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Simplicissimus Teutsch (1668) - 2. Buch, 9. Kapitel

Ein überzwerches Lob einer schönen Dame

 Jakob Christoph (Christoffel) von Grimmelshausen (1622-1676)


FAChbereich Deutsch
Glossar
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»Jakob Christoph (Christoffel) von Grimmelshausen (1622-1676) kann mit der barocken Liebeslyrik und vor allem der erotischen galanten Lyrik nicht nur nichts anfangen, sondern für ihn "(sind) solche Formen des Anhimmelns irdischer Geliebter schlichtweg Götzendienst" (Willems Bd. I, 2012, S.234).
In dem nachfolgenden Kapitel hat er den ▪ petrarkistischen Schönheitspreis,
der "sich Körperteil für Körperteil vornimmt und deren Eigenheiten in exquisiten Vergleichen einkreist"  (ebd., S.235), mit Hilfe seiner erzählenden Hauptfigur parodiert, um diese für ihn zutiefst verabscheuungswürdigen Darbietungen »viehischer Begierden« satirisch zu kommentieren. Als der Einfältigste der Einfältigen, nichts anderes bedeutet sein Name Simplicissismus, soll er als Hofnarr am Hof zu Hanau die adelige Gesellschaft mit seiner Rede unterhalten. Als er als Kalb verkleidet die Stube betritt, wo sich die  adelige Gesellschaft aufhält, wird er mit der folgenden Aufforderung seines Herrn konfrontiert wird: "Lass hören / weist du auch eine Dam zu loben / sichs gebührt?" In einer zum Teil als Dialog gestalteten Erzählung versucht er sich in seiner Narrenrolle darin und bringt seine Zuhörer zum Lachen. Zugleich entgeht er dabei auch der ihm von seinem Herrn angedrohten Strafe, indem er diesen und seine Gesellschaft zufriedenstellt.

9. Kapitel
Ein überzwerches* Lob einer schönen Dame

Sobald ich ins Haus kam, mußte ich auch in die Stube, weil adelig Frauenzimmer bei meinem Herrn war, welches seinen neuen Narrn auch gern hätte sehen und hören mögen. Ich erschiene und stund da wie ein Stummer, dahero diejenige, so ich hiebevor beim Tanz erdappet hatte, Ursache nahm zu sagen, sie hätte ihr sagen lassen, dieses Kalb könne reden, so verspüre sie aber nunmehr, daß es nicht wahr sei. Ich antwortete: »So habe ich hingegen vermeinet, die Affen können nicht reden, höre aber wohl, daß dem auch nicht also sei.« – »Wie?« sagte mein Herr, »vermeinst du dann, diese Damen sein Affen?« Ich antwortete: »Seind sie es nicht, so werden sie es doch bald werden: wer weiß, wie es fällt; ich habe mich auch nicht versehen, ein Kalb zu werden und bins doch!« Mein Herr fragte, woran ich sehe, daß diese Affen werden sollen? Ich antwortete: »Unser Affe trägt seinen Hindern bloß, diese Damen aber allbereit ihre Brüste dann andere Mägdlein pflegten ja sonst solche zu bedecken.« – »Schlimmer Vogel,« sagte mein Herr, »du bist ein närrisch Kalb, und wie du bist, so redest du. Diese lassen billig sehen, was sehenswert ist; der Affe aber gehet aus Armut nackend. Geschwind bringe wieder ein, was du gesündiget hast, oder man wird dich karbäitschen1 und mit Hunden in Gänsstall hetzen, wie man Kälbern tut, die sich nicht zu schicken wissen. Laß hören, weißt du auch eine Dam zu loben und abzumalen, wie sichs gebührt?« Hierauf betrachtete ich die Dame von Füßen an bis oben aus und hinwieder von oben bis unten, sahe sie auch so steif und lieblich an, als hätte ich sie heuraten2 und noch einmal umfangen wollen. Endlich sagte ich: »Herr, ich sehe wohl, wo der Fehler steckt; der Diebsschneider ist an allem schuldig, er hat das Gewand, das oben um den Hals gehört und die Brüste bedecken sollte, unten an dem Rock stehen lassen; darum schleift er so weit hinten hernach; man sollte dem Hudler3 die Hände abhauen, wann er nicht besser schneidern kann. Jungfer,« sagte ich zu ihr selbst, »schafft ihn ab, wann er Euch nicht so verschänden soll, und sehet, daß Ihr meines Knäns4 Schneider bekommt, der hieß Meister Paulgen; er hat meiner Meuder5, unserer Ann und unserm Ursele so schöne gebrittelte6 Röcke machen können, die unten herum ganz eben gewesen sein; sie haben wohl nicht so im Dreck geschlappt wie Eurer. Ja Ihr glaubet nicht, wie er den fänzigen7 Huren so schöne Kleider machen können, darinnen sie geprangt wie Barthel.« Mein Herr fragte, ob dann meines Knäns Ann und Ursele schöner gewesen als diese Jungfer? »Ach wohl nein, Herr!« sagte ich, »diese Jungfer hat ja Haar, das ist so gelb wie kleiner Kinderdreck, und ihre Scheiteln sind so weiß und so gerad gemacht, als wann man Saubürsten8 auf die Haut gekappt hätte; ja ihre Haare sein so hübsch zusammengerollt, daß es siehet wie hohle Pfeifen, oder als wann sie auf jeder Seite ein paar Pfund Liechter oder ein Dutzent Bratwürste hangen hätte. Ach! sehet nur, wie hat sie so eine schöne glatte Stirn ist sie nicht feiner gewölbet als ein fetter Arsbacken9 und weißer als ein Totenkopf, der viel Jahr lang im Wetter gehangen? Immer schad ist es, daß ihre zarte Haut durch das Haarpulver so schlimm bemakelt wird; dann wann es Leute sehen, die es nicht verstehen, dörften sie wohl vermeinen, die Jungfer habe den Erbgrind10, der solche  Schuppen von sich werfe, welches noch größer Schade wäre vor die funklende Augen, die von Schwärze klärer zwitzern11 als der Ruß vor meines Knäns Ofenloch, welcher so schrecklich glänzete, wann unser Ann mit einem Strohwisch12 davorstund, die Stube zu heizen, als wann lauter Feur darin stecke, die ganze Welt anzuzünden. Ihre Backen sein so hübsch rotlecht13, doch nicht gar so rot, als neulich die neue Nestel14 waren, damit die schwäbische Fuhrleute von Ulmihre Lätz15 gezieret hatten. Aber die hohe Röte, die sie an den Lefzen16 hat, übertrifft solche Farbe weit und wann sie lachet oder redet (ich bitte, der Herr gebe nur Achtung darauf), so siehet man zwei Reihen Zähne in ihrem Maul17 stehen, so schön zeilweis und zuckerähnlich, als wann sie aus einem Stück von einer weißen Rübe geschnitzelt wären worden. O Wunderbild! ich glaube nicht, daß es einem wehe tut, wann du einen damit beißest. So ist ihr Hals ja schier so weiß als eine gestandene Saurmilch und ihre Brüstlein, die darunter liegen, sein von gleicher Farbe und ohn Zweifel so hart anzugreifen wie ein Gaiß18 Mämm19, die von übriger Milch strotzt. Sie seind wohl nicht so schlapp, wie die alte Weiber hatten, die mir neulich, da ich in den Himmel kam, den Hindern butzten20 , da ich in den Himmel kam. Ach Herr! sehet doch ihre Hände und Finger an, sie sind ja so subtil21, so lang, so gelenk, so geschmeidig und so geschicklich gemacht, natürlich wie die Zügeinerinnen22 neulich hatten, damit sie einem in Schubsack23 greifen, wann sie fischen24 wollen. Aber was soll dieses gegen ihrem ganzen Leib selbst zu rechnen sein, den ich zwar nicht bloß sehen kann. Ist er nicht so zart, schmal und anmutig, als wann sie acht ganzer Wochen die schnelle Katharina25 gehabt hätte?« Hierüber erhub sich ein solch Gelächter, daß man mich nicht mehr hören, noch ich mehr reden [106] konnte, gieng hiemit durch wie ein Holländer und ließ mich, solang mirs gefiel, von andern vexiern.26

 

Das 9. Kapitel, Nach dem Erstdruck von 1668, samt der ›Continuatio‹ von 1669 in: Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 105-107.
(Quelle: http://www.zeno.org/nid/20004912241, gemeinfrei)

Worterklärungen

* überzwerch: quer, verdreht, ungeschickt, unpassend, verdreht, verkehrt, durcheinander,

1 karbäitschen:

2 heuraten: heiraten

3 Hudler: umgangssprachlich hudeln = eine bestimmte Arbeit zu schnell und damit nicht sorgfältig genug erledigen; auch im Sinne von schlecht behandeln bzw. jdn. zurechtweisen; redensartlich bedeutet "nur nit hudle!" etwa nur langsam machen, nichts überstürzen

4 Knän: Vater

5 Meuder: Mutter

6 gebrittelte: gefaltete, in Falten fallende

7 fänzig: elegant, stolz, edel, kokett

8 Saubürsten: Schweineborsten

9 Arsbacken: Arschbacke, Hintern

10 Erbgrind: erbliche chronische Pilzerkrankung des Kopfhaares, das zu einer fest anhaftenden, gelblich-bräunliche Schuppenbildung führt

11 zwitzern: glitzern, schimmern; flimmern; auch: sich unruhig, zitternd hin und her bewegen

12 Strohwisch: Strohbesen

13 rotlecht: rötlich

14 Nestel: Band, Schnur zum Zubinden

15 Lätz: Latz, Hosenlatz als herunterklappbarer Hosenschlitz

16 Lefzen: Lippen, Mundwinkel

17 Maul: derb umgangsssprachlich für Mund

18 Gaiß: Geiß, weibliche Ziege

19 Mämm: Zitze, Euter (

20 butzten: den Hintern sauber machen, reinigen

21 subtil: hier etwa: fein gestaltet

22 Zügeinerinnen: Zigeunerinnen, alter, mittlerweile als rassistisch angesehener Begriff für Angehörige einer Volksgruppe (Sinti und Roma), die über weite Länder verstreut und meistens nicht sesshaft lebt; umgangssprachlich, im Allgemeinen als Abwertung für Menschen gebraucht, die obdachlos sind oder nicht sesshaft leben; die Volksgruppe wurde und wird auch immer wieder als Ganzes einer größeren Neigung zu kriminellen Taten bezichtigt, insbesondere des (Taschen-)Diebstahls, mit dem sie ihr Herumziehen ohne festen Broterwerb ("Zigeunerei") finanzierten; solche und ähnliche Vorurteile treffen diese Volksgruppe bis heute

23 Schubsack: Sack, in dem Verschiedenes hineinschieben kann;, weite Tasche in einem Kleidungsstück

24 fischen: herausfischen, h: im Sinne von unbemerkt bestehlen

25 schnelle Katharina: Form einer heftigen Durchfallerkrankung (schnelle katrine), die in ganz Deutschland weit verbreitet war

26 vexiern: zum besten halten, foppen, verspotten, sein Spiel mit jemandem treiben

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 03.09.2023

     
    
   Arbeitsanregungen
  1. Geben Sie den Inhalt des Kapitels in knappen Worten wieder.
  2. Arbeiten Sie das Verhältnis der dargestellten Figuren zueinander heraus.
  3. Weshalb reagiert die "feine" Adelsgesellschaft auf das "überzwerche" Frauenlob des Erzählers mit großem Gelächter? Unter welchen Bedingungen könnte dies anders sein?
  4. Untersuchen Sie die Sprache des Narren und zeigen Sie, mit welchen sprachlich-stilistischen Mitteln er sein Frauenlob gestaltet.
  5. Inwiefern handelt es sich bei dem "überzwerchen Lob" um eine Parodie der am petrakistischen Schönheitspreis orientierten Liebeslyrik des Barock?
  6. Vergleichen Sie die Darstellung mit einem petrarkistischen "Liebesgedicht" des Barock.
 
 
 

 
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