"Ich
wollte vor meinem neuen Freund, der aus besseren Verhältnissen stammte,
einfach nicht blöd dastehen," sagte Nadine C. (23) um zu erklären,
weshalb sie im Alter von 21 Jahren mit 7.000 Euro Schulden bei
verschiedenen Gläubigern (Versand- und Möbelhäuser, Mobilfunkanbieter)
dastand. (1) Natürlich will man, gerade wenn man verliebt ist, etwas
gemeinsam unternehmen, will vielleicht gemeinsam essen gehen, natürlich
auch mal in den Europapark fahren, miteinander zu einem
Open-Air-Festival und sich die neuesten Blockbuster im Kino auf der
Kuschelbank in der Loge, wo sonst, reinziehen. Und auch handymäßig
möchte man auch nicht als von gestern rüberkommen. Natürlich? Man macht
"halt eigentlich mehr diese Sachen, anstatt auf den Spielplatz zu gehen
oder so, mehr die Sachen (...), die einfach Geld kosten. Eis essen
gehen, ins Schwimmbad gehen oder ins Spieleland gehen oder was auch
immer", fügt Nadine an. (2)
Sind also Jugendliche und junge Menschen leichtfertige Schuldenmacher?
Mitnichten. Zwar gab in der Jugendstudie 2015 des Bankenverbandes etwa
jeder Dritte der befragten Jugendlichen (14-17 J.) und jungen
Erwachsenen (18-24 J.) an, schon irgendwann einmal Schulden gemacht zu
haben (3), daraus aber zu schließen, dass die große Mehrheit der
Jugendlichen keine Schuldenbremse hätte und am Abgrund der Schuldenfalle
stünde, ist weit gefehlt. Schulden, das ist ohnehin eine Sache der
Perspektive, Überschuldung allerdings ein großes Problem.
Schulden sind ja, rein ökonomisch, ein Schmiermittel jeden Wirtschaftens
und juristische Zahlungsforderungen, wie sie alltäglich und in jedem
Haushalt entstehen, wenn Waren oder Dienstleistungen bezogen und nicht
sofort bezahlt werden müssen. (4) Wer z. B. ein Telefon oder Handy zur
Telekommunikation nutzt, geht automatisch ein Dauerschuldverhältnis ein.
Und da nahezu jeder ein Telefon oder ein Handy hat, hat also auch jeder
Schulden. (ja, ja, das ist ein klitzekleiner Fehlschluss, schließlich
gibt es ja noch die Prepaid-Karten)
Aber: so ganz haben Schulden, auch wenn das den Kredithaien, die ihre
Hände ja stets in Unschuld waschen und allen, die mit dem Schuldenmachen
ihr Geld verdienen, nicht so recht in den Kram passt, ihre
Stigmatisierung durch den Begriff Schuld eben nicht vollständig
eingebüßt.
Wer nicht spart zur rechten Zeit ... Eine Werbeunterbrechung
während der Kein-Ohr-zwei-Ohr-oder-Drei-Ohr-Hasen weiter, schon wird
einem klar, wie viel Erspartes oder Erspekuliertes in die Bankenwerbung
fließen muss, damit uns diese Konnotation von Schulden und individueller
Schuld durch das Strahlefinanzierungsgesicht einer jungen
Bankangestellten in ihrem Bankenglashaus hoch über den Niederungen des
Lebens der Abstotterer aus dem Kopf gelächelt wird.
Schulden sind also das eine, Überschuldung etwas gaaaanz anderes (wer’s
glaubt!) Im Ökonomenjargon: Bei Überschuldung geht es „um eine Krise im
Zusammenhang mit Liquidität. Die vorhandene Liquidität und die benötigte
Liquidität entsprechen einander nicht.“ (5) Kurz und gut: wer
überschuldet ist, hat einfach, auch wenn er sich noch so krummlegt,
nicht mehr genügend Mäuse in der Tasche, um seine Schulden zu bezahlen.
Natürlich wissen auch die Ökonomen, so gut können sie allemal
kalkulieren, dass die Geschichte mit dem dauerhaften
Einfach-nicht-mehr-flüssig-Sein mehr als eine anhaltende
Liquiditätskrise, also mehr als eine Dauerebbe im Geldbeutel
ist und
eine solche Betrachtung das ganze soziale Drama und juristische Galama
in keiner Weise abbildet, in das überschuldete Menschen geraten. Aber
wen interessiert das schon, wenn es darum geht, die Schulden wieder
einzutreiben.
Natürlich gibt es auch junge Leute, die bis über die Ohren verschuldet
sind. Sie kommen mehrheitlich aus sozial benachteiligten Familien, haben
keine weiterführenden Schulen besucht, sind häufig schon früh aus dem
Elternhaus ausgezogen, haben die Schule oder die Ausbildung abgebrochen,
sind dadurch in Arbeitslosigkeit gerutscht und kommen mit den
finanziellen Folgen dieser Situation nicht mehr zurecht. Bei dieser
vergleichsweise kleinen Gruppe können sich die Schulden schon einmal auf
mehrere Tausend Euro summieren. (6)
Aber die Jugendstudie 2015 des Bankenverbandes weist aus, dass der
Anteil junger Leute, der schon einmal Schwierigkeiten hatte, seine
Schulden zurückzuzahlen, seit 2006 mit 6% auf niedrigem Niveau stabil
geblieben ist. Mehr noch: Über diesen Zeitraum hinweg hat die
Überschuldung bei beiden Altersgruppen hinweg sogar eher abgenommen.
2006 waren noch 5% der Jugendlichen zwischen 14- und 17 Jahren
überschuldet, 2015 sind es noch 3%. Nicht ganz so deutlich die Abnahme
bei den jungen Erwachsenen (2006: 11%, 2015: 8%) (7)
Dass Schulden an sich (sie sind ja ökonomisch gesehen als Forderungen
ohnehin "wertneutral" (auf Deutsch: es ist ganz egal, ob sie für die
Anschaffung eines Fahrrads oder eines BMWs entstanden sind) (8) auch für
junge Leute nichts Ehrenrühriges sind, leuchtet sofort ein.
In einer Welt, in der das Leben auf Pump für Staaten als Ganzes
(Stichworte: Schuldenkrise, Rettungsschirme und Eurodauerdruckpolitik
der EZB) genauso so selbstverständlich geworden ist wie für die meisten
Menschen hierzulande, die mit gepumptem Geld an den Segnungen der
Konsumgesellschaft teilhaben wollen, verhalten sich Jugendliche also
systemkonform.
Der Aufkleber "Alt, aber bezahlt", der früher noch an so
mancher motorisierten Rostbeule klebte, ist längst auf Nimmerwiedersehen
zwischen den Schrottpressen verschwunden und der legendäre Geiz-ist-geil-Werbeslogan ging für
Saturn ja auch nur dadurch auf, dass
die Verbraucher gerade den Geiz auf den Mond schickten und munter Raten
für den neuen Flachbildschirm, Notebooks, Digitalkameras, Lufttrockner
und -befeuchter, Massageauflagen, -stäbe oder Blutdruckmessgeräte
abdrückten.
Wer redet schon gern von Pumpen, wenn da immer schon die Pleite und
damit das persönliche Versagen mitschwingt (selbst der DUDEN bringt das
Beispiel: am Ende des Monats war er pleite, also pumpte er). Dann also
besser Finanzierungslücke und Überbrückungs- oder Wunschkredit. Und für
was gibt es schließlich Wir-machen-den-Weg-frei-Dispokredite oder
Kreditkarten, mit denen man getreu dem
Folgen-Sie-Ihrem-Anspruchsdenken-Motto der Kreditinstitute bis zur
eingebauten Schuldennotbremse schnell mal Geld, das man eigentlich nicht
hat, einfach ausgeben kann. Und angesichts der besonderen
Kundenfreundlichkeit von Kreditkartenunternehmen, die einem, wie z. B.
bei einer Amazon-Visakarte, den eingeräumten Kredit mit monatlich 10%
abstottern lassen, macht einem auch der bis zum Anschlag ausgenutzte
Kreditrahmen eine Weile lang keine Angst.
Viele wissen ja schlicht und einfach nicht, dass dann für den Rest 14,98
Prozent Zinsen anfallen, was Harald Czycholl von der Welt schon 2014
veranlasste, solche Konditionen "fast als Wucher (zu) bezeichnen." (9)
Wer der Wir sind-für-Sie-da-Bankenwerbung allzu naiv aufsitzt und
glaubt, das Geschäftsmodell Verschuldung sei ganz auf die eigenen
Bedürfnisse zugeschnitten, verkennt schnell die Geschäftsgrundlage,
übersieht, was einem blüht, wenn man ohne jedes Bedürfnis Pleite geht.
Die Folge: Die Bank an Ihrer Seite wird schnell zur Bank fürs Leben, die
einen mit dem Eintreiben ihrer Forderungen um die geplatzten Träume vom
guten Leben bringt.
Traurig, aber wahr: Aus dem Hut (einen Sparstrumpf hat ja kaum einer)
lassen sich fällige Raten eben nicht zaubern und nicht selten summieren
sie sich schnell wegen einer ganzen Reihe von Abzahlungsgeschäften so
auf, dass an eine ordentliche Ratenzahlung überhaupt nicht mehr zu
denken ist. Dann muss das Geld zunächst einmal woanders herkommen: Miete
wird nicht mehr bezahlt, Stromrechnungen bleiben liegen, Mahnungen
werden ignoriert und machen das Ganze noch viel schlimmer.
Denn jetzt fallen die über den säumigen Zahler her, die mit der
Überschuldung der Betroffenen selbst Kasse machen. Inkassobüros schlagen
zum Teil drastische Bearbeitungsgebühren obendrauf, selbst wenn die
Beträge, die sie im Auftrag der Gläubiger beitreiben sollen, oft
vergleichsweise gering sind. Wer einmal ein Schreiben eines, durchaus
auch seriösen Inkasso-Unternehmens in der Hand gehalten hat, weiß
wahrscheinlich ganz gut, wie es ist, wenn man sich von diesen Dienstleistern der Gläubiger unter Druck gesetzt fühlt. Dabei ist von
den wirklich schwarzen Schafen darunter, den schwarzgekleideten
Schuldeneintreibermuskelprotzen des so genannten Russen- oder Moskau
Inkassos noch gar keine Rede, die sich für ihr auch vom Branchenverband
der Inkasso-Unternehmen gerügtes harsches Auftreten gegen Schuldner
schon etliche Anzeigen wegen Nötigung eingehandelt haben.
Trotzdem: Wer heutzutage seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr
nachkommen kann, muss keine Schuldknechtschaft mehr befürchten. Keiner
muss sich also heutzutage bei uns wie in der frühen Antike als Sklave
bei seinem Gläubiger verdingen, um seine Schulden mit willkürlich vom
Gläubiger festgesetzten Verrichtungen abzuarbeiten. Und auch das
mittelalterliche Konzept der öffentlichen Schuldhaft ist mittlerweile
nur noch touristisch interessant, wenn man z. B. den Schuldturm in der
Nürnberger Stadtmauer besichtigt.
Heute kann bei uns niemand mehr nur deshalb ins Gefängnis kommen, weil
er Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann, die er vertraglich
eingegangen ist (das ist Teil der Europäischen Menschenrechtskonvention
und in dem seit 1976 in Kraft getretenen UN-Zivilpakt, den inzwischen
168 Staaten unterzeichnet und ratifiziert haben, verbürgt (10))
Allerdings wird man auf andere Art und Weise bestraft: Man verliert
nämlich schneller, als man glaubt, seine Kreditwürdigkeit, bekommt einen
negativen Schufa-Eintrag und findet dann kaum noch jemanden, der einem,
wenn man es braucht, Kredit gibt. Und am Ende steht oft die
Privatinsolvenz, mit der man sich zwar nach Ablauf mehrerer Jahre von
den restlichen Schulden befreien kann, wenn bis auf das Mindeste alles,
was man einst besessen hat, zur Tilgung herangezogen worden und alles,
was man über einer Pfändungsgrenze verdient hat, an die Gläubiger
gegangen ist. Die Hürden für einen derartigen finanziellen Neustart
sind aber trotz neuerer Erleichterungen immer noch ziemlich hoch und
die den Betroffenen auferlegte "Wohlverhaltensphase", die ihnen gerade noch das
Existenzminimum lässt, oft nicht einfach zu überstehen. (11)
Gut, wenn Betroffene noch rechtzeitig den Weg in eine Schuldnerberatung
finden, die sich mit solchen Fällen auskennt. (Adressverzeichnis der
Schuldnerberatungsstellen (12) Auch im Internet finden Menschen, die in
eine schier aussichtlose Verschuldungslage geraten sind, verschiedene
Anlaufstellen. So bietet z. B. das Forum Schuldnerberatung (fsb) (13)
Informationen und Hilfestellung zu allen Fragen im Zusammenhang mit dem
Thema. In spezifischen Diskussionsforen können sich Schuldner
untereinander über ihre Erfahrungen und Probleme, auch mit
Schuldenberatern, austauschen. Spezielle Foren kümmern sich um die
sachliche Klärung von Fragen zu Verschuldung und Überschuldung. Im Forum
Life! (14) kommen die persönlichen, sozialen, familiären oder
beruflichen Auswirkungen von Überschuldung zur Sprache.
Aber auch für Personen, die sich mit ihren Schulden auseinandersetzen
wollen, findet man auf der Webseite des fsb wichtige Hilfestellungen (z.
B. Informationen rund um Schulden mit Musterbriefen (15), einem
Schuldenlexikon (16) und zahlreiche andere nützliche Dinge rund um die
Themen Schulden Überschuldung und Privatinsolvenz.
Die sind doch selber schuld! Man macht halt keine Schulden! Auch wenn
das Problem haltologisch vom gesunden Menschenverstand gerne
kleingeredet wird, ganz so einfach ist die Sache eben nicht. Meistens
kommen eine ganze Reihe weiterer Faktoren dazu, ehe die Schuldenfalle
zuschnappt.
Das zeigen auch die persönlichen Erfahrungsberichte, die das
fsb auf seiner Webseite unter der Rubrik "Der Mensch hinter den
Schulden" (17) veröffentlicht hat. Da ist z. B. die Geschichte von Joyce
(2005), einer damals 20-jährigen jungen Frau, die durch Handy-Verträge
und Kredite als Auszubildende in die Überschuldung geriet (18) oder auch
die Geschichte von Tatjana, die die eigentlich "nie auf großem Fuß"
gelebt hat, und doch in große finanzielle Schwierigkeiten geriet. (19)
"Wo immer ich hinkam, war der Flachbildschirm vor mir da", sagte einmal
Paul Zwegat, Deutschlands populärer Fernseh-Schuldenberater im
Unterschichtekelfernsehen von RTL ("Raus aus den Schulden")
(20) Viel mehr fiel ihm nicht ein, um auszudrücken, woran es seiner
Ansicht nach liegt, dass viele junge Leute unter 30 überschuldet sind,
außer seiner Beobachtung, "dass die Altersgruppe unter 30 höhere Konsumansprüche hat
als die Älteren“, und dann schob er noch hinterher: "Ein Smartphone zu
nutzen, bis es wirklich kaputt ist, wäre für viele der Jüngeren ein
Unding." (21) Natürlich war ihm der Beifall sicher und so wundert es im
Nachhinein auch nicht, dass Tobias Füllbeck von der HuffPost ihm
beipflichtete. (22)
Aber hallo! Da muss man schon etwas genauer hingucken. "Der Jugendalltag
ist" einfach "kostenpflichtig geworden", sagen Wissenschaftlerinnen und
Fachleute aus Schuldnerberatungsstellen für Jugendliche wie Andrea
Braun, Vera Lanzen und Cornelia Schweppe (23). Sie betonen dazu, dass
heute "nicht zu konsumieren kaum eine Option" darstellt (24). Wenn es
eine ist, dann für wenige. Was immer junge Leute mit ihren Freunden in
der Freizeit machen wollen, kostet heute Geld. Zu ihren fünf häufigsten
Freizeitaktivitäten pro Woche zählen mit 34% "in die Disco, zu Partys
oder Feten gehen" (2002:21%). 16% sagen das vom Shoppen und
Sich-tolle-Sachen-Kaufen (2002: 15%). Nur zehn Prozent gehen häufiger in
der Woche in eine Kneipe (2002: 7%) (25) Verabredungen zu diesen
Freizeitaktivitäten und die ganze weitere Kommunikation laufen nun
einmal über Smartphones, die heute nahezu alle Jugendlichen ab 14 Jahre
besitzen (96% der 14-17-Jährigen!, (26)), und das alles gibt es
bekanntlich nicht zum Nulltarif. Und vielleicht sollte Zwegat einmal
Radio hören und sich den Werbespot eines Mobilfunkanbieters anhören:
Willst du etwa, dass man dich auslacht, weil das Video auf deinem
(lahmen) Smartphone immer zuletzt angezeigt wird?
Die Ablösung vom Elternhaus, eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben
im Jugendalter, geht heute ohne Geld kaum mehr reibungslos. Für alle,
die es in dieser Kürze nicht glauben wollen, auch wissenschaftlicher:
"Geld ist ein notwendiges Mittel zur Bewältigung der Jugendphase und
zentral für die damit verbundenen Bildungs-, Sozialisations- und
Entwicklungsprozesse und Übergänge." (27)
Also doch, ohne Moos nichts
los, klar. Geld war doch schon immer wichtig? Schon, aber offenbar noch
nie so sehr.
Da sollte man sich nicht die Haben-oder-Sein-Polarität in
die Tasche lügen und das romantisch-nostalgische Kokettieren der Älteren
mit dem vermeintlichen Armutstopos der anspruchslosen Hippie-Generation
und ihrer vermeintlichen Konsumverweigerung hilft da auch nicht weiter.
Im Gegenteil.
Daher bringt es auch nichts, wenn man, wie all die Zwegats von Sylt bis
Oberammergau es tendenziell tun, die Smartphone-Gewohnheiten der jungen
Leute als Folge eines ungezügelten I-shop-therefore-I-am-Wahn zu
geißeln. Statt die Jugendlichen zu pathologisieren sollte man lieber die
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unter die Lupe nehmen, auf die
solches Verhalten antwortet.
Was für die Gesellschaft nämlich allgemein
gilt, dass sie sich heute insgesamt vor allem über die Teilhabe am
Konsum konstituiert, gilt erst recht für Jugendliche: Für ihre
Identitätsentwicklung und die dafür erforderliche Auseinandersetzung mit
den Peers ist die Teilhabe am Konsum unerlässlich. Über die Teilhabe am
Konsum läuft ihre Einbindung in die Gesellschaft, nur, wenn sie
konsumieren können, was ihnen wichtig ist oder ihnen per
Werbungsbrainwash vom früheren Kindesalter an suggeriert worden ist,
fühlen sie sich als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. (28) Ein
Muster, das eigentlich wohlbekannt ist.
Ohne den Blick auf die Bedeutung des Konsums gerade für Jugendliche zu
richten, bleibt jede Kritik am Finanzverhalten junger Leute in
oberflächlichen Erklärungsmustern stecken. Schließlich ist nicht jeder,
der sich der Statussymbolik von Smartphones usw. nicht entziehen kann,
auch ein Konsumidiot. Schlimmer noch: Wer so argumentiert, hat schlicht
keine Ahnung davon, wie es den Jugendlichen geht, die aufgrund ihrer
sozialen Verhältnisse "aus dem gesellschaftlich definierten leistungs-,
wohlstands- und konsumorientierten Lebensentwurf ausgeschlossen" sind.
(29) Stolz, ein Deutscher zu sein und Hass auf alles Fremde, wer sehen
will, weiß um solche Folgen.
Wissenschaftlich betrachtet, ist, wie schon eingangs erwähnt, die
Verschuldung von Jugendlichen längst nicht so verbreitet, wie gemeinhin
angenommen wird. So gaben lediglich 6% der 10- bis 17-Jährigen in einer
Untersuchung aus dem Jahr 2005 an, dass sie sich Geld geliehen hätten,
das sie nicht gleich wieder zurückzahlen könnten. (30) Im Durchschnitt
hatten die Kinder und Jugendlichen 70 Euro Schulden, die meisten aber
nicht mehr als 10 Euro (Median). In der Schweiz hat eine 2008
veröffentlichte Untersuchung unter Schülerinnen und Schülern
verschiedener Schularten für die Altersgruppe der 18-24-Jährigen
ergeben, dass über 3/5 überhaupt keine Schulden (62%) hatten. Bei den
38% der Befragten, die Schulden hatten, gab etwa jeweils ein Viertel an
bis ca. 100 Franken, zwischen 100 und 1.000 Franken, zwischen 1.000 und
2.400 Franken und 2.500 Franken und mehr Schulden zu haben. (31)
Interessant auch die Frage, bei wem sich die jungen Leute Geld leihen:
Überwiegend von den Eltern. Und: Diese Schulden werden in der Regel
binnen weniger Tage zurückgezahlt. Solche Schulden gehören, wie die
Schweizer Forscher schreiben "zur 'normalen' Organisation des Alltags
von Minderjährigen, mit der viele gut zurechtkommen." (32)
Wenn allerdings die Schuldenfalle zuschnappt, woran liegt es dann? Die
Antwort ist vergleichsweise einfach wie komplex, lässt sich haltologisch
(das liegt halt daran, dass) nicht sinnvoll beantworten.
Das Ganze ist
Ergebnis einer Entwicklung, die häufig mit sozialen und gesundheitlichen
Problemen einhergeht. (33) Schulden sind also "meist mit vielfältigen
Problembelastungen und Lebensschwierigkeiten verwoben". (34) Es ist die
"kumulierte Problemlage" (Christa Schär), die das ganze Schuldenproblem
zur Schuldenfalle werden lässt. Und um aus den Schulden herauszukommen
müssen Betroffene erst einmal lernen, ein eigenes Leben in
Selbstverantwortung führen zu können. Und das ist, wenn, wie bei den
meisten überschuldeten Jugendlichen die Unterstützung aus der Familie
oder dem sonstigen sozialen Umfeld fehlt, nicht gerade einfach.
Schulden an sich und die Gefahren und Folgen von Überschuldung dürfen
nicht kleingeredet werden, aber eben auch nicht unnötigerweise
dramatisiert werden. Aber über den Weg streiten, was dagegen getan
werden kann, das muss sein:
Häufig werden Jugendliche, wenn das Thema und das Ausmaß ihrer Schulden
oder ihrer Überschuldungen in den Medien zur Sprache kommt, gar nicht
gefragt, wie es ihrer Ansicht nach zu einer Überschuldung gekommen ist.
Stattdessen bilanzieren die, die von der Überschuldung der Jugendlichen
und anderer Schuldner leben, die Gründe dafür. Schnell werden solche
Jugendliche dann zu verschwendungssüchtigen und jeder Selbstkontrolle
unfähigen Konsumabhängigen abgestempelt, die zu ihrer Shoppingwut auch
noch keine Ahnung hätten, wie man mit Geld und Gelddingen wie Krediten
usw. umgehen muss.
Dementsprechend ist für das iff und die Stiftung
"Deutschland im Plus" die finanzielle Bildung der "wichtigste Stellhebel
zur Schuldenprävention." Sie wollen "möglichst viele Bürger für einen
angemessenen und verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Finanzen
sensibilisieren, damit diese die richtigen Budgetentscheidungen treffen
können." Und neben Workshops an Schulen verweist man dabei gerne darauf,
dass man auch im App-Zeitalter mithalten kann und eine entsprechende App
(Mein Budget) zum Download anbietet (seit 2013 40.000 Downloads). Und
die App soll mit dazu beitragen, dass sich ihre Nutzer "nachhaltig mit
ihren Finanzen beschäftigen“ (35)
Aber finanzielle Bildung ist eben nur das eine. Viel wichtiger scheint
es, „jene Fragen aufzugreifen, die Jugendliche in Bezug auf Geld und
Schulden auch wirklich beschäftigen.“ (36) Das sind ihre Wünsche und
Vorstellungen vom Glück und dem richtigen Leben unter den Bedingungen
der Konsumgesellschaft. (37)
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023
Anmerkungen:
1 vgl. Name frei erfunden;
ansonsten sinngemäße Äußerung einer Frau, deren Fallbeispiel von Braun,
Andrea; Vera Lanzen und Cornelia Schweppe (2016): Junge Menschen, Geld,
Schulden, in: APuZ 1-2/2016, S. 38f. geschildert wird
2 vgl Braun, Andrea; Vera
Lanzen und Cornelia Schweppe (2016): Junge Menschen, Geld, Schulden, in:
APuZ 1-2/2016, S. 38f.
3 vgl. Bankenverband:
Jugendstudie 2015: Wirtschaftsverständnis, Finanzkultur, Digitalisierung
(Langfassung der GfK Marktforschung, Nürnberg, im Auftrag des
Bundesverbandes deutscher Banken,
https://bankenverband.de/media/files/2015_11_20_BdB_Jugendstudie_2015_Ergebnisbericht_Langfassung-final.pdf,
S.57
4 iff-Überschuldungsreport
2015: Überschuldung in Deutschland. Untersuchung mit freundlicher
Unterstützung der Stiftung Deutschland im Plus, erstellt von Michael
Knobloch unter Mitarbeit von Wilfried Laatz, Udo Reifner, Laura
Hebebrand uns Kerim Sebastian Al-Umaray mit einem Beitrag von Harald
Ansen,
http://www.iff-ueberschuldungsreport.de/media.php?id=5101, S.6
5 ebd.
6 vgl. Streuli, Elisabeth u.
a. (2008): Eigenes Geld – Fremdes Geld. Jugendverschuldung in
Basel-Stadt, Olten-Basel 2008, S.4 Streuli spricht von mehreren Tausend
Schweizer Franken.
7 vgl. Bankenverband:
Jugendstudie 2015, S.59/60
8 vgl.
iff-Überschuldungsreport 2015, S.6
9 vgl.
http://www.welt.de/finanzen/verbraucher/article132807836/Hinter-Amazon-Kreditkarte-lauern-Kostenfallen.html
10 vgl.
http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/360794/publicationFile/3613/IntZivilpakt.pdf
11 vgl.
http://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/recht/reform-der-privatinsolvenz-schuldenfrei-im-nullkommanix/10104250.html
12 vgl.
http://www.forum-schuldnerberatung.de/adressen/adressen-schuldnerberatungsstellen/
13
http://www.forum-schuldnerberatung.de/
14
http://forum.f-sb.de/forumneu/forumdisplay.php?6-Life
15
http://www.forum-schuldnerberatung.de/arbeitshilfen/musterbriefe/
16
http://www.forum-schuldnerberatung.de/informationen/schuldenlexikon/
17
http://www.forum-schuldnerberatung.de/informationen/meine-geschichte/
18 vgl.
http://www.forum-schuldnerbera-tung.de/informationen/newsdetails/?tx_ttnews[tt_news]=1435&cHash=0a4316d9177ac362464782227c7a4917
19 vgl.
http://www.forum-schuldnerberatung.de/informationen/newsdetails/?tx_ttnews[tt_news]=1429&cHash=ebe7d8c546ee6d6b5fb45ad41fc0ae12
20 vgl.
http://www.huffingtonpost.de/2014/05/23/schulden-jugend-zwegat_n_5370628.html
21 vgl. ebd.
22 vgl.
http://www.huffingtonpost.de/2014/05/23/schulden-jugend-zwegat_n_5370628.html
23 Braun/ Lanzen/Schweppe
(2016), S.39
24 ebd.
25 vgl. Leven.
Ingo und Ulrich Schneekloth, Freizeit und Internet: Zwischen klassischem
»Offline« und neuem Sozialraum, in: Shell Deutschland Holding (Hrsg.)
(2015): Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im Aufbruch,
Frankfurt/M.: Fischer, S.113)
26 vgl.
Bankenverband: Jugendstudie 2015, S.18
27 Braun/ Lanzen/Schweppe
(2016), S.39
28 vgl. ebd.
29 Böhnisch.
Lothar (2008), Sozialpädagogik der Lebensalter. Eine Einführung,
Weinheim-Basel 2008, S.235, zit. n. Braun u.a. 2016, S.39)
29
30 vgl. Lange,
Elmar und Kari R. Fries (2006): Jugend und Geld 2005. Eine empirische
Untersuchung über den Umgang von 10-17-jährigen Kindern und Jugendlichen
mit Geld, München-Münster 2006, S.67
31 vgl. Streuli
u. a. 2008, zit. n. Braun u.a. 2016, S.37
32 vgl. ebd.
33 vgl. Braun u.a.
S.37, vgl. Streuli u.a. 2008, S.5
34 vgl. Braun u.a.
S.40
35 vgl. .
http://www.iff-ueberschuldungsreport.de/index.php?id=1976&viewid=48888,
36 vgl. Braun u.a.
S.41
37 vgl. ebd.
Ohne Moos nichts los - Schulden in der kostenpflichtigen Zeit der Jugend von
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Finanzverhalten von
Jugendlichen
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023