inhaltsangabe zusammen.
    Stellen Sie dazu mit Hilfe eines Handlexikons, einer Enzyklopädie, einer multimedialen Enzyklopädie (z.B. Microsoft Encarta) oder mit Hilfe einer Internet-Recherche zusammen, um welche Figuren und Orte der griechischen Mythologie es sich in dem Gedicht handelt. (→Griechische Götterwelt - Überblick)

  2. Beschreiben Sie die äußere Form des Gedichtes.

  3. Arbeiten Sie heraus, welche Aussage das Gedicht gestaltet. Wie wirken Form und Inhalt bei der Gestaltung der Aussage des Textes zusammen?

  4. Ordnen Sie das Gedicht in die Literaturepoche der Weimarer Klassik ein.
    Ziehen Sie dazu auch die folgende Aussage von Dieter Burdorf heran:

    "Von Schiller und Hölderlin wurde die Elegie [...] vor allem zur Darstellung der Erinnerung an lebensgeschichtlich Vergangenes und an kulturgeschichtlich untergegangene Weltalter verwendet; ihr Ton ist dabei oftmals der der Klage oder Beschwörung." (Burdorf 1995, S.95)
     

  5. Das Gedicht war, als es 1788 veröffentlicht wurde, durchaus umstritten. Welche Argumente gibt es zur Verteidigung, welche zur Kritik an Schillers Gedicht?

 →Operatorenkatalog des Landes Baden-Württemberg)