Im "6. Gesichte" (das
sechste Traumgesicht) (1. Aufl. 1640) erzählt die Hauptfigur in ▪
Johann Michael
Moscheroschs (1601-1669) ▪
Philander von Sittewald
von seinem Besuch in der Hölle.
"Ich ging von hier weiter und gelangte in eine große Hölle, darin
ich unzählig viele Seelen in lichterlohen Flammen sitzen sah. Der
eine derselben sprach: ich habe nichts zu theuer verkauft; der
andere: ich habe keine falsche Waare verkauft; der dritte: ich habe
mit richtigem Maße gemessen; der vierte: hab' ich schon theuer
verkauft, so habe ich doch niemand weiter als den Herren verkauft. –
Sobald ich sagen hörte, er hätte den Herren verkauft, dachte ich:
Hoho! das ist gewiß Judas! Um ihn besser sehen zu können und zu
erfahren, ob er einen rothen Bart hätte, wie man sagt, nahte ich
ihm. Aber ich erkannte in dem unseligen Tropf einen reichen
Kaufmann, der erst vor kurzem auf der Erde gestorben war. Wie,
Meister Pontius, rief ich, seid ihr an diesen Ort gerathen? Aber er
würdigte mich nicht eines Blickes, wie ich merkte, deswegen
weil ich
ihn nicht ›Herr‹ titulirt hatte, was ihn eben sehr verdroß. Ach, ihr
einfältiger, alberner Tropf! sprach ich weiter: wie?
habt ihr solche
Eitelkeit und Thorheit noch im Kopf, die doch allein eures Unglücks
Ursache ist? Wäre euch ein wenig Gottesfurcht und Genüge lieber, als
Unrecht und böses Gewissen gewesen, so wäret ihr nicht an diesen Ort
der ewigen Qual durch eure Ueppigkeit und euren Geiz gerathen. –
Aber er hat mir auch hierauf kein Wort geantwortet, ob aus Scham,
aus Schmerz oder Hochmuth, weiß ich nicht. Doch einer
der
Henkersknechte, die ihn peinigten, nahm für ihn das Wort und sprach:
"Sollte denn diesen heimlichen Dieben alles nach ihrem Wohlbehagen
ergehen? Diese Bösewichter haben eben das mit ihrer Elle und Stab
ausrichten wollen, was Moses gethan hat, der aus Steinen ließ Wasser
fließen. Dieser hier hat Christus, eurem Heiland, das Handwerk
nachäffen wollen, indem er aus Wasser Wein machte: sie alle insgesammt haben das gethan, was wir und Lucifer auch gethan haben,
nämlich Gott gleich sein wollen; denn weil Gott unermeßlich und ohne
Maß ist, so haben sie es auch sein wollen und den armen Leuten weder
richtiges Gewicht noch Maß geliefert. Vielen hat es zum
Betrug gedient, daß sie ihre Läden und Gewölbe im Finstern gehabt, um die
Waaren desto leichter zu verfälschen, desto schwerer zu machen, oder
doch wenigstens der Waare einen Schein zu geben, alte, verdorbene
für neue, Ziegelmehl und Wurzeln für Würze zu verkaufen. So kann man
wohl sagen: die Reiter sind geringere Räuber als die Kaufleute,
sintemal die Kaufleute täglich die ganze Welt berauben, während ein
Reiter das Jahr nur einmal oder zweimal einen oder zweie beraubt.
Was haben nicht die Juweliere, Seidenwirker, Goldschmiede und
dergleichen für Armuth verursacht! Wenn die Welt witzig wäre, so
hätte sie billig alle solche Händler mit ihren goldenen und
silbernen Stücken, Spitzen, Tressen, Gold, Silber, Perlen, Diamanten
sollen Hungers sterben lassen. Diese Waaren haben sie je nach
Belieben bald hoch getrieben, bald herabgesetzt: diese unnöthigen
Sachen, welche die Welt zu ihrem Besten wohl hätte entbehren können.
All euer Unglück und Verderben kommt von ihnen her; sie wissen euch
so meisterlich in ihre Garne zu bringen und zu fangen mit dem
schädlichen Credit, womit sie euch herbeilocken und herbeiziehen,
wie mit dem Magnet das Eisen. Dadurch aber gerathet ihr unvermerkt
in solche Noth, daß es die Teufel hier, geschweige die Menschen
erbarme. Denn was sie euch auf Credit anhängen, das heißt dreifach
aufgeschrieben, dreimal mehr gefordert, als die Waare werth ist. Und
wenn die Zeit des Zahlens gekommen ist, – welch Rennen und Laufen!
Da bist du weder zu Hause noch draußen sicher: die Fledermäuse
folgen dir nach, der Gruß macht dich bange, daß du möchtest aus der
Haut fahren; bald kommt ein schwarzer Engel, bald geht's in das
Pfandhaus – vom Borgen zum Worgen. Kurz: was sie euch anfangs selbst
für zehn Thaler angehängt haben, das nehmen sie für einen Thaler an
Bezahlung wieder, und wie sie euch zuerst als Prinzen umfangen, so
bemühen sie sich jetzt euch als Bettler zu hängen."
Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald,
das ist Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In
welchen Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel . als in einem
Spiegel dargestellet und gesehen werden. Von Ihme zum letztern mahl
auffgelegt, vermehret, gebessert, mit Bildnussen gezieret, und . in
Truck gegeben. 2 Tle. in 1 Band. Straßburg, J. Ph. Mülbe u. J.
Städel 1650. 8°. 23 Bll., 709 S., 12 Bll.; 7 Bll., 931 (recte 911)
S., mit 2 gest. Titeln, 7 (st. 8) Kupfertafeln, 2
Poträt-Kupfertafeln, 1 (ganzs.) Textkupfer u. 25 (1 ganzs.)
Textholzschnitten, Prgt. d. Zt., in der sprachlich erneuerten
Fassung von Karl Müller 1883
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.02.2022