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Johann Michael Moscherosch (1601-1669): Philander von Sittewald

[Verleger und Raubkopierer auf dem Weg zur Hölle]

6. Gesicht: Höllenkinder

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren
Johann Michael Moscherosch (1601-1669)Überblick Kurzbiografie ▪ Lyrische Texte Erzählende Texte   Philander von Sittewald ÜberblickAspekte der Analyse und Interpretation Textauswahl [ 6. Gesicht: Höllenkinder Überblick Die Weggabelung: Wege in den Himmel und in die Hölle Verleger und "Raubkopierer" auf dem Weg zur Hölle ◄ ▪ Pastetenbäcker ín der Hölle Kaufleute in lichterhohen Flammen Adel, Junker und die Obrigkeit Ungetreue und hoffärtige Mägde O-hätte-ich-doch-Sünder und Studenten Vorwitzige, leichtsinnige und hoffärtige Weiber Poeten in der Hölle ] BausteineLinks ins Internet Links ins Internet  ...   Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

 

Im "6. Gesichte" (das sechste Traumgesicht) (1. Auf. 1640) erzählt die Hauptfigur in ▪ Johann Michael Moscheroschs (1601-1669) Philander von Sittewald von seinem Besuch in der Hölle.

"Darauf ging ich fort durch ein enges, finsteres Gäßchen nach einem großen ummauerten Platz, da ich hörte, daß mich einer mit Namen rief. Doch ich kehrte um mit solchem Schrecken, daß mir der kalte Schweiß ausbrach, denn ich wurde eines Menschen gewahr, der war übel zugerichtet und geberdete sich elendiglich sowohl wegen des dicken Gestanks, als wegen der greifbaren Flammen, die ihn umgaben. "Ihr, Herr, höret ihr nicht! rief der Armselige; kennet ihr mich nicht, Philander? Ich bin Ocus Bocus, der Buchdrucker, der die Druckerei gehabt hat, die ihr wohl kennt!" – Ist das möglich? sagte ich. "Ja freilich, antwortete er, ich bin es selbst." Wer sollte das gedacht haben! Der elende Tropf meinte, ich sollte mich mehr verwundert und und bekümmert haben als ich that. Aber ich wunderte mich viel mehr ernstlich über die große wahrhaftige Gerechtigkeit Gottes, der ja einem jeden Unbußfertigen den verübten Frevel zu rechter Zeit nicht unvergolten läßt. So auch diesem, dessen Buch- oder Kramladen ein rechtes Hurenhaus von Büchern war, wo Zucht und Ehrbarkeit verhöhnt und verlästert wurden; der alle garstigen, zotigen Lumpenbücher und Schriften gedruckt und verlegt hatte; durch dessen unergründliche Geldsucht allein die heutige einfältige, unbedachtsame Jugend so manche Scharteken der Fastnachtspredigten, Gartengesellschaft, Rollwagen, Amadis, Schäfereien und anderer mit äußerstem Aergernis liest. Er aber sprach: "Was hilft's? Das ist der Buchhändler und Drucker Lohn; denn wir werden verdammt nicht nur unserer eigenen sondern auch anderer Leute böser Werke willen, insonderheit aber vieler, die aus dem Griechischen, Lateinischen und Welschen in unsere Muttersprache übersetzt worden sind; so daß heutiges Tages ein Lakai oder Stallknecht eher den Virgilius, des Ovidius de arte amandi, Romane u. s. w. in der Hand hat, als ein Paradiesgärtlein, Habermann, Rosengärtlein oder ein anderes herrliches Gebetbuch." Der Elende hätte immer so fort geplaudert, wenn nicht ein Teufel, der das Geschwätz zu hören müde wurde, ihm den Athem mit einem flammenden, rauchenden Käse gestopft hätte, dessen stinkender Geruch mich forttrieb; und ich dachte bei mir: Behüte Gott! wird man also tractirt um fremder Leute böser Werke willen, wie wird es dann denen ergehen, die solche losen Bücher und Schriften selbst machen und an den Tag kommen lassen. – Ich hörte ein Rufen: es ist eine große Fähigkeit in den Büchern sowohl zu Gutem als zu Bösem; zu Gutem, indem oft einer durch ein tugendhaftes Büchlein tugendhaft, durch ein züchtiges züchtig, durch ein gottseliges gottselig, durch ein heiliges heilig wird; dagegen aber auch durch ein schandbares schandbar, durch ein unkeusches unkeusch, durch ein gottloses gottlos, durch ein heidnisches heidnisch, durch ein teuflisches teuflisch und an Leib und Seele verdorben wird.

Durch Büchsen ist manch Herz getroffen,

Durch Schifffahrt sind viel Leut' ersoffen.

Durch Bücher viel' zur Höll' geloffen.

Beim Hinweggehen zupfte mich ein anderer am Arm, daß ich über die Maßen erschrak. Mein Gott! was für Schrecken und Noth ist da an allen Orten! Ich fragte, wer er wäre? "Helft mir, helft mir, ich ersticke! sprach er, so daß ich meinte, er hing an einem Strange, ich würde dann den Dieb aus Mitleiden abgeschnitten haben. "Nein, nein, sprach er; ich hänge nicht und doch muß ich ersticken, denn ich fühle inwendig meine Schmerzen." Was ist dir denn? fragte ich; hast du etwa zu gierig gegessen? "O weh, nein! nicht gierig gegessen, sondern gedruckt. Ich bin auch ein Buchdrucker und im Drucken so vortheilsüchtig und gierig gewesen, daß ich mir nicht habe genügen lassen an denjenigen Schriften und Büchern, die man mir in das Haus gebracht hat, sondern ich habe auch des Vortheils willen andere Bücher zum Schaden und Nachtheil ihrer Verleger nachgedruckt. Sobald ich gesehen, daß irgend ein Werk gut abging, so habe ich dasselbe in ein anderes Format gebracht, oder mit anderer Schrift, oder verändert, verketzert und vermehrt zu höchster Beschimpfung des Buchschreibers aufgelegt, um den Gewinn mir zuzuziehen. Dabei aber habe ich nicht bedacht, ob Gott oder der Christenheit damit gedient wäre, sondern einzig und allein, wie ich mir damit Reichthum sammeln könnte. O helft mir, ich ersticke!" Was Teufels hast du denn im Hals? fragte ich. "Einen Nachdruckteufel, einen Buchteufel, ein feuriges Buch, das ich unlängst einem ehrlichen Manne zum Verdruß und Schaden nachgedruckt habe; deswegen habe ich die christliche Liebe außer Acht gelassen und bin des Gewinnes willen des Teufels geworden." – Daß dir's dann der Teufel segne!sagte ich darauf. Warum hast du dir nicht an dem genügen lassen, was dein ist? Hast du denn nicht Gottes Gebot vor dir gehabt ›du sollst nicht stehlen‹? "O wehe! rief er; sprecht nur nicht von Stehlen, sonst komme ich ganz von Sinnen, ich habe es zuvor gewußt! O daß der Geiz verdammt wäre, der mich zu solcher Thorheit gereizt hat! Verflucht sei die Stunde, in der ich solchen Frevel begangen habe! Ach mein Freund, nimm mir nur das Geld aus den Augen, das Gold, das ich durch dieses Nachdrucken gewonnen! Wenn mir dieses aus Gesicht und Gedanken wäre, so möchte ich vielleicht Linderung der Schmerzen fühlen." Wo hast du es denn? fragte ich. "Da, da, da!" sprach er und wies mir mit dem Finger ein Gewölbe, wo etliche Kisten voll standen. Ich nahm eine Hand voll heraus um zu sehen, was es für Münze wäre. Aber es zerrann mir unter den Händen und verschwand in der Luft. Als der unselige Kerl sah, daß sein vermeintlich gesammelter Reichthum nicht besser gedeihen sollte, fuhr er in die Höhe, als ob er bersten wollte, stellte sich wie ein Hund oder eine Katze, denen ein Knochen quer in den Hals gekommen ist, und trieb es mit den lächerlichen, possierlichen Sprüngen eine gute Weile, bis er wie todt zu Boden fiel, und ihm die helle Flamme in Form von griechischen Buchstaben zum Halse hinausfuhr. – Dies Gesicht giebt mir Ursach, alle ehrliebenden Drucker zu vermahnen, daß sie sich ja, außer was zu unzweifelhafter Beförderung der Ehre Gottes und des Nächsten vonnöthen und erlaubt ist, ernstlich enthalten nachzudrucken, damit sie an dergleichen Büchern dermaleinst nicht, wie dieser Armselige, am feurigen Galgen ersticken oder dasjenige wieder ausspeien müssen, was sie zuvor sich und den Ihrigen zu ewigem Fluch und Untergang gewonnen haben. Denn ›das ist der Wille Gottes, daß niemand zu weit greife noch vervortheile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist der Rächer über das Alles.‹"

Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald, das ist Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In welchen Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel . als in einem Spiegel dargestellet und gesehen werden. Von Ihme zum letztern mahl auffgelegt, vermehret, gebessert, mit Bildnussen gezieret, und . in Truck gegeben. 2 Tle. in 1 Band. Straßburg, J. Ph. Mülbe u. J. Städel 1650. 8°. 23 Bll., 709 S., 12 Bll.; 7 Bll., 931 (recte 911) S., mit 2 gest. Titeln, 7 (st. 8) Kupfertafeln, 2 Poträt-Kupfertafeln, 1 (ganzs.) Textkupfer u. 25 (1 ganzs.) Textholzschnitten, Prgt. d. Zt., in der sprachlich erneuerten Fassung von Karl Müller 1883

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 05.02.2022

    
   Arbeitsanregungen:
  1. Warum sind die Verleger und diejenigen, die Raubdrucke herstellen, in der Hölle?
  2. In welcher Lage findet der Ich-Erzähler Philander sie in der Hölle vor?
  3. Welches Bewusstsein haben die Verdammten selbst von ihrer Schuld?
  4. Wodurch wird die satirische Absicht des Autors sichtbar?
 
 
 

 
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