Was für ein Zeittyp sind Sie?
Jeder hat einen
charakteristischen Umgang mit der Zeit, der sich darin äußert, wie er seine
Lebenszeit, Arbeits- und Freizeit verwendet.Dabei ist unser jeweils
persönlicher Umgang mit der Zeit von unseren eigenen Erfahrungen und der
Gesellschaft bzw. Kultur, in der wir aufwachsen und leben, in hohem Maße
beeinflusst.
In seinem zivilisationskritischen, fiktiven Bericht des Südsee-Häuptlings
Tuiavii, hat Erich Scheurmannn (1878-1957) eine besonders eindrucksvolle
Satire auf verschiedene Menschen in Europa verfasst, die einen typischen,
aber auch sehr charakteristischen Umgang mit der Zeit haben. Dabei gehen
seine in Form von Reden gestalteten Äußerungen des Südsee-Häuptlings auf die
Erlebnisse und Erfahrungen zurück, die der Autor 1915 auf seiner Reise in
das damals noch deutsche Kolonie gewesene West-Samoa unternommen hat. Der
Papalagi, zugleich die Bezeichnung, die der Häuptling den Menschen in Europa
gibt, ist von Scheurmann wohl in der Zeit zwischen 1915 und 1920 verfasst
worden.
Der
Papalagi [...] liebt vor allem aber auch
das, was sich nicht greifen
lässt und das doch da ist - die Zeit. Er macht viel Wesens und alberne
Rederei darum. Obwohl nie mehr davon vorhanden ist, als zwischen
Sonnenaufgang und Untergang hineingeht, ist es ihm doch nie genug. Der Papalagi ist
immer unzufrieden
mit seiner Zeit, und er klagt den großen Geist dafür an, dass er nicht
mehr gegeben hat. Ja, er lästert Gott und seine große Weisheit, indem er
jeden neuen Tag nach einem ganz gewissen Plane teilt und zerteilt. Er
zerschneidet ihn geradeso, als führe man kreuzweise mit einem Buschmesser
durch eine weiche Kokosnuss. Alle Teile haben ihren Namen: Sekunde,
Minute, Stunde. Die Sekunde ist kleiner als die Minute, diese kleiner als
die Stunde; alle zusammen machen die Stunden [...]. 'Die Zeit meidet
mich!' - 'Die Zeit läuft wie ein Ross!' - 'Gib mir doch etwas Zeit' - Das
sind die Klagerufe des weißen Mannes. [...]
Es gibt
Papalagi, die behaupten, sie hätten nie Zeit. Sie laufen kopflos
umher, wie vom Aitu Besessene, und wohin sie kommen, machen sie Unheil und
Schrecken, weil sie ihre Zeit verloren haben. Diese Besessenheit ist ein
schrecklicher Zustand, eine Krankheit, die kein
Medizinmann heilen kann, die viele Menschen ansteckt und ins Elend bringt.
Weil jeder Papalagi besessen ist von der Angst um seine Zeit, weiß er auch ganz genau, und
nicht nur jeder Mann, sondern auch jede Frau und jedes kleine Kind, wie
viele Mond- und Sonnenaufgänge verronnen sind, seit er selber zum ersten
Male das große Licht erblickte. [...]
Es gibt in Europa nur wenige Menschen, die wirklich Zeit haben.
Vielleicht gar keine. Daher rennen auch die meisten durchs Leben, wie ein
geworfener Stein. Fast alle sehen im Gehen zu Boden und schleudern die
Arme
weit von sich, um möglichst schnell voranzukommen. Wenn man sie anhält,
rufen sie unwillig: "Was musst du mich stören; ich habe keine Zeit, siehe
zu, dass du deine ausnützt." [...] Der Papalagi wendet seine ganze Kraft
auf und gibt alle seine Gedanken daran,
wie er die Zeit
möglichst dick machen könne. Er nutzt das Wasser und Feuer, den Sturm,
die Blitze des Himmels, um die Zeit aufzuhalten. Er tut eiserne Räder
unter seine Füße und gibt seinen Worten Flügel, um mehr Zeit zu haben. -
Und wozu alle diese große Mühe? Was macht der Papalagi mit seiner Zeit? -
Ich bin nie recht dahinter gekommen, obwohl er immer Worte und Gebärden
macht, als ob der große Geist ihn zum Fono geladen hätte. Ich glaube,
die
Zeit entschlüpft ihm wie eine Schlange in nasser Hand, gerade weil er
sie zu sehr festhält. Er lässt sie nicht zu sich kommen. Er jagt immer mit
ausgestreckten Händen hinter ihr her, er gönnt ihr die Ruhe nicht sich in
der Sonne zu lagern. Sie soll immer ganz nahe sein, soll etwas singen und
sagen. Die Zeit ist aber still und friedfertig und liebt die Ruhe und das
breite Lagern auf der Matte. Der Papalagi hat
die Zeit nicht erkannt, er versteht sie nicht, und darum misshandelt
er sie mit seinen rohen Sitten [...] (Scheurmann
1977, S.61f., gekürzt)
Viel zitiert und in den 70-er Jahren mit einem regelrechten Kultstatus
versehen, nimmt der Häuptling in seiner fiktiven Rede den Umgang des
modernen (europäischen) Zivilisationsmenschen aufs Korn.
-
Hinter dessen Umgang mit der
Zeit, so behauptet er, stehe die zwanghafte Liebe nach allem, "was
sich nicht greifen lässt".
-
Der Papalagi zeige sich stets
unzufrieden mit der ihm
(verfügbaren, verbliebenen) Zeit.
-
Viele unserer Zeitgenossen
behaupteten,
nie Zeit zu haben, was zu
einer
angstvollen Besessenheit
führe, die krankhaft sei.
-
Andere bemühten sich unentwegt
durch
Beschleunigung, etwa durch Einsatz der
modernen Verkehrstechnik, mehr Zeit zur Verfügung zu haben.
-
Letzten Endes aber zeige sich
im Umgang des modernen europäischen Zivilisationsmenschen, dass er die
Zeit überhaupt nicht verstanden habe,
sein Umgang mit ihr eine Misshandlung der Zeit selbst sei.
-
Daher sei es auch kein Wunder,
dass die Zeit uns
entschlüpfe wie eine Schlange in
nasser Hand.
Ohne damit das
Arbeits- und Zeitmanagement
bei der modernen Lebensbewältigung in Industriegesellschaften in Frage
stellen zu wollen, zeigen diese Ausführungen doch eine prinzipielle
Problematik auf, die von anderen im Rahmen so genannter Entschleunigungskonzepte aufgenommen worden sind.
Nach Ansicht des Organisationsberaters
Beat Märchy (2001) lassen
sich sechs charakteristische Typen von Menschen mit einem je spezifischen
Umgang mit der Zeit unterscheiden. Dabei wird man aber auch stets
Mischtypen berücksichtigen müssen.
Zeittyp |
Merkmale |
Chaotisch, spontan Kreative |
-
lieben es, wenn es
irgendwie ungeordnet zugeht
-
sind im Allgemeinen sehr
flexibel
-
treffen gerne
Entscheidungen
|
Ordnungsliebende Perfektionisten |
-
wollen, dass alles seinen
festen Platz und Ort besitzt
-
planen meist gerne,
ausgiebig und langfristig
|
Tatkräftige Fleißige und Zeitdruck
liebende Macher |
-
müssen irgendwie dauernd
aktiv und beschäftigt sein
-
arbeiten lange und intensiv
-
vertiefen sich vollkommen
in eine bestimmte Aufgabe
|
Intellektuelle Überflieger |
-
analysieren alles
blitzschnell
-
erkennen besonders leicht
Lösungsansätze
-
nehmen sich für die
konkrete Umsetzung von Lösungen nicht genügend Zeit
|
Bescheiden Rücksichtsvolle und
Hilfsbereite |
-
wollen niemandem zur Last
fallen
-
delegieren praktisch nichts
-
holen sich wenig
Unterstützung von anderen
-
können sich in andere ganz
gut einfühlen
|
Zeitlose |
-
kümmern sich wenig um die
(künstliche) Zeit
-
folgen am liebsten ihre
eigenen "inneren" Uhr
-
orientieren sich zeitlich
am eigenen Biorhythmus, dem eigenen Arbeitsrhythmus oder auch einfach
am Naturrhythmus
|
(vgl. Märchy 2001, zit. n. Marcel Eberle, der arbeitsmarkt,
6 (2004), S. 13)
)Gert
Egle, zuletzt bearbeitet am:
11.01.2024
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