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Entstehungsgeschichte

Der Fragmentenstreit - Die Kontroverse Lessings mit Goeze

Gert Egle (2014)

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Gotthold Ephraim Lessing   Nathan der Weise
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Das Scheitern einer Existenz als freier Schriftsteller: Lessings Umzug nach Wolfenbüttel

1770 tritt Gottfried Ephraim Lessing (s. Abb. rechts) als Bibliothekar der »Herzog-August Bibliothek in »Wolfenbüttel in den Dienst des braunschweigischen Herzogs »Karl I (1713-1780).

Der Umzug nach Wolfenbüttel, in die seit Anfang der fünfziger Jahre des Jahrhunderts wieder zugunsten von Braunschweig verlassene ehemalige herzogliche Residenzstadt in einer sehr ländlichen Umgebung  und die Übernahme des Amtes waren für Lessing wichtige Wendepunkte in seinem Leben.

Lessing setzte damit u. a. einen Schlussstrich unter sein Gotthold Ephraim Lessingletzten Endes gescheitertes Theaterprojekt in Hamburg und begrub seine Ambitionen als Verleger tätig werden zu können. Wolfenbüttel, das war, auch wenn es ihm noch so kleinkariert erschienen ist, "Flucht und Rückzug zugleich, auch in materieller Hinsicht." (Barner u .a. 5. Aufl. 1987, S.287f.)

Auch wenn er seinen Frieden mit dem Hofleben, wo er zwar als repräsentatives Aushängeschild nach außen benutzt wurde, aber dessen ungeachtet "von den Hofbeamten als unruhiger Literat und schlechter Bürokrat nicht für voll genommen wurde", eigentlich nicht machen konnte, sondern sich oft in einem Zustand des "Daseinsekels" (ebd.) befand, blieb ihm letzten Endes keine Wahl. Seine eigene, wie auch die Hoffnung anderer Literaten der Zeit, sich eine tragfähige Existenz als freier Schriftsteller zu schaffen, war damit gescheitert. Und : Lessing beendete damit auch alle Theaterprojekte, die ihn in seiner Hamburger Zeit beschäftigt hatten.

Hofbibliothekar in Wolfenbüttel

Das Leben, das Lessing während seiner letzten 11 Jahre in Wolfenbüttel abseits großstädtischer Szenerie führte, war, wenn man so will, "das sesshafte Dasein eines stillen Gelehrten" (Drews 1962, S.124), der sich mehr und mehr religionskritischen Fragen zuwandte.

Bis heute scheinen die Motive, "warum Lessing glaubte, sich gerade in seinen letzten Jahren unablässig mit Theologen herumschlagen zu müssen" (Daunicht 1977, S. 707) nicht vollends geklärt zu sein:

"Mag sein, dass ihn persönliche Erlebnisse und Erfahrungen dazu trieben.Vielleicht wollte er vor allem ein Vermächtnis erfüllen, wenn er das rationalistische Opus eines radikalen Deisten öffentlich zur Diskussion stellte. Vielleicht traute er sich zu, in einem solchen Fall mit seiner perfektionierten Dialektik besonders zu brillieren. Sicher ist, dass ihn das Spiel mit den Gedanken lockte, denn immer wieder ließ er durchblicken, dass er das Ganze als eine großartige Komödie betrachtete." (ebd.) Und dieses Ganze, so wird weiter vermutet, war für Lessing wohl der "gesamte politische und moralische Horizont" (ebd.) eines Systems, das die orthodoxe, dogmatisch argumentierende Theologie legitimierte.

Der für Lessing neue Lebensstil eines verbeamteten Gelehrten im Hofdienst bedeutet also keineswegs, dass Lessing sich zu einem Fürstendiener entwickelte. Das hätte im Übrigen auch wohl kaum zu einem Mann gepasst, dessen "beharrlicher Nonkonformismus" (Gombrich 1957, S.134) sich in seinem Denken wie auch im Verhalten zeigte, wenn er z. B. "Außenseitern und Benachteiligten zu Hilfe kam", darunter oft "Existenzen an Ran der wohlanständigen Gesellschaft" (Nisbet 2008, S.807f.) So verkroch sich Lessing auch in Wolfenbüttel vnicht hinter seine Bibliothekarstätigkeit, die ihm einen bescheidenen Lebensunterhalt bescherte, sondern verstand sein Amt als Aufgabe und Möglichkeit, "die angehäuften Bücherschätze wenigstens teilweise der Öffentlichkeit zugänglich" zu machen. (Barner u .a. 5. Aufl. 1987,  S.289)

 Herzogtum Braunschweig 1789
 By NordNordWest [GFDL or CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons

Dazu muss man im Vergleich mit unseren heutigen Verhältnissen natürlich auch wissen, dass Öffentlichkeit zur Zeit Lessings etwas vollkommen anderes war als heute im Informationszeitalter. Es war zunächst einmal eine bürgerliche Öffentlichkeit, an der nur teilhaben konnten, wer überhaupt lesen und schreiben konnte und auch ansonsten über eine gerüttelt Maß an Bildung verfügte. Öffentlichkeit war so vor der Französischen Revolution, die zumindest in Frankreich andere Akzente setzte, die begrenzte Öffentlichkeit des gehobenen Bürgertums und zum Teil auch die gegenüber den Ungebildeten streng abgegrenzte Gelehrtenöffentlichkeit, die zudem von ihren adeligen Landesherrn meist finanziell extrem abhängig war. Und dieser Öffentlichkeit waren unter den Bedingungen des kontinentalen Absolutismus auch Grenzen gesetzt: Wer im weitesten Sinne über Gott und die Welt räsonieren bzw. politisieren wollte, konnte das eigentlich nur im Rahmen bestimmter tolerierter Institutionen wie z. B. »literarischen Salons, in »Lesegellschaften oder »Logen tun, "die der 'öffentlichen' Diskussion der Untertanen und Privatleute einen 'legalen' Rahmen gaben." (ebd., S.65). Für bestimmte Diskussionsgegenstände, insbesondere theologische Fragen gab es Regeln, wie über sie in gelehrten Kreisen gestritten oder, wie man sagte, disputiert werden durfte. Wer sich daran hielt, dass, salopp formuliert, auch gewagte Ansichten in Latein vorzubringen waren, war vielleicht ein ungeliebter Freigeist, galt aber für politisch wenig gefährlich. Solche im Gelehrtenlatein vorgetragenen Ansichten konnten schließlich die des Lateinischen und ihres eigenen Verstandes vermeintlich nicht mächtigen, jedenfalls nicht mündigen, Untertanen, nicht verstören. Wer indessen religionskritische Ansichten in Deutsch unter die Leute bringen wollte, riss die sozialen Mauern des Wissens ein und konnte damit die unmündigen Untertanen gar auf die Idee bringen, dass die Welt, so wie sie angeblich von Gott so vortrefflich eingerichtet war, auch hinterfragt werden konnte. Wer die Regeln brach, hatte mit massivem Gegenwind und Repressalien der Herrschenden zu rechnen, die ihre Herrschaft mit der angeblich gottgewollten Ordnung legitimierten. Und: Unter diesen politisch-gesellschaftlichen Bedingungen wurden religionskritische Fragen zwangsläufig zu sehr brisanten politischen Fragen.
Die Fragen, die die Aufklärung in Bezug auf das Christentum aufwarf, insbesondere aber die Maßstäbe, mit denen Gott und die Welt betrachtet wurden, nämlich Vernünftigkeit und Natürlichkeit, konnten  auf Dauer zu einer Legitimationskrise des politisch-gesellschaftlichen Systems führen. Zunächst förderten sie freilich eine Reihe von christlichen Glaubenssätzen zutage, die diesen Maßstäben eindeutig widersprachen. Dazu gehörte die Lehre von der Dreieinigkeit, die dem Gebot der Vernünftigkeit, und die Lehren von der unbefleckten Empfängnis und von Christi Auferstehung, die den Naturgesetzen widersprachen. Diese christlichen Dogmen hatten in den Konzepten eines aufgeklärten Christentums wenig zu suchen, stellten damit aber keineswegs den Glauben an sich in Frage, dem auch die so genannten Deisten auf ihre Weise die Treue hielten, wenn sie es als den Naturgesetzen widersprechend betrachteten, dass Gott in den Lauf der Welt eingriffe.

Als Lessing 1773 erstmals seine Zeitschrift "Beiträge zur Geschichte und Literatur aus den Schätzen der Herzogischen Bibliothek zu Wolfenbüttel" herausgab, erregte das, was er darin veröffentlichte, zunächst noch wenig Aufsehen.  Darin erschien 1774 die erste von insgesamt 6 Abhandlungen eines "Ungenannten", die Lessing wohl deshalb Fragmente nannte, weil er damit auf die Unabgeschlossenheit des gedanklichen Gesamtkonstruktes verweisen wollte. Das Fragment "Von Duldung der Deisten", in dem der von Lessing nicht preisgegebene Autor sich dagegen wandte, dass man die Deisten und andere Gegner der Offenbarungsreligionen mundtot machen wollte, entfachte eigentlich noch keine größere Debatte und war so gesehen recht harmlos. So wie es »Immanuel Kant (1724-1804) ein paar Jahre später in seinem berühmten Aufsatz "Was ist Aufklärung" formulierte, forderte der "Ungenannte" darin dazu auf, sich in religiösen und anderen Fragen seines eigenen Verstandes, also der Vernunft, zu bedienen, statt  sich von selbsternannten Vormündern vorschreiben zu lassen, was man zu glauben hat. (vgl. Nisbet 2008, S.706) Und dies entsprach den Überzeugungen Lessings, der mit seinen klar und anschaulich, volkstümlich bis mitunter umgangssprachlich abgefassten Veröffentlichungen ein möglichst großes Publikum erreichen wollte. Auch wenn er auf das Denken des Publikums Einfluss nehmen wollte, "ging es ihm nicht darum, dass es sich seine Gedanken zu eigen machte, sondern dass es ermutigt wurde, sich seine eigene Meinung zu bilden." (ebd., S.734)
Nach drei Bänden, die von Lessings Zeitschrift in den Jahren 1773 und 1774 erschienen, ruhte das Zeitungsprojekt ein paar Jahre, ehe 1777 der vierte Band bzw. Beitrag erschien. Darin veröffentlichte Lessing fünf weitere Fragmente des  Ungenannten und dazu seinen eigenen Kommentar, die er als Gegensätze des Herausgebers bezeichnete. Die Fragmente, die er, wohl auch um den Zensor zu umgehen, als Funde in der Wolfenbüttler Bibliothek ausgab, und deren Verfasser »Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) von Lessing selbst nicht bekanntgegeben wurde, stießen  wegen ihrer Inhalte, aber wohl auch wegen ihrer Missachtung gängiger Disputregeln unter den theologischen Gelehrten der Zeit, eine öffentliche Kontroverse an, die ihresgleichen suchte. Der Fragmentenstreit, wie der mit einer Reihe von Publikationen von Lessing und seinen Gegnern aus dem Lager des lutheranischen Protestantismus geführte öffentliche Streit genannt wird, ging dabei um Fragen, die die Grundlagen der christlichen bzw. protestantischen Glaubenslehre betrafen. Mit Lessing und dem Hamburger Hauptpastor »Johann Melchior Goeze (1717-1787) als Hauptwidersacher trafen dabei zwei Männer unversöhnlich und kompromisslos mit ihren Überzeugungen aufeinander, die während ihres längere Zeit andauernden "Papierkrieges" (ebd., S. 727) in ihrer immer schärfenden werdenden Polemik wenig Respekt voreinander zeigten und sich immer wieder zu persönlichen Angriffen auf ihr jeweiliges Gegenüber hinreißen ließen. Auch Lessing überschritt dabei nicht selten "die Grenze zwischen sachlicher Debatte und unverhohlener Satire“ (ebd., S.726). So gesehen führt es auch nicht unbedingt weiter, in dem einen nur einen orthodoxen Fanatiker (Goeze), im anderen nur den modernen Aufklärer (Lessing) zu sehen. Lessing habe nämlich, wie Nisbet (2008, S.741 betont, mit seinen theologischen Gegnern ein falsches Spiel getrieben, indem er manchmal zu ausweichenden und selbst doppelspielerischen Taktiken gegriffen habe, oft auch Sophistereien veranstaltet habe und die Tatsache, dass er "Reimarus' Geheimwerk" gewählt habe, um gegen Dogmatismus, Vorurteil und Intoleranz anzugehen, sei von Anfang an eine Entscheidung "für ein nicht eben transparentes Vorgehen" gewesen.
Ein echter Dialog jedenfalls kam in diesem verwickelten Hin und Her ständig sich wiederholender gegenseitiger Anschuldigungen nie zustande. (vgl. ebd., S.727). Dabei besaß die Auseinandersetzung Lessings mit Goeze vier Dimensionen, die Hugh Barr Nisbet ( 2008, S.721) wie folgt herausgearbeitet hat: "Zunächst einmal handelte es sich um einen persönlichen Konflikt: Goezes Angriff richtete sich nicht so sehr gegen den Fragmentisten als gegen Lessing selbst. Zweitens stand Lessing jetzt zum ersten Mal ein Gegner gegenüber, der ebenso unerschütterlich zielbewusst und in der Polemik erfahren war wie er selbst. Drittens führte die Auseinandersetzung mit Goeze, obwohl es niemals Lessings Absicht gewesen war, gegen die lutherische Orthodoxie anzutreten, immerhin dazu, das sich die theologischen Anschauungen besonders deutlich polarisierten. Und schließlich hat Lessing im Verlauf dieser theologischen Auseinandersetzungen mehr zu Papier gebracht als in allen anderen im Anschluss an die Fragmente entstandenen Kontroversen zusammen."
Hermann Samuel ReimarusDie Fragmente waren Ausführungen des angesehenen Hamburger Orientalisten und Gymnasiallehrers »Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) (s. Abb. rechts), in denen dieser den englischen »Deisten (z.B. »John Locke (1632-1704) und sein Schüler »John Toland (1670-1722) folgend "die Wunderberichte der Bibel, vor allem die Auferstehungsgeschichte, angegriffen hatte." (Lichtherz o. J., S.120) (→Über die Auferstehungsgeschichte. Fünftes Fragment eines Ungenannten 1777) Reimarus selbst dachte offenbar nie an eine Veröffentlichung, weil er die Zeit dafür noch nicht für reif genug gehalten hat. (vgl. Barner u .a. 5. Aufl. 1987, S.290). Wer heute liest, was Reimarus damals vertreten hat, kann leicht ermessen, dass ihm die ganze Sache mehr als "heiß" vorkommen musste, wenn darin davon die Rede ist, dass die Jünger von Jesus Christus die Auferstehung durch einen Raub des Leichnams des Gekreuzigten nur vorgespielt und erfunden hätten. Ihr Motiv, so Reimarus: Mit der Auferstehungsgeschichte Anhänger werben, um auf deren Kosten als Apostel ihr angenehmes Leben weiterführen zu können. (vgl. Kröger 1991, S.16) Dabei zog er diese Schlüsse keineswegs einfach aus dem Bauch, sondern versuchte seine Auffassungen mit einer synoptischen Betrachtung aller Überlieferungen der Ostergeschichte zu belegen. Dabei stellte er eine Fülle von Widersprüchen fest, was die überliefernden Evangelisten in seinen Augen schlicht zu Betrügern machte. Lessing teilte in den dazu verfassten Gegensätzen des Herausgebers die "These vom Jüngerbetrug" ebenso wenig wie "die Konsequenz dieser These: Wäre sie unbedingt richtig, so müsste gefolgert werden, dass alle Verheißungsaussagen des christlichen Glaubens auf einer gigantischen Geschichtslüge basierten." (ebd., S.17) Lessing ist, was die Betrugstheorie angeht, anderer Meinung, teilt aber den Ansatz einer historisch-kritischen Bibelauslegung, für die Reimarus ein Bahnbrecher war. Im "Nathan" distanziert er sich eindeutig von dieser Verschwörungstheorie, "indem er die genaueren Entstehungsgründe der Religionen als irrelevant abtut", weil das eigentliche Wertkriterium für eine Religion für ihn das moralische Verhalten ihrer Anhänger ist. (Nisbet 2008, S.708)  Lessing, der das Manuskript des sehr angesehenen Hamburger Gymnasialprofessors nach dessen Tod von dessen Kindern ausgehändigt bekommen hatte,  hegte wahrscheinlich eine gewisse Sympathie für Reimarus Außenseiterposition und wahrscheinlich gefielen ihm auch der Scharfsinn, mit dem Reimarus gläubige Zirkelschlüsse bloßstellte und unglaubwürdige Erzählungen in der Bibel wie z. B. den Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer, ironisch glossierte. Allerdings hatte er wohl wenig übrig für dessen langatmigen Stil, seine antisemitischen Ausfälle und Verbissenheit bei der wörtlichen Interpretation von Bibelstellen. (vgl. Nisbet 2008,S.708  Benedict 2011) Was Lessing aber an Reimarus wohl am meisten reizte, war die Möglichkeit, damit "die verborgenen Spannungen und ungelösten Fragen der zeitgenössischen Theologie ans Licht zu bringen" (Nisbet 2008,S.709).
Was Reimarus in seiner 1736 bis 1768 verfassten Schrift "Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ vertrat, leugnete den Charakter des Christentums als Offenbarungsreligion und war "ein systematischer Angriff auf die Bibel, der sie als ein Gespinst aus Täuschung und Betrug hinstellt, mit dem die Priesterschaft über die Jahrhunderte hinweg die Gläubigen ausgebeutet und in Schach gehalten habe." (ebd.) Reimarus ging nämlich davon aus, "dass der christliche Glauben auf »natürlichen« Moralprinzipien beruhe und das Christentum insofern eine vernünftige Lehre darstellt, die jeder Mensch - aufgrund der in der Aufklärungszeit angenommenen Universalität der Vernunft - intuitiv erfassen und praktisch anwenden könne." (Lessing als Theologe 2008, S.3) Unschwer zu erkennen, dass solche ketzerischen Thesen Vertretern der orthodoxen christlichen Lehre als reinste Gotteslästerung erscheinen mussten. Folgte aus einer solchen Vernunftreligion doch auch, dass das Christentum und seine geschichtlichen Überlieferungen nicht zwangsläufig zusammengedacht, ja letzten Endes in keiner Weise über Kirche und Theologie aneinander gekoppelt waren. Wenn ein Kranker, wie Lessing in den "Axiomata“, seiner wichtigsten Schrift im Streit mit Goeze, bildhaft sagt, mit der Medizin ja nicht zugleich ihre Verpackung schlucken müsse (vgl. Nisbet 2008, S.726), können in einer Vernunftreligion weder die Bibel noch die neutestamentlichen Evangelien einen exklusiven Anspruch auf Wahrheit erheben. Durch die von ihm vorgenommene Entkoppelung von Religion und ihrer Überlieferung richtet sich Lessing aber auch gegen die Einwände, die von Reimarus gegen ihre geschichtliche Überlieferung überhaupt vorgebracht werden. (vgl. ebd.) Stattdessen hebt er die Bedeutung der mündlichen Überlieferung hervor, der regula fidei, wie sie die frühen Kirchenväter nannten, "die weder auf der Bibel beruhte noch von der Bibel übermittelt wurde." (ebd, S.728)
Für Reimarus erklären sich die Unterschiede der Religionen durch Tradition und die religiöse Sozialisation. Dazu schreibt er: "Einem jeden ist seine Religion und Sekte, in der Kindheit, bloß als ein Vorurteil, durch unverstandene Gedächtnis-Formeln und eingejagte Furcht für Verdammnis, eingeprägt worden: und man hat in Glauben gemacht, er sei durch eine besondere göttliche Gnade durch seine Eltern in einer seligmachenden Religion geboren und erzogen. Das macht einen jeden geneigt zu seiner Sekte; und wenn es denn bei reiferen Jahren zur Untersuchung der Wahrheit kommt, so wird die Gelehrsamkeit und Vernunft selbst zu Werkzeugen gebraucht, dasjenige zu erweisen und zu rechtfertigen, was sie schon im voraus wünschten wahr zu finden." (Lessing, Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenannten, die Offenbarung betreffend, in: Lessing, Werke. Siebenter Band. Theologiekritische Schriften I und II, hrsgg. von H. Göpfert in Zusammenarbeit mit Karl Eibl u. a. 1976, S.332) 
Den historisch-kritischen Ansatz von Reimarus teilt Lessing, über dessen eigene Religiosität sich offenbar wenig Konkretes sagen lässt (Lessing als Theologe 2008, S.1). Für ihn steht jedenfalls fest, dass es "keine universelle, für alle verbindliche Wahrheit (gibt.)"(ebd., S.7) Was in Lessings theologischen Schriften und auch im "Nathan" durchscheint, ist kein Bekenntnis zu einer der drei Offenbarungsreligionen, aber "sein religiöses Bewusstsein", das "dem Glauben wie auch der Vernunft Spielraum bot und dass er den religiösen Glauben anderer achtete". (Nisbet 2008, S.799)
Wahrheit jedenfalls, das ist für Lessing unverzichtbar, ist kein Dogma, sondern ein Anspruch auf Wahrheit entsteht für ihn erst in der Selbstreflexion. (vgl. (Lessing als Theologe 2008, S.7) Lessing selbst hat dazu eine vielzitierte Überlegung angestellt, in der er die "enge Verbindung zwischen dem Glauben an das unablässige Streben nach Wahrheit und dem Optimismus der Aufklärung" (Nisbet 2008, S.721) nach einer weiteren sittlichen Vervollkommnung des Menschen in der Zukunft betont.

"Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist, oder zu seyn vermeynet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen macht den Werth des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worinn allein seine immer wieder wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz -
Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke, und sagte: Vater gieb! Die reine Wahrheit ist doch nur für dich allein!" (LM XIII, 23-24, zit. n. Nisbet 2008, S.720)

Und auf diese Weise wird eben auch "die Suche nach Wahrheit wertvoller, als ihr Besitz, denn die absolute Wahrheit hat [für Lessing, d. Verf.] immer nur Gott allein."  Solche Auffassungen, die folgerichtig auch "den 'Geist' der Religion vom 'Buchstaben' der heiligen Schrift" unterschieden, zielten auf das zentrale Konzept der lutherischen Theologie, wonach nur die heilige Schrift gilt und als Ganzes unfehlbar ist (=Sola scriptura), "um eine sichere Grundlage für den wahren christlichen Glauben zu bieten." (Lessing als Theologe 2008,, S.6) Die Bedeutung der Bibel als einzig verlässliches Fundament christlichen Glaubens hatte schon »Martin Luther (1483-1546) in seiner Auseinandersetzung mit der römisch-katholischen Kirche zur Speerspitze seiner Argumentation gemacht. Dabei setzte diese Absolutsetzung der Heiligen Schrift natürlich auch voraus, dass ihr Inhalt im Verlauf ihrer Überlieferungsgeschichte weder von den Aposteln noch von späteren Interpreten der Evangelien verändert worden war. Die Inhalte der Bibel musste demnach denen, die sie niederschrieben, von Gott direkt eingegeben worden sein. Diese Auffassung von der so genannten Verbalinspiration war zugleich das unverrückbare Grunddogma, an dem die Vertreter der lutherischen Orthodoxie festhielten. Was sie fürchteten, war eine fortschreitende Erosion des christlichen Glaubens, wenn ein dogmatischer Dominostein nach dem anderen der Vernunft zum Opfer fallen würde, selbst wenn von den unterschiedlichen Vertretern der Aufklärungstheologie der Glaube an Gott an nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden ist.
Auch Lessing bestreitet keineswegs die Bedeutung der Religion schlechthin und ist auch nie Atheist gewesen, wozu ihn einige abstempeln wollten (vgl. Daunicht 1977, S. 709). Stattdessen betont er sogar, "dass das Christentum da war, bevor Evangelisten und Apostel es aufzuschreiben begannen." (Benedict 2011) Indem Lessings Begriff von Wahrheit der Bibel damit vorgeordnet ist, steht er auch im Gegensatz zum Wahrheitsbegriff, den die Lutheraner damals vertraten. Für diese sind die Aussagen der Bibel und insbesondere die des Neuen Testaments als Lehren von Jesus Christus wahr. Daneben gibt es aber auch "Wahrheitskriterien, die unabhängig von einzelnen Inhalten sind. Für die lutherischen Christen gilt, dass die Wahrheit der Religion sich erst im subjektiven Vollzug, d. h. im Glauben, realisiert. [...] Die Lektüre der Bibel löst kraft übernatürlichen Beistands im Menschen eine seelische Bewegtheit aus, die als »Seligkeit« umschrieben wird. In ihr wird die Religion als >wahr< erfahren." (Fick 2010, S.415)  Dementsprechend kann sich die Wahrheit einer Religion auch nicht dadurch beweisen lassen, dass man die Art und Weise ihrer Überlieferung für wahr und damit unhinterfragbar erklärt. So steht denn auch für Lessing fest: "Die Religion ist nicht wahr, weil die Evangelisten und Apostel sie lehrten: sondern sie lehrten sie, weil sie wahr ist. Aus ihrer inneren Wahrheit müssen die schriftlichen Überlieferungen erklärt werden, und alle schriftlichen Überlieferungen können ihr keine Wahrheit geben, wenn sie keine hat." (Lessing, Werke in drei Bänden, München 2003, Bd. III, S.328, zit. n. Benedict 2011.) Was Lessing damit formuliert, ist seine Vorstellung von der, wie er es nennt, inneren Wahrheit der Religion, die "nach Lessing in allen positiven Religionen vorhanden und zugleich in der gesellschaftlich notwendigen natürlichen Religion (ist), ohne die kein Gemeinwesen bestehen kann." (Benedict 2011)  Auch wenn Lessing diese innere Wahrheit nicht genauer bestimmt (vgl. Fick 2010, S.420), ergänzt er das Konstrukt doch durch das Konzept der praktischen Liebe, das religiöse Menschen, insbesondere Christen, auszeichnen sollte. Ohne praktische Humanität, so seine Botschaft, kann Religion ihre ethische Kraft nicht beweisen. Eine apokryphe, also äußerst kurz gehaltene Anekdote "Das Testament Johannis", in der erzählt wird, "dass die Predigten des Evangelisten Johannes im Alter immer kürzer geworden seien" (Nisbet 2008, S.717), bringt für Lessing wohl am deutlichsten zum Ausdruck, was der christliche Glaube als gefühlte "innere Wahrheit" jenseits aller dogmatischen Argumentationen der Theologen bedeutet: "Kinderchen, liebt euch" ("Filioli, diligite alterutrum"), soll nämlich Johannes am Ende nur noch gepredigt haben. Auf die Frage seiner darüber wohl verblüfften Zuhörergemeinde, warum er das andauernd wiederhole, habe er der Überlieferung nach geantwortet: "Darum, weil der Herr es befohlen. Weil das allein, das allein, wenn es geschieht, hinlänglich genug ist." (zit. n. Nisbet 2008, S.717) Dieser geradezu "ideologiefreie, dafür praktisch moralische Kernsatz im Testament Johannis" (Lessing als Theologe 2008, S.7) dürfte auch den Kern von Lessings eigener Religionsauffassung darstellen, die den tieferen Grund des Glaubens im Inneren des Einzelnen sucht und damit von einer "Korrespondenz von Christentum und innerer Glaubensgewissheit" (Jung 2010, S.93) ausgeht, die sich auf die Formel bringen lässt: "Der Christ glaubt, weil er glauben muss. weil er innerlich - als fühlender Mensch - von der Wahrheit des Christentums überzeugt ist." (ebd.) Und nirgendwo hat er dann besser dargestellt, was Glaube als innere Wahrheit und praktische Liebe bedeutet, als an der Figur des Juden Nathan in seinem Drama "Nathan der Weise": an dessen Verarbeitung der in der Vorgeschichte des Dramas liegenden Ereignisse während des Judenpogroms in Gath, von denen er in seinem Gespräch mit dem Klosterbruder (IV,7) berichtet. (vgl. Benedict 2011)

Die Veröffentlichung der Fragmente durch Lessing ab 1777 war eine gezielte Provokation. Dabei wollte er mit dieser "Brandschrift" (Jung 2010, S.91) wohl weniger die lutherische Orthodoxie als die "Kompromisstheologie der Neologen" (Nisbet 2008, S.732), jener Verteidiger des Christentums, die im Geiste der Aufklärung die christliche Lehre mit rationalen Argumenten beweisen wollten, herausfordern, hinsichtlich der Offenbarung klar Farbe zu bekennen. (vgl. Nisbet 2008, S.714, vgl. Fick 2010, S.420) Dabei unterschied sich der Religionsbegriff der Neologen inhaltlich von dem der Deisten kaum, mit denen sie gemeinsam das Konzept der "natürlichen" Religion vertraten. Allerdings hielten sie am Offenbarungscharakter des Christentums fest, sahen in der Bibel aber ein historisches Dokument, in dem Vorstellungen und Geschichten enthalten sind, die für einen aufgeklärten Menschen nicht mehr nachvollziehbar sind. (vgl. Fick 2010, S.418f.) Ein Beispiel dafür, wie sich deistische von neologischen Auffassungen unterscheiden, ist von Monika Fick (2010, S.418ff.) an »Friedrich Wilhelm Jerusalems (1709-1789) Schrift "Beginn der Betrachtungen über die vornehmsten Antworten der Religion" sehr anschaulich ausgeführt. Jerusalem verlange darin von den Deisten die Anerkennung der in der Bibel enthaltenen "Offenbarung", weil ohne sie die Vernunft ins Schwanken geriete und schnell wieder jene Wahrheiten der natürlichen Religion preisgeben könne, die sie u. U. gerade erkannt habe. So bringt erst die Offenbarung, bzw. das, was die Vernunft als Offenbarung erkannt hat, den Menschen glaubensmäßig immer wieder in die Spur. Überlasse man nämlich die Vernunft sich selbst, würde sie am Ende nur das gelten lassen, was die Sinnlichkeit befriedige. So führt der Deismus, nach Ansicht der Neologen, "ohne den Glauben an eine Offenbarung zu Skeptizismus, Atheismus und Materialismus." (ebd., S.420) Was Lessing von den Neologen unterschied, hat Nisbet (2008, S.732) wie folgt herausgearbeitet: "Während Lessing glaubt, dass die Wahrheit - einschließlich der religiösen Wahrheit - immer unvollständig und ständig im Werden sei", glaubte z. B. »Johann Salomo Semler (1725-1791), "sie sei in örtlich und geschichtlich variablen Erscheinungsformen des Christentums unveränderlich."
Die zahlreichen Gegner, die Lessing gegen die Fragmente auf den Plan rief, kamen indessen nicht aus dem Lager der Neologen, von denen sich nur  »Johann Salomo Semler (1725-1791) gegen Ende des Streits zu Wort meldete, sondern mehr und mehr aus dem Lager des orthodoxen Luthertums, hinter denen sich »Semler und andere namhafte Aufklärungstheologen aus dem Neologenlager wie z. B. »Salomo Michaelis (1769-1844), »August Friedrich Wilhelm Sack (1703-1786) oder »Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709-1789) verschanzten. Wer sich dabei auf Kanzeln und an den Universitäten oder mit Gegenschriften hervortat - es sollen etwa 50 gewesen sein (ebd., S.714) - meldete sich oft mit sehr polemischen Gegenargumenten zu Wort. Die meisten Wortführer der Gegenseite im Fragmentenstreit waren Geistliche im aktiven Dienst, deren ökonomische Sicherheit durch die Teilhabe an einer solchen Debatte nicht gefährdet war. (vgl. ebd.
GoezeAls »Johann Melchior Goeze (1717-1786) (s. Abb. rechts), der lutherische Hauptpastor an der Katharinenkirche in Hamburg, in die zunächst vergleichsweise harmlos verlaufende Kontroverse eingriff, gewann die Kontroverse an Schärfe und zugleich die Publizität, die letzten Endes dazu führte, dass Lessing von seinem Landesherrn »Karl I (1713-1780) die Zensurfreiheit abgesprochen wurde, was einem Schreibverbot in theologischen Fragen gleichkam. Dass Lessing dies dann doch durch den Druck weiterer Schriften im deutschen "Ausland" umging und umgehen konnte, lag nicht zuletzt daran, dass das Schreibverbot offensichtlich gar nicht vom Herzog selbst, sondern von Mitgliedern des Geheimen Rats betrieben worden war. Zudem war der Herzog in dieser Zeit schon etwas kränklich und wohl mehr mit sich beschäftigt. Was aber wahrscheinlich den Ausschlag dafür gab, dass Lessing sich über das Verbot ohne große persönliche Risiken hinwegzusetzen wagte, war, dass der Erbprinz »Karl Wilhelm Ferdinand (1735-1806), der von Lessing einige Auszüge der Fragmente geliehen bekommen und wohl auch gelesen hatte, dieses Schreibverbot nicht für gutgeheißen hätte.
Goeze war ein typischer Vertreter des Konservatismus seiner Zeit, war aber wohl "weniger fanatisch, als oft behauptet worden ist." (Nisbet (2008, S.740), auch wenn er als bekannter Kirchenpublizist "in trockener Buchstabentreue an den überlieferten Glaubenssätzen festhielt." (Lichtherz o. J., S.119). Wie andere seiner Art auch agierte er vordergründig auf dem Gebiet der "Religionssachen", verteidigte aber in Wahrheit die landesherrliche Bevormundung auf allen Gebieten gegen die in Deutschland allerdings recht bescheidenen Erfolge der Aufklärung. Goeze, der in Hamburg, einer der Hochburgen lutherischer Orthodoxie und damit einem der Zentren der Aufklärungskritiker, ein angesehener, rundum gegen die Aufklärung eingestellter Kirchenpublizist war, zog in der Hansestadt als einer der Wortführer der lutherischen Stadtgeistlichkeit  gegen alles zu Felde, was sich der "reinen Lehre" in den Weg zu stellen wagte. Dass Goeze, der in Lessings Infragestellung religiöser Dogmen mit Recht vermutete, dass die ihr zugrundeliegende Forderung nach individueller Autonomie von der Kritik an religiösen Autoritäten auf die Kritik an den politischen Autoritäten führen würde (vgl. Nisbet 2008, S.734), versuchte daher auch im Falle der Auseinandersetzung mit Lessing die staatlichen Autoritäten gegen die Verbreitung solch ketzerischer Ansichten in Stellung zu bringen.
Was Goeze, der Lessing als Herausgeber der Fragmente mit einem politischen Revolutionär verglich (vgl. ebd., S.727) im Streit mit Lessing vertrat  - Lessing hat dazu seine elf Erwiderungen geschrieben (Anti-Goezes) - liest sich wie ein Kurzprogramm des Konservatismus: "Unermüdlich beklagt er die ständig zunehmende Publizität; er fürchtet um den Seelenfrieden der gläubigen Christen, obwohl es ihm in Wirklichkeit nur um das politische Wohlverhalten der Untertanen zu tun ist". (Barner u .a. 5. Aufl. 1987, S.287f.) Zudem machte sich Goeze mit seinen Diffamierungen führender Vertreter der deutschen Aufklärung wie »Johann Bernhard Basedow (1724-1790), »Karl Friedrich Abt (1740-1783), »Johann Salomo Semler (1725-1791) und »Karl Friedrich Bahrdt (1741-1792) einen Namen, die er öffentlich als Lügner und Scharlatane bezeichnete, weil sie die christliche Lehre mit den rationalistischen Prinzipien der Aufklärung verbunden hatten. (vgl. Barner u .a. 5. Aufl. 1987, S.287f.) Goezes durch und durch dogmatische Argumentation untermauerte die eigene Argumentation stets mit dem Autoritätsbeweis (sola scriptura), sprich autoritativen Zitaten, unterwirft aber alle anderen Argumentationen einer strengen Logik. Dass Goeze, historisch betrachtet, mit der Verteidigung des Schriftprinzips ein "Rückzugsgefecht" für diese zunehmend unhaltbar werdende Lehre führte (vgl. Nisbet 2008, S.733), sei hier nur am Rande erwähnt. Lessings Begriff von Wahrheit hat dagegen stets nur hypothetischen und damit vorläufigen Charakter und sie gilt eben nur so lange bis sie ggf. widerlegt wird. Lessings am naturwissenschaftlichen Denken orientierte Methode von Hypothesenbildung und kritischer Überprüfung, die auch bis dahin kaum hinterfragte Glaubensgrundsätze auf den Prüfstand von Denken und Vernunft stellte, forderte die Vertreter der orthodoxen Lehre heraus, die dabei die Mächtigen der Zeit auf ihrer Seite wussten. Wenn es für Lessing in Religionsfragen auf der Suche nach der Wahrheit nichts, aber auch gar nichts gab, dem man nicht widersprechen konnte oder durfte (vgl. ebd., S.307), dann enthielt dies, das wussten die Herrschenden, Sprengstoff, der auch die angeblich gottgewollte Ordnung in den absolutistischen Kleinstaaten in Deutschland über kurz oder lang in Frage stellen würde. Allerdings waren es weniger die religionsphilosophischen Positionen Lessings, von denen nach Ansicht der Herrschenden und der ihnen dienenden Gelehrtenwelt ernsthafte Gefahren ausgingen. Was Lessing oder auch Reimarus inhaltlich vorbrachten, "war in der theologischen Fachwelt keineswegs neu." (ebd., S.290) Dass er indessen seine Vorstellungen von einem "gelebten Christentum", "das der einzelne Gläubige unbeschwert von den historisch gewordenen, starren Normen eines theologischen Systems realisieren konnte, einem Christentum, das sich ohne gelehrte philosophische und theologische Konstruktionen auf den Satz »Kinderchen, liebt euch« (Das Testament Johannis; G VIII, S.17) reduzieren ließ" (ebd., S.302), einem vergleichsweise breiten Publikum zugänglich machte, brachte die orthodoxe Gelehrtenwelt und die Mächtigen gegen ihn auf. Wer wie Lessing die akademische Spielregel, solche Fragen nicht im Gelehrtenlatein, sondern in deutscher Sprache aufzuwerfen, missachtete, brüskierte damit nicht nur die Gelehrten, sondern signalisierte damit seinen Willen, herrschende Denkschablonen über Bord zu werfen. Und genau das spürte auch der Hamburger Hauptpastor Goeze, den Stil und äußere Form von Lessings Pamphleten, die "in schamloser, fast unsittlicher Weise die Normen des akademischen Disputationswesen (verletzten)", bis ins Mark erschütterten. Er und andere Kritiker Lessings verstanden es dabei, die Obrigkeit gegen Lessing zu mobilisieren, weil Lessings Weg zur Schaffung einer Öffentlichkeit eben auch die Grundfesten des absolutistischen Staates antastete, "der allenfalls eine beschränkte und kontrollierte Öffentlichkeit zuzulassen bereit war" (ebd., S.307). So stehen sich im sogenannten "Fragmentenstreit" eben "nicht nur zwei Denkweisen, sondern auch zwei politisch entgegengesetzte Positionen gegenüber" (ebd., S.308). Das alles in einer Zeit, in der der Unabhängigkeitskampf der amerikanischen Kolonien und die Gründung der amerikanischen Republik vor aller Augen vorführte, wohin es in Zukunft gehen konnte, wenn die Legitimität "gottgewollter" absolutistischer Herrschaftsverhältnisse auf den Prüfstein des Verstandes gestellt wurden. Lessing selbst hat sich zu diesen grundlegenden Fragen jedoch nicht direkt geäußert, so dass die Annahme nahe liegt, dass er, "ganz analog zu seiner Erkenntnistheorie, die die Erkenntnis im infiniten Prozess der Wahrheitssuche der Wahrheit zwar näher bringt, sie jedoch nicht erreicht" (ebd., S.308f.), wohl eher an eine evolutionäre, als eine revolutionäre Änderung der Verhältnisse geglaubt hat. Dennoch: Lessings Streit mit Goeze und damit auch mit der geistlichen und weltlichen Obrigkeit endete mit schon erwähnten Veröffentlichungsverbot weiterer Schriften gegen Goeze, das der braunschweigische Herzog am 13.7.1778 über Lessing verhängte, an das er sich allerdings nicht gehalten hat. Trotz Verbots ließ er weitere "Anti-Goeze" im Hamburgischen "Ausland" drucken. Dabei hatte er schon Pläne, einfach den Schauplatz zu wechseln: Statt Pamphleten gegen Goeze begann er sich mit einem Schauspiel zu befassen, dem "Nathan", von dem er glaubte, dass er »nach einigen kleinen Veränderungen des Plans, dem Feinde auf einer andern Seite damit in die Flanke fallen könne« (Brief vom 7.11.1778 an Karl Lessing) (zit. n. ebd., S.308f.) Auf diese Weise kommt das Nathan-Drama auch in den Ruf der 12. Anti-Goeze zu sein. Dabei sind es vor allem drei Analogien, die zu diesem Schluss führen können. Da ist die erstens die Analogie, die sich aus der konkreten Lage Lessings und Nathans ergibt: Beide stehen nämlich vor einer bedrohlichen Macht, die von ihnen Rechenschaft fordert. Zweitens verfolgen Lessing und Nathan die gleiche Strategie, "eine sprengende Wahrheit zu sagen" (Demetz 1984, S.195): "Nathan erzählt sein Märchen, Lessing präsentiert sein dramatisches Gedicht." Drittens schließlich beantworten beide die an sie gestellte Frage nicht auf die von den jeweiligen Fragestellern erwartete Art und Weise: "Goeze und Saladin denken an eine der positiven Religionen, wenn sie die Frage nach der wahren stellen, aber Nathan und Lessing heben sich über jede Offenbarungsreligion zu einer Religiosität, die nur ihnen gehört." (ebd., S195f.)
Doch statt damit auf die "innere Wahrheit der Religion" abzuheben, könnte der "Nathan" wie Mecklenburg (2008, S.233) zeigt, auch als Antwort auf die Judenfeindschaft von »Papst Pius VI. (1717-1799, Papst: 1775-1799) gelesen werden, der sich mit einem antisemitischen Judenedikt für den »KirchenstaatEditto sopra gli Ebrei, 1775), einen Namen machte. Lessing, der mit etlichen Juden seiner Zeit freundschaftlich verbunden war, hatte dessen Politik während seiner Italienreise 1775 kennen gelernt. Unter diesem Blickwinkel wird der "Nathan" zu einer "dezidiert antikatholischen Dichtung" (ebd., S.253, zit. n. Fick 2010, S.489)
Aber auch wenn Lessing damit einem gewissen "agitatorischen Impuls" folgend den Schauplatz der Auseinandersetzung wechselt, ist aus dem Nathan ganz im Gegensatz zu den Anti-Goezes kein satirisches Stück geworden, sondern ein rührendes Drama (vgl. Daunicht 1977, S. 708) Insofern ist es wichtig, den Nathan auch nicht als reines "Debattenstück zu lesen, in dem die verschiedenen Positionen beim Austausch der Argumente abgewogen werden, um auf dem Theater sozusagen der eigenen Sache einen Sieg zu gewähren, der in der Realität verwehrt gewesen ist." (Koebner 1987, S.139) Immerhin: Im Typus des dogmatischen Fanatikers hat Lessing Goeze im "Nathan" in der ins Groteske verzerrten Figur des christlichen Patriarchen von Jerusalem ein dramatisches Denkmal gesetzt. (vgl. ebd., S.199) Ihm wie allen anderen Dogmatikern sendet Lessing eine Botschaft, die Werner Jung (2010, S.95) in pointierter Form wie folgt zusammenfasst: "Lasst uns die ganze Geschichte des Christentums betrachten und darin auf die vorwärtsweisenden Elemente schauen, statt dogmatisch bloß historisch relative Aspekte zu setzen und als ewige Wahrheiten zu behaupten; dann wird man auch, so Lessings Überzeugung, die zugleich subjektive wie objektive äußere Wahrheit - also die fortschreitende Realisation der Vernunft in der Geschichte! - darin erkennen."

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 04.11.2020

 
    
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie die Motive und Positionen heraus, die im so genannten Fragmentenstreit eine Rolle gespielt haben.

  2. Visualisieren Sie Ihr Ergebnis in Form eines Mind Maps oder einer Concept Map.

 
 
 

 
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