In
einem Brief an seinen Bruder Karl Lessing vom 7.12.1778 notiert
Gotthold
Ephraim Lessing, dass er eigentlich vorhabe, dem Stück beim Druck
"eine ziemlich starke Vorrede" voranzustellen, die wie er am 15.1.1779
in einem weiteren Brief anmerkt, den Lesern und Schauspielern unter
anderem auch neuartige .Besonderheiten beim Layout und bei der
Typographie des Druckes erklären sollten. Als die Druckkosten für das
Werk aber zu explodieren drohten, nimmt er in seinen Briefen an den
Bruder vom 16. und 19.3.1779 von einer längeren Vorrede und einer
Abhandlung über dramatische Interpunktion wieder Abstand und nimmt sich
vor, dem Text des Dramas "nur eine ganz kurze Vorrede" voranzustellen.
Dazu ist es indessen nicht gekommen. (vgl.
Düffel 1972/1985, S.104, 108f.)a)
Es ist allerdings wahr, und ich habe keinem meiner Freunde verhehlt,
daß ich den ersten Gedanken zum Nathan
im Dekameron des Boccaz gefunden. Allerdings ist die dritte Novelle
des ersten Buchs, dieser so reichen Quelle theatralischer Produkte, der
Keim, aus dem sich Nathan bei mir entwickelt hat. Aber nicht erst jetzt,
nicht erst nach der Streitigkeit, in welchen man einen Laien, wie
mich, nicht bei den Haaren hätte ziehen sollen. Ich erinnere dieses
gleich anfangs, damit meine Leser nicht mehr Anspielungen suchen mögen,
als deren noch die letzte Hand hineinzubringen imstande war.
Nathans
Gesinnung gegen alle positiven Religionen ist von
jeher díe meinige gewesen. Aber
hier ist nicht der Ort, sie zu rechtfertigen.
b)
Vorrede.
Wenn man sagen wird, dieses Stück lehre, dass es nicht erst von
gestern her unter allerlei Volk Leute gegeben, die sich über alle
geoffenbarte Religion hinweggesetzt hätten, und doch
gute Leute gewesen wären; wenn
man hinzufügen wird, daß ganz sichtbar meine Absicht dahin gegangen sei,
dergleichen Leute in einem weniger abscheulichen Lichte vorzustellen,
als in welchem der christliche Pöbel sie gemeiniglich erblickt: so werde
ich nicht viel dagegen einzuwenden haben.
Denn beides kann auch ein Mensch lehren und zur Absicht haben wollen,
der nicht jede geoffenbarte Religion, nicht jede ganz verwirft. Mich als
einen solchen zu stellen, bin ich nicht verschlagen genug: doch dreist
genug, mich als einen solchen nicht zu verstellen.-
Wenn man aber sagen wird, daß ich wider die poetische Schicklichkeit
gehandelt, und jenerlei Leute unter Juden und Muselmännern gefunden
haben: so werde ich zu bedenken geben, daß Juden und Muselmämmer damals
die einzigen Gelehrten waren; daß der Nachteil, welchen geoffenbarte
Religionen dem menschlichen Geschlechte bringen, zu keiner Zeit einem
vernünftigen Manne müsse auffallender gewesen sein, als zu den Zeiten
der Kreuzzüge, und daß es an Winken bei den Geschichtsschreibern nicht
fehlt, ein solcher vernünftiger Mann habe sich nun eben in einem Sultane
gefunden.
Wenn man endlich sagen wird, daß ein Stück von so eigner Tendenz nicht
reich genug an Schönheit sei: - so werde ich schweigen, aber mich nicht
schämen. Ich bin mir eines Ziels bewußt, unter dem man auch noch viel
weiser mit allen Ehren bleiben kann.
Noch kenne ich keinen Ort in Deutschland, wo dieses Stück schon jetzt
aufgeführt werden könnte. Aber Heil und Glücl dem, wo es zuerst
aufgeführt wird.
(aus: Gotthold Ephraim Lessing, Werke. Vollständige Ausgabe in 25
Teilen. Hrsg. von Julius Petersen und Waldemar Olshausen Berlin ...
(1925-35), Nachdruck Hildesheim/New York: Olms 1970, Bd. 2, S.313f.,
zit. n. Düffel (1972/1985), S.112-114)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.11.2020