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 Soziale
Netzwerke sind heutzutage ein besonders beliebtes Aktionsfeld der
Rechtsextremisten. Sie bieten ihnen einen idealen
Kommunikationsraum, um sich an junge Leute heranzumachen. Dabei
nutzen sie alle Plattformen und Möglichkeiten des Web 2.0. Sie
twittern, posten, sharen und liken so wie Millionen anderer Nutzer
und Nutzerinnen auch. Mit einer bis dahin nicht möglichen Reichweite
tragen sie so ihre menschenverachtenden und demokratiefeindlichen
Positionen in den letzten Winkel des Internets.
Dazu präsentieren sie sich immer noch einer großen Zahl von eigenen
Websites, die allerdings mehr der Vernetzung der schon bestehenden
rechtsextremen Szene dienen, als dazu, erfolgreich Propaganda zu
machen oder gar neue Anhänger zu gewinnen. Meistens stellen sich mit
Homepages "alten" Stils rechte Parteien, Parteigliederungen,
kleinere und größere rechtsextremistische Gruppierungen, aber auch
rechtsradikale Einzelpersonen dar.
"Das Mitmachweb ist für die rechtsextremistische Pest ein Segen",
sagen nicht allein Kenner der Szene, die wissen, auf welche Art und
Weise sich Rechtsextreme die neuen Möglichkeiten der Kommunikation
für ihre Propaganda, Mitgliederwerbung und ihre
Flashmob-Inszenierungen auf der Straße immer ausgeklügelter zunutze
machen. Die Feindbilder der Rechtsextremen, ihr Denken und Tun
zwischen Hass und Gewalt, sind, nicht zuletzt wegen der neuen
Möglichkeiten miteinander zu kommunizieren und zu interagieren,
nämlich mittlerweile auch dort angekommen, wo sie nach Ansicht ihrer
Schöpfer und Verbreiter auch hingehören: Bei den Jugendlichen.
Längst haben nämlich viele Jugendliche schon in irgendeiner Weise
damit Bekanntschaft gemacht. Während die »JIM-Studie
2010 belegte, dass jeder vierte Jugendliche beim Surfen im Web
schon einmal rechtsextreme Seiten gesehen hat (ebd.,
S.53), sind nach eigenen Angaben gerade einmal zwei Prozent von der
rechten Szene, Neonazis oder der NPD in sozialen Netzwerken
kontaktiert worden. Seitdem sind in der JIM-Studie keine Daten dazu
mehr erhoben worden. Das liegt indessen wohl nicht daran, dass das
Problem von Jugendschützern nicht im Auge behalten wird. Aber, so
gut gemeint, derartige Erhebungen auch sein mögen, sie geben nur ein
sehr verzerrtes Bild ab über die Aktivitäten der
rechtsextremistischen Szene im Internet. Denn wer solche Zahlen
liest, könnte die ausgeklügelte und komplexe Strategie des
Rechtsextremismus im Social Web leicht verkennen und in ihrer
Wirkung unterschätzen.
Der „Kampf gegen Kinderschänder“, den die rechtsextremen Agitatoren
sich allerorten auf die Fahnen schreiben, zeigt, wie breit, ja auch
wie modern, die rechte Szene mittlerweile aufgestellt ist. Wer das
Thema „googelt“, gelangt auf eine Vielzahl von Seiten, auf denen zum
Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern alle Register von
Vorurteilen, Verdrehungen und Unwahrheiten gezogen werden, um Ängste
zu befördern und Menschen, die sich davon und ihren Vorurteilen
leiten lassen, ganz „unbemerkt“ an das andere nationalistische und
rassistische Gedankengut heranzuführen. Da werden dann auf Seiten,
die zunächst einmal gar nicht zur rechten Szene gehören, Fragen
diskutiert, die dem Kenner eindeutig die rechtsradikale Handschrift
verraten. Wer sich ein Bild davon machen will, braucht nur einmal
die Ratgeber-Community gutefrage.net mit dem Schlagwort
„Kinderschänder“ zu füttern, um zu sehen, wie der Meinungskampf
tobt. Mitunter ist die argumentative Gegenwehr der Gegner
beachtlich, das ändert aber kaum etwas daran, dass
menschenverachtende Sprüche, die zumindest den Auffassungen
Rechtsextremer nahestehen, hier geradezu exzessiv verbreitet werden.
Und zu der völlig falsch gestellten und als Tatsachenbehauptung
hingestellten Frage: „Warum bekommen Kinderschänder nur 2 Jahre und
Raubkopierer 5?“wagen sich Hunderte aus der Deckung. Gegen kaum
etwas anderes „engagieren“ sich die Rechtsextremisten mehr als gegen
Sexualstraftäter, die sich an Kindern vergehen. Wie Simone Rafael
auf der Webseite www.netz-gegen-nazis.de (2009) darlegt, sind die
wahren Hintergründe, die Rechtsradikale zur lautstark erhobenen
Forderung „Todesstrafe für Kinderschänder“ verleitet, ihr
rassistisches und völkisches Gedankengut, Stimmungsmache gegen das
„System“ („Die da oben“), Hetze gegen die moderne Gesellschaft („Es
zählt nur noch Geld und der niedere Trieb.“), Law-and-Order-Logik
und ihre Begeisterung für jedes Pathos (Songs und Videos auf YouTube:
„“Wir hassen Kinderschänder.“) und ihre allseits beobachtbare
Gewaltverherrlichung. Geradezu rechtsradikale Sammlungsbewegungen
werden mit so genannten Online-Petitionen zum Thema initiiert, um
dem rechten Sumpf neue Anhänger zuzuführen. Dabei verlaufen offline-
und online-Agitation der rechten Szene erstaunlich ähnlich.
Hochgradig emotional besetzte Themen wie z. B. der sexuelle
Missbrauch von Kindern, werden aufgegriffen, extrem zugespitzt und
mit allen Regeln der Suggestivkunst präsentiert, dadurch weiter
emotionalisiert, um Ängste zu erzeugen. Diese sollen die Adressaten
dieser Agitation letztlich politisch radikalisieren und für die
demokratiefeindlichen und rassistischen Positionen der rechten Szene
auf allen anderen Gebieten „weichkochen“. Die rechtsextremen on- und
offline-Kampagnen gegen Kinderschänder dienen dieser Gehirnwäsche
und nichts anderem.
Und die Strategie und Taktik der Rechtsextremen zielt darauf,
insbesondere junge Leute auf eine Art und Weise unter Dauerfeuer zu
nehmen, dass die rechten Agitatoren gar nicht so ohne weiteres
auszumachen sind. So hat, worauf
Stefan Glaser und Christiane Schneider (2012, S. 42) hingewiesen
haben, z. B. die NPD schon 2010 in ihrer parteieigenen Monatszeitung
zum "Kampf mit modernen Kommunikationsmitteln" aufgerufen und
schlägt ihren Anhängern vor, mit "sympathischen Profilen" in
sozialen Netzwerken auf Freundefang zu gehen.
Wer verhindern will, dass sich der im Vergleich mit der
Restbevölkerung ohnehin schon überdurchschnittlich große Anteil
rechtsextremer Einstellungen bei Jugendlichen zwischen 14 und 17
Jahren (vgl.
Jascke
2012, S.34 unter Bezugnahme auf
Stöss 2010,
S.61ff.) noch erhöht, muss auch diesen Freundefang durchkreuzen. Das
ist aber nur ein Teil dessen, was die Gesellschaft und der Staat
insgesamt gegen den Rechtsextremismus tun müssen.
Es wird allerdings ein frommer Wunsch bleiben, wenn man vom Staat
oder den Betreibern der sozialen Netzwerke an dieser Stelle erwarten
wollte, sie könnten den Rechtsextremen den beschriebenen Weg zu den
Jugendlichen per Gesetz oder Verordnung einfach abschneiden.
Prävention kann in diesem, wie in vielen anderen Fällen, daher nur
heißen, die Jugendlichen für diese Probleme zu sensibilisieren. Das
ist, eine echte Netzwerkaufgabe, an der, wenn das ganze Erfolg haben
soll, viele mitarbeiten müssen und das auf vielen unterschiedlichen
Ebenen. Und wie immer ist auch die Schule hier besonders in der
Pflicht.
Wer dem rechtsextremistischen Freundefang etwas entgegensetzen will,
muss nicht nur dessen Absichten, sondern auch die Kommunikationswege
kennen, über die er organisiert wird. Und wer darüber hinaus noch
weiß, dass sich Jugendliche "in der Regel im Alter zwischen 12 und
15 Jahren im Rahmen von Cliquen und peergroups außerhalb der Schule"
(Jascke
2012, S.39 unter Verweis auf
Schuhmacher 2011, S. 265-280), dafür entscheiden, bei den
Rechtsextremisten mitzumachen, wird der Unterscheidung von Freunden
und nur angeblichen Freunden in sozialen Netzwerken bei der
Unterstützung jugendlichen Aufwachsens noch mehr Gewicht geben
müssen.
Mit den Jugendlichen selbst aber müssen rechtsextremistische "Anmacher"
identifiziert und ihre Strategien zur Ansprache Jugendlicher in
sozialen Netzwerken aufgedeckt werden. Auf diese Weise müssen die
jungen Leute befähigt werden, den bürgerlich und integer wirkenden
NPD-Anhänger ebenso wie den coolen (rechtsradikalen) Rock-Fan nicht
nur an Profilmerkmalen, sondern vor allem daran zu erkennen, wie er
sich mit welchen Themen und Inhalten, mit welcher Musik, welchen
Geschichten, kurzum, mit welchen Manipulationstechniken etc. an ihre
jeweils spezifischen Lebenswelten andocken will. Gert Egle,
www.teachsam.de, 24.09.2012, zuletzt bearbeitet am:
15.10.2014 |
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