Im ▪ 6. Gesicht des 1.
Theils der Traumgesichte in ▪
Philander von Sittewald (1640)
von ▪
Johann Michael
Moscheroschs (1601-1669) ist Philander auf seiner Reise wieder
zu seinem Heimatort Sittewald unterwegs und will offenbar noch
einige Zeit an einem Sauerbrunnen, einem Badeort, der sich um eine
Heil- oder Minirealquelle gebildet hat, ausruhen und die
Gesellschaft, die sich dort aufhält, beobachten.
Da
ihm aber offenbar die Umtriebe dort auch wieder schnell zu viel
werden, begibt er sich auf einen Spaziergang in einen Wald und
gelangt dort an einen außergewöhnlich schönen, geradezu pittoresken
Ort. Es ist ein lieblicher Ort, der alles aufweist, was einen
▪ Locus
amoenus auszeichnet, "ein Ort, wo es nicht mehr gegen Abend,
sondern heller Tag war, und ein Feld lag umher mit Blumen geziert so
schön, daß einem das Herz lachte. Es war sehr still und anmuthig,
die Luft so lieblich ..."
Wie sich aber bald
herausstellt, ist dies ein Traumbild, das in die Irre führt. In
Wahrheit ist es ein Ort, von dem ausgehend es nur noch zwei Wege
gibt, einen dornenreichen, schmalen, schier ungangbaren Weg in den
Himmel und einen breiten Weg an die Höllenpforte und von dort aus in
die Hölle.
Einen dritten Weg -
Dantes Fegefeuer
für "Neutralisten" - gibt es nicht. Der Platz ist der
Sammelplatz aller toten Seelen, unmittelbar an der Grenze zwischen
Tod und Leben und seine Schilderung erinnert an die Berichte über »Nahtoderfahrungen
heutiger Menschen, die sich für einen Moment sich tot wähnen
und von denen etliche von Licht-. Jenseits und Weltraumerfahrungen
erzählen sowie von Gefühlen der Liebe, des Friedens und der
Geborgenheit.
Für den Erzähler
ist es ein Ort, der ihm nach seinem Verlust raumzeitlicher
Orientierung im Traumgesicht wieder Halt gibt. Für die toten Seelen
ist es der Ort, an dem sich die Spreu vom Weizen trennt und das nach
einem einfachen Schema die Guten lins, die Bösen rechts.
Nur dass sie
entweder keinerlei Bewusstsein dafür haben, wohin sie der Weg dem
sie massenhaft folgen, am Ende führen wird oder der Überzeugung
sind, es könne sich nur um den Weg in den Himmel handeln. So gehen,
springen, tanzen, lachen sie alle, die Feinen und Angesehenen, die
Mächtigen, die Schönen und Reichen und viele anderer einander wie in
einem Sog folgend auf die Höllenpforte zu, ohne zu ahnen, dass sie
für ihr sündvolles Leben in der Hölle zur Rechenschaft gezogen
werden. Erst an der Höllenpforte angekommen, wird ihnen klar, dass
sie die ewige Verdammnis erwartet. Das Ende einer Einbahnstraße ohne
Möglichkeit zum Wenden.
Aus der langen
Reihe von Verdammten, die Moscheroschs Philander in der Hölle
Höllenqualen leiden sieht, sind in einer mehr oder weniger
willkürlichen Auswahl folgende "Szenen" ausgewählt und hier mit
einem eigenen Titel versehen:
Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald,
das ist Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In
welchen Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel . als in einem
Spiegel dargestellet und gesehen werden. Von Ihme zum letztern mahl
auffgelegt, vermehret, gebessert, mit Bildnussen gezieret, und . in
Truck gegeben. 2 Tle. in 1 Band. Straßburg, J. Ph. Mülbe u. J.
Städel 1650. 8°. 23 Bll., 709 S., 12 Bll.; 7 Bll., 931 (recte 911)
S., mit 2 gest. Titeln, 7 (st. 8) Kupfertafeln, 2
Poträt-Kupfertafeln, 1 (ganzs.) Textkupfer u. 25 (1 ganzs.)
Textholzschnitten, Prgt. d. Zt., in der sprachlich erneuerten
Fassung von Karl Müller 1883
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
04.02.2022