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Am Jahreswechsel (1932/33) vor der Machtübernahme
durch die Nationalsozialisten geben verschiedene Quellen Einblick in die
Einschätzung der politischen Lage durch verschiedene gesellschaftliche
Kräfte:
Q 1
Leopold Schwarzschild, Herausgeber des Intellektuellen-Magazins »Das
Tagebuch«:
»Je näher die Möglichkeit einer nochmaligen Reichstagswahl rückt,
umso interessanter und wichtiger wird die Frage, was nun eigentlich mit
den Millionen neuerdings abfallender Hitler-Wähler werden soll. (…)
Landläufig ist die Meinung, dass ein großer Teil der Hitler-Schmelze ins
Reservoir der Kommunisten abströmen werde. Das ist sicher ein Irrtum. Aus
den Ziffern der letzten Wahlgänge, die immer wieder ziemlich
gleichbleibende Ergebnisse für Sozialdemokraten plus Kommunisten
brachten, sollte endlich doch die Gewissheit entnommen worden sein, dass
das proletarische Element niemals eine große Rolle im Anhang der
Nationalsozialisten gespielt hat. Für den Übergang vom Haken-kreuz zum
Sowjetstern kommen in der Hauptsache aber doch wohl nur proletarische
Elemente in Betracht. (…) Darüber sollte sich die kommunistische
Führung selbst im klaren sein und trotz aller areligiösen Überzeugungen
den lieben Gott Tag und Nacht anflehen, sie nicht allzu sehr zu segnen,
besonders nicht mit allzu viel Abfall aus der Hitler-Küche.«
Das Tagebuch, München, 7. 1. 1933
Q 2
Carl von Ossietzky, Schriftleiter der linksintellektuellen »Weltbühne«:
»Am Anfang des Jahres zweiunddreißig stand die Nazidiktatur vor der
Tür, war die Luft voll Blutgeruch ... An seinem Ende wird die
Hitler-Partei von einer heftigen Krise geschüttelt, sind die langen
Messer still ins Futteral zurückgesteckt und öffentlich sichtbar nur die
langen Ohren des Führers. Die deutsche Entwicklung geht nicht glatt, aber
rapid.«
Die Weltbühne, Berlin, 3. 1. 1933
Q 3
Die der katholischen Zentrumspartei nahestehende »Kölnische
Volkszeitung«:
»Allerdings hat das deutsche Volk auch Anlass, einem Höheren dankbar
zu sein, der ihm weiterhin den Mann erhalten hat, der als wiedererwählter
Reichspräsident den auseinanderstrebenden Kräften gegenüber in sich
eine bereits geschichtlich gewordene Autorität verkörpert, wie sie kein
zweiter Deutscher besitzt. Die Wiederwahl Hindenburgs war das Ereignis,
das sich als ein gewaltiger Akt innerer Selbstbehauptung des deutschen
Volkes über den wilden Strudeln des Jahres 1932 erhebt!
Kölnische Volkszeitung, S. 1. 1933
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