Pressegesetz - Karlsbader Beschlüsse (20.09.1819)
»Provisorische Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse«
§. 1. Solange als der gegenwärtige Beschluss in Kraft bleiben wird, dürfen
Schriften, die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen,
desgleichen solche, die nicht über 20 Bogen im Druck stark sind, in keinem
deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgängige Genehmhaltung der
Landesbehörden zum Druck befördert werden. Schriften, die nicht in eine
der hier namhaft gemachten Klassen gehören, werden fernerhin nach den in
den einzelnen Bundesstaaten erlassenen oder noch zu erlassenden Gesetzen
behandelt. Wenn dergleichen Schriften aber irgend einem Bundesstaate
Anlass zur Klage geben, so soll diese Klage im Namen der Regierung, an
welche sie gerichtet ist, nach den in den einzelnen Bundesstaaten
bestehenden Formen, gegen die Verfasser oder Verleger der dadurch
betroffenen Schrift erledigt werden.
§. 2. Die zur Aufrechthaltung dieses Beschlusses erforderlichen Mittel
und Vorkehrungen bleiben der nähern Bestimmung der Regierungen anheim
gestellt; sie müssen jedoch von der Art sein, dass dadurch dem Sinn und
Zweck der Hauptbestimmung des § 1 vollständig Genüge geleistet werde.
§. 3. Da der gegenwärtige Beschluss durch die unter den obwaltenden
Umständen von den Bundes-Regierungen anerkannte Notwendigkeit vorbeugender
Maßregeln gegen den Missbrauch der Presse veranlasst worden ist, so können
die auf gerichtliche Verfolgung und Bestrafung der im Wege des Drucks
bereits verwirklichten Missbräuche und Vergehungen abzweckenden Gesetze,
in so weit sie auf die im 1. § bezeichneten Klassen von Druckschriften
anwendbar sein sollen, so lange dieser Beschluss in Kraft bleibt, in
keinem Bundesstaate als zureichend betrachtet werden.
§. 4. Jeder Bundesstaat ist für die unter seiner Oberaufsicht
erscheinenden, mithin für sämtliche unter der Hauptbestimmung des § 1
begriffenen Druckschriften, in so fern dadurch die Würde oder Sicherheit
anderer Bundesstaaten verletzt, die Verfassung oder Verwaltung derselben
angegriffen wird, nicht nur den unmittelbaren Beleidigten, sondern auch
der Gestammtheit des Bundes verantwortlich.
§. 5. Damit aber diese, in dem Wesen des deutschen Bundes-Vereins
gegründete, von dessen Fortdauer unzertrennliche, wechselseitige
Verantwortlichkeit nicht zu unnützen Störungen des zwischen den
Bundesstaaten obwaltenden freundschaftlichen Verhältnisses Anlass geben
möge, so übernehmen sämtliche Mitglieder des deutschen Bundes die
feierliche Verpflichtung gegen einander, bei der Aufsicht über die in
ihren Ländern erscheinenden Zeitungen, Zeit- und Flugschriften mit
wachsamen Ernste zu verfahren, und diese Aufsicht dergestalt handhaben zu
lassen, dass dadurch gegenseitigen Klagen und unangenehmen Erörterungen
auf jede Weise möglichst vorgebeugt werde.
§. 6. Damit jedoch auch die durch gegenwärtigen Beschluss beabsichtigte
allgemeine und wechselseitige Gewährleistung der moralischen und
politischen Unverletzlichkeit der Gestammtheit und aller Mitglieder des
Bundes nicht auf einzelnen Punkten gefährdet werden könne, so soll in dem
Fall, wo die Regierung eines Bundesstaates sich durch die in einem andern
Bundesstaate erscheinenden Druckschriften verletzt glaubte, und durch
freundschaftliche Rücksprache oder diplomatische Korrespondenz zu einer
vollständigen Befriedigung und Abhülfe nicht gelangen könnte, derselben
ausdrücklich vorbehalten bleiben, über dergleichen Schriften Beschwerde
bei der Bundesversammlung zu führen, letztere aber sodann gehalten sein,
die angebrachte Beschwerde kommissarisch untersuchen zu lassen und, wenn
dieselbe gegründet befunden wird, die unmittelbare Unterdrückung der in
Rede stehenden Schrift, auch wenn sie zur Klasse der periodischen gehört,
aller fernern Fortsetzung derselben durch einen entscheidenden Ausspruch
zu verfügen.
Die Bundesversammlung soll außerdem befugt sein, die zu ihrer Kenntnis
gelangenden, unter der Hauptbestimmung des § 1 begriffenen Schriften, in
welchem deutschen Staate sie auch erscheinen mögen, wenn solche, nach dem
Gutachten einer von ihr ernannten Commission, der Würde des Bundes, der
Sicherheit einzelner Bundesstaaten oder der Erhaltung des Friedens und der
Ruhe in Deutschland zuwiderlaufen, ohne vorhergegangene Aufforderung, aus
eigener Autorität, durch einen Ausspruch, von welchem keine Appellation
stattfindet, zu unterdrücken, und die betreffenden Regierungen sind
verpflichtet, diesen Ausspruch zu vollziehen.
§. 7. Wenn eine Zeitung oder Zeitschrift durch einen Ausspruch der
Bundesversammlung unterdrückt worden ist, so darf der Redakteur derselben
binnen fünf Jahren in keinem Bundesstaate bei der Redaction einer
ähnlichen Schrift zugelassen werden. Die Verfasser, Herausgeber, und
Verleger der unter der Hauptbestimmung des § 1 begriffenen Schriften
bleiben übrigens, wenn sie den Vorschriften dieses Beschlusses gemäß
gehandelt haben, von aller weitern Verantwortung frei, und die in § 6
erwähnten Aussprüche der Bundesversammlung werden ausschließend gegen die
Schriften, nie gegen die Personen, gerichtet.
§. 8. sämtliche Bundesglieder verpflichten sich, in einem Zeitraum von
zwei Monaten die Bundesversammlung von den Verfügungen und Vorschriften,
durch welche sie dem § 1 dieses Beschlusses Genüge zu leisten gedenken, in
Kenntnis zu setzen.
§. 9. Alle in Deutschland erscheinenden Druckschriften, sie mögen unter
den Bestimmungen dieses Beschlusses begriffen sein oder nicht, müssen mit
dem Namen des Verlegers und, in so fern sie zur Klasse der Zeitungen oder
Zeitschriften gehören, auch mit dem Namen des Redakteurs versehen sein.
Druckschriften, bei weichen diese Vorschrift nicht beobachtet ist, dürfen
in keinem Bundesstaate in Umlauf gesetzt und müssen, wenn solches
heimlicher Weise geschieht, gleich bei ihrer Erscheinung in Beschlag
genommen, auch die Verbreiter derselben, nach Beschaffenheit der Umstände,
zu angemessener Geld- oder Gefängnisstrafe verurteilt werden.
§. 10. Der gegenwärtige einstweilige Beschluss soll, vom heutigen Tage
an, fünf Jahre lang in Wirksamkeit bleiben. Vor Ablauf dieser Zeit soll am
Bundestage gründlich untersucht werden, auf welche Weise die im 18.
Artikel der Bundes-Akte in Anregung gebrachten gleichförmigen Verfügungen
über die Pressfreiheit in Erfüllung zu setzen sein möchten, und demnächst
ein Definitiv-Beschluss über die rechtmäßigen Grenzen der Pressfreiheit in
Deutschland erfolgen.
(aus:
Protokolle der Bundesversammlung, 1819, 35. Sitzung, § 220, -
an moderne Rechtschreibung angepasst)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.10.2023