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Da war er wieder vor mir gestanden wie der
Leibhaftige persönlich, und gerade von den Toten auferstanden, Lazarus,
der arme Leprakranke, als ich schweißgebadet inmitten der Nacht den Weg
zur Toilette antrat (ältere Männer müssen eben öfters müssen, auch wenn
der ähnliche lautende Werbespruch für ein Prostatamittel, für das im
ZDF-Seniorenprogramm stets in den Pausen von Pilcher-, Lindström- oder
Fjorde-Sendungen, diesen nur halbwegs gelungenen Neuauflagen von
"Kotz-Malheur"-Soaps vergangener Tage, anderes weismachen will). Aber,
Moment! In einem Land, in dem der Islam inzwischen ja dazugehört (wie
hieß noch gleich der Bundespräsident, der obgleich er so Fundamentales
in die Mikrofone und von da in die Geschichtsbücher diktierte, mit
Schimpf und Schande in die Wüste geschickt wurde?), in einem Land also,
wo der Islam, aber bitte ohne Kopftuch und ohne Minarette, vielleicht am
besten sogar ohne den Islam selber, dazugehört, bedarf das mit Lazarus
natürlich einer Erklärung. Der Lazarus meiner Träume ist, auch wenn das
bibelfesten Theologen vielleicht fast Pusteln des Entsetzens auf die
Gesichtshaut setzt, immer der arme und der wiederauferweckte Lazarus.
Arm, weil er das furchtbare Schicksal eines Lepra-Kranken ertragen
musste, wiederauferweckt, weil ihn Jesus persönlich, Lazarus war so
etwas wie ein besonders guter Kumpel von ihm, von den Toten
wiederauferstehen ließ.
Wer sich keinen Reim auf die gruselige Szene
machen kann, die sich da abspielte, dem ist die Google-Bildsuche zu
empfehlen, um sich mit Jose Casado del Alisals Werk The
Resurrection of Lazarus einmal das Grausen auf den Bildschirm
zu zaubern, das entsteht, wenn jemand die Wiederauferstehung von den
Toten feiert. Arm jedenfalls war Lazarus aber auch deshalb, weil er,
manche behaupten, das sei ein ganz anderer Lazarus gewesen
(wahrscheinlich ist es eben so, wie bei Michael Jackson, der nach seinem
Tod mit dem Musik-Dokumentarfilm Michael Jackson’s This Is It zweifelsfrei
auch eine Art Wiederauferstehung feiern durfte, bei dem schließlich auch
keiner genau weiß, ob er nun Kinder missbraucht hat oder nicht, auch
wenn die Tochter meines besten Freundes immer genau das Gegenteil
behauptet). Nun hinkt ein Vergleich mit dem King of Pop, Gott hab ihn
selig, gewiss an der Stelle, wo es um die Armut des armen Lazarus geht,
was man ja von dem gebleichten Prinzen von Neverland nicht gerade sagen
kann. Aber die Legende vom armen Lazarus (das muss man an dieser Stelle
wissen) ist ja bekanntlich wegen gewisser Inkompatibilitäten der
Versionen, von den Evangelisten an zwei verschiedenen Stellen entzippt
worden, die vom bedauernswert armen, wiederauferweckten Lazarus im
Johannes-, die andere, die vom bettelarmen Lazarus, im Lukasevangelium,
was wiederum den Schluss nahelegt, das das reine Absicht gewesen ist.
Das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus, das uns Lukas
auftischt, führt den Gedanken schnell woanders hin, wenn einem die in
Tücher gewickelte, denkt man sich mal die ganze perfekte Inszenierung
seiner Wiederauferstehung weg, Lazarus-Gestalt eher wie Graf Dracula
vorkommt, den man schließlich schon öfter Mal zu Gesicht bekommen hat.
Da liegt der nun – nur der Mensch kann so graue Gedanken einfach durch
ein durchaus etwas plump daherkommendes Ablenkungsmanöver vertreiben –
der kranke und arme Lazarus vor der Villa des Reichen, die Geschichte
mit den Hunden, die an seinen Geschwüren lecken, blenden wir hier aus,
und es kommt, um es kurz machen, wie es kommen muss: Lazarus bleibt arm,
krank und hungrig und der Reiche, eben reich, gesund und satt. Wenn
nicht der Himmel, schließlich müssen beide einmal das Zeitliche segnen,
für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen würde. Während sich es Lazarus da
oben "in Abrahams Schoß" (?) gemütlich macht, muss der Reiche in der
Hölle schmoren, auf die "hot Pan", wie man andernorts sagt. Klar, dass
ihm das missfällt und er deshalb Abraham persönlich bittet, ihm doch mal
den Lazarus runterzuschicken, damit der, jetzt natürlich rein bildlich
gesprochen, die Wunden lecke. Aber Hallo, mag sich wohl
Abraham gedacht haben, als er den Reichen mit den Worten direkt
auflaufen ließ, er habe seinen Anteil am guten Leben bereits im
Diesseits verbraucht. Und was er da sagte, man glaubt es kaum, feiert
heute auf seine Weise wieder fröhliche Urstände. Mit dem einen
Unterschied. Jetzt sind wir alle hier oben im Norden die Reichen. Da
hilft es auch nicht, wenn wir denen da unten im Süden, sagen: Was
braucht ihr eigentlich Autos, eure Großväter sind doch schon ohne
ausgekommen, eure Väter auch, also wieso eigentlich ihr nicht? Denn
dann halten uns, die da unten nämlich ebenfalls das Großvaterprinzip
entgegen, von dem ich vor Jahren erstmals Dr. Dr. Rademacher in einem
Vortrag reden hörte: Eure Großväter haben euren Anteil an dieser Erde
und ihren Ressourcen schon aufgebraucht, eure Väter schon mehr als euch
zusteht, also ist es an der Zeit, dass ihr eure BMWs und Audis stehen
lasst und aufs Fahrrad umsteigt! Da ist er dann wieder, der
Lazarus. Wie ein Stehaufmännchen, wenn das mal so gesagt werden darf,
trommelt er stets die gleiche Botschaft: Lieber arm und krank als reich
und gesund.
hhttp://ichdiscours.wordpress.com/2012/03/21/lieber-arm-und-krank-als-reich-und-gesund//,
25.03.2012
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.01.2016
 Lieber arm und krank als reich und gesund von Gert Egle ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
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