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Johann Heinrich Hochdörfer (1832): Früchte
des 27. Mai
Verfassungsurkunde für das Großherzogtum
Baden - 22. August 1818:
"Carl, von Gottes Gnaden Großherzog zu Baden, Herzog zu Zähringen
etc. Als Wir bereits im Jahr 1816 Unsern Untertanen wiederholt bekannt
machten, dem Großherzogtum eine Landständische Verfassung geben zu wollen,
so hegten Wir den Wunsch, und die Hoffnung, dass sämtliche Bundesglieder
über eine unabänderliche, wesentliche Grundlage dieser allen deutschen
Völkern zugesicherten Einrichtungen übereinkommen und nur in Entwicklung
der aufgestellten Grundsätze ein jeder einzelner Staat seinen besonderen
Bedürfnissen, mit Rücksicht auf bestehende Verhältnisse, folgen möchte. Da
sich jedoch, nach den letzten, über diesen Gegenstand bei dem Bundestage
abgelegten Abstimmungen der Zeitpunkt noch nicht bestimmt voraussehen
lässt, in welchem die Gestaltung der Ständischen Verfassung einen
Gegenstand gemeinschaftlicher Beratungen bilden dürfte, so sehen Wir Uns
nunmehr veranlasst, die Unsern Untertanen gegebene Zusicherung auf die Art
und Weise in Erfüllung zu setzen, wie sie Unserer innern freien und festen
Überzeugung entspricht. Von dem aufrichtigsten Wunsche durchdrungen, die
Bande des Vertrauens zwischen Uns und Unserm Volke immer fester zu
knüpfen, und auf dem Wege, den Wir hierdurch bahnen, alle Unsre
Staats-Einrichtungen zu einer höhern Vollkommenheit zu bringen, haben Wir
nachstehende Verfassungsurkunde gegeben, und versprechen feierlich für Uns
und Unsre Nachfolger, sie treulich und gewissenhaft zu halten und halten
zu lassen.
I.
Von dem Großherzogtum und der Regierung im Allgemeinen
§ 1 Das
Großherzogtum bildet einen Bestandteil des deutschen Bundes.
§ 2 Alle
organischen Beschlüsse der Bundes-Versammlung, welche die
verfassungsmäßigen Verhältnisse Deutschlands oder die Verhältnisse
deutscher Staatsbürger im Allgemeinen betreffen, machen einen Teil des
badischen Staatsrechts aus, und werden für alle Classen von
Landesangehörigen verbindlich, nachdem sie von dem Staatsoberhaupt
verkündet worden sind.
§ 3 Das
Großherzogtum ist unteilbar und unveräußerlich in allen seinen Teilen.
§ 4 Die
Regierung des Landes ist erblich in der großherzoglichen Familie nach den
Bestimmungen der Deklaration vom 4. Oktober 1817, die als Grundlage des
Hausgesetzes einen wesentlichen Bestandteil der Verfassung bilden und als
wörtlich in gegenwärtiger Urkunde aufgenommen betrachtet werden soll.
§ 5 (1)
Der
Großherzog vereinigt in Sich alle Rechte der Staatsgewalt, und übt sie
unter den in dieser Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus. (2)
Seine Person ist
heilig und unverletzlich.
§ 6 Das
Großherzogtum hat eine ständische Verfassung.
II. Staatsbürgerliche und politische Rechte der Badener und besondere
Zusicherungen
§ 7 (1)
Die
staatsbürgerlichen Rechte der Badener sind gleich in jeder Hinsicht,
wo die Verfassung nicht namentlich und ausdrücklich eine Ausnahme
begründet. (2) Die großherzoglichen Staatsminister und sämtliche
Staatsdiener sind für die genaue Befolgung der Verfassung verantwortlich.
§ 8 Alle
Badener tragen ohne Unterschied zu allen öffentlichen Lasten bei. Alle
Befreiungen von direkten oder indirekten Abgaben bleiben aufgehoben.
§ 9 (1)
Alle Staatsbürger von den drei christlichen Konfessionen haben zu allen
Civil- und Militärstellen und Kirchenämtern gleiche Ansprüche. (2) Alle
Ausländer, welchen Wir ein Staatsamt conferiren, erhalten durch diese
Verleihung unmittelbar das Indigenat.
§ 10
Unterschied in der Geburt und der Religion begründet, mit der für die
standesherrlichen Familien durch die Bundesakte gemachten Ausnahme, keine
Ausnahme der Militärdienstpflicht.
§ 11 Für
die bereits für ablöslich erklärten Grundlasten und Dienstpflichten und
alle aus der aufgehobenen Leibeigenschaft herrührenden Abgaben soll durch
ein Gesetz ein angemessener Abkaufsfuß reguliert werden.
§ 12 Das
Gesetz vom 14. August 1817, über die Wegzugsfreiheit, wird als ein
Bestandteil der Verfassung angesehen.
§ 13
Eigentum und
persönliche Freiheit der Badener stehen für alle auf gleicher Weise
unter dem Schutze der Verfassung.
§ 14 (1)
Die Gerichte sind unabhängig innerhalb der Grenzen ihrer Kompetenz. (2)
Alle Erkenntnisse in bürgerlichen Rechtssachen müssen von den ordentlichen
Gerichten ausgehen. (3) Der großherzogliche Fiskus nimmt in allen aus
privatrechtlichen Verhältnissen entspringenden Streitigkeiten Recht vor
den Landesgerichten. (4) Niemand kann gezwungen werden, sein Eigentum zu
öffentlichen Zwecken abzugeben, als nach Beratung und Entscheidung des
Staatsministeriums, und nach vorgängiger Entschädigung.
§ 15
(1) Niemand darf in Kriminalsachen seinem ordentlichen Richter entzogen
werden. (2) Niemand kann anders als in gesetzlicher Form verhaftet und
länger als zweimal 24 Stunden im Gefängnis festgehalten werden, ohne über
den Grund seiner Verhaftung vernommen zu sein. (3) Der Großherzog kann
erkannte Strafen mildern oder ganz nachlassen, aber nicht schärfen.
§ 16
Alle
Vermögens-Konfiskationen sollen abgeschafft werden.
§ 17 Die
Pressfreiheit wird nach den künftigen
Bestimmungen der Bundesversammlung gehandhabt werden.
§ 18
Jeder Landeseinwohner genießt der ungestörten
Gewissensfreiheit und in Ansehung der Art seiner Gottesverehrung des
gleichen Schutzes.
§ 19 Die
politischen Rechte (der drei christlichen Religionsteile) sind gleich.
§ 20 Das
Kirchengut und die eigentümlichen Güter und
Einkünfte der Stiftungen, Unterrichts- und Wohltätigkeitsanstalten dürfen
ihrem Zwecke nicht entzogen werden.
§ 21 Die
Dotationen der beiden Landesuniversitäten
und anderer höherer Lehranstalten, sie mögen in eigentümlichen Gütern und
Gefällen oder in Zuschüssen aus der allgemeinen Staatskasse bestehen,
sollen ungeschmälert bleiben.
§ 22 (1)
Jede, von Seite des Staats gegen seine Gläubiger übernommene
Verbindlichkeit ist unverletzlich. (2) Das Institut der Amortisationskasse
wird in seiner Verfassung aufrecht erhalten.
§ 23 Die
Berechtigungen, die durch das Edikt vom 23. April 1818 den dem
Großherzogtum angehörigen, ehemaligen Reichsständen und Mitgliedern der
vormaligen unmittelbaren Reichsritterschaft
verliehen worden sind, bilden einen Bestandteil der Staatsverfassung.
§ 24 Die
Rechtsverhältnisse der Staatsdiener sind in der
Art, wie sie das Gesetz vom Heutigen festgestellt hat, durch die
Verfassung garantiert.
§ 25 Die
Institut der weltlichen und geistlichen Witwenkasse und der
Brandversicherung sollen in ihrer bisherigen Verfassung fortbestehen und
unter den Schutz der Verfassung gestellt sein.
III. Ständeversammlung. Rechte und Pflichten der Ständeglieder
§ 26 Die
Landstände sind in zwei Kammern
abgeteilt.
§ 27 Die
erste Kammer besteht: 1. aus den Prinzen des
großherzoglichen Hauses, 2. aus den Häuptern der standesherrlichen
Familien, 3. aus dem Landesbischof und einem vom Großherzog lebenslänglich
ernannten protestantischen Geistlichen mit dem Range eines Prälaten, 4.
aus acht Abgeordneten des grundherrlichen Adels, 5. aus zwei Abgeordneten
der Landes-Universitäten, 6. aus den vom Großherzog, ohne Rücksicht auf
Stand und Geburt zu Mitgliedern dieser Kammer ernannten Personen.
§ 28 (1)
Die Prinzen des Hauses
und die Standesherren treten, nach erlangter Volljährigkeit, in die
Ständeversammlung ein. Von denjenigen standesherrlichen Familien, die in
mehrere Zweige sich Teilen, ist das Haupt eines jeden Familienzweigs, der
im Besitz einer Standesherrschaft sich befindet, Mitglied der ersten
Kammer. (2) Während der Minderjährigkeit des Besitzers einer
Standesherrschaft ruhet dessen Stimme. (3) Die Häupter der adeligen
Familien, welchen der Großherzog eine Würde des hohen Adels verleihet,
treten, gleich den Standesherren, als erbliche Landstände in die erste
Kammer. Sie müssen aber ein nach dem Rechte der Erstgeburt und der
Linealerbfolge erbliches Stamm- oder Lehngut besitzen, das in der Grund-
und Gefällsteuer, nach Abzug des Lastenkapitals, wenigstens zu 300 000
Gulden angeschlagen ist.
§ 29
(1) Bei der Wahl der grundherrlichen Abgeordneten sind sämtliche adelige
Besitzer von Grundherrschaften, die das 21. Lebensjahr zurückgelegt und im
Lande ihren Wohnsitz haben, stimmfähig. Wählbar sind alle stimmfähige
Grundherren, die das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben. Jede Wahl gilt für
acht Jahre. Alle vier Jahre tritt die Hälfte der grundherrlichen
Deputierten aus. (2) Adeligen Güterbesitzern kann der Großherzog die
Stimmfähigkeit und Wählbarkeit bei der Grundherrenwahl beilegen, wenn sie
ein Stamm- oder Lehngut besitzen, das in der Grund- und Gefällsteuer, nach
Abzug des Lastenkapitals, wenigstens auf 60 000 Gulden angeschlagen ist,
und nach dem Rechte der Erstgeburt nach der Linealerbfolge vererbt wird.
§ 30 In
Ermangelung des Landesbischofs tritt der Bistumsverweser in die
Ständeversammlung.
§ 31
Jede der beiden Landesuniversitäten wählt ihren Abgeordneten auf vier
Jahre aus der Mitte der Professoren oder aus der Zahl der Gelehrten oder
Staatsdiener des Landes nach Willkür. Nur die ordentlichen Professoren
sind stimmfähig.
§ 32 Die
Zahl der vom Großherzog ernannten Mitglieder der ersten Kammer darf
niemals acht Personen übersteigen.
§ 33 Die
zweite Kammer besteht aus 63 Abgeordneten der
Städte und Ämter nach der dieser Verfassungsurkunde angehängten
Verteilungsliste.
§ 34
Diese Abgeordneten werden von
erwählten Wahlmännern erwählt.
§ 35 Wer
wirkliches Mitglied der ersten Kammer oder bei der Wahl der Grundherren
stimmfähig oder wählbar ist, kann weder bei Ernennung der Wahlmänner ein
Stimmrecht ausüben, noch als Wahlmann oder Abgeordneter der Städte und
Ämter gewählt werden.
§ 36
Alle übrigen Staatsbürger, die das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben, im
Waldistrikt als Bürger angesessen sind oder ein öffentliches Amt
bekleiden, sind bei der Wahl der Wahlmänner stimmfähig und wählbar.
§ 37 (1)
Zum Abgeordneten kann ernannt
werden, ohne Rücksicht auf Wohnort, jeder durch den § 35 nicht
ausgeschlossene Staatsbürger, der 1. einer der drei christlichen
Konfessionen angehört, 2. das 30. Lebensjahr zurückgelegt hat, und 3. in
dem Grund-, Häuser- und Gewerbssteuer-Kataster wenigstens mit einem
Capital von 10 000 Gulden eingetragen ist, oder eine jährliche
lebenslängliche Rente von wenigstens 1500 Gulden von einem Stamm- oder
Lehnguts-Besitze oder eine fixe ständige Besoldung oder Kirchenpfründe von
gleichem Betrag als Staats- oder Kirchendiener bezieht, auch in diesen
beiden letztern Fällen wenigstens irgend eine direkte Steuer aus Eigentum
zahlt. (2) Landes-, standes- und grundherrliche Bezirksbeamte, Pfarrer,
Physici und andere geistliche oder weltliche Lokaldiener können als
Abgeordnete nicht von den Wahlbezirken gewählt werden, wozu ihr Amtsbezirk
gehört.
§ 38 Die
Abgeordneten der Städte und Ämter werden auf acht Jahre ernannt und so,
dass die Kammer alle zwei Jahre zu einem Viertel erneuert wird.
§ 39
Jede neue Wahl eines Abgeordneten, die wegen Auflösung der Versammlung
oder wegen des regelmäßigen Austritts eines Mitglieds nötig wird, zieht
eine neue Wahl der Wahlmänner nach sich.
§ 40
Jeder Austretende ist wieder wählbar.
§ 41
Jede Kammer erkennt über die streitigen Wahlen der ihr angehörigen
Mitglieder.
§ 42
Der
Großherzog ruft die Stände zusammen, vertagt sie und kann sie auflösen.
§ 43 Die
Auflösung der Stände bewirkt, dass
alle durch Wahl ernannte Mitglieder der ersten und zweiten Kammer, die
Abgeordneten der Grundherren, der Universitäten und der Städte und Ämter
ihre Eigenschaft verlieren.
§ 44
Erfolgt die Auflösung, ehe der Gegenstand der Beratung erschöpft ist, so
muss längstens innerhalb drei Monaten zu einer neuen
Wahl geschritten werden.
§ 45 Der
Großherzog ernennt für jeden Landtag den Präsidenten der ersten Kammer;
die zweite Kammer wählt für die Präsidentenstelle drei Kandidaten, wovon
der Großherzog für die Dauer der Versammlung Einen bestätigt.
§ 46
Alle zwei Jahre muss
eine Ständeversammlung statt finden.
§ 47 Die
Mitglieder beider Kammern können ihr Stimmrecht nicht anders als in Person
ausüben.
§ 48 Die
Ständeglieder sind berufen, über die Gegenstände ihrer Beratungen nach
eigener Überzeugung abzustimmen. Sie dürfen von ihren Kommittenten keine
Instruktionen annehmen.
§ 49
Kein Ständeglied kann während der Dauer der Versammlung, ohne
ausdrückliche Erlaubnis der Kammer, wozu es gehört, verhaftet werden; den
Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei begangenen peinlichen Verbrechen
ausgenommen.
§ 50
Die Stände können sich nur mit den nach gegenwärtigem Grundgesetz zu ihrer
Beratung geeigneten oder vom Großherzog besonders an sie gebrachten
Gegenständen beschäftigen.
§ 51 (1)
Es besteht ein ständischer Ausschuss aus dem Präsidenten der letzten
Sitzung und drei andern Mitgliedern der ersten und sechs Mitgliedern der
zweiten Kammer, dessen Wirksamkeit auf den namentlich in dieser Urkunde
ausgedrückten Fall, oder auf die von dem letzten Landtag mit Genehmigung
des Großherzogs an ihn gewiesenen Gegenstände beschränkt ist. (2) Dieser
Ausschuss wird vor dem Schlusse des Landtags, auch bei jeder Vertagung
desselben, in beiden Kammern durch relative Stimmenmehrheit gewählt. Jede
Auflösung des Landtags zieht auch die Auflösung des, wenn gleich schon
gewählten Ausschusses nach sich.
§ 52 Die
Kammern
können sich weder eigenmächtig versammeln, noch nach erfolgter
Auflösung oder Vertagung beisammen bleiben und beratschlagen.
IV. Wirksamkeit der Stände
§ 53
Ohne Zustimmung der Stände kann keine Auflage
ausgeschrieben und erhoben werden.
§ 54 Das
Auflagengesetz wird in der Regel für zwei Jahre gegeben. Solche Auflagen
jedoch, mit denen auf längere Zeit abgeschlossene Verträge in
unmittelbarer Verbindung stehen, können vor Ablauf des betreffenden
Kontraktes nicht abgeändert werden.
§ 55 Mit
dem Entwurf des Auflagengesetzes wird das Staatsbudget und eine
detaillierte Übersicht über die Verwendung der verwilligten Gelder von den
frühern Etatsjahren übergeben. Es darf darin kein Posten für geheime
Ausgaben vorkommen, wofür nicht eine schriftliche, von einem Mitglied des
Staatsministeriums contrasignierte Versicherung des Großherzogs
beigebracht wird, dass die Summe zum wahren Besten des Landes verwendet
worden sei, oder verwendet werden solle.
§ 56 Die
Stände können die
Bewilligung
der Steuern nicht an Bedingungen knüpfen.
§ 57 (1)
Ohne Zustimmung der Stände kann kein Anlehen gültig gemacht werden.
Ausgenommen sind die Anlehn, wodurch etatmäßige Einnahmen zu etatmäßigen
Ausgaben nur antizipiert werden, so wie die Geldaufnahmen der
Amortisationskasse, zu denen sie, vermöge ihres Fundationsgesetzes,
ermächtigt ist. (2) Für Fälle eines außerordentlichen, unvorhergesehenen
dringenden Staatsbedürfnisses, dessen Betrag mit den Kosten einer
außerordentlichen Versammlung der Stände nicht im Verhältnis steht, und
wozu das Kreditvotum der Stände nicht reicht, ist die Zustimmung der
Mehrheit des Ausschusses hinreichend, eine Geldaufnahme gültig zu machen.
Dem nächsten Landtag werden die gepflogenen Verhandlungen vorgelegt.
§ 58 (1)
Es darf keine Domäne ohne Zustimmung der Stände
veräußert werden. Ausgenommen sind die zu Schuldentilgungen bereits
beschlossenen Veräußerungen, Ablösungen von Lehen, Erbbeständen, Gülten,
Zinsen, Frondiensten, Verkäufe von entbehrlichen Gebäuden, von Gütern und
Gefällen, die in benachbarten Staaten gelegen sind, und alle
Veräußerungen, die aus staatswirtschaftlichen Rücksichten zur Beförderung
der Landes-Kultur oder zur Aufhebung einer nachtheiligen eigenen
Verwaltung geschehen. Der Erlös muss aber zu neuen Erwerbungen verwendet
oder der Schuldentilgungskasse zur Verzinsung übergeben werden. (2)
Ausgenommen sind auch Täusche und Veräußerungen zum Zwecke der Beendigung
eines, über Eigentums- oder Dienstbarkeitsverhältnisse anhängigen
Rechtsstreits; ferner die Wiedervergebung heimgefallener Thron-, Ritter-
und Kammerlehen, während der Zeit der Regierung des Regenten, dem sie
selbst heimgefallen sind. (3) Da durch diesen und den § 57 der Zweck der
pragmatischen Sanktion über Staatsschulden und Staatsveräußerungen vom 1.
Oktober 1806 und vom 18. November 1808 vollständig erreicht ist, so hört
die Verbindlichkeit derselben mit dem Tage auf, wo die landständische
Verfassung in Wirksamkeit getreten sein wird.
§ 59 (1)
Ohngeachtet die Domänen nach allgemein anerkannten Grundsätzen des Staats-
und Fürstenrechts unstreitiges Patrimonialeigentum des Regenten und seiner
Familie sind, und Wir sie auch in dieser Eigenschaft, vermöge obhabender
Pflichten, als Haupt der Familie, hiermit ausdrücklich bestätigen, so
wollen Wir dennoch den Ertrag derselben, außer der darauf radicierten
Zivilliste und außer andern darauf haftenden Lasten, so lang als Wir Uns
nicht durch Herstellung der Finanzen in dem Stand befinden werden, Unsere
Untertanen nach Unserm innigsten Wunsche zu erleichtern, der Bestreitung
der Staatslasten ferner belassen. (2) Die Zivilliste kann, ohne Zustimmung
der Stände, nicht erhöhet, und ohne Bewilligung des Großherzogs, niemals
gemindert werden.
§ 60
Jeder die Finanzen betreffende Gesetzesentwurf geht zuerst an die zweite
Kammer, und kann nur dann, wenn er von dieser angenommen worden, vor die
erste Kammer zur Abstimmung über Annahme oder Nichtannahme im Ganzen ohne
alle Abänderung gebracht werden.
§ 61
Tritt die Mehrheit der ersten Kammer dem Beschluss der zweiten nicht bei,
so werden die bejahenden und verneinenden Stimmen beider Kammern zusammen
gezählt, und nach der absoluten Mehrheit sämtlicher Stimmen der
Ständebeschluss gezogen.
§ 62 Die
alten auch nicht ständigen Abgaben dürfen nach Ablauf der
Verwilligungszeit noch sechs Monate fort erhoben werden, wenn die
Stände-Versammlung aufgelöset wird, ehe ein neues Budget zu Stande kommt,
oder wenn sich die ständischen Beratungen verzögern.
§ 63 Bei
Rüstungen zu einem Kriege und
während der Dauer eines Kriegs kann der Großherzog, zur schleunigen und
wirksamen Erfüllung seiner Bundespflichten, auch vor eingeholter
Zustimmung der Stände, gültige Staatsanleihen machen, oder Kriegssteuern
ausschreiben. Für diesen Fall wird den Ständen eine nähere Einsicht und
Mitwirkung in der Verwaltung in der Art eingeräumt: 1. dass der alsdann
zusammen zu berufende Ausschuss zwei Mitglieder an die Ministerien der
Finanzen und des Kriegs und einen Kommissär zur Kriegskasse abordnen darf,
um darauf zu wachen, dass die zu Kriegszwecken erhobenen Gelder auch
wirklich und ausschließlich zu diesem Zwecke verwendet werden, und dass
derselbe 2. zu der jeweils, wegen Kriegsprästationen aller Art
aufzustellenden Kriegskommission eben so viele Mitglieder abzugeben hat,
als der Großherzog, ohne den Vorstand zu rechnen, zur Leitung des Marsch-,
Verpflegungs- und Lieferungswesens ernennt. Auch soll der Ausschuss das
Recht haben, zu gleichem Zweck einer jeden Provinzialbehörde, aus der Zahl
der in dem Provinzbezirk wohnenden Ständeglieder zwei Abgeordneten
beizugeben.
§ 64
Kein Gesetz, das die Verfassungsurkunde
ergänzt, erläutert oder abändert, darf ohne Zustimmung einer Mehrheit von
zwei Drittel der anwesenden Ständeglieder einer jeden der beiden Kammern
gegeben werden.
§ 65 Zu
allen anderen, die Freiheit der Personen oder das Eigentum der
Staatsangehörigen betreffenden allgemeinen neuen Landesgesetzen, oder zur
Abänderung oder authentischen Erklärung der bestehenden, ist die
Zustimmung der absoluten Mehrheit einer jeden der beiden Kammern
erforderlich.
§ 66 Der
Großherzog
bestätigt und promulgiert die Gesetze, erlässt die zu deren Vollzug
und Handhabung erforderlichen - die aus dem Aufsichts- und
Verwaltungsrecht abfließenden - und alle für die Sicherheit des Staats
nötigen Verfügungen, Reglements und allgemeinen Verordnungen. Er erlässt
auch solche, ihrer Natur nach zwar zur ständischen Beratung geeignete,
aber durch das Staatswohl dringend gebotene Verordnungen, deren
vorübergehender Zweck durch jede Verzögerung vereitelt würde.
§ 67 (1)
Die Kammern haben das Recht der Vorstellung und Beschwerde; Verordnungen,
worinnen Bestimmungen eingeflossen, wodurch sie ihr Zustimmungsrecht für
gekränkt erachten, sollen, auf ihre erhobene gegründete Beschwerde
sogleich außer Wirksamkeit gesetzt werden. Sie können den Großherzog unter
Angabe der Gründe um den Vorschlag eines Gesetzes bitten. Sie haben das
Recht, Missbräuche in der Verwaltung, die zu ihrer Kenntnis gelangen, der
Regierung anzuzeigen. (Sie haben das Recht, Minister und die Mitglieder
der obersten Staatsbehörden wegen Verletzung der Verfassung oder anerkannt
verfassungsmäßiger Rechte förmlich anzuklagen. Ein besonderes Gesetz soll
die Fälle der Anklage, die Grade der Ahndung, die urteilende Behörde und
die Prozedur bestimmen). (2) Beschwerden einzelner Staatsbürger über
Kränkung in ihren verfassungsmäßigen Gerechtsamen können von den Kammern
nicht anders als schriftlich, und nur dann angenommen werden, wenn der
Beschwerdeführer nachweißt, dass er sich vergebens an die geeigneten
Landesstellen und zuletzt an das Staats-Ministerium um Abhülfe gewendet
hat. (3) Keine Vorstellung, Beschwerde oder Anklage kann an den Großherzog
gebracht werden, ohne Zustimmung der Mehrheit einer jeden der beiden
Kammern.
IVa. Von den Anklagen
gegen die Minister
§ 67a
(1) Die zweite Kammer hat das Recht, die Minister und Mitglieder der
obersten Staatsbehörde wegen einer durch Handlungen oder Unterlassungen
wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit begangenen Verletzung der
Verfassung oder anerkannter verfassungsmäßiger Rechte oder schweren
Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates förmlich anzuklagen.
(2) Ein solcher Beschluss erfordert die in den §§ 64 und 74 für
Verfassungsänderungen vorgeschriebene Stimmenzahl; die Zurücknahme
desselben kann mit einfacher Stimmenmehrheit geschehen. (3) Das
Anklagerecht der zweiten Kammer wird durch die Entfernung des Angeklagten
vom Dienste, mag sie vor oder nach erhobener Anklage erfolgen, nicht
aufgehoben. (4) Im Falle der Verurteilung ist die Entlassung des
Angeklagten aus dem Staatsdienste zu erkennen. (5) Diese Folge der
Verurteilung kann nur auf Antrag oder mit Zustimmung der Stände wieder
aufgehoben werden. (6) Über etwaige Entschädigungsforderungen steht dem
Staatsgerichtshof keine Entscheidung zu.
§ 67b
(1) Das Richteramt über die im vorigen Paragraphen erwähnte Anklage übt
die Erste Kammer als Staatsgerichtshof in Verbindung mit dem Präsidenten
des obersten Gerichtshofs und acht weitern Richtern aus, welche aus den
Kollegialgerichten durch das Loos bezeichnet und der Ersten Kammer
beigeordnet werden. (2) Dem Angeklagten und den Vertretern der Anklage
steht ein Ablehnungsrecht zu. (3) Der Präsident der Ersten Kammer hat den
Vorsitz. Sein Stellvertreter ist der Präsident des obersten Gerichtshofes.
(4) Das Nähere über die Bildung des Staatsgerichtshofes, sowie das
Verfahren bei demselben, wird durch ein gemeines Gesetz bestimmt.
§ 67c
(1) Wird ein Minister oder ein Mitglied der obersten Staatsbehörde
beschuldigt, zugleich mit den in § 67a erwähnten Verletzungen, oder auch
ohne eine solche, ein Staatsverbrechen oder ein gemeines Verbrechen durch
Missbrauch seines Amts begangen zu haben, so ist die Zweite Kammer befugt,
zu beantragen, dass der Staatsgerichtshof den Beschuldigten wegen dieses
Vergehens vor das zuständige ordentliche Strafgericht zur Aburteilung
verweise. (2) Dieser Antrag ist in den in § 67a vorgeschriebenen Formen zu
beschließen und mit der Anklage, wo eine solche stattfindet, zu verbinden,
andernfalls aber selbständig bei dem Staatsgerichtshof zu stellen.
§ 67d
(1) Die während der Ständeversammlung von der Zweiten Kammer beschlossene
Anklage wird auch nach der Vertagung oder dem Schlusse des Landtages von
den erwählten Kommissären verfolgt und die Erste Kammer gilt in Beziehung
auf diesen Gegenstand nicht als vertagt oder geschlossen. (2) Dasselbe
gilt von der Auflösung der Ständeversammlung, jedoch wird die
Schlussverhandlung und Entscheidung über die Anklage bis nach Ablauf der
in § 44 der Verfassungsurkunde festgesetzten Frist verschoben.
§ 67e
(1) Hat zur Zeit der Einberufung einer neuen Ständeversammlung der
Staatsgerichtshof das Urteil noch nicht gefällt, so wird derselbe neu
gebildet, und die Zweite Kammer wählt aufs Neue die Kommissäre zur
Vertretung der Anklage. (2) Erfolgt jetzt eine abermalige Auflösung, so
bleibt die von der Zweiten Kammer gewählte Kommission zur Vertretung der
Anklage ermächtigt und ebenso der Staatsgerichtshof in dem früheren
Bestand.
§ 67f
(1) Das Recht der Anklage erlischt drei Jahre von dem Zeitpunkte, wo die
verletzende Handlung zur Kenntnis des Landtages gekommen ist, wenn die
Zweite Kammer jenes Recht nicht wenigstens durch den Beschluss, den Antrag
auf Erhebung einer Anklage in Betracht zu ziehen, gewahrt hat. (2) Die
Anklage kann ferner nicht mehr erhoben werden, wenn die Mehrheit der
Zweiten Kammer jene Handlung gebilligt hat.
§ 67g
Verordnungen und Verfügungen des Großherzogs, welche sich auf die
Regierung und Verwaltung des Landes beziehen, sind in der Urschrift von
den zustimmenden Mitgliedern der obersten Staatsbehörde zu unterzeichnen
und gelten nur als vollziehbar, wenn die Ausfertigung von einem Minister
gegengezeichnet ist.
V. Eröffnung der Ständischen Sitzungen, Formen der Beratungen
§ 68
Jeder Landtag wird in den für diesen Fall vereinigten Kammern, vom
Großherzog in Person oder von einem von Ihm ernannten Kommissär eröffnet
und geschlossen.
§ 69
Sämtliche neu eintretende Mitglieder schwören bei Eröffnung des Landtags
folgenden Eid: Ich schwöre
Treue dem Großherzog, Gehorsam dem Gesetze, Beobachtung und
Aufrechterhaltung der Staatsverfassung, und in der Ständeversammlung nur
des ganzen Landes allgemeines Wohl und Bestes, ohne Rücksicht auf
besondere Stände oder Classen, nach meiner innern Überzeugung zu beraten:
So wahr mir Gott helfe (und sein heiliges Evangelium)".
§ 70
Kein Landesherrlicher Antrag kann zur Diskussion und Abstimmung gebracht
werden, bevor er nicht in besondern Kommissionen erörtert und darüber
Vortrag erstattet worden ist.
§ 71 Die
Landesherrlichen Kommissarien
treten zur vorläufigen Erörterung der Entwürfe mit ständischen
Kommissarien zusammen, so oft es von der einen oder andern Seite für
notwendig erachtet wird. Keine wesentliche Abänderung in einem
Gesetz-Entwurf kann getroffen werden, die nicht mit den Landesherrlichen
Kommissarien in einem solchen gemeinschaftlichen Zusammentritt erörtert
worden ist.
§ 72 Die
Kammern können einen zum Vortrag gebrachten Entwurf nochmals an die
Kommissionen zurückweisen.
§ 73 Ein
von der einen Kammer an die andere gebrachter Gesetzes-Entwurf oder
Vorschlag irgendeiner Art kann, wenn er nicht Finanz-Gegenstände betrifft,
mit Verbesserungs-Vorschlägen, die in einer Commission nach § 71 erörtert
worden, an die andere Kammer zurückgegeben werden.
§ 74 (1)
Jeder gültige Beschluss einer Kammer erfordert, wo nicht ausdrücklich eine
Ausnahme festgesetzt worden ist, absolute Stimmenmehrheit bei vollzähliger
Versammlung. Bey gleicher Stimmenzahl gibt die Stimme des Präsidenten die
Entscheidung. Tritt der Fall ein, dass in Finanzsachen die Stimmen beider
Kammern zusammengezählt werden müssen, so entscheidet bei
Stimmengleichheit die Stimme des Präsidenten der Zweiten Kammer. (2) Man
stimmt ab mit lauter Stimme und den Worten: Einverstanden! oder: Nicht
einverstanden! Nur bei der Wahl der Kandidaten für die Präsidentenstelle
der zweiten Kammer, der Ausschussglieder und der Glieder der Kommissionen
entscheidet relative Stimmenmehrheit bei Geheimer Stimmgebung. (3) Die
erste Kammer wird durch die Anwesenheit von 10, die zweite durch die
Anwesenheit von 35 Mitgliedern, einschließlich der Präsidenten,
vollzählig. Zur gültigen Beratschlagung über die Abänderung der Verfassung
wird in beiden Kammern die Anwesenheit von drei Viertel der Mitglieder
erfordert.
§ 75 (1)
Die beiden Kammern können weder im Ganzen noch durch Kommissionen
zusammentreten; sie beschränken sich in ihrem Verhältnis zu einander auf
die gegenseitige Mitteilung ihrer Beschlüsse. (2) Sie stehen nur mit dem
Großherzoglichen Staatsministerium in unmittelbarer Geschäftsberührung;
sie können keine Verfügungen treffen oder Bekanntmachungen irgend einer
Art erlassen. (3) Deputationen dürfen sie nur, jede besonders, nach
eingeholter Erlaubnis, an den Großherzog abordnen.
§ 76 Die
Minister und Mitglieder des Staatsministeriums und Großherzoglichen
Kommissarien haben jederzeit bei öffentlicher und geheimer Sitzung Zutritt
zu jeder Kammer und müssen bei allen Diskussionen gehört werden, wenn sie
es verlangen. Nur bei der Abstimmung treten sie ab, wenn sie nicht
Mitglieder der Kammer sind. Nach ihrem Abtritt dürfen die Diskussionen
nicht wieder aufgenommen werden.
§ 77 Nur
den landesherrlichen Kommissarien und den Mitgliedern der ständischen
Kommissionen wird gestattet, geschriebene Reden abzulesen; allen übrigen
Mitgliedern sind bloß mündliche Vorträge gestattet.
§ 78 Die
Sitzungen beider Kammern sind öffentlich. Sie werden geheim auf das
Begehren der Regierungskommissarien bei Eröffnungen, für welche sie die
Geheimhaltung nötig erachten, und auf das Begehren von drei Mitgliedern,
denen nach dem Abtritt der Zuhörer aber wenigstens ein Viertel der
Mitglieder über die Notwendigkeit der geheimen Beratung beitreten muss.
§ 79 Die
Reihenfolge, wonach die Abgeordneten der Grundherren und der Städte und
Ämter aus der Versammlung austreten, wird auf dem ersten Landtage für die
einzelnen Wahlbezirke ein für allemal durch das Loos bestimmt. Die Hälfte
der Grundherrlichen Abgeordneten tritt im Jahr 1823 aus und dann alle vier
Jahre wieder die Hälfte. Im Jahr 1821 tritt ein Viertel der Abgeordneten
der Städte und Ämter und dann alle zwei Jahre wieder ein Viertel aus.
§ 80 Bey
der ersten Wahlhandlung erkennt über alle, wegen Gültigkeit der Wahlen
entstehenden Streitigkeiten die Landesherrliche Zentral-Kommission, die
mit der ersten Vollziehung des Konstitutions-Gesetzes beauftragt werden
wird.
§ 81 Die
Zeit der Eröffnung des ersten Landtags wird auf den ersten Februar 1819
festgesetzt.
§ 82 (1)
Der zur Zeit der Eröffnung des ersten Landtags, wo die Konstitution in
Wirksamkeit tritt, bestehende Zustand in allen Zweigen der Verwaltung und
Gesetzgebung dauert fort, bis die erste Verabschiedung mit dem Landtage in
den Gegenständen, die sich dazu eignen, getroffen sein wird. (2)
Insbesondere wird das erste Budget bis zur Vereinbarung mit den Ständen
provisorisch in Vollzug gesetzt.
§ 83
Gegenwärtige Verfassung wird unter die Garantie des deutschen Bundes
gestellt. Griesbach, den 22. August 1818.
(Staats- und
Regierungsblatt 1818, S. 101 ff., vgl. Huber, Ernst Rudolf:
Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band 1: Deutsche
Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl. 1978, S. 172 ff. ) -
an die moderne Rechtschreibung
angepasst)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.10.2023