Die
Mimik des
Gesichts dient bei der
nonverbalen
Kommunikation neben dem Gefühlsausdruck und ihrer Funktion als
Interaktionssignal vor allem dazu persönliche Eigenschaften eines Menschen
auszudrücken.
Das Gesicht ist das wichtigste Erkennungsmerkmal eines
Menschen und die Persönlichkeit eines Menschen spiegelt sich häufig deutlich
in seinem Gesichtsausdruck. Von den individuellen Gesichtszügen kann man
freilich nicht auf Eigenarten ganzer Menschengruppen schließen, es sei denn
es handelt sich dabei um Alter, Geschlecht oder um rassische Merkmale wie
die Hautfarbe o. ä. Der Gesichtsausdruck aber und seine Bedeutung sind
weder anthropologisch für die ganze Spezies Mensch einheitlich, noch
entziehen sie sich völlig unserer Kontrolle.
(aus:
Projekt Gutenberg, 29.8.02)
Welches Gesicht wir in welchen Situationen machen, ist in
vielerlei Hinsicht gelernt und das Ergebnis eines über Erziehung und
Nachahmung vermittelten individuellen Sozialisationsprozesses verschiedener
Kulturen. Nur bestimmte Gefühle haben einen universalen Gesichtsausdruck
bei allen Menschen gefunden.
Auch wenn die Redensart "Sein Gesicht wahren" meist im übertragenen Sinn
gebraucht wird, kann man darin doch auch ganz wörtlich die Fähigkeit zu
einer gewissen Kontrolle des eigenen Gesichtsausdrucks erkennen. Das
Mienenspiel des Gesichts dient damit auch der bewussten Selbstdarstellung
und Selbstinszenierung.
Die Bedeutung, die dem Gesichtsausdruck für die Einschätzung
der Persönlichkeit eines Menschen zukommt, hat die so genannte
Physiognomik auf den Plan gerufen. Von Johann Caspar Lavater (1749-1801)
gemeinsam mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) entwickelt, schließt
diese pseudowissenschaftliche Lehre schematisch vom Gesichtsausdruck auf die
jeweilige Persönlichkeit. Insbesondere seine Temperamentenlehre ist bis
heute bekannt, auch wenn diese Stereotypisierungen ohne jeden
wissenschaftlichen Wert sind:
-
Der Phlegmatiker besitzt
danach eine geringe Einbildungskraft, eine scharfe Beobachtungsgabe, ist
ziemlich gleichmütig, kaum erregbar und zeigt meist eine geringe Reaktion.
-
Der Choleriker ist
dagegen leicht erregbar, neigt zu Zorn, ist leidenschaftlich, mutig, zeigt
Festigkeit, Scharfsinn und neigt zu fliegenden Gedanken.
-
Der Sanguiniker hat eine
lebhafte Phantasie, ist spontan, lässt sich leicht verführen, ist zwar
jedermanns Freund, aber keineswegs treu, hält wenig, und fängt alles
Mögliche an ohne es zu Ende zu führen.
-
Der Melancholiker
besitzt ein starkes Selbstwertgefühl, zeigt sich beharrlich und
ausdauernd, weist Geistestiefe auf und hat eine Vorliebe für Ernstes,
Schauerliches und Geisterhaftes und ist ein Mensch der Tat.
Wenn derartige pseudowissenschaftliche Stereotypisierungen
unhaltbar sind, bedeutet dies jedoch nicht, dass sie im Alltag und in der
alltäglichen Kommunikation ohne Belang sind. Die Erfahrungen, die ein jeder
mit bestimmten Menschen macht oder die ihm medial vermittelt werden, lassen
derartige Stereotype schnell entstehen. Und nicht zuletzt die jüngere
deutsche Vergangenheit hat mit den rassistisch-antisemitischen Studien zur
Physiognomie des "Untermenschen" im
Nationalsozialismus hinlänglich vor Augen geführt, zu welchen Auswüchsen
physiognomische Theorien führen können.
Natürlich steht nicht jede Stereotypisierung unter diesem
Ideologieverdacht. Die kosmetische Industrie lebt ja gerade davon, dass sie
bestimmte Vorstellungen vom Gesicht prägt, die ein Heer von Visagistinnen
mit Frisur, Schminke und allerlei anderem an die Frau zu bringen sucht.
Und im Theater gehören derartige Stereotype und
Typisierungen zu den Grundaufgaben der Maske und der Maskenbildnerinnen, die
aus Schauspielern Bühnenfiguren machen.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.12.2023