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 Abends
um 18 Uhr im Supermarkt. Eine Rentnerin steht an der Kasse und pfriemelt
in aller Gemütsruhe auch noch die letzten Cent-Münzen aus ihrer
Geldbörse, um die Rechnung auf Heller und Pfennig genau zu bezahlen.
Nicht selten dauert das so seine Zeit, wenn nicht wirklich, dann halt
gefühlt. Denn wer hinten ansteht, gerade aus dem Büro kommt, der
vollgestopften U-Bahn noch einmal heil entkommen, für den verrinnen
solche Minuten, meistens ist es nicht einmal eine ganze, wie Stunden.
Und mancher Fluch ist dabei schon rausgerutscht, über die Rentner, alte
Frauen vor allem, wegen ihrer Pennigfuchserei.
Aber nicht nur ältere Menschen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen,
und deshalb kleine Cent-Münzen stets zum Bezahlen nutzen, sorgen an den
Kassen nach Büroschluss für Ärger. Wer eine Kredit- oder Bankkarte
zückt, wird oft auch wenig gelitten. Aber: Plastikgeld atmet eben den
Duft der Moderne, die Pfennigfuchserei mit dem letzten Cent riecht
verdammt nach Altersheim und - Geiz. Um das zu vermeiden, wirft so
mancher moderne Zeitgenosse schon mal alles wirkliche Kleingeld, also
Münzen unter 10 Cent einfach weg, mit einer Gönnergeste wohlgemerkt, in
Sammelbüchsen für das Restgeld, die inzwischen unzählige
Supermarktkassen zieren. So wird das, was einem selbst nicht genug wert
ist, um es herumzutragen, irgendeinem gemeinnützigen Zweck zugeführt.
„Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“ – diese alte
Redensart aus fernen Tagen ist, so gesehen, schon seit einiger Zeit eine
Lachnummer.
Dem Eurocent geht es da wohl nicht anders wie dem DMark-Pfennig. Zu
Hause gesammelt in Blechdosen und leeren 5l-Schnaps-, Wein- oder
Champagnerflaschen geben die Münzen am Ende eines Lebens Auskunft über
das Ausmaß des Zusammentreffens von Kleingeld und seinen Sammlern. Wenn
sie schon sonst nichts wert sind. Und die Erben: Sie überlegen
wahrscheinlich nur noch, ob der Metallwert inzwischen weit höher ist als
der Wert der Abertausenden von kleinen Kupfermünzen, die langsam aber
sicher Grünspan angesetzt haben.
Machen wir uns nichts vor: Es wird soweit kommen, dass Geld wirklich
wieder zu dem wird, was es eigentlich schon immer war: Eine Illusion.
Eine Illusion, die wir alle glauben, wenn wir jemanden im Austausch
gegen eine bestimmte Ware ein paar runde Metallstücke oder ein paar
bedruckte Papierfetzen in die Hand drücken. Da lohnt es sich auch nicht
wie in alten Western immer wieder gerne gezeigt, auf den Euro wie auf
den Golddollar zu beißen, um mit Hilfe der eigenen Zähne den Wert des „buck“
zu testen. Da beißt man sich eher die Zähne aus.
Eine Revolution steht uns mit dem so genannten Mobile Payment ins Haus,
die im Übrigen auch dazu führen wird, dass Jung und Alt immer weniger
miteinander teilen können. So wird das Ziel der Shared Culture gründlich
verfehlt. Denn, wie erklärt man einem Kind die Faszination und den
inneren Aufschrei gegen die soziale Ungleichheit in unserer
Gesellschaft, wenn man ihm das tägliche Bad vonDagobert Duck in seinem
mit Gold gefüllten Geldspeicher vorenthält, weil es gar nicht mehr
verstehen kann, worum es dabei geht? Und nicht nur Dagobert bleibt dann
auf der Strecke, sondern auch die Panzerknackerbande. Denn wer ein Handy
knackt oder sich in einen mobilen Bezahlvorgang einhackt, hat gewöhnlich
kein Gesicht. Und die Geschichte vom legendären Postraub in den
Sechzigern, bei dem die „Gentlemen“ säckeweise Geldscheine
abtransportierten, wird unseren Jüngsten kaum noch zu vermitteln sein.
Und jeder Krimi mit den Herren in feinem Zwirn, die mit Kettenschloss
gesicherte Lederkoffer voll bedruckten Papiers davonschleppen, wird
Erklärungsbedarf haben, von Peter Grafs Vorliebe für Plastiktüten voller
Scheine ganz zu schweigen!
Im Übrigen soll es sogar Leute geben, die ihr bares Geld – wer will es
ihnen wirklich verdenken - nicht einmal Banken anvertrauen wollen. Und
zahlreiche Sparer, die schon als Kinder am Weltspartag mit ihren
Sparschweinen zum Schlachttag in die nächstliegende Bank gelockt worden
sind, mussten später erleben, dass das, was sie dort oft in barer Münze
abgegeben haben, sich in den Händen der Zocker in den Banken
buchstäblich in Luft aufgelöst hat. Und so wundert es denn auch nicht,
dass der gute alte Sparstrumpf fröhliche Urstände feiert und wieder
unter Hi-Tec-Matratzen verschwindet oder wasserdicht im Wasserbett
gebunkert wird.
Aber auch bestimmte Zeitgenossen geraten durch die Entwicklung zum
Mobile Payment kurzerhand auf die Liste der gefährdeten Arten, auch wenn
man für deren Gebaren nicht unbedingt eine Lanze brechen sollte. Der
Zuhälter, der Playboy, der A- oder B-Promi, der sich hin und wieder mal
gerne mit einem Bündel frisch gedruckter Scheine zeigt, um seine Potenz
zu demonstrieren, wird in jedem Fall umdenken müssen. Und das Pokern mit
Scheinen in der Mitte des Tisches? Ende. Die Machogeste, der Stripperin
einen Fuffi in den Tanga oder BH zu stecken? Aus und vorbei. Vielleicht
kann man dann ja ihren eintätowierten QR-Code einscannen, ihr damit ein
paar Euro zustecken, und sie erfährt gleich auch noch Name und Adresse
des big spenders? Lassen wir das, nicht auszudenken, was, wenn die
Anonymität des Bezahlens einmal gänzlich aufgehoben sein wird, in
deutschen Musterehen los sein wird!
Ein Mann wie Peter Graf, Vater und zeitweise Manager unserer
vergötterten Steffi, Gott hab ihn selig, der auf Tennisturnieren schon
einmal ein paar Plastiktüten voller Scheine an der Steuer vorbei
schleppte? Undenkbar und für seinen Bruder im Geist bei den Münchner
Bayern wahrlich kein Vorbild.
Komme es, wie es wolle. Ein wenig Wehmut bleibt: Ribbling nannten wir
Kinder der Fünfziger Jahre das Spiel: Man warf im Wettstreit mit anderen
Pfennig-Stücke, vielleicht auch mal ein „Zehnerle“, gegen eine ein paar
Schritte entfernte Wand. Wer daran am nächsten landete, gewann in der
Spielrunde alles. Was heraussprang, war vielleicht ein „Zwanziger-Eis“.
Wer will, kann dies ja mal mit seinem Smartphone spielen, das mit Mobile
Payment-Funktionen, unserer Lebenswelt immer mehr auf die Pelle rücken
wird.
http://ichdiscours.wordpress.com/2014/01/21/abschied-von-der-pfennigfuchserei/,
21.01.2014
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.01.2016
 Abschied von der Pfennigfuchserei von Gert Egle ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
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