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Bausteine zu Johann Peter Hebel: Unverhofftes Wiedersehen

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FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Johann Peter Hebel (1760-1826) Kalendergeschichten [ Unverhofftes Wiedersehen Text Aspekte der Erzähltextanalyse Bausteine ] ...   Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
   

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Die Kalendergeschichte ▪»Unverhofftes Wiedersehen« von ▪Johann Peter Hebel ist immer wieder Gegenstand von Erzähltextanalysen und Interpretationen geworden. Dabei wurde stets der Funktionszusammenhang von erzählerischer Gestaltung, insbesondere die Zeitgestaltung des Textes, und der sprachlichen Gestaltung herausgearbeitet, die nach Ansicht mancher Interpreteten die ansonsten klar und einfach didaktisierte Kalendergeschichte zu einer Parabel weitet. Als Beispiele dafür gelten die Auszuge aus den älteren Interpretationen von Johannes Pfeifer (1954), Paul Nentwig (1962), Egar Neis (1965) und Lothar Wittmann (1969).

Edgar Neis (1965)

»" [...] Die (Johann Peter Hebels anekdotische Erzählung »Unverhofftes Wiedersehen«, d. Verf.) ist ein Musterbeispiel dafür, wie es traditioneller Erzählkunst gelingt, die äußere und innere Zeit eines Menschenlebens zusammenzuraffen und als Einheit dem Leser sichtbar zu machen. [...] In genialer Weise rafft der Dichter die außerordentlichen geschichtlichen Zeitereignisse und die immer wiederkehrenden gewöhnlichen menschlichen Tätigkeiten zusammen und verdichtet sie zu einem sprachlichen Gefüge, das symbolhaft den ehernen Gang der Geschichte und zugleich die Flucht der Zeit und Vergänglichkeit des Seins zum Ausdruck bringt. [...] Johann Peter Hebel erkennt einen "übergreifenden Sinnzusammenhang", gibt eine "Sinndeutung eines Lebenslaufs" "in seiner Erzählung ,,Unverhofftes Wiedersehen", die von der Beständigkeit der Treue und Liebe handelt und von der Hoffnung auf ein alles Irdische überdauerndes zeitlos-ewiges Leben. Zeit ist für Johann Peter Hebel etwas Dahineilendes, Vorübergehendes, Sich-Verflüchtigendes, etwas, das in die Zeitlosigkeit einmündet (…)«

(aus: Edgar Neis, Struktur und Thematik der traditionellen und modernen Erzählkunst, Paderborn: Ferdinand Schöningh 1965, S.61ff.)

Paul Nentwig (1962)

»[...] In der Einleitung erzählt er von dem Abschied, der dem Wiedersehen voranging. Zweimal wird in diesem Abschnitt ein bestimmter Tag erwähnt, Sankt Luciä (13. Dezember), mit dem ehemals die heiligen zwölf Nächte begannen, die dunkelste Zeit des Jahres. Im Volksmund hieß es: "Lucia bringt die lange Nacht." Diese Zeitangabe ist also vom Dichter nicht willkürlich gewählt, sondern hat symbolische Bedeutung. Die zweite Zeitangabe, im Mittelstück der Anekdote (,,etwas vor oder nach Johannis"), steht in genauer Entsprechung zur ersten: Johannistag - die der langen Tage und der hellen Nächte. Liebe und Hoffnung zweier junger Menschen gewinnen schon in den en Sätzen der Hebelschen Anekdote sinnfällige Gestalt, zugleich aber klingt es im Hinblick auf das kommende Geschick wie tragische Ironie den Worten der Braut: "… Und Friede und Liebe soll darin wohnen; ... denn du bist mein Einziges und Alles, und ohne dich möchte lieber im Grab sein als an einem anderen Ort." [...] Um die lange Zeit zu versinnbildlichen, die zwischen dem Tode des Jünglings und seiner Wiederauffindung verfloss, reiht der Dichter in einem Zwischenstück die großen geschichtlichen Ereignisse dieser 50 Jahre aneinander und beschließt den Geschehniskatalog mit den bedeutsamen Worten: "… und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt." Versinnbildlicht der Dichter in dem Geschehniskatalog in genial einfacher Weise das unaufhaltsame Strömen der Zeit, so zieht er in diesen Worten mit leiser Ironie allen Prunk der großen Ereignisse ins Fragwürdige, indem er ihrer raschen Vergänglichkeit das Unvergängliche des einfachen Menschenalltags gegenüberstellt: Saat und Ernte, Arbeit und Mühe. Nun erhält aber auch die Begegnung der alten Braut mit ihrem einstigen Verlobten einen tieferen Sinn. Auch sie ist in der Gebrechlichkeit ihres Alters ein Sinnbild der Vergänglichkeit alles Irdischen: sie hat der strömenden Zeit ihren Zoll entrichtet. Der tote Bräutigam aber hat in der ruhenden Zeit sein jugendfrisches Aussehen bewahrt, ein Symbol der Unvergänglichkeit. Der letzte Sinn der Anekdote aber enthüllt sich uns erst in der Schlussszene [...] mit der er dem Ganzen erst die letzte künstlerische Rundung gibt. Die alte Braut lässt ihren toten Geliebten in ihr Stüblein tragen, und so erfüllt sich doch noch, worauf sie fünfzig Jahre gewartet hat, wenn auch in anderem Sinne, als sie es einst erhoffte. Sie schmückt ihn mit dem rotgerandeten schwarzen Halstuch, "und begleitet ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeitstag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre". Die Liebe der Braut hat die Zeit überdauert; alle "großen" Ereignisse der Weltgeschichte sind im Meer der Zeit versunken, das große Gefühl aber ist lebendig geblieben, hat das Wissen der Mitmenschen überlebt, und sein Symbol, das schwarze Halstuch mit dem roten Rande, hat zwar verschlossen im Kästlein geruht wie die Liebe im Herzen der Braut, doch es ist unversehrt erhalten. [...] So erschließt sich uns in Sinn-Bildern der Sinn der Anekdote, ihre Idee: die Vergänglichkeit alles Irdischen (des Einzeldaseins wie deren große Ereignisse), die Beständigkeit des Menschenalltags, das Zeitüberdauernde des großen Gefühls und das Bewusstsein von einem außerzeitlichen Jenseits, kurz, die Spannung zwischen Vergänglichkeit Beständigkeit im Menschenleben. [...]«

(Paul Nentwig, Dichtung im Unterricht: Braunschweig: Westermann 1962, S.30-32)

Johannes Pfeifer (1954)

»[...] Bei Hebel ist der Gang der Sätze von verhaltener Bewegtheit, die Darstellungsform ebenso schlicht und sparsam wie dicht und gediegen; bezeichnend etwa, dass die Eigenschaftsworte in ihrer treffsicheren Abgewogenheit der sachlichen Kennzeichnung dienen: "seine junge, hübsche Braut", "mit holdem Lächeln", "in seiner schwarzen Bergmannskleidung", "in ihrer unterirdischen Werkstatt", "unverwest und verändert", "grau und zusammengeschrumpft", "von einer langen heftigen Bewegung", "in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters", "in seiner jugendlichen Schöne", "im kühlen Hochzeitbett". Die Schilderung der menschlichen und räumlichen Umstände ist auf das Notwendige beschränkt; [...] Die erzählerische Vergegenwärtigung zielt auf klare und feste Umrisse ab und verbindet einen kargen Realismus mit sinnbildlicher Transparenz: das Ganze hat etwas von der Durchsichtigkeit einer Parabel. Meisterhaft ist es, wie Abschied und Wiedersehn sich ineinander spiegeln und eben damit hinüberweisen ins überirdische Geheimnis. [...] Meisterhaft, wie die Zeit zwischen schied und Wiedersehn durch die Aufzählung der sie erfüllenden geschichtlichen Ereignisse mittelbar da ist und der Strom des Vergehens h in unserem schauenden Gefühl verwirklicht. [...] So lebt denn in dieser unscheinbaren Geschichte das ganze Hell-Dunkel des Daseins: seine Lust und seine Wehmut, wie es vergeht und wie Treue das Vergängliche überwindet, wie es zwischen Endlichkeit und Ewigkeit als ein verschwindender Übergang schwebt.« [...]

(Johannes Pfeiffer, Wege zur Erzählkunst, Hamburg: Wittig, 2. Aufl. 1954, S.47-49)

Lothar Wittmann (1969)

»[...] Und so sind es immer die letzten Dinge, um die diese Parabel vom ängstlich-unvergänglichen Menschen kreist: Glück und Leid, "Hochzeitbett" und "Grab", Leben und Sterben. Diesen transzendierenden parabolischen Sinn haben alle Vorgänge der Erzählung: das "und vergaß ihn nie" etwa, in dem die Braut der Zeit ihrer Tribut verweigert, zeigt, wie in der bewahrenden Erinnerung der Mensch die Zeit aufzuheben und im "nie" als ihrer Negation Überzeitliches zu verwirklichen vermag; die Verben des Mittelabschnitts "wurde. . zerstört", "ging vorüber", "starb", "wurde aufgehoben", "starb", "wurde hingerichtet", "starb auch", "ging auch ins Grab", mit denen die geschichtliche Zeit in ihren Ereignissen aufgereiht wird, veranschaulichen, wie Geschichte in dieser bei zum Gleichnis der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Seienden wird, jeder Anfang - "fing an", "säeten" - einem Ende zutreibt: "schnitten"; angesichts dieser radikalen Drohung der Vergängnis ist das "freudige Entzücken" vor der "Leiche", das den "Schmerz" übertönt als jener wunderbare Liebesakt zu begreifen, der die Schrecken des Todes bannt und bereits im Diesseits den klaffenden Abgrund überspringt, der hier für alle "Umstehenden" das Leben vom Tod trennt. Und so ist das "Unverhoffte Wiedersehen" noch im Bezirk der Zeitlichkeit - und nicht erst in der Ewigkeit - ein Zeichen dafür, dass es dem Menschen hier gelingt, durch die Kraft der Liebe mitten in der vergehenden Zeit ein Stück Ewigkeit zu verwirklichen. Welche wunderbare Freiheit aber aus der das Vergehen ignorierenden menschlichen Treue entspringt, zeigt die souveräne Gelassenheit der Braut gegenüber aller Zeit: noch einen Tag oder zehen... lass dir die Zeit nicht lang werden. Ich... komme bald…" Durch diese gelassene, fast spielerische Überlegenheit gegenüber allem Zeitmaß und Zeitbegriff demonstriert die Parabel, wie der Mensch sich hier durch die Kraft seiner Liebe der Ewigkeit vergewissert und sich mit dem Schwerpunkt seiner Existenz aus der Zeit löst, auch wenn sein körperliches Teil ihr noch verhaftet ist. Und so ermöglicht die durch die Liebe erworbene Gewissheit einer unvergänglichen Welt jenen ergreifenden fugenlosen Übergang vom "Tag" der "Beerdigung , zum kommenden "Tag" der anbrechenden Ewigkeit: bald wird's wieder Tag". Hier stehen die Liebenden zugleich auch außerhalb der Zeit: denn nur dort lassen irdischer "Tag" und ewiger "Tag" sich mischen, nur von da her erweist sich alle Zeit als ein Körnchen Ewigkeit.
Hebels Erzählung vom verschütteten Bergmann und seiner treuen Braut wird zur beispielhaften Parabel, indem der sichtbare Vorgang ständig die universellen Dimensionen des Menschseins widerspiegeln und ins Bild bannt; Gleichnis der tröstlichen Gewissheit, dass es dem Menschen gegeben sei, das natürliche Gesetz allgemeinen Zerfalls durch die Kraft seines Herzens zu durchbrechen und so einen Bezirk des Menschlichen zwischen Zeit und Ewigkeit auszusparen. Diese Transposition der einfachen, schmucklos-ländlichen Geschichte in den universellen Horizont menschlichen Schicksals lässt verstehen, was Goethe meint, wenn er voll Bewunderung davon spricht, dass Hebel auf "anmutigste Weise" "das Universum" "verbauere".[...]«

(aus:Lothar Wittmann, Johann Peter Hebels Spiegel der Welt. Interpretationen zu 53 Kalendergeschichten, Frankfurt/M.: Diesterweg 1969, S.17-18)

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 08.02.2024

 
   Arbeitsanregung
  1. Arbeiten Sie die wichtigsten Interpretationsaussagen der Autoren heraus und vergleichen Sie diese miteinander.

  2. Überlegen Sie, welche der Aussagen für Ihr eigenes Verständnis der Kalendergeschichte besonders von Bedeutung sind.

  3. Erläutern Sie den Gedanken, dass die Kalendergeschichte als Parabel verstanden werden kann.

 
 

 
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