Der
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Suizid der 13-jährigen Hope Witsell im Jahr 2009 in Florida/USA hat
weltweit für Schlagzeilen gesorgt und das Thema Sexting und seine Folgen
in die öffentliche Diskussion gebracht. Doch so sehr es in einem solchen
Fall immer primär um das Opfer gehen muss, so wichtig ist es doch auch
einen Blick auf die Motive für ein Verhalten zu lenken, das Jugendliche
immer wieder dazuführt, freizügige Fotos von sich übers Handy oder in
sozialen Netzwerken preiszugeben. Dabei unterschätzen sie, auch wenn
viele offenbar die Risiken sehr bewusst eingehen (vgl.
Calvert, Clay
2009. Sex, Cell Phones, Privacy, and The First Amendment, S.4),
welche Folgen das haben kann.
Als ´"riskantes Mediennutzungsverhalten" (Döring
2012)
kann es, insbesondere unter Jugendlichen, aber bei weitem nicht
allein unter dieser Altersgruppe, zu
Mobbing und
Cybermobbing führen. Dies geschieht, wenn Fotos, die eigentlich
nur für einen Partner oder eine Partnerin gedacht waren, mit dem
bzw. mit der man eine Liebes- bzw. Partnerbeziehung unterhält oder
unterhalten hat, per Handy-Versand oder übers Internet an eine dafür
nicht vorgesehene Öffentlichkeit gelangen. Die Anlässe für ein
solches Verhalten sind meist in Konfliktsituationen des Alltags
begründet, wenn ein Paar sich z. B. trennt und einer der beiden
Partner sich auf diese Weise am anderen rächen will. Aber damit
Sexting schließlich in handfestes
Cybermobbing oder
Mobbing übergeht, müssen eben auch noch einige andere mitmachen,
die z. B. auch bei der Verbreitung entsprechender Fotos mitbeteiligt
sind.
Um das
Problem Sexting in seiner Vielschichtigkeit begreifen zu können, muss
man aber auch verstehen, dass auch die Mädchen beim Sexting häufig nicht
nur passive Opfer sind, sondern auch aktiv die Selbstsexualisierung
befördern. In einem solchen Fall werden die Aufnahmen unter Umständen
schon mit der Absicht gemacht, intime Bilder von sich zu veröffentlichen
und auf diese Weise Anerkennung zu erlangen.
Sexting bewegt sich zwischen den Polen einer selbstbestimmten
Sexualität und der Instrumentalisierung für andere Zwecke.
Calvert (2009,
S,14) plädiert daher auch klar gegen eine Kriminalisierung von Sexting
und sieht darin bei Jugendlichen eine Form ihrer sexuellen
Selbsterfahrung. Wenn man auf der einen Seite betone, dass das
Internet alternative Weg zur Identitätsbildung möglich mache, die
mit Prozessen im "wirklichen Leben" vergleichbar sind, dann
sei es
geradezu selbstverständlich, dass sie zur Herausbildung ihrer
sexuellen Identität auch Handys und Sexting-Fotos verwenden. (S.14)
Wird Sexting also, wie auch bei Nicola Döring
(2012, S.49), "hauptsächlich als wechselseitiger intimer
Austausch im Rahmen von Liebesbeziehungen" verstanden, dann
"(fungieren) die erotischen Fotos (...) als symbolische
Geschenke. Sie dienen dazu, Nähe herzustellen, wenn man getrennt
ist. Sie bekräftigen Liebe und Vertrauen, gerade weil sie
prinzipiell missbraucht werden können. Zudem sind sie ein Weg, um
Sexualität zu teilen und zu erproben, wobei es medial manchmal
leichter fällt, die eigenen Schüchternheit zu überwinden."
So empört sich Döring
2012, S.52) vor allem über die in unserer Gesellschaft immer
noch vorhandene "Doppelmoral", auf deren Grundlage männliche und
weibliche Sexter/-innen, deren Fotos an die Öffentlichkeit gelangt
sind, "ausgegrenzt und gemobbt werden":
"Nicht die Tatsache, dass eine Jugendliche es wagt, ihrem Freund,
mit dem sie ohnehin eine sexuelle Intimität teilt, ein
Oben-ohne-Bild zu schicken, sollte uns schockieren, sondern dass
auch im 21. Jahrhundert Mädchen (nicht jedoch Jungen) sozial hart
dafür bestraft werden, wenn ihr sexuelles Handeln sichtbar wird“.
Das genau ist der eigentlich Skandal. Und die Konsequenzen sind nicht
weniger skandalös. Noch immer wird nämlich die Verantwortung für die
Bewahrung eines guten Rufs in erster Linie den so gemobbten Mädchen selbst aufgeladen.
Und genau das führt, wie auch im Fall von Hope Witsell, direkt hinein in psychische Katastrophen mit
einem unter Umständen tragischen Ausgang. (vgl.
Calvert, Clay
(2009). Sex, Cell Phones, Privacy, and The First Amendment, S.4)
Allerdings ist die soziale Ausgrenzung von jungen Liebenden, die auf gegenseitigem
Einverständnis erotische Fotos miteinander austauschen, durch die
Gesellschaft, die ihnen das Recht bestreitet, ihre einvernehmliche
Sexualität wirklich auszuleben, ist nur die eine Seite. Die
Opferrolle, die dabei in den Blick gerät, folgt der Perspektive
einer emanzipiert gedachten romantischen Liebe. Eine solche Position
übersieht die Probleme, die aus der alltäglichen Sexualisierung des
Lebens, insbesondere für Mädchen entstehen. Sie sind in diesem Sinne
auch Opfer der »strukturellen
Gewalt, so wie sie
»Johan Galtung (geb. 1930) versteht. Sein erweiterter Gewaltbegriff
erfasst alles, was den Menschen daran hindert, sich voll
zu entfalten. Und der Zwang zur Selbstsexualisierung, wie ihn schon
junge Mädchen erfahren, gehört genau hierher. Sie werden nämlich In vielerlei Weise
- für Frauen geilt dies gleichermaßen - darauf festgelegt, dem Mythos zu vertrauen: Nur
wenn du sexy aussiehst, "heiß" bist und dich so verhältst, kannst du einen
Jungen/einen Mann für dich gewinnen. Levin/Kilbourne (2009)
kritisieren dabei insbesondere die rigiden Rollenbilder, die hinter
der Sexualisierung der Kindheit stehen: Junge Mädchen ziehen heute
vor allem ihr Aussehen heran, um ihren 'Marktwert' einzuschätzen.
Jungen hingegen definieren ihren Wert, indem sie unsensible Machos
werden." (zit. n.
Simhofer 2011)
Physische Schönheit macht, das ist die allseits vermittelte
Botschaft, nicht nur sexy und attraktiv, sondern verschafft auch
Lebensglück, macht einen zu einer erfolgreichen Person. Die Bilder, die in den Medien
präsentiert werden, zeigen, so Simhofer, "eine Körperlichkeit
jenseits von Gefühlen oder Konsequenzen".
Gewiss sind die Medien mit ihren präsentierten sexualisierten
Bildern allgegenwärtig und haben einen erheblichen Anteil an den
Vorgängen, die Hunderttausende von Mädchen auf der ganzen Welt
danach streben lassen, um fast jeden Preis bis hin zur Bulemie ihren
Körper zu perfektionieren (Body-Modification). Wenn Mädchen aber
überall
fremdbestimmten Schönheitsidealen hinterherjagen,
macht Medienschelte, die der Allmächtigkeit der Medien das Wort
redet, allein keinen Sinn. Mag die Kritik an
Fernsehformaten wie "Germanys Next Topmodel" u. ä. noch so laut
sein: Wer mitmacht, kennt die Spielregeln und Risiken und will sie
auch eingehen.
Gerade im Zusammenhang mit der Sexualisierung der Kindheit,
insbesondere auch der von Mädchen, sollte man eben auch sehen, dass Mädchen nicht nur passive Opfer
der Sexualisierung sind.
Schon 2007 stellte der APA Report (Report of APA Task Force in the
Sexualization of Girls) fest, dass Mädchen bei ihrer eigenen
Sexualisierung (self-sexualization) eine aktive Rolle übernehmen.
Sie kaufen gerne alle möglichen Dinge, am liebsten Kleidung, die sie
ihrer Ansicht nach attraktiv und sexy machen. Sie orientieren sich
dabei häufig an sexy Vorbildern in ihrem kulturellen Kontext und
hoffen, über dies alles ihr Ansehen zu erhöhen. Zugleich fürchten sie
sich vor dem Gegenteil, wenn sie das nicht tun. (Calvert,
Clay (2009, S.12). Auf diese
Weise internalisieren sie ein Verhalten zur Sexualisierung der
eigenen Person (self-sexualization). Dass sie bei diesem Tun als
Opfer "struktureller Gewalt" angesehen werden können, darf den Blick
auf die Formen der Selbst-Sexualisierung nicht trüben. Schließlich
gibt es auch für Jugendliche und Erwachsene viele Gründe, sich über
die eigene Sexualität hinausgehend zu definieren.
In seinem Beitrag "
Mein Auschnitt und ich" im Magazin der Süddeutschen Zeitung
(H..29/2011) bringt Til Krause diese Selbstsexualisierung bei der
Eigenproduktion von Handyfotos auf den
Punkt: Weil Maler oder Fotografen jahrhundertelang Männer waren,
haben sich für Frauen Rollenbilder etabliert: verrucht oder züchtig,
Mutter oder Geliebte, stets aus männlicher Sicht betrachtet. Anders
bei den Handy-Selbstporträts:
Hier gibt es die Freiheit, selbst über die eigene Wirkung zu
entscheiden. Trotzdem sehen viele Bilder dann so aus: Blick von
schräg unten in die Kamera, ein bisschen naiv, ein bisschen sexy,
das Dekolleté immer voll im Bild. Es scheint für einen männlichen
Blick also keine Männer mehr zu brauchen – Frauen fügen sich selbst
in eine Rolle. Vielleicht imitieren sie damit die Frauenbilder
aus Körperschauen wie der Fernsehsendung Sommermädchen. Oder sie
erfüllen das, was Kulturwissenschaftler als
Selbstpornografisierung
bezeichnen: Verfügbarkeit und Unterwürfigkeit sind so populäre
Motive geworden, dass man sie, ohne nachzudenken, einfach
nachmacht." (Hervorh. d. Verf.)
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