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Der Schwede Johann August
Strindberg (1849-1912) entwickelt im Vorwort zu seinem Einakter
"Fräulein Julie. Ein naturalistisches Trauerspiel" (1888) eine Art
Musterdramaturgie des naturalistischen Dramas. Die wichtigsten Elemente
dieser Musterdramaturgie sind:
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Ein Ereignis im dramatischen Leben soll nicht durch ein einzelnes
Motiv, sondern durch ein ganzes Geflecht von Motiven hervorgerufen
werden. Verlangt wird damit eine vielseitige Motivierung dramatischen
Handelns.
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Komplizierte, inkonsequente, in einem herkömmlichen Sinne betrachtet:
charakterlose Figuren beherrschen die Szene statt fertige und gefestigte
Charaktere.
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Die Dialogsprache der
dramatischen Rede muss dem
Gespräch in der Wirklichkeit angepasst werden (Prosa statt gebundener
Sprache wie in Versdramen).
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Der Handlungsverlauf soll psychologisch motiviert sein.
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Die Struktur des Dramas weist keine Szeneneinteilung auf.
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Das Bühnenbild soll nach den Prinzip der Wahrscheinlichkeit
gestaltet werden.
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Die Beleuchtung soll einen "natürlichen" Eindruck hinterlassen.
Also: keine Rampenbeleuchtung oder Beleuchtung von vorn unten.
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Der Schauspieler soll um Raumtiefe zu gewinnen mehr in einer
Diagonalen statt in Frontstellung zum Publikum agieren.
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Monologe, Pantomime und Ballett sind nur unter
ganz besonderen Bedingungen möglich. Ein Monolog muss dann z. B. wie ein
improvisiertes Sprechen aussehen, Pantomime kommt nur in Frage, wenn ein
Monolog zu unwahrscheinlich wirkt, und Ballett kann bestenfalls noch die
Rolle einer folkloristischen Einlage spielen.
Im deutschen Naturalismus bemühte man sich, diese Forderungen zu
erfüllen. Beim Bühnenbild vollzog sich dadurch der Wechsel von der
Illusionsbühne (Vortäuschung) zur Wirklichkeitsbühne. Bühnenbilder dieser
Art versuchten jeden Scheincharakter zu überwinden und "echte" Wirklichkeit
in Szene zu setzen (z.B. wurden keine Attrappen mehr verwendet). Monologe
verschwanden ganz, das "unnatürliche" Beiseitesprechen (ad-spectatores)
wurde verpönt.
(vgl. Ivo Braak, Gattungsgeschichte deutschsprachiger Dichtung, Teil Ib
Dramatik, Biedermeier bis Gegenwart 1975, S.343f.) |
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