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"Man kann sich das etwa so vorstellen, es ist so wie
im Kino, in dem man einen Stummfilm ansieht", höre ich noch Ossi Urchs
sagen, den ich unlängst einmal auf einem Kongress über die Zukunft des
Internets reden hörte. Man verstehe zwar, was da abliefe, wisse aber
doch auch immer genau, dass da etwas fehle. Nun kann ich zwar nicht ganz
bestätigen, was Ossi Urchs, das Internet-Urgestein der ersten Stunde
(mit seinen Rastalocken bis zum Hintern und seinem schon leicht
ergrauten Rauschebart sieht er aus wie eine Mischung aus Bob Marley und
Rumpelstilzchen) über das Wissen um die defizitäre Kinowirklichkeit
sagte, aber das tut eigentlich hier auch nichts zur Sache. Aber, soviel
zur Erklärung, als ich unlängst im Kino den Oscar prämierten Stummfilm
The Artist gesehen habe, fühlte ich mich jeden Augenblick von
einer solchen Menge von Eindrücken erfüllt, dass mir nicht im
entfernsten irgendetwas gefehlt hat – von einem Zug aus einer Zigarette
(man darf ja bekanntlich im Kino nicht rauchen) mal abgesehen. Aber,
wahrscheinlich ist Ossi Urchs nicht einmal Raucher. Worum es ihm ging,
hatte auch mit dem Rauchen insofern überhaupt nichts zu tun, bestenfalls
damit, wie man sich fühlt, wenn man irgendwo auf der Straße die Fluppe
schon im Mund hat, aber schon zum dritten Mal von einer Passantin das
hämisch grinsende “Ich rauche nicht” hören musste, wenn man sie in
seiner Not um Feuer gebeten hat. Da kommt dann schon mal der Wunsch nach
jener “Augmented Reality” auf, von der Ossi Urchs so anschaulich (auch
ein Mann wie er kommt dabei ohne eine Menge überflüssiger
PowerPoint-Folien nicht aus) mit seinem Stummfilmvergleich gesprochen
hatte. In so einer demütigenden Lage ergriffe man wahrscheinlich die
Möglichkeiten sofort beim Schopf, die einem die erweiterte Realität in
Zeiten des mobilen Internets bietet. Kurz das Smartphone gezückt, die
hochauflösende Kamera, ganz unauffällig natürlich, auf die nächstbeste
Passantin, besser noch auf eine gut aussehende Passantin ausgerichtet
(man kann in ihrer augmented reality gleich auch ein bisschen mehr
auschecken), schon liefert einem die Gesichts- oder Iriserkennung
schnell die gewünschten Daten, das Facebook-Profil mit Beziehungs- und
Nikotinstatus inklusive, wobei beides die Suche nach Feuer im Leben
erheblich erleichtern könnte. Dabei muss es, auch wenn es die Realität
wirklich als eine Art Stummfilm erscheinen ließe, gar nicht so weit
kommen, dass ein App auf dem Smartphone durch Frequenzmessungen (Frauen
senden ihre Worte bekanntlich, wenn sie einen Mann attraktiv finden, auf
einer höheren Frequenz) einem ohne jede Umschweife sagen kann, wie man
als Mann auf eine attraktive Blondine bei seiner Suche nach Feuer wirkt.
Andererseits, warum denn nicht, man kann sich schließlich nur mit den
Ohren des anderen hören, und Männer, das pfeifen die Spatzen von allen
Dächern, können ja schlecht (zu-)hören.
http://ichdiscours.wordpress.com/2012/03/18/ich-habe-ein-app-also-bin-ich-1/,
25.03.2012
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.01.2016
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