•
Szenenschema
• Szenenüberblick 4. Akt
• Text: Vierter Akt
•
Gesamttext
/Recherche/Leseversion)
Vierter
Akt
Zweite
Szene
Galerie im
Schloss.
[4.2.1] Räuber Moor.
Amalia treten auf.
AMALIA. Und getrauten Sie sich
wohl, sein Bildnis unter diesen Gemälden zu erkennen?
MOOR. O ganz gewiss. Sein Bild
war immer lebendig in mir. (An den Gemälden herumgehend.) Dieser ists nicht.
AMALIA. Erraten! - Er war der
Stammvater des gräflichen Hauses und erhielt den Adel von Barbarossa, dem er
wider die Seeräuber diente.
MOOR (immer an den Gemälden).
Dieser ists auch nicht - auch Der nicht - auch nicht Jener dort - er ist nicht
unter ihnen.
AMALIA. Wie? Sehen Sie doch
besser! ich dachte, Sie kennten ihn -
MOOR. Ich kenne meinen Vater
nicht besser! Ihm fehlt der sanftmütige Zug um den Mund, der ihn aus Tausenden
kenntlich machte - er ists nicht.
AMALIA. Ich erstaune. Wie?
Achtzehn Jahre nicht gesehen, und noch -
MOOR (schnell mit einer
fliegenden Röte). Dieser ists! (Er steht wie vom Blitz gerührt.)
AMALIA. Ein vortrefflicher Mann!
MOOR (in seinem Anblick
versunken). Vater, Vater! vergib mir! - Ja, ein vortrefflicher Mann! - (Er
wischt sich die Augen.) Ein göttlicher Mann!
AMALIA. Sie scheinen viel Anteil
an ihm zu nehmen.
MOOR. Oh ein vortrefflicher Mann
- und er sollte dahin sein?
AMALIA. Dahin! wie unsere besten
Freuden dahin gehn - (Sanft seine Hand ergreifend.) Lieber Herr Graf, es reift
keine Seligkeit unter dem Monde.
MOOR. Sehr wahr, sehr wahr - und
sollten Sie schon diese traurige Erfahrung gemacht haben? Sie können nicht
dreiundzwanzig Jahre alt sein.
AMALIA. Und habe sie gemacht.
Alles lebt, um traurig wieder zu sterben. Wir interessieren und nur darum, wir
gewinnen nur darum, dass wir wieder mit Schmerzen verlieren.
MOOR. Sie verloren schon etwas?
AMALIA. Nichts! Alles! Nichts -
wollen wir weiter gehen, Herr Graf?
MOOR. So eilig? Wes ist dies Bild
rechter Hand dort? mich deucht, es ist eine unglückliche Physiognomie.
AMALIA. Dies Bild linker Hand ist
der Sohn des Grafen, der wirkliche Herr - Kommen Sie, kommen Sie!
MOOR. Aber dies Bild rechter
Hand?
AMALIA. Sie wollen nicht in den
Garten gehn?
MOOR. Aber dies Bild rechter
Hand? - Du weinst, Amalia?
AMALIA (schnell ab).
[4.2.2] MOOR. Sie liebt mich! sie liebt
mich! - Ihr ganzes Wesen fing an, sich zu empören, verräterisch rollten die
Tränen von ihren Wangen. Sie liebt mich! - Elender, das verdientest du um sie!
Steh' ich nicht hier wie ein Gerichteter vor dem tödlichen Block? Ist das der
Sofa, wo ich an ihrem Halse in Wonne schwamm? Sind das die väterlichen Säle?
(Ergriffen vom Anblick seines Vaters.) Du, du - Feuerflammen aus deinem Auge -
Fluch, Fluch, Verwerfung! - Wo bin ich? Nacht vor meinen Augen - Schrecknisse
Gottes - Ich, ich hab ihn getötet! (Er rennt davon.)
[4.2.3] FRANZ VON MOOR (in tiefen
Gedanken.) Weg mit diesem Bild! weg, feige Memme! Was zagst du, und vor wem?
ists mir nicht die wenigen Stunden, die der Graf in diesen Mauern wandelt, als
schlich' immer ein Spion der Hölle meinen Fersen nach - Ich sollt' ihn kennen!
Es ist so was Großes und Oft gesehenes in seinem wilden sonnenverbrannten
Gesicht, das mich beben macht - Auch Amalia ist nicht gleichgültig gegen ihn!
Lässt sie nicht so gierig schmachtende Blicke auf dem Kerl herumkreuzen, mit
denen sie doch gegen alle Welt sonst so geizig tut? Sah ichs nicht, wie sie ein
paar diebische Tränen in den Wein fallen ließ, den er hinter meinem Rücken so
hastig in sich schlürfte, als wenn er das Glas mit hineinziehen wollte? Ja, das
sah ich, durch den Spiegel sah ichs mit diesen meinen Augen. Holla, Franz! sieh
dich vor! dahinter steckt irgend ein verderbenschwangeres Ungeheuer! (Er
steht forschend dem Porträt Karls gegenüber.) Sein langer Gänsehals - seine
schwarzen, feuerwerfenden Augen, hm! hm! - sein finsteres überhangendes,
buschichtes Augenbraun. (Plötzlich zusammenfahrend.) - Schadenfrohe
Hölle! jagst du mir diese Ahnung ein? Es ist Karl! ja! jetzt werden mir
alle Züge wieder lebendig - Er ists! trutz seiner Larve! - Er ists - trutz
seiner Larve - Er ists - Tod und Verdammnis! (Auf und ab mit heftigen
Schritten.) hab ich darum meine Nächte verprasst, - darum Felsen
hinweggeräumt und Abgründe eben gemacht, - bin ich darum gegen alle Instinkte
der Menschheit rebellisch worden, dass mir zuletzt dieser unstete Landstreicher
durch meine künstlichsten Wirbel tölple - Sachte! nur sachte! - Es ist nur noch
Spielarbeit übrig - Bin ich doch ohnehin schon bis an die Ohren in Todsünden
gewatet, dass es Unsinn wäre, zurückzuschwimmen, wenn das Ufer schon so weit
hinten liegt - ans Umkehren ist doch nicht mehr zu gedenken - Die Gnade
selbst würde an den Bettelstab gebracht und die unendliche Erbarmung
bankrott werden, wenn sie für meine Schulden all gut sagen wollte - Also
vorwärts wie ein Mann - (Er schellt.) - Er versammle sich zu dem Geist
seines Vaters und komme! der Toten spott' ich. Daniel! he, Daniel! - Was giltst,
den haben sie auch schon gegen mich aufgewiegelt? Er sieht so geheimnisvoll.
[4.2.4] (Daniel
kommt.)
DANIEL. Was steht zu Befehl, mein
Gebieter?
FRANZ. Nichts. Fort, fülle diesen
Becher Wein, aber hurtig! (Daniel ab.) Wart, Alter! dich will ich fangen, ins
Auge will ich dich fassen, so starr, dass dein getroffenes Gewissen durch die
Larve erblassen soll! - Er soll sterben! Der ist ein Stümper, der sein Werk nur
auf die Hälfte bringt und dann weggeht und müßig zugafft, wie es weiter damit
werden wird. Daniel mit Wein.
FRANZ. Stell' ihn hieher! Sieh
mir fest ins Auge! Wie deine Knie schlottern! wie du zitterst! Gesteh, Alter,
was hast du getan?
DANIEL. Nichts, gnädiger Herr, so
wahr Gott lebt und meine arme Seele.
FRANZ. Trink diesen Wein aus! -
Was? du zauderst? - Heraus, schnell! Was hast du in den Wein geworfen?
DANIEL. Hilf Gott! Was? Ich - in
den Wein?
FRANZ. Gift hast du in den Wein
geworfen! Bist du nicht bleich wie Schnee? Gesteh, gesteh! Wer hat's dir
gegeben? Nicht wahr, der Graf, der Graf hat dirs gegeben?
DANIEL. Der Graf? Jesus Maria!
Der Graf hat mir nichts gegeben.
FRANZ (greift ihn hart an). Ich
will dich würgen, dass du blau wirst, eisgrauer Lügner du! Nichts? Und was
staket ihr denn so beisammen? Er und du und Amalia? Und was flüstertet ihr immer
zusammen? Heraus damit! Was für Geheimnisse, was für Geheimnisse hat er dir
anvertraut?
DANIEL. Das weiß der allwissende
Gott. Er hat mir keine Geheimnisse anvertraut.
FRANZ. Willst du es leugnen? Was
für Kabalen habt ihr angezettelt, mich aus dem Weg zu räumen? Nicht wahr? Mich
im Schlaf zu erdrosseln? Mir beim Bartscheren die Gurgel abzuschneiden? Mir im
Wein oder im Schokolade zu vergeben? Heraus, heraus! - oder mir in der Suppe den
ewigen Schlaf zu geben? Heraus damit! ich weiß alles.
DANIEL. So helfe mir Gott, wenn
ich in Not bin, wie ich Euch jetzt nichts anders sage, als die reine lautere
Wahrheit.
FRANZ. Diesmal will ich dir
verzeihen. Aber gelt, er steckte dir gewiss Geld in deinen Beutel? Er drückte
dir die Hand stärker, als der Brauch ist? so ungefähr, wie man sie seinen alten
Bekannten zu drücken pflegt?
DANIEL. Niemals, mein Gebieter.
FRANZ. Er sagte dir, zum Exempel,
dass er dich etwa schon kenne? - dass du ihn fast kennen solltest? Dass dir
einmal die Decke von den Augen fallen würde - dass - was? Davon sollt' er dir
niemals gesagt haben?
DANIEL. Nicht das Mindeste.
FRANZ. Dass gewisse Umstände ihn
abhielten - dass man oft Masken nehmen müsse, um seinen Feinden zuzukönnen -
dass er sich rächen wolle, aufs grimmigste rächen wolle?
DANIEL. Nicht einen Laut von
Diesem allem.
FRANZ. Was? Gar nichts? Besinne
dich recht. - dass er den alten Herrn sehr genau - besonders genau gekannt -
dass er ihn liebe - ungemein liebe - wie ein Sohn liebe -
DANIEL. Etwas dergleichen
erinnere ich mich von ihm gehört zu haben.
FRANZ (blass). Hat er, hat er
wirklich? Wie, so lass mich doch hören! Er sagte, er sei mein Bruder?
DANIEL (betroffen). Was, mein
Gebieter? - Nein, das sagte er nicht. Aber wie ihn das Fräulein in der Galerie
herumführte, ich putzte eben den Staub von den Rahmen der Gemälde ab, stand er
bei dem Porträt des seligen Herrn plötzlich still, wie vom Donner gerührt. Das
gnädige Fräulein deutete darauf hin und sagte: ein vortrefflicher Mann! Ja, ein
vortrefflicher Mann! gab er zur Antwort, indem er sich die Augen wischte.
FRANZ. Höre, Daniel! Du weißt,
ich bin immer ein gütiger Herr gegen dich gewesen, ich hab dir Nahrung und
Kleider gegeben und dein schwaches Alter in allen Geschäften geschonet -
DANIEL. Dafür lohn Euch der
liebe Herrgott! und ich hab Euch immer redlich gedienet.
FRANZ. Das wollt ich eben sagen.
Du hast mir in deinem Leben noch keine Widerrede gegeben, denn du weißt gar zu
wohl, dass du mir Gehorsam schuldig bist in allem, was ich dich heiße.
DANIEL. In allem von ganzem
Herzen, wenn es nicht wider Gott und mein Gewissen geht.
FRANZ. Possen, Possen! Schämst du
dich nicht? Ein alter Mann, und an das Weihnachtsmärchen zu glauben! Geh,
Daniel! das war ein dummer Gedanke. Ich bin ja Herr. Mich werden Gott und
Gewissen strafen, wenn es ja einen Gott und ein Gewissen gibt.
DANIEL (schlägt die Hände
zusammen). Barmherziger Himmel!
FRANZ. Bei deinem Gehorsam!
Verstehst du das Wort auch? Bei deinem Gehorsam befehl ich dir, morgen darf der
Graf nimmer unter den Lebendigen wandeln.
DANIEL. Hilf, heiliger Gott!
Weswegen?
FRANZ. Bei deinem blinden
Gehorsam! - und an dich werd ich mich halten.
DANIEL. An mich? Hilf, selige
Mutter Gottes! An mich? Was hab ich alter Mann denn Böses getan?
FRANZ. Hier ist nicht lang
Besinnszeit, dein Schicksal steht in meiner Hand. Willst du dein Leben im
tiefsten meiner Türme vollends ausschmachten, wo der Hunger dich zwingen wird,
deine eigenen Knochen abzunagen, und der brennende Durst, dein eigenes Wasser
wieder zu saufen? - Oder willst du lieber dein Brot essen in Frieden, und Ruhe
haben in deinem Alter?
DANIEL. Was, Herr? Fried und
Ruhe im Alter, und ein Totschläger?
FRANZ. Antwort auf meine Frage!
DANIEL. Meine grauen Haare, meine
grauen Haare!
FRANZ. Ja oder Nein!
DANIEL. Nein! - Gott erbarme sich
meiner!
FRANZ (im Begriff zu gehen). Gut,
du sollts nötig haben.
(Daniel hält ihn auf und fällt vor ihm nieder.)
DANIEL. Erbarmen, Herr! Erbarmen!
FRANZ. Ja oder Nein!
DANIEL. Gnädiger Herr, ich bin
heute einundsiebenzig Jahr alt, und hab Vater und Mutter geehret, und Niemand
meines Wissens um des Hellers Wert im Leben vervorteilt, und hab an meinem
Glauben gehalten treu und redlich, und hab in Eurem Hause gedient
vierundvierzig Jahr, und erwarte jetzt ein ruhig seliges Ende, ach, Herr, Herr!
(umfasst seine Knie heftig) und Ihr wollt mir den letzten Trost rauben im
Sterben, dass der Wurm des Gewissens mich um mein letztes Gebet bringe, dass ich
ein Gräuel vor Gott und Menschen schlafen gehen soll? Nein, nein, mein liebster
bester, liebster gnädiger Herr! Das wollt Ihr nicht, das könnt Ihr nicht wollen
von einem einundsiebenzigjährigen Manne.
FRANZ. Ja oder Nein! was soll das
Geplapper?
DANIEL. Ich will Euch von nun an
noch eifriger dienen, will meine dürren Sehnen in Eurem Dienst wie ein Taglöhner
abarbeiten, will früher aufstehen, will später mich niederlegen - ach, und will
Euch einschließen in mein Abend- und Morgengebet, und Gott wird das Gebet eines
alten Mannes nicht wegwerfen.
FRANZ. Gehorsam ist besser, denn
Opfer. Hast du je gehört, dass sich der Henker zierte, wenn er ein Urteil
vollstrecken sollte?
DANIEL. Ach ja wohl! aber eine
Unschuld erwürgen - einen -
FRANZ. Bin ich dir etwa
Rechenschaft schuldig? Darf das Beil den Henker fragen, warum dahin und nicht
dorthin? - Aber sieh, wie langmütig ich bin - ich biete dir eine Belohnung für
das, was du mir huldigtest.
DANIEL. Aber ich hoffte, ein
Christ bleiben zu dürfen, da ich Euch huldigte.
FRANZ. Keine Widerrede! Siehe,
ich gebe dir einen ganzen Tag noch Bedenkzeit! Überlege es nochmals. Glück und
Unglück - hörst du? verstehst du? das höchste Glück und das äußerste Unglück!
Ich will Wunder tun im Peinigen.
DANIEL (nach einigem Nachdenken).
Ich wills tun, morgen will ichs tun. (Ab.)
[4.2.5] FRANZ. Die Versuchung ist stark,
und der war wohl nicht zum Märtyrer seines Glaubens geboren. - Wohl bekomms
denn, Herr Graf! Allem Ansehen nach werden Sie morgen Abend Ihre Henkermahlzeit
halten! - Es kommt alles nur darauf an, wie man davon denkt, und Der ist ein
Narr, der wider seine Vorteile denkt. Den Vater, der vielleicht eine Bouteille
Wein weiter getrunken hat, kommt der Kitzel an - und draus wird ein Mensch, und
der Mensch war gewiss das Letzte, woran bei der ganzen Herkulesarbeit gedacht
wird. Nun kommt mich eben auch der Kitzel an - und dran krepiert ein Mensch, und
gewiss ist hier mehr Verstand und Absichten, als dort bei seinem Entstehen war -
Hängt nicht das Dasein der meisten Menschen mehrenteils an der Hitze eines
Juliusmittags, oder am anziehenden Anblick eines Betttuchs, oder an der
wagrechten Lage einer schlafenden Küchengrazie, oder an einem ausgelöschten
Licht? - Ist die Geburt des Menschen das Werk einer viehischen Anwandlung, eines Ungefährs, wer sollte wegen der
Verneinung seiner Geburt sich einkommen lassen,
an ein bedeutendes Etwas zu denken? Verflucht sei die Torheit unserer Ammen und
Wärterinnen, die unsere Phantasie mit schrecklichen Märchen verderben und
grässliche Bilder von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, dass
unwillkürliche Schauder die Glieder des Mannes noch in frostige Angst rütteln,
unsere kühnste Entschlossenheit sperren, unsere erwachende Vernunft an Ketten
abergläubischer Finsternis legen - Mord! wie eine ganze Hölle von Furien um das
Wort flattert - die Natur vergaß einen Mann mehr zu machen - die Nabelschnur ist
nicht unterbunden worden - der Vater hat in der Hochzeitnacht glatten Leib
bekommen - und die ganze Schattenspielerei ist verschwunden. Es war etwas und
wird nichts - heißt es nicht eben so viel, als: es war nichts und wird nichts,
und um nichts wird kein Wort mehr gewechselt - der Mensch entsteht aus Morast,
und watet eine Weile im Morast, und macht Morast, und gärt wieder zusammen in
Morast, bis er zuletzt an den Schuhsohlen seines Urenkels unflätig anklebt. Das
ist das Ende vom Lied - der morastige Zirkel de menschlichen Bestimmung, und
somit - glückliche Reise, Herr Bruder! Der milzsüchtige, podagrische Moralist
von einem Gewissen mag runzligte Weiber aus Bordellen jagen und alte Wucherer
auf dem Todesbett foltern - bei mir wird er nimmermehr Audienz bekommen. (Er
geht ab.)
•
Szenenschema
• Szenenüberblick 4. Akt
• Text: Vierter Akt
•
Gesamttext
/Recherche/Leseversion)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
14.11.2023