1
Da Holmes anscheinend doch zu keiner Unterhaltung bereit war,
stieß ich
den Haufen Zeitungspapier
beiseite, lehnte mich in
meinen Sessel zurück und
versank in Gedanken. Plötzlich unterbrach die Stimme meines
Freundes meine Überlegungen. |
Watson (W)
» versinkt in Gedanken
|
2
"Du hast recht, Watson“, sagte er, "das ist allerdings eine höchst
unsinnige Art, Unstimmigkeiten auszuräumen." |
Holmes (H)
knüpft an den Gedanken an, den Watson zu diesem Zeitpunkt gehabt haben
soll, nämlich: "über
deine Lippen ging ein flüchtiges Lächeln, das mir zeigte, wie sich dir
auch die lächerliche Seite dieser Methode, internationale Probleme
beizulegen" |
3
"Völlig unsinnig!“, rief ich. Erst dann kam mir zu Bewusstsein, dass er
meine innersten Gedanken ausgesprochen hatte; ich
fuhr in meinem Sessel hoch
und starrte ihn an.
"Was sagtest du eben, Holmes? Das übersteigt aber nun doch meinen
Verstand."
Er lachte herzlich über meine Fassungslosigkeit.
"Erinnerst du dich nicht, wie ich dir vor kurzem eine Stelle aus
einer Kurzgeschichte von Edgar Allen Poe vorlas, wo ein geübter Logiker
den Gedanken seines Freundes folgt? Du erblicktest darin eine tour de
force seitens des Autors und wolltest mir nicht glauben, als ich
behauptete, dasselbe täte ich auch ständig?"
"Aber nein -"
"Vielleicht drücktest du das nicht in Worten aus, mein Lieber,
deine Augenbrauen jedoch ließen
keinen Zweifel! |
W. erkennt, dass H.
tatsächlich seine Gedanken "erraten" hat
H. betont, dass er damit
lediglich den Beweis dafür antrete, was er an anderer Stelle gegenüber
W. behauptet hatte, als ein ähnlicher Vorgang in einer Kurzgeschichte
von Edgar Allan Poe dargestellt worden sei.
H. verweist auf körpersprachliche Signale (Augenbrauenbewegung) |
4
Als ich dich vorhin die Zeitungen beiseite werfen und in Gedanken
versinken sah, war ich froh über die Gelegenheit, ihnen folgen und mich
vielleicht sogar in die Gedankenkette einschalten zu können, sozusagen
zum Beweis, dass ich mit dir Schritt gehalten habe."
Ich war noch längst nicht zufrieden.
"In dem Beispiel, das du mir vorgelesen hast“, sagte ich, "zog dein
Verstandesmensch seine Schlüsse aus den Handlungen des Mannes, den er
beobachtete. Wenn ich mich recht erinnere, stolperte der über einen
Haufen Steine, sah zu den Sternen auf – und so weiter.
Ich aber habe ganz ruhig hier in
meinem Sessel gesessen;
welche Hinweise kann ich dir also gegeben haben?"
"Du unterschätzt dich! Dem Menschen wurden Gesichtszüge gegeben,
seine Gefühlregungen auszudrücken – und die deinen sind sehr
zuverlässige Diener."
"Willst du damit etwa sagen, du hast meine
Gedanken von meinem Gesicht
abgelesen?"
"Genau das, besonders von
deinen Augen. Vermutlich weißt du selbst nicht mehr, wie deine
Träumerei begann?"
"Nein, kaum." |
W. und H. unterhalten
sich über die Besonderheiten der Körpersprache in Poes Kurzgeschichte
(darin: deutliche Gesten als Indikatoren für bestimmte Gedanken)
H. betont, dass er im vorliegenden Fall aber vor allem die Mimik,
insbesondere die Blickbewegungen von W. herangezogen habe, um
seinen Gedanken zu folgen. |
5
"Dann will ich’s dir verraten. Nachdem du die
Zeitungen beiseite geworfen
hattest – das war’s übrigens, was mich auf dich aufmerksam machte
-, |
Dass W. Zeitung beiseite
schiebt (1), erregt H. Aufmerksamkeit |
saßest du eine halbe Minute mit einem ganz leeren Ausdruck da.
|
(» denkt an nichts) |
6
Darauf blieben deine Augen
auf dem neu gerahmten Bild von General Gordon
hängen und an der
Veränderung auf deinem Gesicht
bemerkte ich, dass du anfingst zu denken. |
W. betrachtet neu
gerahmtes Bild von General Gordon
Veränderung auf dem Gesicht (welche?)
»W. fängt an zu denken
|
7
Aber das führte nicht sehr weit. Dein
Blick schweifte hinüber zu dem
ungerahmten Bild von Henry Ward Beecher, da – ganz oben auf
deinen Büchern. |
W.'s Blick schweift
hinüber zu dem ungerahmten Bild von Beecher ganz oben über den Büchern |
8
Dann blicktest du auf die Wand
und damit trat deine Überlegung klar zutage. Du dachtest, wenn das
Bild gerahmt wäre, könnte es die leere Stelle dort ausfüllen und mit dem
von Gordon korrespondieren,"
"Du bist mir wirklich genau gefolgt!"
"Nun, bis jetzt konnte ich kaum fehlschlagen. |
W. blickt auf die Wand,
an der das Bild von Gordon hing
»W. denkt, ein gerahmtes Beecher-Bild könnte an dieser
Wand in einem Bezug zu dem Gordon-Bild stehen
|
9
Aber dann kehrten deine Gedanken zu Beecher zurück und du
schautest angestrengt auf sein
Bild, als wolltest du aus seinen Zügen seinen Charakter
ergründen. |
W. schaut dann wieder
angestrengt (?) auf das Beecher-Bild
»H. vermutet, dass W. dabei aus den Gesichtszügen auf den
Charakter Beechers schließen will
|
10
Darauf entspannte sich deine
Miene, |
W. Gesicht wirkt wieder
entspannt |
11
aber immer noch schautest du
unverwandt hin und dein
Gesicht wurde geradezu nachdenklich. Du riefst dir die
Situation seiner Laufbahn ins Gedächtnis. Mir war durchaus bewusst,
dass du dabei seine Mission im Interesse der Nordstaaten während des
amerikanischen Bürgerkriegs denken musstest, denn ich erinnere mich noch
genau deiner leidenschaftlichen Empörung über die Art, wie er vom
aufrührerischen Teil unserer Bevölkerung empfangen worden war. Du
hattest dich damals so erregt, dass ich wusste, du könntest nicht an
Beecher denken, ohne gleich auch darauf zu verfallen. |
W. schaut weiterhin auf
das Bild von Beecher
W.s Gesicht wird geradezu nachdenklich (?)
»W. ruft sich die Umstände der Laufbahn Beechers in
Erinnerung
Grundlage der Vermutung von Holmes: früheres Gespräch über Beecher
und seine Rolle im Bürgerkrieg |
12
Als dann einen Moment später deine
Augen vom Bild wegglitten,
vermutete ich deinen Geist im Bürgerkrieg |
W. wendet seinen Blick
von dem Beecher-Bild ab
»H. vermutet, dass W. mit seinen Gedanken beim bzw. mitten
im Bürgerkrieg ist
|
13
und als ich dann bemerkte, wie sich
deine Lippen zusammenpressten,
deine Augen funkelten und die Hände zu Fäusten balltest, war ich
sicher, dass du an die Tapferkeit dachtest, die beide Parteien in
diesem verzweifelten Kampf bewiesen haben. |
H. beobachtet 3
Körpersignale gleichzeitig bzw. so nah aufeinander folgend, dass sie im
Zusammenhang betrachtet werden können:
W.s Lippen sind zusammengepresst, seine Augen funkeln und seine Hände
ballen sich zu Fäusten
»H. ist sich sicher, dass W. dabei an die Tapferkeit der
Soldaten im Bürgerkrieg denkt
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14
Doch dein Gesicht wurde
trauriger, du
schütteltest den Kopf. Du brütetest über die Taktik, den
Schrecken und die Vergeudung kostbarer Menschenleben. |
W.s Gesicht wird
trauriger (?) und zugleich schüttelt er den Kopf
»W. brütet über Kriegstaktik und die Schrecken des Krieges
|
15
Deine Hand tastete nach deiner
eigenen vernarbten Wunde und
über deine Lippen ging ein
flüchtiges Lächeln, das mir zeigte, wie sich dir auch die
lächerliche Seite dieser Methode, internationale Probleme beizulegen,
aufgedrängt hatte. |
W. tastet nach seiner
Kriegsverletzung (Narbe) und lächelt kurz
»W. erscheint kriegerische Konfliktlösung lächerlich
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16
An diesem Punkt
angelangt, konnte ich dir meine Zustimmung nicht verhehlen."
"Alles vollkommen richtig“, sagte ich. "Aber sogar jetzt noch bin
ich verblüfft wie zuvor."
"Ein simples Experiment, mein Lieber, sei beruhigt!“
(aus: Doyle,
Arthur Conan (1976): Ein unheimliches Paket, in: Sherlock Holmes und die
Spuren im Moor. Klassische Kriminal-Stories, München: Wilhelm Heyne
1976, S.103 f., auch zitiert bei
Eunson 1990, S.140f.) |
H. hat sich nicht
wirklich aus der Kommunikation zurückgezogen, wie es anfangs scheint,
sondern hat nonverbal zugehört und wechselt jetzt wieder in den verbalen
Kommunikationsmodus, so als habe tatsächlich eine "Unterhaltung"
stattgefunden |