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"Vaterland - Freiheit - ja! ein freies deutsches Vaterland"
Rede von »Philipp Jakob Siebenpfeiffer
(1789-1845) auf dem Hambacher Fest (1832)
(Auszüge)
Vaterland - Freiheit - ja! ein freies deutsches Vaterland - dies
der Sinn des heutigen Festes, dies die Worte, deren Donnerschall durch
alle deutschen Gemarken drang, den Verrätern der deutschen Nationalsache
die Knochen erschütternd, die Patrioten aber anfeuernd und stählend zur
Ausdauer [...] »im Kampf zur Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt«,
[...]
Wir widmen unser Leben der Wissenschaft und der Kunst [...]: aber die
Regungen der Vaterlandsliebe sind uns unbekannt, die Erforschung dessen,
was dem Vaterlande Not tut, ist Hochverrat, selbst der leise Wunsch,
nur erst wieder ein Vaterland, eine frei-menschliche Heimat zu erstreben,
ist Verbrechen.
[...]
Tausend Dörfer und Städte sehn wir schimmernd sich ausbreiten, von
Bewohnern wimmelnd [...]; aber ein höheres Band, sie zu sittlicher Einheit
verknüpfend, einen Gedanken, sie emporrichtend zum himmlischen Vater, der
sie erschaffen zur Freiheit, zur Menschenwürde: jenes heilige Feuer, das
in unserm Haupte den Lichtstrahl entzündet, und unsere Brust zum rettenden
Entschlusse der Aufopferung für die Gesamtheit erwärmt. [...] - das
suchst du vergebens. [...]
Und es wird kommen der Tag, [...] wo der Deutsche vom Alpengebirg und der
Nordsee, vom Rhein, der Donau und Elbe den Bruder im Bruder umarmt, wo die
Zollstöcke und die Schlagbäume, wo alle Hoheitszeichen der Trennung und
Hemmung und Bedrückung verschwinden, samt den Konstitutiönchen, die man
etlichen mürrischen Kindern der großen Familie als Spielzeug verlieh; wo
freie Straßen und freie Ströme den freien Umschwung aller Nationalkräfte
und Gäste bezeugen; wo die Fürsten die bunten Hermeline feudalistischer
Gottstatthalterschaft mit der männlichen Toga deutscher Nationalwürde
vertauschen, und der Beamte, der Krieger, statt mit der Bedientenjacke des
Herrn und Meisters, mit der Volksbinde sich schmückt; wo nicht 34 Städte
und Städtlein, von 34 Höfen das Almosen empfangend, um den Preis
hündischer Unterwerfung, sondern wo alle Städte, frei emporblühend aus
eigenem Saft, um den Preis patriotischer Besinnung, patriotischer Tat
ringen; wo jeder Stamm, im Innern frei und selbstständig, zu bürgerlicher
Freiheit sich entwickelt, und ein starkes selbstgewobenes Bruderband alle
umschließt zu politischer Einheit und Kraft; wo die deutsche Flagge, statt
Tribut an Barbaren zu bringen, die Erzeugnisse unseres Gewerbfleißes in
fremde Weltteile geleitet, und nicht mehr unschuldige Patrioten für das
Henkerbeil auffängt, sondern allen freien Völkern den Bruderkuss bringt. Es
wird kommen der Tag, wo deutsche Knaben [...] und die Jünglinge [...]
durch lebendigen Nationalunterricht und würdige Leibesübung sich zu
deutschen Männern heranbilden und zu jenem Vaterlandssinn sich stählen,
von dem alle politische Tugend, alle Großtat ausströmt; wo das deutsche
Weib, nicht mehr die dienstpflichtige Magd des herrschenden Mannes,
sondern die freie Genossin des freien Bürgers, unsern Söhnen und Töchtern
schon als stammelnden Säuglingen die Freiheit einflößt, und im Samen des
erziehenden Wortes den Sinn ächten Bürgertums nährt; und wo die deutsche
Jungfrau den Jüngling als den würdigsten erkennt, der am reinsten für das
Vaterland erglüht; wo abschüttelnd das Joch des Gewissens, der Priester
Trug und den eigenen Irrwahn, der Deutsche zu seinem Schöpfer die
unverfälschte Sprache des Kindes zum Vater redet wo der Bürger nicht in
höriger Untertänigkeit den Launen des Herrschers und seiner knechtischen
Diener, sondern dem Gesetze gehorcht, und auf den Tafeln des Gesetzes den
eigenen Willen liest, und im Richter den frei erwählten Mann seines
Vertrauens erblickt; wo die Wissenschaft das Nationalleben befruchtet und
die würdige Kunst als dessen Blüte glänzt.
[...]
Wir selbst wollen, wir selbst müssen vollenden das Werk, und, ich ahne,
bald, bald muss es geschehen, soll die deutsche, soll die europäische
Freiheit nicht erdrosselt werden von den Mörderhänden der Aristokraten.
[...] ihr deutsche Männer! o lasset auch uns aller Spaltungen vergessen,
alle Marken und Abscheidungen beseitigen; lasset uns nur eine Farbe
tragen, damit sie uns stündlich erinnere, was wir sollen und wollen, die
Farbe des deutschen Vaterlands; auf ein Gesetz nur lasset im Geist uns
schwören, auf das heilige Gesetz deutscher Freiheit; auf ein Ziel nur
lasset uns blicken, auf das leuchtende Ziel deutscher Nationaleinheit,
deutscher Größe, deutscher Macht: und wenn einst alle deutschen Männer
dieser eine Gedanke voll und lebendig durchdringt, dann [...] wird in
strahlendster Gestalt sich erheben, wonach wir Alle ringen und wozu wir
heute den Grundstein legen - ein freies deutsches Vaterland.
Es lebe das freie, das einige Deutschland!
Hoch leben die Polen, der Deutschen Verbündete! Hoch leben die Franken,
der Deutschen Brüder, die unsre Nationalität und Selbstständigkeit achten!
Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht
und mit uns den Bund der Freiheit schwört!
Vaterland - Volkshoheit - Völkerbund hoch!
(aus: Johann Georg August Wirth, Das Nationalfest der Deutschen in
Hambach, Neustadt 1832 (Neudruck 1981), S. 31 ff.)
Biographische Autornotiz:
»Philipp Jakob Siebenpfeiffer
(1789-1845), Jurist, politischer Journalist
und Publizist des (politischen) Vormärz (= Sammelbezeichnung für die Zeit
zwischen Wiener Kongress 1815 und der Märzrevolution 1848); geb. als Sohn
eines Schneiders im badischen Lahr (Schwarzwald); mit zehn Jahren
Vollwaise wird er von Verwandten erzogen; fünfzehnjährig Aufnahme einer
Schreibertätigkeit beim Oberamt in Lahr, 1808 nach Versetzung nach
Freiburg im Breisgau dort von 1809 an Jurastudium; Freundschaft mit Carl
Wenzeslaus von Rotteck; 1813 Promotion; 1814 Freiwilliger in den
Befreiungskriegen gegen Napoleon und Ende des gleichen Jahres Heirat mit
Emilie von Weisseneck, einer Tochter seines Doktorvaters (gemeinsame
Tochter: Cornelia); ab 1818 königlich-bayerischer Landcommissär in
Homburg, das in der zum bayerischen Königreich zählenden Pfalz
(Rheinbayern) liegt; dort zuständig für die Verwaltung von zahlreichen
Gemeinden; nach der Julirevolution in Frankreich im Jahre 1830 verstärkte
journalistische und publizistische Tätigkeit, mit der seine wachsende
Kritik an den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse
artikuliert; Gründung der Zeitschrift „Rheinbayern“, um deren Stimme
herum, sich die liberale Öffentlichkeit und Bewegung formiert; wegen
seiner politischen Ansichten ohne Bezüge aus dem Staatsdienst entlassen;
ab 1831 Herausgabe der Tageszeitung „Der Bote aus Westen“, die, in einer
eigenen Druckerei in Oggersheim produziert, zu einem bedeutenden
Sprachrohr der liberalen Bewegung wird; 1832 Mitgründer des gegen die
Pressezensur gerichteten Deutschen Preß- und Vaterlandsvereins (dabei u.
a. auch:
Johann Georg August Wirth);
veröffentlicht in seinen Pressorganen den Aufruf zum Hambacher Fest, das
er gemeinsam mit Wirth organisiert; einer der Hauptredner des Hambacher
Festes; wird deswegen mit Wirth und elf weiteren Wortführern des
Pressvereins verhaftet und in einem Hochverratsprozess in der Festung
Landau vor Gericht gestellt; dank der pfälzischen
Geschworenengerichtsbarkeit kommt es allerdings zu einem sensationell
wirkenden Freispruch der Angeklagten; 1833 allerdings in einem weiteren
Prozess zusammen mit Wirth wegen Beleidigung inländischer und
ausländischer Behörden vor dem Zuchtpolizeigericht, bei dem keine
Geschworenen mitwirken konnten, zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe
verurteilt; kann mit Hilfe von Freunden Mitte November 1833 aus der Haft
über das Elsass in die Schweiz fliehen; dort erhält er an der Universität
von Bern eine außerordentliche Professur für Straf- und Staatsrecht; nach
Ausbruch einer psychischen Erkrankung 1841 die letzten Jahre bis zu seinem
Tode in der Heil- und Pflegeanstalt von Bümpliz; Tod am 14. 05. 1845 im
Alter von 55 Jahren;
Zur Erinnerung an Siebenpfeiffer 1989 Gründung der Siebenpfeiffer-Stiftung
(www.siebenpfeiffer-stiftung.de
), zu der die Landkreise Saarpfalz-Kreis und Bad Dürkheim, die Städte
Homburg, Zweibrücken und Rastatt sowie die Landesverbände des Deutschen
Journalistenverbandes (DJV) des Saarlands, von Rheinland-Pfalz,
Baden-Württemberg und Thüringen angehören; seit 1987 alle zwei bis drei
Jahre Verleihung des »Siebenpfeiffer-Preises
an Journalisten, „die durch Veröffentlichungen in Presse, Rundfunk und
Fernsehen das demokratische Bewusstsein in unserer Zeit fördern.“ (Siebenpfeiffer-Stiftung);
bisherige Preisträger u. a.: Franz Alt (1987), Ralf Giordano (1994),
Carola Stern (1997), Heribert Prantl (1999), Peter Scholl-Latour (2003)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.10.2023