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Caroline Schelling (1763-1809): Biografie

Caroline Böhmer als junge Ehefrau und Mutter

Ein bürgerliches Leben mit Anpassungsverweigerung in Clausthal

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren
Caroline Schelling, geb. Michaelis, verw. Böhmer, gesch. Schlegel (1763-1809) Überblick [ Biografie Überblick ZeittafelKurzbiografie Kindheit und Jugend von Caroline Michaelis in Göttingen 1763-1784 Caroline Böhmer als Ehefrau und Mutter in Clausthal 1784-1788 ◄ ▪ Quo vadis: Caroline Böhmer zwischen den Männern, zwischen Marburg, Gotha und Göttingen 1788-1792 Caroline unterm Freiheitsbaum der Mainzer Republik April 1792 bis Ende März 1793 Caroline als gefangene Klubistin und als sozial Geächtete 1793-1795 Heirat von Caroline Böhmer mit August Wilhelm Schlegel und die Jenaer Lebensgemeinschaft der Frühromantiker 1796-1799 Getrennte Wege: Carolines Liebe zu Schelling und die Scheidung von Schlegel ] Textauswahl Bausteine Links ins Internet August Wilhelm Schlegel (1767-1845) Literaturepoche der Romantik ...   Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

Zeittafel
Das Liebes- und Lebenskonzept der bürgerlichen Ehe

Die Heirat der zwanzigjährigen »Caroline Michaelis (1763-1809) mit dem zehn Jahre älteren, ehemaligen Nachbarsohn Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788) am 15. Juni 1784 war keine Liebesheirat.

Ihre Verlobung im Oktober 1782, das hatte sie in einem Brief Ende desselben Monats gegenüber ihrer drei Jahre älteren Freundin Luise Stieler (1760-1826) aus Gothaer Mädchenpensionatszeiten, die zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre  verheiratet war, bekannt, hatte ihr »Thränen der Freude« bereitet und sie rundum glücklich gemacht: »ich bin ganz glücklich. Wohl mir daß ich endlich im ruhigen Hafen bin! Gefährlich war die Fahrt. Unbesonnenheit führte mich auf Irrwege, Leidenschaften warfen mich bin (und) her, ich hätte sinken können, aber die Hand der Vorsehung hielt mich, und ließ mich nur darum alle Unannehmlichkeiten des Wegsfühlen, um mich ſeines glücklichen Ziels werth zu machen. Und hier danke ich dem Gott der es mir bereitete. Dich fordre ich auf , Dich mit mir zu freuen.« (Waitz 1871, S.5 f.)

Es war eine typische Konvenienzehe, wie sie in bürgerlichen Kreisen dieser Zeit gang und gäbe war. Caroline erfüllte damit den langgehegten Wusch ihres neun Jahre älteren Halbbruders »Christian Friedrich Michaelis (1754-1814) (Fritz), der die Ehe mit seinem besten Freund aus der Nachbarschaft eingefädelt hat und ihr in seinen Briefen aus Amerika offenbar immer wieder zugeraten hatte. Ihre Göttinger Freundinnen informierte Caroline jedenfalls 1784 mit den Worten, dass Fritz »mich an einen Mann (gibt), den er mir von Kindheit an bestimmt hat« (zit. n. Roßbeck 2009, S.43)

Fritz war seit dem Mai 1784 aus dem »Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783)  wieder zurück, an dem er sich als freiwilliger Söldner im Rang eines Stabsarztes in einem hessischen Regiment Ende des Jahres 1781 hatte anwerben lassen. Als er zurückkehrt, ist Caroline mit dem Nachbarssohn schon über eineinhalb Jahre verlobt. (vgl. Roßbeck 2009, S.43).

Bei ihrem Vater hatte der 1777 promovierte Arzt, der einen längeren Fortbildungsaufenthalt in England hinter sich hatte und 1782 als Dozent und Arzt "Aufseher" der von den Freimaurern gegründeten "Chirurgischen - und Krankenhaus-Hospitale" in Göttingen berufen worden war, sondiert, ob er einer Heirat mit Caroline zustimmen würde und offenbar "grünes Licht" bekommen.

Anfang 1784 bewirbt er sich auf die vakante Stelle eines Stadt- und Bergmedicus im 60 km entfernten Clausthal im Harz und wird im Februar in dieses Amt bestellt. Klar, dass Caroline nach der Heirat im Juni des gleichen Jahres folgen wird, auch wenn der dann anstehende Umzug ihr sicher nicht gefallen hat.

»Christian Friedrich Michaelis (1754-1814) (Fritz) kannte ihren Ehemann also schon seit ihrer Kindheit, auch wenn sie angesichts des Altersunterschiedes, der zwischen beiden bestand, gewiss keine Spielkameraden gewesen waren. Auch gibt es keine Zeugnisse darüber, dass die beiden während der Abwesenheit Böhmers aus Göttingen in brieflichem Kontakt gestanden hätten. Trotzdem war er ihr kein Unbekannter und nun auch zu seiner Familie zu gehören, »die in jedem Glied sich liebt, und gut ist« (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.114), wie Caroline im Rückblick auf ihre Hochzeitsfeier in einem Brief vom 9. Juli 1784 aus Clausthal an ihre Freundin Luise Gotter, geb. Stieler (1760–1826), schreibt, ist für sie auch ein Grund, der gerade erst sechs Wochen alten Ehe eine günstige Prognose auszusprechen, auch wenn ihre »Zärtlichkeit für ihn (...) nicht das Gepräge auflodernder Empfindungen (trägt)« (ebd., S.115)

Trotzdem: Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788) ist eine eine in vielerlei Hinsicht gute Partie. Er hat einen tadellosen Ruf, man sagt ihm nach, er sei zielstrebig, warmherzig und rücksichtsvoll. Er ist umfassend gebildet, hat eine Weile lang Belletristik, Moraltheologie und Philosophie studiert, spricht ausgezeichnet Englisch und Französisch. In kürzester Zeit hat er seinen Platz in Clausthal als Bergmedicus eingenommen und ist in den Augen vieler Einwohner dort zum »Liebling des Harzes« (ebd., S.104) avanciert. Caroline weiß, dass er in Clausthal in der sozialen Hierarchie der Beamten an vierter Stelle steht und ihr allein schon deshalb eine angemessene Wertschätzung entgegengebracht würde. Sie würde in der dem Bergmedicus zustehenden Dienstwohnung das Leben einer gutsituierten bürgerlichen Ehefrau führen können, die durch ein Dienstmädchen und einen Diener von Hausarbeit aller Art entlastet war. Eigentlich gute Voraussetzungen für einen gesellschaftlichen Neustart im zweiten Abschnitt ihres Lebens. Und: Zunächst einmal nimmt sie sich vor, das ihr vorgezeichnete Leben zu führen und die entsprechenden gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen.


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Auch wenn die Ehe, die Caroline mit Wilhelm auch eine typische endogame Konvenienzehe ist, darf man sich eine solche Ehe nicht immer so vorstellen, als habe es in ihr keinen Raum für Gefühle zwischen den Partnern gegeben. Materielle und emotionale Interessen sind nämlich nicht unbedingt Gegensätze und "Emotionen sind [...] eingelagert in vielschichtige Prozesse des sozialen Austauschs und der gegenseitigen materiellen und sozialen Abhängigkeit." (Gestrich 2003, S.487f.) An dieser Feststellung ändert sich auch nichts, wenn im 19. und 20. Jahrhundert immer nur von Liebe geredet wird, denn auch dann hängt das, was konkret darunter verstanden wurde, von vielen unterschiedlichen Faktoren ab.

Das Konzept der bürgerlichen Konvenienzehe

Dass eine Ehe von den Eltern oder der Verwandtschaft eingefädelt wurde, war im 18. Jahrhundert nicht nur im Adel üblich. Auch in bürgerlichen Kreisen wurden Ehen so angebahnt. Meistens trat dazu ein Heiratsvermittler aus der eigenen Verwandtschaft oder dem Freundeskreis in Aktion. Wie groß der Entscheidungsspielraum der über ihn zur Heirat zu bewegenden Partner war, und insbesondere der oft (jungen) Frauen, die mit bedeutend älteren Männern verheiratet werden sollten, hing sicher von vielen Faktoren ab. Vom Alter, der wirtschaftlichen Lage der Herkunftsfamilie, den religiösen Überzeugungen, dem sozialen Umfeld u. v. a. m.

Selbst wenn ihr Zustandekommen in manchem unterschiedlich gewesen sein mag, haben solche arrangierten Ehen aber herzlich wenig mit dem Konzept der romantischen Liebe zu tun, das zwar in der Literatur des 18. Jahrhunderts durchaus thematisiert wurde. Dafür steht z. B. »Friedrich Schlegel (1772-1829) 1799 erschienener Roman »Lucinde, der "eine sinnlich und geistige Zuneigung integrierende Ehe" (Gestrich 2013, S.32) zum Thema machte.

Diese Vorstellung knüpfte dabei aber auch daran an, dass im 18. Jahrhundert "nach und nach ein Eheideal (entstand), das es den Ehegatten zur Pflicht macht, einander wie Verliebte zu lieben – oder wenigstens so zu tun. Die außereheliche Erotik hat Eingang in die Ehe gefunden und die traditionelle Zurückhaltung zugunsten der Leidenschaft auf die Dauer verdrängt." (Aries 1992a, S.173)

Ansonsten folgt das Konzept der bürgerlichen Ehe der Zeit wohl eher dem, was ▪ Friedrich Schiller (1759-1805) in seinem im gleichen Jahr verfassten ▪ Lied von der Glocke geradezu programmatisch gefasst hat. Darin wird die Ehe, soweit sie den Mann angeht, nur als ein Teil seines Lebens verstanden, das darüber hinaus seine berufliche Existenz und die sich daraus ergebenden sozialen Kontakte außerhalb der häuslichen Sphäre umfasste, beides die anderen Teile, die genauso wichtig waren. Für die bürgerliche Frau hingegen war die Ehe der einzige Raum, "in dem sie sich bewegen konnte und an den alle anderen Aktivitäten im gesellschaftlichen Rahmen zurückgebunden waren." (Frevert 1986, S.46) Wenn sie damit zwar im Vergleich zu den Männern aber auch nicht in gleicher Weise den Zwängen und Konflikten der Welt außerhalb der häuslichen Sphäre augesetzt war, wurde dies damit erkauft, dass sie die außerhäusliche Lebenswelt nicht als eine Sphäre für die Entdeckung und Verwirklichung eigener Bedürfnisse wahrnehmen und nutzen konnte. Ohne eigenes Geld war in einer Lebensform, in der ein paternalistischer Patriarchismus dominierte, in dem der Mann, wenngleich auch nicht immer so "rigide, wie dies in der älteren, auch frauengeschichtlichen Literatur z. T. dargestellt worden war" (Gestrich 2013, S.121), alle wichtigen Entscheidungen fällte, an ein selbstbestimmtes, freies Leben ohnehin nicht zu denken. Und wo es aus irgendwelchen Gründen weder an Geld, noch an der erforderlichen Freiheit, darüber zu verfügen, mangelte. da sorgten gesellschaftliche Konventionen dafür, dass die Frau tat, "was sich für eine Frau schickte und was nicht, und Haushalts- und Familienpflichten taten ein übriges, um eine Hausfrau und Mutter in ihren vier Wänden festzuhalten." (Frevert 1986, S.46)

Wie es zu dieser im 18. und 19. Jahrhundert verstärkten "(weiteren) Polarisierung der Geschlechtscharaktere" (Eder 2002, S.131) gekommen ist, wird von der Forschung auf unterschiedliche Weise erklärt. Sozialhistorisch werden die Besonderheiten der bürgerlichen Geschlechterdifferenz auf die "Trennung von privatem und öffentlichem Bereich bzw. familialer und beruflicher Sphäre" zurückzuführen sei, die entsprechende Rollenzuweisungen nach sich gezogen habe. In einer Art "Nachzugsverfahren" seien, um die soziale und kulturelle Verortung der Geschlechter absichern und legitimieren zu können, dann (wissenschaftliche) Definitionen darüber das scheinbar natürliche männliche und weibliche Geschlecht nachgeliefert worden. (vgl. ebd., S.130) Dass die "wissenschaftlichen" Legitimationsstrategien der Geschlechterpolarisierung in der Regel ein Theoriegebäude reinster "Geschlechtermetaphysik" war, die aus den biologischen Unterschieden der Geschlechter kurzerhand unterschiedliche Rollenmodelle und Lebensprojekte entwickelt und begründet haben, spielte dabei lange keine Rolle." Der Mann - so das Modell - ist aktiv, die Frau passiv; der Mann von seinem Tun, die Frau von ihrem Sein her lebend; der Mann gehört in die Leistungswelt, die Frau steht jenseits der Leistungszwänge in einer anderen Welt - der der Freiheit; der Mann lebt von seiner Kultur, die Frau von ihrer Natur, ihrer Geschlechtsrolle; der Mann ist aufs äußere und öffentliche Leben bezogen, auf Markt, Konkurrenz und Macht, auf Arbeit und Politik und auch auf deren Anonymität, die Frau aufs Innere und Private, aufs Intime und auch aufs Personale; der Mann ist bestimmt von Rationalität und Objektivität, die Frau von Emotionalität und Subjektivität. Das ist nicht einfach eine Unterscheidung; vielmehr: Die Frau ist notwendige kompensatorische Ergänzung zur Einseitigkeit des Mannes. Dazu kommt, dass ihre familiale Rolle nicht als eigene ausgreifende Aktivität beschrieben wird, sondern vor allem als aufopfernde, geduldig hinnehmende Liebe. Die Frau ist für andere, für den Mann, für die Kinder da. Und die Frau ist dem Mann gegenüber schutzbedürftig, hilflos - so ist jedenfalls der Stil des Umgangs. Das spitzt sich zu zum Verhältnis von Welt und Heim: auf der einen Seite das Heim, der Ort der Nähe, der Harmonie, des Friedens und der Geborgenheit. Und das war dann eine Beschreibung der Ehe. In ihr besorgt die Frau das Heim, das ist ihre Sphäre, sie bestimmt als liebende Mutter die Familienatmosphäre. Das Heim ist der Ruhepunkt des Mannes, dessen Leben in den Auseinandersetzungen mit und in der Welt abläuft, und es ist der Ort der Bildung der künftigen Generationen; öffentliche Einrichtungen wie Schulen hatten nur Hilfsfunktionen." (Nipperdey 1990, S. 48f.)

Andere Forscher haben im Hinblick auf den Prozess der Geschlechterpolarisierung eingewandt, dass diese nicht erst im bürgerlichen Zeitalter begonnen habe. Sie gehen davon aus, dass erst die Wissenschaft den sogenannten "bürgerlichen Menschen" konstruiert hat, indem sie die bürgerliche Geschlechterdifferenz als Ergebnisse ihrer rationalen Erforschung der Natur präsentierten und daraus quasi natürliche Normen der weiblichen und menschlichen Psyche und Physis ableiteten. Wie dem auch sei: Klar scheint zu sein, "dass der Differenzdiskurs seit dem späten 18. und während des 19. Jahrhunderts von einem wissenschaftlichen Deutungsprozess begleitet und untermauert wurde, der die Fundierung der Geschlechtercharaktere vom Sozialen hin zur sogenannten »Natur« verschob." (Eder 2002, S.131)

Das Ideal der bürgerlichen "Liebesheirat" im 18. Jahrhundert war jedenfalls nicht die "»romantische«, sondern die »vernünftige« Liebe. Kriterien der Vernunft sollten nicht der Besitz, sondern die moralischen Qualitäten der Partner sein." (Gestrich 2003, S.502)

Dabei musste bei solchen »Konvenienzehen (lat. conveniens "übereinstimmend, angemessen, passend": Übereinkunft), selbst wenn nach außen die moralischen Qualitäten der möglichen Ehepartner (die Keuschheit der Frau stand dabei an erster Stelle) betont wurden, natürlich erheblich mehr "stimmen": Es sollte, wenn möglich, auch in bürgerlichen Kreisen standesgemäß geheiratet werden, sozialer Status und die finanziellen Verhältnisse der Herkunftsfamilien sollten im Prinzip zueinander passen.

Bildung war bei den männlichen Heiratsaspiranten ein förderlicher Teil ihres Profils, das soziale Kapital der Frauen war ihre Eignung als Ehefrau, ihre lebenslange Mutterschaft und ihre Qualitäten als Haus-Frau, die Dienstboten, Köchinnen und Hausmädchen Anweisungen gab und deren Tätigkeit kontrollierte, den Einkauf überwachte, die umfangreichen Produktions- und Verarbeitungsgeschäfte innerhalb des Haushaltes leitete, für die Anschaffung nicht selber herstellbarer Waren sorgte und über die Ausgaben Buch führte. (vgl. Frevert 1986, S.43)

Konvenienzehen waren nicht unbedingt Zwangsheiraten, wie es z. B. beim Adel oder in anderen Kulturen bei den sogenannten Kinderehen der Fall war, bei denen jede selbständige Partnerwahl ausgeschlossen war und ist. Wenn sie, wie schon erwähnt von Verwandten oder freundschaftlich mit den Heiratsaspirantinnen und -aspiranten und deren Familien verbundenen Personen eingefädelt wurde, vollzog sich das Kennenlernen oft in einer Art Ritual aufeinander abfolgender Schritte, ehe man vor den Traualter trat.

Nein zu einer solchen Verbindung zu sagen, war in der patriarchalischen Welt für Frauen nur schwer möglich und konnte sie und ihre Familien sowie den Heiratsvermittler in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Wenn sich eine Frau gegen eine so arrangierte Ehe mit Erfolg stemmen konnte, dann unterstand sie nämlich als unverheiratete erwachsene Frau "weiterhin der »väterlichen Gewalt« oder hatten sich nach dem Tod des »Hausherrn« brüderlichen Weisungen zu fügen."

Caroline Böhmer hat, ehe sie 1796 August Wilhelm Schlegel heiratete, immer wieder erleben müssen, wie man sie zu Konvenienzehen, selbst mit noch so "honorigen", ja freundschaftlichen Absichten der jeweiligen Heiratvermittler drängen wollte. Welche Folgen es haben konnte, wenn man das von einem angesehenen Heiratsvermittler ausgehende Heiratsangebot eines in der Öffentlichkeit stehenden Mannes ausschlug, hat sie 1791 am eigenen Leib erfahren. Nur mit Mühe, aber auch völlig entrüstet über den als Heiratsvermittler auftretenden Mann ihrer lebenslangen Jugendfreundin, »Friedrich Wilhelm Gotter (1746-1797), konnte sie das Angebot des gerade erst verwitweten »Josias Friedrich Christian Löffler (1752-1816) ausschlagen und die ihr von Gotter ▪ aufgedrängte Konvenienzehe abwenden.

Die Endogamie, die Heirat innerhalb der eigenen sozialen Schicht, die schon über Jahrhunderte hinweg dafür gesorgt hatte, dass sich bestimmte Strukturen sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Macht über den Wechsel der Generationen" (ebd., S.484) hin reproduzieren konnten, blieb auch in den bürgerlichen Oberschichten im 18. Jahrhundert charakteristisch für die Partnerwahl. (ebd., S.502). »Mesalliencen, wie man Eheschließungen nannte, die zwischen Partnern unterschiedlicher Gesellschaftsschichten geschlossen wurden, standen nicht nur bei Adeligen in einem schlechten Ruf, sondern auch bei der bürgerlichen Oberschicht.

Das Konzept der bürgerlichen Ehe und Familie entstand also in einer Zeit tiefgreifenden politischen, sozialen und ökonomischen Wandels, "gewissermaßen an der Schwelle zwischen der traditionellen, ökonomisch begründeten Sachehe und der modernen Liebesehe" (Schenk 1995, S.84). Aus diesem Grunde enthält dieses Leitbild Altes wie Neues und auch Widersprüchliches. Als "Konstrukt des Übergangs" (ebd.) stand es daher auch von Anfang an unter der Spannung von Ideal und Wirklichkeit.


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Schwierige Jahre in Clausthal

Dass Frauen sich ihrem einigermaßen ungewissen Schicksal in einer Konvenienzehe überließen, hatte in der bürgerlichen patriarchalischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts verschiedene Gründe, aber eigentlich blieb ihnen auch kaum eine andere Wahl.

Wer nicht als "irgendeine alte Jungfer, die nach vielen bestenfalls harten und schlechtestenfalls erniedrigenden Gouvernantenjahren noch immer vollkommen mittellos, mal von der einen und mal von der anderen Verwandtschaft lustlos durchgefüttert wurde" (Roßbeck 2009, S.44), enden wollte, musste froh sein, rechtzeitig unter die Haube zu kommen, ehe man aus dem gemeinhin üblichen Heiratsalter heraus war. All das ist sicherlich auch Caroline vor ihrer Hochzeit durch den Kopf gegangen. Und ein ▪ "Blaustrumpf oder Schöngeist" (Rousseau) zu werden, um die die Männer einen großen Bogen machen würden, hatte sie am Beispiel der ▪ 33-jährigen russischen Fürstin Amalia von Gallitzin (1748-1806) schon im September 1781 verworfen. Und damit stand stand sie natürlich nicht allein, denn auch einige ihrer Freundinnen hatten, waren schon verheiratet worden und hatten sich mehr oder weniger erfolgreich mit einem nach außen hin abgesicherten, im Innern aber ziemlich trostlosen Eheleben arrangiert.

Für Caroline war die Sache entschieden, und so war ihre Reaktion, darauf, dass ihr 9 Jahre älterer Halbbruder »Christian Friedrich Michaelis (1754-1814) (Fritz), der älteste Sohn der Familie aus der ersten Ehe des Vaters, nach seiner Rückkehr aus dem »Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) offenbar alles daransetzte, die von ihm schon lange gewünschte Heirat seiner heißgeliebten Schwester mit seinem besten Freund aus der Göttinger Nachbarschaft, Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788), endlich unter Dach und Fach zu bekommen.

Natürlich war die Zeit vor der Hochzeit für Caroline aufregend und alles, was da kommen sollte, ließen auch bange Gedanken aufkommen. Dabei war sie jetzt natürlich drei Jahre älter als zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihrer Freundin Luise Gotter am 1. November 1781 geschrieben hatte: »wenn ich heyrathen sollte, so würde ich für meinen Mann die höchste Freundschaft, und doch vielleicht nicht so viel, wie für meinen Bruder hegen.« (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.97) Und ein Jahr später am 5. Oktober 1782, wohl nach der offiziellen Verlobung mit Böhmer, versicherte sie der Freundin, dass die Freundschaft zu ihr aber für immer Vorrang haben werde: »Ich habe kein enges Herz, wo solt ich auch denn mit Euch allen hin? Es ist mir schwer zu bestimmen, wer mit der theyerste ist. Ich habe es immer behauptet und es bleibt mir wahr, ich kann ohne Liebe leben, aber wer mit die Freundschaft nimt, der nimt mir alles, was mir das Leben lieb macht ...« (ebd., S.100)

Trotz allem: Als Caroline 1784 ihrem Mann nach Clausthal in den Harz – dort hatte ihr Vater 1749 seine erste Ehefrau Friederike Schachtrup (1732-1759) geheiratet – folgt, tut sie es wohl in der Überzeugung, dass sie die an sie gerichteten gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen kann.

Sie will dem schon erwähnten neuen Eheideal, "das es den Ehegatten zur Pflicht macht, einander wie Verliebte zu lieben – oder wenigstens so zu tun" (Aries 1992a, S.173) entsprechen und ihrem Mann, der ja eine sozial exponierte und angesehene Stellung in der Stadt einnimmt, als seine Ehefrau, "die die Honneurs zu machen" versteht "und deren Teenachmittage mit den Ehefrauen seiner Geschäftsfreunde oder Kollegen von nicht zu unterschätzendem Einfluss auf sein berufliches Fortkommen" (Frevert 1986, S.42f.) sind, zur Seite zu stehen.

Zu den Gründen, woran diese Vorsätze in relativ kurzer Zeit zerbrachen, gehört wahrscheinlich auch die Tatsache, dass die Praxis, die ihr Mann als Stadt- und Bergmedicus im Erdgeschoss des Hauses, in dem sie die Dienstwohnung ein Stockwerk darüber bezogen, eher eine Armen- als Reichenpraxis war (vgl. Roßbeck 2009, S.51).

"...Schlafmüzen sinds nicht, aber ihre Spirits haben keinen seinen Spiritus" schreibt Caroline 1784 an ihre jüngere Schwester Lotte (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.115). Die Frau Doktorin, wie sie als Ehefrau des Stadt- und Bergmedicus angesprochen wird, hat schnell herausgefunden, dass sie sich mit Clausthal, der Stadt und ihrer Umgebung und vor allem natürlich den Menschen, die dort lebten, nicht anfreunden konnte und wollte. Stattdessen hadert sie mit ihrem Schicksal, wenn sie, wie später eingesteht, immer wieder daran denkt: »warum must Du hier Deine Jugend verleben, warum Du hier vor so vielen andern; und vor manchen doch fähig eine größre Rolle zu ſpielen, zu höhern Hofnungen berechtigt?« (Brief an Lotte Michaelis v. 28.5.1786, zit. n. Waitz 1871, S.36) Das war aber Eitelkeit.

Dabei lag Clausthal, von der Bevölkerung in etwa gleich groß wie das 60 km entfernte Göttingen, keineswegs hinterm Mond. Im Gegenteil. Der Bergbau, wie er dort betrieben wurde, und vor allem die einzigartige ober- und unterirdische Wasserführung, die man zur Energiegewinnung beim Erzabbau einsetzte, hatte nicht nur den Wohlstand der davon profitierenden bürgerlichen und großbürgerlichen Kreisen erhöht, die diesen offenbar auch gerne auf den Flaniermeilen der Stadt an Sonn- und Feiertagen und in ihren prachtvoll ausgestatteten Luxuswohnungen zur Schau trugen. Clausthal war auch durchaus ein touristisches Ziel für Reisende, die sich für den technischen Fortschritt interessierten oder einfach auch einmal Lust dazu hatten, in die »Grube »Dorothea« einzufahren, um zu sehen, wie es "unter Tage" zuging. (vgl. Roßbeck 2009, S.49) Dass Clausthal auf der anderen Seite mit dem geistig-literarischen Leben der Universitätsstadt Göttingen nicht mithalten konnte, steht dabei sicher außer Frage. Kaum einer der wichtigen Intellektuellen der Zeit, der nicht einmal Station in Göttingen gemacht hatte.

Auch die zahlreichen öffentlichen Festveranstaltungen der Stadt wie z. B. Bergdank- und Schützenfeste oder die feierlichen Aufmärsche der Bergleute in ihrer bunten Knappenuniform u. ä. scheinen auf Caroline Böhmer keinen großen Eindruck gemacht zu haben. Und die wundervolle Umgebung der Stadt hatte es ihr ebenso wenig angetan. Für's erste jedenfalls.

Eineinhalb Jahre und zwei Winter später kann sie das Ende Mai 1786 mit anderen Augen sehen, als sie ihre Schwester Lotte zu einem Besuch erwartet: »Dann gut Wetter! und wir wollen den Harz durchlaufen . Dieſe Gegenden fangen an mir zu gefallen, da ich sie näher kennen lerne. Clausthal sieht von vielen Seiten äußerst hübsch aus – meine Sinnen freuen sich, auch diese Fluren, die mich sonst so schwarz dünkten, wie unsre Tannenwälder und der Schiefer, der unsre Häuſer deckt im Regen — fangen an zu lächeln.« (Brief an Lotte Michaelis v. 28.5.1786, zit. n. Waitz 1871, S.36)

Weil sie ihre weitgehend unangebrachte, ja überheblich wirkende Haltung offenbar auch bei gesellschaftlichen Treffen mit anderen Damen und Herren der feinen Clausthaler Gesellschaft nicht gänzlich unter Kontrolle hatte, kursierte in Clausthal schon bald, dass "die launenhafte junge Frau des reizenden Doktors [...] auf zu hohem Ross (sitze)" (ebd., S.50) und die Ehe nur glücklich werden könne, wenn sie schleunigst davon herunterkomme. Es ist »Heinrich Christian Boie (1744-1806), der im Mai 1780 bei einem Besuch in Göttingen gesagt hatte, »Mamsell Michaelis ist – ein wenig wild« (zit. n. Kleßmann 1975, S.42), der von diesem Ruf Caroline Böhmers in Clausthal spricht und der ihre Schwierigkeiten, einen sie befriedigenden Platz in der Clausthaler Gesellschaft einzunehmen, auf ihre »Göttingische Natur« (zit. n. ebd., S.56) zurückführt.

Caroline will sich jedenfalls nicht mit »Schlaraffenvolk aus den Gebirgen« (Brief an Lotte Michaelis v. 1.3.1785, Waitz 1871, S.16) gemein machen und in keiner Weise mit den Clausthalern in einen Topf geworfen werden. »Schlaraffen, das muss man wissen, sind dabei nichtsnutzige Faulenzer, die nur eines kennen, sich den Bauch vollzuschlagen ohne irgendwelche darüber hinausgehenden Interessen. In einer Flugschrift aus dem Jahr 1671 »Von dem allerbesten Land so auff Erden ligt heißt es dementsprechend: "Wer dölpisch ist vnd gar nichts kan / der ist im Land ein Edelmann / vnd der nichts kan als schlaffen ein / essen / trincken / tantzen vnd spielen / den macht man bald zum Graffen." (döpisch : grob, einfältig, tölpelhaft, ungelehrt, ungebildet). Caroline will sich bewusst abgrenzen und unterstreicht dies auch mit ihrer für die Damen der Clausthaler Gesellschaft offenbar mitunter extravagant erscheinenden Kleidung, mit der sie sich angeblich bloß für sich selbst und ihren Ehemann herausputzt, aber auch eingesteht, dass sie damit ihr Anderssein herausstreichen will, damit für einen Fremden sofort klar ist, wenn er sie sieht, »dies ist mehr als Clausthal!" (zit. n. Waitz 1871, S.16)

Was immer Christian Boie (1744-1806) also mit seinem Hinweis auf die Göttingische Natur gemeint hat, der Hinweis darauf geht nicht ganz fehl. In der geschlossenen Gesellschaft der Göttinger Professoren, in deren Mitte Caroline aufgewachsen war, konnte sie auch im Kreise ihrer Freundinnen, der Göttinger Universitätsmamsellen, ein Leben führen, das reich an kulturellen und geistigen Anregungen gewesen war. Und dazu waren noch die zahlreichen Hausbälle gekommen, die sie offenbar in Clausthal vermisst.

An ihre Schwester Lotte schreibt sie 1784: »Ich für mein Theil werfe mich alle Tage mehr in Clausthal herein, ohne mich in die hiesige Form zu gießen.« (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.116) So hat sie es nach ihrer Ansicht nicht an Versuchen fehlen lassen, sich mit ihrer gesellschaftlichen Lage zu arrangieren.

Sie macht immer wieder Besuche, trifft ihren Vetter Schichtrupp aus der ersten Ehe ihres Vaters, der aber wie seine Frau (»ein gutes Vieh«) keine Ahnung vom »amerikanischen Krieg« hat und besucht die Familie des Berghauptmanns von Zellerfeld »Carl von Praun (1732-1808), bei denen sie sich durchaus amüsiert (ebd., S.116f.). Bei ihren unmittelbaren Nachbarn, der Familie des Generalsuperintendenten »Georg Christoph von Dahme (1737-1803) und seiner aus England stammenden Frau Friederike Sophie Luise, geb. Best (1757-), mit denen die Böhmers freundschaftliche Kontakte pflegen, ist sie immer wieder zu den von Frau Dahme veranstalteten englischen Teestunden zu Gast, wo auch immer nur Englisch gesprochen wird. (vgl. Wiedemann 1929, S.77), von denen sie mutmaßlich spricht, wenn sie davon berichtet »in den Clubb« (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.128) zu gehen. Und auch die von Tebras, die Familie des Berghauptmanns »Friedrich Wilhelm Heinrich von Tebra (1740-1819), einem sehr gebildeten Mann, der Rechtswissenschaften, Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften in Jena studiert hatte, sowie die Familie des Mineraliensammlers und Apothekers »Johann Christoph Ilsemann (1727-1832) und seiner zweiten Frau Sophie, geb. Meyer (1743–1796) gehörten zu dem engeren Freundes- und Bekanntenkreis der Familie Böhmer in Clausthal.

Auch zu den Teestunden von der 11 Jahre älteren Rebecca Luise von Reden (1752-1816), Caroline spricht von ihr stets als Frau von Reden, der Ehefrau des »aus einem alten Adelsgeschlecht stammenden braunschweig-lüneburgischen Berghauptmanns »Claus Friedrich von Reden (1736-1791) ist sie eingeladen, hat aber zunächst den Eindruck, dass diese zwar nach außen hin »sehr holdseelig« getan habe, ihr aber "wegen des schwarzen Gürtels, und weil ihr Mann englisch" mit ihr gesprochen habe, ihr »gewiss nicht gut« gesinnt sei. (ebd., S.116f.) Weitere Lästereien über sie will sie sich und Lotte ersparen (»bouche close!«). Trotz alledem nahm sie auch, wie sie zwei Jahre später in einem weiteren Brief schreibt, an einer von Frau von Reden organisierten Caroline aber wenig glanzvoll erscheinenden Schlittenfahrt teil. Alles in allem, einschließlich der »Musik und der prachtigen)n) Bewirthung« ein Event, das »ganz erträglich« gewesen zu sein scheint. (ebd., S.129)

Woran es im Einzelnen lag, dass Caroline allenfalls zu Friederike Sophie Luise von Dahme eine etwas engere Beziehung aufbauen konnte und sonst offenbar mit keiner der Frauen in ihrer näheren gesellschaftlichen Umgebung besonders gut zurecht kam, lässt sich nur mutmaßen. Sicher spielte eine Rolle, dass sie gewöhnlich deutlich älter waren, oft schon Mütter etlicher Kinder waren und sich gegenüber der jüngeren, dazu auch etwas extravagant gekleideten und vielleicht auch nicht immer sehr zurückhaltend auftretenden Neuankömmlingin auch reserviert und blassiert verhielten.

Caroline Böhmer konnte sich mit dem Leben in Clausthal mit seinen langen und harten Wintern, in denen sich das gesellschaftliche Leben in hohem Maße hinter die eigenen vier Wände zurückzog, nicht wirklich abfinden. Sie war mehr und mehr unglücklich darüber, auch wenn sie nach außen hin immer die Fassade einer mit ihrem bürgerlichen Dasein und ihrer Rolle zufriedenen Dasein aufrechterhalten wollte. Als Haus-Frau des bürgerlichen Zwei-Personen-Haushaltes war sie mit ihren zwei Bediensteten, einem Dienstmädchen namens Marie und einem Diener namens Friedrich, von der täglichen Hausarbeit entlastet und der Rest, der in dieser Rolle zu tun war, füllte sie in keiner Weise aus. Schon nach kurzer Zeit ist sie schwanger und verbringt die meiste Zeit mit Lesen. Dabei holt sie sich ihren Lesestoff nicht aus der Leihbibliothek in Clausthal, sondern hält ihre alten Freundinnen in Göttingen und vor allem ihre jüngere Schwester Lotte damit auf Trab, sie mit den von ihr geäußerten Lektürewünschen über eine Botenfrau zu versorgen.

Sie liest querbeet, aber nicht mehr nur Romane wie früher in Göttingen, sondern auch Bücher, die Wissen in unterschiedlichen Bereichen vermitteln: »Patriotische Phantasien (1.1775–4.1786) des Publizisten »Justus Möser (1720-1794), »Reisen durch England und Italien von »Johann Wilhelm von Archenholz (1743-1812), »Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn von »Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819), »Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782 von »Karl Philipp Moritz (1756-1793), »Gott! Einige Gespräche von Johann Gottfried Herder (1744-1803), Camille oder Briefe zweier Mädchen aus unserm Zeitalter von »Johann Friedrich Jünger (1756-1797), »Über Kryptokatholizismus, Proelytenmacherei, Jesuitismus, geheime Gesellschaften und besonders die ihm von den Verfassern der Berlinischen Monatsschrift gemachten Beschuldigungen, mit Aktenstücken belegt von »Johann August Stark (1741-1816), Briefwechsel der Familie des Kinderfreunds von Christian Felix Weiße (1726-1804). Dazu kommt noch ▪ Friedrich Schillers (1759-1809) Drama »Don Karlos – Fragment aus der »Rheinischen Thalia –, über das Caroline urteilt, das Stück könne »gut werden, wenn er seine Sprache ein wenig vom Schwabenland reinigte«. (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.118) Sie ist bei der Auswahl ihrer Lektüre nicht besonders penibel, ihr ist alles willkommen, was sie noch nicht gelesen hat. (Brief an Lotte Michaelis v. 22.3.1785, zit. n. Waitz 1871, S.34) In jedem Fall will sie, was das Lesen betrifft, am Puls der Zeit bleiben, und sich nicht, so klingt es dabei durch, sich auf das geistige Niveau ihrer Clausthaler Gesellschaft begeben. Sie will aber durchaus »etwas amüsantes gut zu lesen, wenn man auf dem Sopha liegt«, ein Buchformat, »was man mit einer Hand hält« wie z. B. »neuere französische Trauerspiele, kleine Romane, Memoires oder auch etwas ernsthaftres.«  (ebd.)

Am 28. 4.1785 bringt Caroline Böhmer im Alter von zweiundzwanzig Jahren ihr erstes Kind, eine Tochter, die den Namen Philippina Augusta (Auguste) erhält zur Welt. Es war eine äußerst schwierige Geburt, nach der die junge Mutter vierzehn Tage lang mit dem Leben kämpfte und an einer schweren Wochenbettpsychose erkrankte.

Ein Jahr vergeht, in der sich Caroline offenbar kaum von ihrer depressiven Verstimmung befreien kann, trotz des Heranwachsens ihres ersten Babys, das sie mit Stolz erfüllt. Aber dann greift doch das Leben wieder nach ihr, wie es viele Menschen erleben, wenn eine Depression oder schwere Lebenskrise endet.

Die österreichische Schauspielerin und Schriftstellerin »Erika Pluhar (geb. 1939) hat den Weg daraus in einem »Interview im Jahr 2011 in besonders eindrucksvollen Worten beschrieben: "Ich war ein bisschen tot. Wenn man sich dann nicht die Kugel gibt, greift irgendwann das Leben wieder nach einem, einfach das Leben: Man geht jeden Morgen ins Badezimmer, plötzlich merkt man, dass einem was schmeckt, plötzlich hört man sich sogar lachen. Während man noch hinterhersterben möchte, lebt man bereits wieder."

Es könnten die Worte von Caroline Michaelis sein, die fast 250 Jahre früher meinte: »Denn aus jener Stimmung , wo die Seele in sich zurückkehren zu wollen und im Begriff schien ihre Tiefen und unser Wesen zu ergründen – ruft uns doch so leicht das mindeste zurück, eine Stimme, ein schneller Blick, der auf ein Band fällt, auf ein etwas — und das leitet uns wie ein Blitz zurück auf die Gegenwart, auf Annehmlichkeit und Abwechslung des Lebens. Geschmack und Freude daran leben auf. Es ist so – weiter weis ich nichts davon. Gestern hab ich tracktirt, und da war mir der Braten wichtiger wie Himmel und Erde« (Brief an Lotte Michaelis Anfang 1786, zit. n. Waitz 1871, S.31)

Sie hat sich mit ihrer Lage abgefunden, erklärt sich ihre Anpassungsschwierigkeiten und seelischen Probleme mit ihrer langanhaltenen Krankheit. Zugleich ist sie offenbar bereit, ihre Situation, aber auch vor allem sich selbst, so anzunehmen, wie sie sind. Nur auf den ersten Blick wirkt die Rechtfertigung ihrer erlangten "Zufriedenheit" mit ihrem Leben resignativ, wenn sie sagt: »Ich bin nicht mehr Mädchen, die Liebe giebt mir nichts zu thun, als in leichten häuslichen Pflichten - ich erwarte nichts mehr von einer rosenfarbnen Zukunft – mein Loos ist geworfen.« (Brief an Lotte Michaelis v. 28.5.1786, zit. n. Waitz 1871, S.37) Dass sie ihre »glühende(n) Phantasien«, die sie im Abstand von ca. eineinhalb Jahren als einen Verlust der Selbstkontrolle bewertet, hinter sich gelassen hat, hat sie vom Mädchen zur Frau reifen lassen, die sich in ihrer sozialen Rolle akzeptiert. Schönreden und mit dem trügerischen »Sandwüstenbild« (ebd., S.31) des Lebens wie in jungen Jahren  lässt sich aber in ihren Augen auch nicht, was das Leben einer Frau von einem Mädchen unterscheidet. Was aber geschieht, ist eben der Lauf der Dinge.

1786 ist »Dorothea Schlözer (1770–1825), die enge Jugendfreundin von Carolines Schwester Luise (1770-1846) und Tochter des Caroline stets zugeneigten Professors »August Ludwig von Schlözer (1735-1809) alleine zu einem sechswöchigen Studienaufenthalt in Clausthal und sicher mit Caroline, die sie ja seit Kindestagen gut kennt, öfters mal zusammengetroffen. Die hochbegabte junge Frau ist schnell Stadtgespräch, denn "nie zuvor hatte ein weibliches Wesen so intensive mineralogische, geologische, bergbautechnische Untersuchungen betrieben. Selbst vor dem Abstieg über hohe Leitern in die finstere Unterwelt der Grube – in Kittel und Berghosen gesteckt und nut mit dem Arschleder zum Schutze des Allerwertesten ausgerüstet – schreckte die Sechzehnjährige nicht zurück." (Roßbeck 2009, S.59)

Caroline und ihr Kind überleben das Wochenbett und etwa ein Jahr später ist sie erneut schwanger. Im Frühjahr reist Carolines Schwester Luise Michaelis (1770-1846) für sechs Wochen nach Clausthal, um ihrer älteren Schwester im zweiten Wochenbett Gesellschaft zu leisten. (vgl. Wiedemann 1929, S.17) Am 23. 4.1787 bringt diese ihre zweite Tochter Therese, genannt Röschen, zur Welt.

Was sie über ihr Leben als Mutter ihrer beiden kleinen Töchter berichtet, ist lapidar: »Von meinem übrigen Leben ist wenig zu sagen; es ist von außen so einförmig, daß man sich nur beim Erzählen wiederholen würde«, bemerkt sie in einem Brief an ihre Freundin Luise Gotter im Dezember 1787 und fügt hinzu: »Die innere Geschichte ist um desto mannigfaltiger und zu weitläufig.« (zit. n. Kleßmann 1975, S.69)

Im Sommer erfährt sie davon, dass »Dorothea Schlözer (1770–1825) auf Vorschlag von Carolines Vater als Dekan »Johann David Michaelis (1717-1791) als erste Frau in Deutschland den Doktortitel in Philosophie erworben hatte. (Die erste Frau im deutschsprachigen Raum, die überhaupt einen Doktortitel erwerben konnte, war »Dorothea von Erxleben (1715.1762), die 1754 in Halle den Doktortitel in Medizin erhielt).

Caroline, die sich ▪ schon früher gegen Blaustrümpfe ihrer Art positioniert hatte und gerade auch Dorothea deshalb eine ▪ wenig glückliche Zukunft als Frau in einer Männergesellschaft vorhergesagt hatte, grenzt sich auch jetzt noch klar ab und hält in einer lapidaren Bemerkung daran fest, dass der Doktortitel "Dorotheas Lebensglück mit unvermeidlicher Konsequenz zerstören" (Roßbeck 2009, S.60) werde.

Wahrscheinlich schwingt in diesem apodiktischen Urteil auch ein gehöriges Maß an nicht eingestandener Bewunderung mit, zumal sie sich ja in den Clausthaler Jahren nicht nur im Gebrauch der französischen und englischen Sprache perfektioniert, sondern sich mit beim Lesen auch allgemeinen politisch-gesellschaftlichen, historischen und philosophischen Themen zuwendet. Luise Wiedemann, ihre jüngere Schwester, berichtet sogar davon, dass "der berühmte Schlözer der sie als junges Mädchen sehr hoch stellte u. sie öfters Abend zu sich einlud u. nie verfehlte sie selbst in Begleitung eines Dieners der die Laterne vortrug zu Hause zu begleiten, den Vorschlag machte sie solle wie er seine Tochter Dorothea die nachdem beim 50. Jubileum in Göttingen promovirt ward auch ganz der Wissenschaft u. besonders der Geschichte zu weihen, ja Vorträge zu halten." (Wiedemann 1929, S.77)

Die weiteren Umstände sind nicht bekannt. Feststeht nur, dass Caroline den Vorschlag ablehnte und es vorzog, ihre Sprachkenntnisse in Englisch noch zu verbessern. Dies konnte sie in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld tun. Denn nebenan im Hause der mit den Böhmers in Clausthal befreundeten Familie des Generalsuperintendenten »Georg Christoph Dahme (1737-1803), mit dem ihr Mann über seine Mutter verwandt war, wurde immer nur Englisch gesprochen. (vgl. ebd.)

Dass sich Carolines Prognose für die Zukunft von Dorothea Schlözer später sogar erfüllte, ändert an der Tat nichts, dass die 15-jährige Dorothea einmal klare Ansprüche an das Geschlechterverhältnis stellte, als sie in einem Brief an ihre Jugendfreundin Luise Michaelis (1770-1846) formulierte: »Weiber sind nicht in der Welt, bloß um Männer zu amüsieren. Weiber sind Menschen wie Männer: eines soll das andere glücklich machen. Wer bloß amüsiert sein will, ist ein Schlingel, oder er verdient nur ein Weib von schönem Gesicht, das er in vier Wochen satt ist." (Brief an Luise Michaelis v. 17.6.1785, zit. n. Finckh (Hg.) 2015, S.285)

Am 4. Februar 1788, Röschen ist noch nicht einmal ein Jahr alt und Auguste noch nicht drei stirbt Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788) völlig überraschend nach kurzer schwerer Krankheit an einer Infektionskrankheit, womöglich Fleckfieber, die er sich wohl in seiner Praxis als Bergmedicus zugezogen hat. Caroline Böhmer wird im Alter von 24 Jahren, nach nicht einmal vier Jahren Ehe, quasi über Nacht Witwe und steht mit ihren beiden kleinen Töchtern alleine da. Und in ihrem Bauch wächst schon das nächste Kind heran, das sie von ihrem Mann empfangen hat. Vielleicht hat es Caroline in ihrer Trauer geholfen, dass viele Menschen, bei denen der Arzt äußerst beliebt gewesen war, ihre Beileid bezeugten. Ingesamt gesehen ließ sie sich aber wohl den Schicksalsschlag nach außen hin wenig anmerken, zeigte sich sehr gefasst und kämpfte sich, so gut es ging, in ihr neues Leben hinein. Und das hieß vor allem: Perspektiven dafür zu entwickeln, wie sie sie sich und ihre bald drei Kinder ernähren, wo sie künftig wohnen, kurzum wie es nun weitergehen sollte, mit ihrem selbst noch so jungen Leben. Das selbständige Leben einer »Amalia von Gallitzin (1748-1806), das sie noch ein paar Jahre zuvor ▪ aus verschiedenen Gründen abgelehnt hatte, wäre ihr, hätte sie deren finanziellen Mittel als Witwe besessen, wahrscheinlich jetzt gar nicht nicht mehr so unvorstellbar gewesen.

Für das erste Vierteljahr nach dem Tod ihres Mannes war noch in der üblichen Weise gesorgt. Als Witwe des Bergmedicus stand ihr das übliche Gnadenquartal zu, d. h. sie erhielt die Bezüge ihres Mannes für drei Monate ausbezahlt und dazu auf Anordnung des Berghauptmanns eine weitere freiwillige finanzielle Leistung. Danach stand ihr eine geringe, aber immerhin regelmäßig gezahlte Witwenpension zu, mit der sie sich und ihre Familie dann einigermaßen über Wasser halten konnte, wenn sie sich keine Extravaganzen mehr leistete. Das wichtigste aber: Ein Dach über dem Kopf zu bekommen.

Schon bald macht ihr der neun Jahre ältere Bruder Fritz, »Christian Friedrich Michaelis (1754-1814), der seit 1786 den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität von Marburg innehat und inzwischen, immer noch unverheiratet, in Marburg lebt, das Angebot mit den Kindern zu ihm ziehen und ihm den Haushalt zu führen.

Allerdings lässt das Haus, das er bis dahin in Marburg mit seinen Bediensteten bewohnt, alles vermissen, was nach Ansicht von Caroline für das Führen eines Haushaltes, wie sie es gewohnt ist, erforderlich ist. In einem Brief an ihren jüngeren Bruder Philipp, der inzwischen in Marburg studiert und im Haus von Fritz wohnt, schreibt sie sich von der Seele, wie sie den Haushalt "aufzumischen" gedenkt: »Denn mit dem armseeligen Heerd ists doch nicht gethan. Da ist ja z. B. kein Winkel den, wo die Domestiken schlafen könten – nicht ein Oertchen, wo man Dinge bergen könte, die man nicht alle Tage braucht. Die Küche so noch am Vorsaal -– wie würde da Bruder Friz oft gestört werden. Kein Boden, kein Fleckchen, wo sich waschen läßt, kein Blaz die nöthigsten Schränke zu placiren. Kurz, ein ordentlicher Haushalt ist da gar nicht zu führen. Es wäre nichts halbes und nichts ganzes, es wäre nichts. Weist Du was ich wollte? Entweder, daß sich mein lieber Friz geduldete, bis er ein ander Haus hätte, oder daß es möglich wäre ohne Haushalt bey ihm zu wohnen, sich speiſen zu laßen, und nicht so für Ewigkeiten zu bauen. Da braucht ich nichts wie Raum für mich und meine Kinder. Da ließen wir, Du und ich uns das Eßen holen, und er ginge an seinen Tisch.«

Am 20. Juli 1788, noch ehe der Haushalt in Clausthal endgültig aufgelöst ist, bringt Caroline in Göttingen, wohin sie sich zur Entbindung begeben hatte, ihren Sohn Johann Franz Wilhelm zur Welt, der allerdings knapp zwei Monate später verstirbt.

Letzten Endes entscheidet sich Caroline auf das Drängen ihrer Mutter hin, in das Michaelis-Haus nach Göttingen zurückzukehren, wo der Zustand des inzwischen erkrankten und unter seinem zunehmenden Bedeutungsverlust leidenden Vaters Anlass zur Sorge gibt. So kehrt Caroline im Herbst 1788 wieder nach Göttingen zurück.

Zeittafel

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 31.12.2021

 
 

 
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