Das so genannte "Septemberprogramm" des deutschen Reichskanzlers
Theobald von Bethmann Hollweg
(1856-1921) vom 9.9.1914 gehört zu den wichtigsten deutschen
Dokumenten am Beginn des •
Ersten Weltkriegs (1914-1918).
Ob es sich allerdings um eine verbindliche politische Erklärung
gehandelt hat, die dazu von einer deutlichen Überschätzung der
deutschen Möglichkeiten gekennzeichnet war, ist in der Forschung bis
heute umstritten."Ziele des Krieges im einzelnen: Frankreich. Von den militärischen
Stellen zu beurteilen, ob die Abtretung von Belfort, des Westabhangs der
Vogesen, die Schleifung der Festungen und die Abtretung des Küstenstrichs
von Dünkirchen bis Boulogne zu fordern ist. In jedem Falle abzutreten,
weil für die Erzgewinnung unserer Industrie nötig, das Erzbecken von Briey.
Ferner eine in Raten zahlbare Kriegsentschädigung; sie muss so hoch sein,
dass Frankreich nicht imstande ist, in den nächsten 15-20 Jahren
erhebliche Mittel für Rüstungen aufzuwenden. Des weiteren: Ein
Handelsvertrag, der Frankreich in wirtschaftliche Abhängigkeit von
Deutschland bringt, es zu unserem Exportland macht und uns ermöglicht, den
englischen Handel in Frankreich auszuschalten. Dieser Handelsvertrag muss
uns finanzielle und industrielle Bewegungsfreiheit in Frankreich schaffen
- so, dass deutsche Unternehmungen nicht mehr anders als französische
behandelt werden können. Belgien. Angliederung von Lüttich und Verviers an
Preußen, eines Grenzstriches der Provinz Luxemburg an Luxemburg.
Zweifelhaft bleibt, ob Antwerpen mit einer Verbindung nach Lüttich
gleichfalls zu annektieren ist. Gleichviel, jedenfalls muss ganz Belgien,
wenn es auch als Staat äußerlich bestehen bleibt, zu einem Vasallenstaat
herabsinken, in etwa militärisch wichtigen Hafenplätzen ein
Besatzungsrecht zugestehen, seine Küste militärisch zur Verfügung stellen,
wirtschaftlich zu einer deutschen Provinz werden. Bei einer solchen
Lösung, die die Vorteile der Annexion, nicht aber ihre innerpolitisch
nicht zu beseitigenden Nachteile hat, kann franz. Flandern mit Dünkirchen,
Calais und Boulogne, mit großenteils flämischer Bevölkerung diesem
veränderten Belgien ohne Gefahr angegliedert werden. Den militärischen
Wert dieser Position England gegenüber werden die zuständigen Stellen zu
beurteilen haben. Luxemburg wird deutscher Bundesstaat und erhält einen
Streifen aus der jetzt belgischen Provinz Luxemburg und eventuell die Ecke
von Longwy. Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen
Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluss
von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und
eventl. Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne
gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung
seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muss die
wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa
stabilisieren. Die Frage der kolonialen Erwerbungen, unter denen in erster
Linie die Schaffung eines zusammenhängenden mittelafrikanischen
Kolonialreichs anzustreben ist, desgleichen die Russland gegenüber zu
erreichenden Ziele werden später geprüft. Als Grundlage der mit Frankreich
und Belgien zu treffenden wirtschaftlichen Abmachungen ist eine kurze
provisorische, für einen eventuellen Präliminarfrieden geeignete Formel zu
finden. Holland. Es wird zu erwägen sein, durch welche Mittel und
Maßnahmen Holland in ein engeres Verhältnis zu dem Deutschen Reiche
gebracht werden kann. Dies engere Verhältnis müsste bei der Eigenart der
Holländer von jedem Gefühl des Zwanges für sie frei sein, an dem Gang des
holländischen Lebens nichts ändern, ihnen auch keine veränderten
militärischen Pflichten bringen, Holland also äußerlich unabhängig
belassen, innerlich aber in Abhängigkeit von uns bringen. Vielleicht ein
die Kolonien einschließendes Schutz- und Trutzbündnis, jedenfalls enger
Zollanschluss, eventuell die Abtretung von Antwerpen an Holland gegen das
Zugeständnis eines deutschen Besatzungsrechtes für das befestigte
Antwerpen wie für die Scheldemündung wäre zu erwägen."
(aus: Ulrich Cartarius (Hrsg.): Deutschland im Ersten Weltkrieg.
Texte und Dokumente 1914–1918. München 1982, S. 181f. Dok. Nr. 126)
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