Die Heirat der
zwanzigjährigen »Caroline
Michaelis (1763-1809) mit dem zehn Jahre
älteren, ehemaligen Nachbarsohn Johann Franz Wilhelm Böhmer
(1754-1788) am 15. Juni 1784 war keine Liebesheirat.
Ihre Verlobung im
Oktober 1782, das hatte sie in einem Brief Ende desselben Monats
gegenüber ihrer drei Jahre älteren Freundin
Luise Stieler (1760-1826)
aus Gothaer Mädchenpensionatszeiten, die zu diesem Zeitpunkt
schon zwei Jahre verheiratet war, bekannt, hatte ihr »Thränen
der Freude« bereitet und sie rundum glücklich gemacht: »ich
bin ganz glücklich. Wohl mir daß ich endlich im ruhigen Hafen bin!
Gefährlich war die Fahrt. Unbesonnenheit führte mich auf Irrwege,
Leidenschaften warfen mich bin (und) her, ich hätte sinken können,
aber die Hand der Vorsehung hielt mich, und ließ mich nur darum alle
Unannehmlichkeiten des Wegsfühlen, um mich ſeines glücklichen Ziels
werth zu machen. Und hier danke ich dem Gott der es mir bereitete.
Dich fordre ich auf , Dich mit mir zu freuen.« (Waitz
1871, S.5 f.)
Es war eine
typische Konvenienzehe, wie sie in
bürgerlichen Kreisen dieser Zeit gang und gäbe war. Caroline
erfüllte damit den langgehegten Wusch ihres neun Jahre älteren
Halbbruders »Christian
Friedrich Michaelis (1754-1814) (Fritz), der die Ehe mit seinem
besten Freund aus der Nachbarschaft eingefädelt hat und ihr in
seinen Briefen aus Amerika offenbar immer wieder zugeraten hatte.
Ihre Göttinger Freundinnen informierte Caroline jedenfalls 1784 mit
den Worten, dass Fritz »mich an einen Mann (gibt), den er mir von
Kindheit an bestimmt hat« (zit. n. Roßbeck
2009, S.43)
Fritz war seit dem
Mai 1784 aus dem »Amerikanischen
Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) wieder zurück, an dem er
sich als
freiwilliger Söldner im Rang eines Stabsarztes in einem hessischen
Regiment Ende des Jahres 1781 hatte anwerben lassen. Als er
zurückkehrt, ist Caroline mit dem Nachbarssohn schon über eineinhalb
Jahre verlobt. (vgl.
Roßbeck
2009, S.43).
Bei ihrem Vater hatte der 1777 promovierte Arzt,
der einen längeren Fortbildungsaufenthalt in England hinter sich
hatte und 1782 als Dozent und Arzt "Aufseher" der von den
Freimaurern gegründeten "Chirurgischen - und Krankenhaus-Hospitale"
in Göttingen berufen worden war, sondiert, ob er einer Heirat mit Caroline zustimmen würde und offenbar
"grünes Licht" bekommen.
Anfang 1784 bewirbt er sich auf die vakante
Stelle eines Stadt- und Bergmedicus im 60 km entfernten Clausthal im
Harz und wird im Februar in dieses Amt bestellt. Klar, dass Caroline
nach der Heirat im Juni des gleichen Jahres folgen wird, auch wenn
der dann anstehende Umzug ihr sicher nicht gefallen hat.
»Christian
Friedrich Michaelis (1754-1814) (Fritz) kannte ihren Ehemann
also schon seit ihrer Kindheit, auch wenn sie angesichts des
Altersunterschiedes, der zwischen beiden bestand, gewiss keine
Spielkameraden gewesen waren. Auch gibt es keine Zeugnisse darüber,
dass die beiden während der Abwesenheit Böhmers aus Göttingen in
brieflichem Kontakt gestanden hätten. Trotzdem war er ihr kein
Unbekannter und nun auch zu seiner Familie zu gehören, »die in jedem
Glied sich liebt, und gut ist« (Schlegel-Schilling,
Die Kunst zu leben 1997, S.114), wie Caroline im Rückblick auf
ihre Hochzeitsfeier in einem Brief vom 9. Juli 1784 aus Clausthal an
ihre Freundin Luise Gotter, geb. Stieler
(1760–1826), schreibt, ist für sie auch ein Grund, der gerade
erst sechs Wochen alten Ehe eine günstige Prognose auszusprechen,
auch wenn ihre »Zärtlichkeit für ihn (...) nicht das Gepräge
auflodernder Empfindungen (trägt)« (ebd., S.115)
Trotzdem: Johann
Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788) ist eine eine in vielerlei Hinsicht
gute Partie. Er hat einen tadellosen Ruf, man sagt ihm nach, er sei
zielstrebig, warmherzig und rücksichtsvoll. Er ist umfassend
gebildet, hat eine Weile lang Belletristik, Moraltheologie und
Philosophie studiert, spricht ausgezeichnet Englisch und
Französisch. In kürzester Zeit hat er seinen Platz in Clausthal als
Bergmedicus eingenommen und ist in den Augen vieler Einwohner dort
zum »Liebling des Harzes« (ebd., S.104)
avanciert. Caroline weiß, dass er in Clausthal
in der sozialen
Hierarchie der Beamten an vierter Stelle steht und ihr allein schon
deshalb eine angemessene Wertschätzung entgegengebracht würde. Sie
würde in der dem Bergmedicus zustehenden Dienstwohnung das Leben
einer gutsituierten bürgerlichen Ehefrau führen können, die durch
ein Dienstmädchen und einen Diener von Hausarbeit aller Art
entlastet war. Eigentlich gute Voraussetzungen für einen
gesellschaftlichen Neustart im zweiten Abschnitt ihres Lebens. Und:
Zunächst einmal nimmt sie sich vor, das ihr vorgezeichnete Leben zu
führen und die entsprechenden gesellschaftlichen Erwartungen zu
erfüllen.
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Auch wenn die Ehe,
die Caroline mit Wilhelm auch eine typische
endogame Konvenienzehe ist, darf man sich eine solche
Ehe nicht immer so vorstellen, als habe es in
ihr keinen Raum für Gefühle zwischen den Partnern gegeben.
Materielle und emotionale Interessen sind nämlich nicht unbedingt
Gegensätze und "Emotionen sind [...] eingelagert in vielschichtige
Prozesse des sozialen Austauschs und der gegenseitigen materiellen
und sozialen Abhängigkeit." (Gestrich
2003, S.487f.) An dieser Feststellung ändert sich auch nichts,
wenn im 19. und 20. Jahrhundert immer nur von Liebe geredet wird,
denn auch dann hängt das, was konkret darunter verstanden wurde, von
vielen unterschiedlichen Faktoren ab.
Das Konzept der bürgerlichen Konvenienzehe
Dass eine Ehe von den Eltern
oder der Verwandtschaft eingefädelt wurde, war im 18. Jahrhundert
nicht nur im Adel üblich. Auch in bürgerlichen Kreisen
wurden Ehen so angebahnt. Meistens trat dazu ein Heiratsvermittler
aus der eigenen Verwandtschaft oder dem Freundeskreis in Aktion. Wie
groß der Entscheidungsspielraum der über ihn zur Heirat zu
bewegenden Partner war, und insbesondere der oft (jungen) Frauen, die mit bedeutend älteren Männern
verheiratet werden sollten, hing sicher von vielen Faktoren ab. Vom Alter, der
wirtschaftlichen Lage der Herkunftsfamilie, den religiösen
Überzeugungen, dem sozialen Umfeld u. v. a. m.
Selbst wenn ihr
Zustandekommen in manchem unterschiedlich gewesen sein mag, haben
solche arrangierten Ehen aber herzlich wenig mit dem Konzept der romantischen
Liebe zu tun, das zwar in der Literatur des 18. Jahrhunderts
durchaus thematisiert wurde. Dafür steht z. B. »Friedrich
Schlegel (1772-1829) 1799 erschienener Roman »Lucinde,
der "eine sinnlich und geistige Zuneigung integrierende Ehe" (Gestrich
2013, S.32) zum Thema machte.
Diese Vorstellung
knüpfte dabei aber auch daran an, dass im 18. Jahrhundert "nach und
nach ein Eheideal (entstand), das es den
Ehegatten zur Pflicht macht, einander wie Verliebte zu lieben – oder
wenigstens so zu tun. Die außereheliche Erotik hat Eingang in die
Ehe gefunden und die traditionelle Zurückhaltung zugunsten der
Leidenschaft auf die Dauer verdrängt." (Aries
1992a, S.173)
Ansonsten folgt das Konzept der
bürgerlichen Ehe der Zeit wohl eher dem, was ▪
Friedrich Schiller (1759-1805)
in seinem im gleichen Jahr verfassten ▪
Lied
von der Glocke geradezu programmatisch gefasst hat. Darin wird
die Ehe, soweit sie den Mann angeht, nur als ein Teil seines Lebens
verstanden, das darüber hinaus seine berufliche Existenz und die
sich daraus ergebenden sozialen Kontakte außerhalb der häuslichen
Sphäre umfasste, beides die anderen Teile, die genauso wichtig
waren. Für die bürgerliche Frau hingegen war die Ehe der einzige
Raum, "in dem sie sich bewegen konnte und an den alle anderen
Aktivitäten im gesellschaftlichen Rahmen zurückgebunden waren." (Frevert
1986, S.46) Wenn sie damit zwar im Vergleich zu den Männern aber
auch nicht in gleicher Weise den Zwängen und Konflikten der Welt
außerhalb der häuslichen Sphäre augesetzt war, wurde dies damit
erkauft, dass sie die außerhäusliche Lebenswelt nicht als eine
Sphäre für die Entdeckung und Verwirklichung eigener Bedürfnisse
wahrnehmen und nutzen konnte. Ohne eigenes Geld war in einer
Lebensform, in der ein paternalistischer Patriarchismus dominierte,
in dem der Mann, wenngleich auch nicht immer so "rigide, wie dies in der
älteren, auch frauengeschichtlichen Literatur z. T. dargestellt
worden war" (Gestrich
2013, S.121), alle wichtigen Entscheidungen fällte, an ein
selbstbestimmtes, freies Leben ohnehin nicht zu denken. Und wo es
aus irgendwelchen Gründen weder an Geld, noch an der erforderlichen
Freiheit, darüber zu verfügen, mangelte. da sorgten
gesellschaftliche Konventionen dafür, dass die Frau tat, "was sich
für eine Frau schickte und was nicht, und Haushalts- und
Familienpflichten taten ein übriges, um eine Hausfrau und Mutter in
ihren vier Wänden festzuhalten." (Frevert
1986, S.46)
Wie es zu dieser im
18. und 19. Jahrhundert verstärkten "(weiteren) Polarisierung der
Geschlechtscharaktere" (Eder
2002, S.131) gekommen ist, wird von der Forschung auf
unterschiedliche Weise erklärt. Sozialhistorisch werden die
Besonderheiten der bürgerlichen Geschlechterdifferenz auf die
"Trennung von privatem und öffentlichem Bereich bzw. familialer und
beruflicher Sphäre" zurückzuführen sei, die entsprechende
Rollenzuweisungen nach sich gezogen habe. In einer Art
"Nachzugsverfahren" seien, um die soziale und kulturelle Verortung
der Geschlechter absichern und legitimieren zu können, dann
(wissenschaftliche) Definitionen darüber das scheinbar natürliche
männliche und weibliche Geschlecht nachgeliefert worden. (vgl.
ebd.,
S.130) Dass die "wissenschaftlichen" Legitimationsstrategien der
Geschlechterpolarisierung in der Regel ein Theoriegebäude reinster
"Geschlechtermetaphysik" war, die aus den biologischen Unterschieden
der Geschlechter kurzerhand unterschiedliche Rollenmodelle und
Lebensprojekte entwickelt und begründet haben, spielte dabei lange
keine Rolle." Der Mann - so das Modell - ist aktiv, die Frau passiv;
der Mann von seinem Tun, die Frau von ihrem Sein her lebend; der
Mann gehört in die Leistungswelt, die Frau steht jenseits der
Leistungszwänge in einer anderen Welt - der der Freiheit; der Mann
lebt von seiner Kultur, die Frau von ihrer Natur, ihrer
Geschlechtsrolle; der Mann ist aufs äußere und öffentliche Leben
bezogen, auf Markt, Konkurrenz und Macht, auf Arbeit und Politik und
auch auf deren Anonymität, die Frau aufs Innere und Private, aufs
Intime und auch aufs Personale; der Mann ist bestimmt von
Rationalität und Objektivität, die Frau von Emotionalität und
Subjektivität. Das ist nicht einfach eine Unterscheidung; vielmehr:
Die Frau ist notwendige kompensatorische Ergänzung zur Einseitigkeit
des Mannes. Dazu kommt, dass ihre familiale Rolle nicht als eigene
ausgreifende Aktivität beschrieben wird, sondern vor allem als
aufopfernde, geduldig hinnehmende Liebe. Die Frau ist für andere,
für den Mann, für die Kinder da. Und die Frau ist dem Mann gegenüber
schutzbedürftig, hilflos - so ist jedenfalls der Stil des Umgangs.
Das spitzt sich zu zum Verhältnis von Welt und Heim: auf der einen
Seite das Heim, der Ort der Nähe, der Harmonie, des Friedens und der
Geborgenheit. Und das war dann eine Beschreibung der Ehe. In ihr
besorgt die Frau das Heim, das ist ihre Sphäre, sie bestimmt als
liebende Mutter die Familienatmosphäre. Das Heim ist der Ruhepunkt
des Mannes, dessen Leben in den Auseinandersetzungen mit und in der
Welt abläuft, und es ist der Ort der Bildung der künftigen
Generationen; öffentliche Einrichtungen wie Schulen hatten nur
Hilfsfunktionen." (Nipperdey 1990,
S. 48f.)
Andere Forscher
haben im Hinblick auf den Prozess der Geschlechterpolarisierung
eingewandt, dass diese nicht erst im bürgerlichen Zeitalter begonnen
habe. Sie gehen davon aus,
dass erst die Wissenschaft den sogenannten "bürgerlichen Menschen"
konstruiert hat, indem sie die bürgerliche Geschlechterdifferenz als
Ergebnisse ihrer rationalen Erforschung der Natur präsentierten und
daraus quasi natürliche Normen der weiblichen und menschlichen
Psyche und Physis ableiteten. Wie dem auch sei: Klar scheint zu
sein, "dass der Differenzdiskurs seit dem späten 18. und während des
19. Jahrhunderts von einem wissenschaftlichen Deutungsprozess
begleitet und untermauert wurde, der die Fundierung der
Geschlechtercharaktere vom Sozialen hin zur sogenannten »Natur«
verschob." (Eder
2002, S.131)
Das Ideal der bürgerlichen
"Liebesheirat" im 18. Jahrhundert war jedenfalls nicht die
"»romantische«, sondern die »vernünftige« Liebe. Kriterien der
Vernunft sollten nicht der Besitz, sondern die moralischen
Qualitäten der Partner sein." (Gestrich
2003, S.502)
Dabei musste bei
solchen »Konvenienzehen
(lat. conveniens "übereinstimmend,
angemessen, passend": Übereinkunft), selbst wenn nach außen die
moralischen Qualitäten der möglichen Ehepartner (die Keuschheit der
Frau stand dabei an erster Stelle) betont wurden, natürlich
erheblich mehr "stimmen": Es sollte, wenn möglich, auch in
bürgerlichen Kreisen standesgemäß geheiratet werden, sozialer Status
und die finanziellen Verhältnisse der Herkunftsfamilien sollten im
Prinzip zueinander passen.
Bildung war bei den männlichen
Heiratsaspiranten ein förderlicher Teil ihres Profils, das soziale
Kapital der Frauen war ihre Eignung als Ehefrau, ihre lebenslange
Mutterschaft und ihre Qualitäten als Haus-Frau, die Dienstboten,
Köchinnen und Hausmädchen Anweisungen gab und deren Tätigkeit
kontrollierte, den Einkauf überwachte, die umfangreichen
Produktions- und Verarbeitungsgeschäfte innerhalb des Haushaltes
leitete, für die Anschaffung nicht selber herstellbarer Waren sorgte
und über die Ausgaben Buch führte. (vgl.
Frevert 1986,
S.43)
Konvenienzehen
waren nicht unbedingt Zwangsheiraten, wie es z. B. beim Adel oder in
anderen Kulturen bei den sogenannten Kinderehen der Fall war, bei
denen jede selbständige Partnerwahl ausgeschlossen war und ist. Wenn
sie, wie schon erwähnt von Verwandten oder freundschaftlich mit den
Heiratsaspirantinnen und -aspiranten und deren Familien verbundenen
Personen eingefädelt wurde, vollzog sich das Kennenlernen oft in
einer Art Ritual aufeinander abfolgender Schritte, ehe man vor den
Traualter trat.
Nein zu einer solchen Verbindung zu sagen, war in
der patriarchalischen Welt für Frauen nur schwer möglich und konnte
sie und ihre Familien sowie den Heiratsvermittler in ernsthafte
Schwierigkeiten bringen. Wenn sich eine Frau gegen eine so
arrangierte Ehe mit Erfolg stemmen konnte, dann unterstand sie
nämlich als unverheiratete erwachsene Frau "weiterhin der
»väterlichen Gewalt« oder hatten sich nach dem Tod des »Hausherrn«
brüderlichen Weisungen zu fügen."
Caroline Böhmer
hat, ehe sie 1796 August Wilhelm Schlegel heiratete, immer wieder
erleben müssen, wie man sie zu Konvenienzehen, selbst mit noch so
"honorigen", ja freundschaftlichen Absichten der jeweiligen
Heiratvermittler drängen wollte. Welche Folgen es haben konnte, wenn
man das von einem angesehenen Heiratsvermittler ausgehende
Heiratsangebot eines in der Öffentlichkeit stehenden Mannes
ausschlug, hat sie 1791 am eigenen Leib erfahren. Nur mit Mühe, aber auch völlig entrüstet
über den als Heiratsvermittler auftretenden Mann ihrer lebenslangen
Jugendfreundin, »Friedrich
Wilhelm Gotter (1746-1797), konnte sie das Angebot des gerade erst verwitweten »Josias
Friedrich Christian Löffler (1752-1816) ausschlagen und die ihr
von Gotter ▪
aufgedrängte Konvenienzehe abwenden.
Die
Endogamie, die Heirat innerhalb der eigenen sozialen Schicht, die
schon über Jahrhunderte hinweg dafür gesorgt hatte, dass sich
bestimmte Strukturen sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher
Macht über den Wechsel der Generationen" (ebd.,
S.484) hin reproduzieren konnten, blieb auch in
den bürgerlichen Oberschichten im 18. Jahrhundert charakteristisch
für die Partnerwahl. (ebd.,
S.502). »Mesalliencen,
wie man Eheschließungen nannte, die zwischen Partnern
unterschiedlicher Gesellschaftsschichten geschlossen wurden, standen
nicht nur bei Adeligen in einem schlechten Ruf, sondern auch bei der
bürgerlichen Oberschicht.
Das Konzept der bürgerlichen Ehe und Familie entstand also in einer
Zeit tiefgreifenden politischen, sozialen und ökonomischen Wandels,
"gewissermaßen an der Schwelle zwischen der traditionellen, ökonomisch
begründeten Sachehe und der modernen Liebesehe"
(Schenk
1995, S.84). Aus diesem
Grunde enthält dieses Leitbild Altes wie Neues und auch Widersprüchliches.
Als "Konstrukt des Übergangs" (ebd.) stand es daher auch von Anfang an
unter der Spannung von Ideal und Wirklichkeit.
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Schwierige Jahre in Clausthal
Dass Frauen sich ihrem einigermaßen ungewissen Schicksal in einer Konvenienzehe
überließen, hatte in der bürgerlichen patriarchalischen Gesellschaft
des 18. Jahrhunderts verschiedene Gründe, aber eigentlich blieb
ihnen auch kaum eine andere Wahl.
Wer nicht als "irgendeine alte Jungfer, die nach vielen
bestenfalls harten und schlechtestenfalls erniedrigenden
Gouvernantenjahren noch immer vollkommen mittellos, mal von der
einen und mal von der anderen Verwandtschaft lustlos durchgefüttert
wurde" (Roßbeck
2009, S.44), enden wollte, musste froh sein, rechtzeitig unter
die Haube zu kommen, ehe man aus dem gemeinhin üblichen Heiratsalter
heraus war. All das ist sicherlich auch Caroline vor ihrer Hochzeit
durch den Kopf gegangen. Und ein ▪ "Blaustrumpf
oder Schöngeist" (Rousseau) zu werden, um die die Männer einen
großen Bogen machen würden, hatte sie am Beispiel der ▪
33-jährigen russischen Fürstin Amalia
von Gallitzin (1748-1806) schon im September 1781 verworfen. Und
damit stand stand sie natürlich nicht allein, denn auch einige ihrer
Freundinnen hatten, waren schon verheiratet worden und hatten sich
mehr oder weniger erfolgreich mit einem nach außen hin
abgesicherten, im Innern aber ziemlich trostlosen Eheleben
arrangiert.
Für Caroline war
die Sache entschieden, und so war ihre Reaktion, darauf, dass ihr 9
Jahre älterer Halbbruder »Christian
Friedrich Michaelis (1754-1814) (Fritz), der älteste Sohn der
Familie aus der ersten Ehe des Vaters, nach seiner Rückkehr aus dem
»Amerikanischen
Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) offenbar alles daransetzte, die
von ihm schon lange gewünschte Heirat seiner heißgeliebten Schwester
mit seinem besten Freund aus der Göttinger Nachbarschaft, Johann Franz
Wilhelm Böhmer (1754-1788), endlich unter Dach und Fach zu bekommen.
Natürlich war die
Zeit vor der Hochzeit für Caroline aufregend und alles, was da
kommen sollte, ließen auch bange Gedanken aufkommen. Dabei war sie
jetzt natürlich drei Jahre älter als zu dem Zeitpunkt, an dem sie
ihrer Freundin Luise Gotter am 1. November 1781 geschrieben hatte:
»wenn ich heyrathen sollte, so würde ich für meinen Mann die
höchste Freundschaft, und doch vielleicht nicht so viel, wie für
meinen Bruder hegen.« (Schlegel-Schilling,
Die Kunst zu leben 1997, S.97) Und ein Jahr später am 5.
Oktober 1782, wohl nach der offiziellen Verlobung mit Böhmer,
versicherte sie der Freundin, dass die Freundschaft zu ihr aber für
immer Vorrang haben werde: »Ich habe kein enges Herz, wo solt ich
auch denn mit Euch allen hin? Es ist mir schwer zu bestimmen, wer
mit der theyerste ist. Ich habe es immer behauptet und es bleibt mir
wahr, ich kann ohne Liebe leben, aber wer mit die Freundschaft nimt,
der nimt mir alles, was mir das Leben lieb macht ...« (ebd.,
S.100)
Trotz allem: Als
Caroline 1784 ihrem Mann nach Clausthal in den Harz – dort hatte ihr
Vater 1749 seine erste Ehefrau Friederike Schachtrup (1732-1759)
geheiratet – folgt, tut sie
es wohl in der Überzeugung, dass sie die an sie gerichteten
gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen kann.
Sie will dem schon
erwähnten neuen Eheideal, "das es den
Ehegatten zur Pflicht macht, einander wie Verliebte zu lieben – oder
wenigstens so zu tun" (Aries
1992a, S.173) entsprechen und ihrem Mann, der ja eine
sozial exponierte und angesehene Stellung in der Stadt einnimmt,
als seine Ehefrau, "die die Honneurs zu machen" versteht "und deren
Teenachmittage mit den Ehefrauen seiner Geschäftsfreunde oder
Kollegen von nicht zu unterschätzendem Einfluss auf sein berufliches
Fortkommen" (Frevert
1986, S.42f.) sind, zur Seite zu stehen.
Zu den Gründen, woran
diese Vorsätze in relativ kurzer Zeit zerbrachen, gehört
wahrscheinlich auch die Tatsache, dass die Praxis, die ihr Mann als
Stadt- und Bergmedicus im Erdgeschoss des Hauses, in dem sie die
Dienstwohnung ein Stockwerk darüber bezogen, eher eine Armen- als
Reichenpraxis war (vgl.
Roßbeck
2009, S.51).
"...Schlafmüzen
sinds nicht, aber ihre Spirits haben keinen seinen Spiritus"
schreibt Caroline 1784 an ihre jüngere Schwester Lotte
(Schlegel-Schilling,
Die Kunst zu leben 1997, S.115). Die Frau
Doktorin, wie sie als Ehefrau des Stadt- und Bergmedicus
angesprochen wird, hat schnell herausgefunden, dass sie sich mit
Clausthal, der Stadt und ihrer Umgebung und vor allem natürlich den
Menschen, die dort lebten, nicht anfreunden konnte und wollte.
Stattdessen hadert sie mit ihrem Schicksal, wenn sie, wie später
eingesteht, immer wieder daran denkt: »warum must
Du hier Deine Jugend
verleben, warum Du hier vor
so vielen andern; und vor manchen doch fähig eine größre Rolle zu
ſpielen, zu höhern Hofnungen berechtigt?« (Brief an Lotte
Michaelis v. 28.5.1786, zit. n.
Waitz 1871,
S.36) Das war aber Eitelkeit.
Dabei lag
Clausthal, von der Bevölkerung in etwa gleich groß wie das 60 km
entfernte Göttingen, keineswegs hinterm Mond. Im Gegenteil. Der
Bergbau, wie er dort betrieben wurde, und vor allem die einzigartige
ober- und unterirdische Wasserführung, die man zur Energiegewinnung
beim Erzabbau einsetzte, hatte nicht nur den Wohlstand der davon
profitierenden bürgerlichen und großbürgerlichen Kreisen erhöht, die
diesen offenbar auch gerne auf den Flaniermeilen der Stadt an Sonn-
und Feiertagen und in ihren prachtvoll ausgestatteten Luxuswohnungen
zur Schau trugen. Clausthal war auch durchaus ein touristisches Ziel
für Reisende, die sich für den technischen Fortschritt
interessierten oder einfach auch einmal Lust dazu hatten, in die »Grube
»Dorothea« einzufahren, um zu sehen, wie es "unter Tage" zuging.
(vgl. Roßbeck 2009, S.49) Dass
Clausthal auf der anderen Seite mit dem geistig-literarischen Leben
der Universitätsstadt Göttingen nicht mithalten konnte, steht dabei
sicher außer Frage. Kaum einer der wichtigen Intellektuellen der
Zeit, der nicht einmal Station in Göttingen gemacht hatte.
Auch die
zahlreichen öffentlichen Festveranstaltungen der Stadt wie z. B.
Bergdank- und Schützenfeste oder die feierlichen Aufmärsche der
Bergleute in ihrer bunten Knappenuniform u. ä. scheinen auf Caroline
Böhmer keinen großen Eindruck gemacht zu haben. Und die wundervolle
Umgebung der Stadt hatte es ihr ebenso wenig angetan. Für's erste
jedenfalls.
Eineinhalb Jahre
und zwei Winter später kann sie das Ende Mai 1786 mit anderen Augen
sehen, als sie ihre Schwester Lotte zu einem Besuch erwartet: »Dann
gut Wetter! und wir wollen den Harz durchlaufen . Dieſe Gegenden
fangen an mir zu gefallen, da ich sie näher kennen lerne. Clausthal
sieht von vielen Seiten äußerst hübsch aus – meine Sinnen freuen
sich, auch diese Fluren, die mich sonst so schwarz dünkten, wie
unsre Tannenwälder und der Schiefer, der unsre Häuſer deckt im Regen
— fangen an zu lächeln.« (Brief an Lotte Michaelis v. 28.5.1786,
zit. n. Waitz 1871,
S.36)
Weil sie ihre weitgehend unangebrachte, ja überheblich wirkende
Haltung offenbar auch bei gesellschaftlichen Treffen mit anderen
Damen und Herren der feinen Clausthaler Gesellschaft nicht gänzlich
unter Kontrolle hatte, kursierte in Clausthal schon bald, dass "die
launenhafte junge Frau des reizenden Doktors [...] auf zu hohem Ross
(sitze)" (ebd., S.50) und die Ehe nur
glücklich werden könne, wenn sie schleunigst davon herunterkomme. Es
ist
»Heinrich Christian Boie (1744-1806), der im Mai 1780 bei einem
Besuch in Göttingen gesagt hatte, »Mamsell Michaelis ist – ein
wenig wild« (zit. n.
Kleßmann
1975, S.42), der von diesem Ruf Caroline Böhmers in Clausthal
spricht und der ihre Schwierigkeiten, einen sie befriedigenden Platz
in der Clausthaler Gesellschaft einzunehmen, auf ihre »Göttingische
Natur« (zit. n.
ebd.,
S.56) zurückführt.
Caroline will sich
jedenfalls nicht mit »Schlaraffenvolk
aus den Gebirgen« (Brief an Lotte Michaelis v. 1.3.1785,
Waitz 1871,
S.16) gemein machen und in keiner Weise mit den Clausthalern in
einen Topf geworfen werden. »Schlaraffen,
das muss man wissen, sind dabei nichtsnutzige Faulenzer, die nur
eines kennen, sich den Bauch vollzuschlagen ohne irgendwelche
darüber hinausgehenden Interessen. In einer Flugschrift aus dem Jahr
1671 »Von
dem allerbesten Land so auff Erden ligt heißt es
dementsprechend: "Wer
dölpisch ist vnd gar nichts kan / der ist im Land ein Edelmann / vnd
der nichts kan als schlaffen ein / essen / trincken / tantzen vnd
spielen / den macht man bald zum Graffen." (döpisch : grob,
einfältig, tölpelhaft, ungelehrt, ungebildet). Caroline will sich
bewusst abgrenzen und unterstreicht dies auch mit ihrer
für die Damen der Clausthaler Gesellschaft offenbar mitunter
extravagant erscheinenden Kleidung, mit der sie sich angeblich bloß für sich selbst und ihren
Ehemann herausputzt, aber auch eingesteht, dass sie damit ihr
Anderssein herausstreichen will, damit für einen Fremden sofort klar
ist, wenn er sie sieht, »dies ist mehr als Clausthal!" (zit.
n. Waitz 1871,
S.16)
Was immer
Christian Boie (1744-1806) also mit seinem Hinweis auf die
Göttingische Natur gemeint hat, der Hinweis darauf
geht nicht ganz fehl. In der geschlossenen
Gesellschaft der Göttinger Professoren, in deren Mitte Caroline
aufgewachsen war, konnte sie auch
im
Kreise ihrer Freundinnen, der Göttinger Universitätsmamsellen,
ein Leben führen, das reich an kulturellen und geistigen Anregungen
gewesen war. Und dazu waren noch die zahlreichen Hausbälle gekommen,
die sie offenbar in Clausthal vermisst.
An ihre Schwester
Lotte schreibt sie 1784: »Ich für mein Theil werfe mich alle
Tage mehr in Clausthal herein, ohne mich in die hiesige Form zu
gießen.« (Schlegel-Schilling,
Die Kunst zu leben 1997, S.116) So hat sie es nach ihrer Ansicht
nicht an Versuchen fehlen lassen, sich mit ihrer gesellschaftlichen
Lage zu arrangieren.
Sie macht immer wieder Besuche, trifft ihren
Vetter Schichtrupp aus der ersten Ehe ihres Vaters, der aber wie
seine Frau (»ein gutes Vieh«) keine Ahnung vom »amerikanischen
Krieg« hat und besucht die Familie des Berghauptmanns von
Zellerfeld »Carl
von Praun (1732-1808), bei denen sie sich durchaus
amüsiert (ebd., S.116f.).
Bei ihren unmittelbaren Nachbarn, der Familie des
Generalsuperintendenten »Georg
Christoph von Dahme (1737-1803) und seiner aus England
stammenden Frau
Friederike Sophie Luise, geb. Best (1757-), mit denen die
Böhmers freundschaftliche Kontakte pflegen, ist sie immer wieder zu
den von Frau Dahme veranstalteten englischen Teestunden zu Gast, wo
auch immer nur Englisch gesprochen wird. (vgl.
Wiedemann
1929, S.77), von denen sie mutmaßlich spricht, wenn sie davon
berichtet »in den Clubb« (Schlegel-Schilling,
Die Kunst zu leben 1997, S.128) zu gehen.
Und auch die von Tebras, die Familie des Berghauptmanns »Friedrich
Wilhelm Heinrich von Tebra (1740-1819), einem sehr gebildeten
Mann, der Rechtswissenschaften, Philosophie, Mathematik und
Naturwissenschaften in Jena studiert hatte, sowie die Familie des
Mineraliensammlers und Apothekers »Johann
Christoph Ilsemann (1727-1832) und seiner zweiten Frau Sophie,
geb. Meyer (1743–1796) gehörten zu dem engeren Freundes- und
Bekanntenkreis der Familie Böhmer in Clausthal.
Auch zu den Teestunden von
der 11 Jahre älteren
Rebecca Luise von Reden
(1752-1816), Caroline spricht von ihr
stets als Frau von Reden, der Ehefrau des »aus
einem alten Adelsgeschlecht stammenden braunschweig-lüneburgischen
Berghauptmanns
»Claus
Friedrich von Reden (1736-1791) ist sie eingeladen, hat aber
zunächst den Eindruck, dass diese zwar nach außen hin »sehr
holdseelig« getan habe, ihr aber "wegen des schwarzen
Gürtels, und weil ihr Mann englisch" mit ihr gesprochen habe, ihr »gewiss
nicht gut« gesinnt sei. (ebd., S.116f.)
Weitere Lästereien über sie will sie sich und Lotte ersparen (»bouche
close!«). Trotz alledem nahm sie auch, wie sie zwei Jahre später
in einem weiteren Brief schreibt, an einer von Frau von Reden
organisierten Caroline aber wenig glanzvoll erscheinenden
Schlittenfahrt teil. Alles in allem, einschließlich der »Musik
und der prachtigen)n) Bewirthung« ein Event, das »ganz
erträglich« gewesen zu sein scheint.
(ebd., S.129)
Woran es im
Einzelnen lag, dass Caroline allenfalls zu Friederike Sophie Luise
von Dahme eine etwas engere Beziehung aufbauen konnte und sonst
offenbar mit keiner der Frauen in ihrer näheren gesellschaftlichen
Umgebung besonders gut zurecht kam, lässt sich nur mutmaßen. Sicher
spielte eine Rolle, dass sie gewöhnlich deutlich älter waren, oft
schon Mütter etlicher Kinder waren und sich gegenüber der jüngeren,
dazu auch etwas extravagant gekleideten und vielleicht auch nicht
immer sehr zurückhaltend auftretenden Neuankömmlingin auch
reserviert und blassiert verhielten.
Caroline Böhmer
konnte sich mit dem Leben in Clausthal mit seinen langen und harten
Wintern, in denen sich das gesellschaftliche Leben in hohem Maße
hinter die eigenen vier Wände zurückzog, nicht wirklich abfinden.
Sie war mehr und mehr unglücklich darüber, auch wenn sie nach außen
hin immer die Fassade einer mit ihrem bürgerlichen Dasein und ihrer
Rolle zufriedenen Dasein aufrechterhalten wollte. Als Haus-Frau des
bürgerlichen Zwei-Personen-Haushaltes war sie mit ihren zwei
Bediensteten, einem Dienstmädchen namens Marie und einem Diener
namens Friedrich, von der täglichen Hausarbeit entlastet und der
Rest, der in dieser Rolle
zu tun war, füllte sie in keiner Weise aus. Schon nach kurzer
Zeit ist sie schwanger und verbringt die meiste Zeit mit Lesen.
Dabei holt sie sich ihren Lesestoff nicht aus der Leihbibliothek in
Clausthal, sondern hält ihre alten Freundinnen in Göttingen und vor
allem ihre jüngere Schwester Lotte damit auf Trab, sie mit den von
ihr geäußerten Lektürewünschen über eine Botenfrau zu versorgen.
Sie liest querbeet,
aber nicht mehr nur Romane wie früher in Göttingen, sondern auch
Bücher, die Wissen in unterschiedlichen Bereichen vermitteln: »Patriotische
Phantasien (1.1775–4.1786) des Publizisten »Justus
Möser (1720-1794), »Reisen
durch England und Italien von »Johann
Wilhelm von Archenholz (1743-1812), Ȇber
die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn
von »Friedrich
Heinrich Jacobi (1743-1819), »Reisen
eines Deutschen in England im Jahre 1782 von »Karl
Philipp Moritz (1756-1793), »Gott!
Einige Gespräche von
Johann Gottfried Herder (1744-1803), Camille oder Briefe
zweier Mädchen aus unserm Zeitalter von »Johann
Friedrich Jünger (1756-1797), »Über
Kryptokatholizismus, Proelytenmacherei, Jesuitismus, geheime
Gesellschaften und besonders die ihm von den Verfassern der
Berlinischen Monatsschrift gemachten Beschuldigungen, mit
Aktenstücken belegt von »Johann
August Stark (1741-1816),
Briefwechsel der Familie des Kinderfreunds von
Christian Felix Weiße (1726-1804). Dazu kommt noch ▪
Friedrich Schillers (1759-1809) Drama
»Don
Karlos – Fragment aus der »Rheinischen Thalia –, über das Caroline urteilt, das Stück
könne »gut werden, wenn er seine Sprache ein wenig vom
Schwabenland reinigte«. (Schlegel-Schilling,
Die Kunst zu leben 1997, S.118) Sie ist bei der Auswahl ihrer
Lektüre nicht besonders penibel, ihr ist alles willkommen, was sie
noch nicht gelesen hat. (Brief an Lotte Michaelis v. 22.3.1785, zit.
n. Waitz 1871,
S.34) In jedem Fall will sie, was das Lesen betrifft, am Puls der
Zeit bleiben, und sich nicht, so klingt es dabei durch, sich auf das
geistige Niveau ihrer Clausthaler Gesellschaft begeben. Sie will
aber durchaus »etwas amüsantes gut zu lesen, wenn man auf dem
Sopha liegt«, ein
Buchformat, »was man mit einer Hand hält« wie z. B. »neuere
französische Trauerspiele, kleine Romane, Memoires oder auch etwas
ernsthaftres.« (ebd.)
Am 28. 4.1785
bringt Caroline Böhmer im Alter von zweiundzwanzig Jahren ihr erstes
Kind, eine Tochter, die den Namen
Philippina Augusta (Auguste)
erhält zur Welt. Es war eine äußerst schwierige Geburt, nach der die
junge Mutter vierzehn Tage lang mit dem Leben kämpfte und an einer
schweren Wochenbettpsychose erkrankte.
Ein Jahr vergeht,
in der sich Caroline offenbar kaum von ihrer depressiven Verstimmung
befreien kann, trotz des Heranwachsens ihres ersten Babys, das sie
mit Stolz erfüllt. Aber dann greift doch das Leben wieder nach ihr,
wie es viele Menschen erleben, wenn eine Depression oder schwere
Lebenskrise endet.
Die österreichische
Schauspielerin und Schriftstellerin »Erika
Pluhar (geb. 1939) hat den Weg daraus in einem »Interview
im Jahr 2011 in besonders eindrucksvollen Worten beschrieben:
"Ich war ein bisschen tot. Wenn man sich dann nicht die Kugel gibt,
greift irgendwann das Leben wieder nach einem, einfach das Leben:
Man geht jeden Morgen ins Badezimmer, plötzlich merkt man, dass
einem was schmeckt, plötzlich hört man sich sogar lachen. Während
man noch hinterhersterben möchte, lebt man bereits wieder."
Es könnten die
Worte von Caroline Michaelis sein, die fast 250 Jahre früher meinte:
»Denn aus jener Stimmung , wo die Seele in sich zurückkehren zu
wollen und im Begriff schien ihre Tiefen und unser Wesen zu
ergründen – ruft uns doch so leicht das mindeste zurück, eine
Stimme, ein schneller Blick, der auf ein Band fällt, auf ein etwas —
und das leitet uns wie ein Blitz zurück auf die Gegenwart, auf
Annehmlichkeit und Abwechslung des Lebens. Geschmack und Freude
daran leben auf. Es ist so – weiter weis ich nichts davon. Gestern
hab ich tracktirt, und da war mir der Braten wichtiger wie Himmel
und Erde« (Brief an Lotte Michaelis Anfang 1786, zit. n.
Waitz 1871,
S.31)
Sie hat sich mit
ihrer Lage abgefunden, erklärt sich ihre Anpassungsschwierigkeiten
und seelischen Probleme mit ihrer langanhaltenen Krankheit. Zugleich
ist sie offenbar bereit, ihre Situation, aber auch vor allem sich
selbst, so anzunehmen, wie sie sind. Nur auf den ersten Blick wirkt
die Rechtfertigung ihrer erlangten "Zufriedenheit" mit ihrem Leben
resignativ, wenn sie sagt: »Ich bin nicht mehr Mädchen, die Liebe
giebt mir nichts zu thun, als in leichten häuslichen Pflichten - ich
erwarte nichts mehr von einer rosenfarbnen Zukunft – mein Loos ist
geworfen.« (Brief an Lotte Michaelis v. 28.5.1786, zit. n.
Waitz 1871,
S.37) Dass sie ihre »glühende(n) Phantasien«, die sie im
Abstand von ca. eineinhalb Jahren als einen Verlust der
Selbstkontrolle bewertet, hinter sich gelassen hat, hat sie vom
Mädchen zur Frau reifen lassen, die sich in ihrer sozialen Rolle
akzeptiert. Schönreden und mit dem trügerischen »Sandwüstenbild«
(ebd.,
S.31) des Lebens wie in jungen Jahren lässt sich aber in ihren
Augen auch nicht, was das Leben einer Frau von einem Mädchen
unterscheidet. Was aber geschieht, ist eben der Lauf der Dinge.
1786 ist »Dorothea
Schlözer (1770–1825),
die enge Jugendfreundin von Carolines Schwester Luise (1770-1846)
und Tochter des Caroline stets zugeneigten Professors »August
Ludwig von Schlözer (1735-1809) alleine zu einem sechswöchigen
Studienaufenthalt in Clausthal und sicher mit Caroline, die sie ja
seit Kindestagen gut kennt, öfters mal zusammengetroffen. Die
hochbegabte junge Frau ist schnell Stadtgespräch, denn "nie zuvor
hatte ein weibliches Wesen so intensive mineralogische, geologische,
bergbautechnische Untersuchungen betrieben. Selbst vor dem Abstieg
über hohe Leitern in die finstere Unterwelt der Grube – in Kittel
und Berghosen gesteckt und nut mit dem Arschleder zum Schutze des
Allerwertesten ausgerüstet – schreckte die Sechzehnjährige nicht
zurück." (Roßbeck 2009,
S.59)
Caroline und ihr Kind
überleben das Wochenbett und etwa ein Jahr später ist sie erneut schwanger.
Im Frühjahr
reist Carolines Schwester
Luise Michaelis (1770-1846)
für sechs Wochen nach Clausthal, um ihrer älteren Schwester im
zweiten Wochenbett Gesellschaft zu leisten. (vgl.
Wiedemann
1929, S.17) Am 23. 4.1787
bringt diese ihre zweite Tochter
Therese, genannt Röschen, zur Welt.
Was sie über ihr Leben als
Mutter ihrer beiden kleinen Töchter berichtet, ist lapidar: »Von
meinem übrigen Leben ist wenig zu sagen; es ist von außen so
einförmig, daß man sich nur beim Erzählen wiederholen würde«,
bemerkt sie in einem Brief an ihre Freundin Luise Gotter im Dezember
1787 und fügt hinzu: »Die innere Geschichte ist um desto
mannigfaltiger und zu weitläufig.« (zit. n.
Kleßmann
1975, S.69)
Im Sommer erfährt
sie davon, dass »Dorothea
Schlözer (1770–1825)
auf Vorschlag von Carolines Vater als Dekan
»Johann
David Michaelis (1717-1791) als erste Frau in Deutschland den
Doktortitel in Philosophie erworben hatte. (Die erste Frau im
deutschsprachigen Raum, die überhaupt einen Doktortitel erwerben
konnte, war »Dorothea
von Erxleben (1715.1762), die 1754 in Halle den Doktortitel in
Medizin erhielt).
Caroline, die sich
▪ schon früher
gegen Blaustrümpfe ihrer Art positioniert hatte und gerade auch
Dorothea deshalb eine ▪
wenig glückliche Zukunft als Frau in einer Männergesellschaft
vorhergesagt hatte, grenzt sich auch jetzt noch klar ab und hält
in einer lapidaren Bemerkung daran fest, dass der Doktortitel
"Dorotheas Lebensglück mit unvermeidlicher Konsequenz zerstören" (Roßbeck
2009, S.60) werde.
Wahrscheinlich
schwingt in diesem apodiktischen Urteil auch ein gehöriges Maß an
nicht eingestandener Bewunderung mit, zumal sie sich ja in den
Clausthaler Jahren nicht nur im Gebrauch der französischen und
englischen Sprache perfektioniert, sondern sich mit
beim Lesen auch allgemeinen politisch-gesellschaftlichen,
historischen und philosophischen Themen zuwendet. Luise
Wiedemann, ihre jüngere Schwester, berichtet sogar davon, dass "der
berühmte Schlözer der sie als junges Mädchen sehr hoch stellte u.
sie öfters Abend zu sich einlud u. nie verfehlte sie selbst in
Begleitung eines Dieners der die Laterne vortrug zu Hause zu
begleiten, den Vorschlag machte sie solle wie er seine Tochter
Dorothea die nachdem beim 50. Jubileum in Göttingen promovirt ward
auch ganz der Wissenschaft u. besonders der Geschichte zu weihen, ja
Vorträge zu halten." (Wiedemann
1929, S.77)
Die weiteren
Umstände sind nicht bekannt. Feststeht nur, dass Caroline den
Vorschlag ablehnte und es vorzog, ihre Sprachkenntnisse in Englisch
noch zu verbessern. Dies konnte sie in ihrem unmittelbaren sozialen
Umfeld tun. Denn nebenan im Hause der mit den Böhmers in Clausthal
befreundeten Familie des Generalsuperintendenten »Georg
Christoph Dahme (1737-1803), mit dem ihr Mann über seine Mutter
verwandt war, wurde immer nur Englisch gesprochen. (vgl.
ebd.)
Dass sich Carolines
Prognose für die Zukunft von Dorothea Schlözer später sogar
erfüllte, ändert an der Tat nichts, dass die 15-jährige Dorothea
einmal klare Ansprüche an das Geschlechterverhältnis stellte, als
sie in einem Brief an ihre Jugendfreundin Luise Michaelis
(1770-1846) formulierte: »Weiber sind nicht in der Welt, bloß um
Männer zu amüsieren. Weiber sind Menschen wie Männer: eines soll das
andere glücklich machen. Wer bloß amüsiert sein will, ist ein
Schlingel, oder er verdient nur ein Weib von schönem Gesicht, das er
in vier Wochen satt ist." (Brief an Luise Michaelis v. 17.6.1785,
zit. n.
Finckh (Hg.) 2015, S.285)
Am 4. Februar 1788,
Röschen ist noch nicht einmal ein Jahr alt und Auguste noch nicht
drei stirbt Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788) völlig
überraschend nach kurzer schwerer Krankheit an einer
Infektionskrankheit, womöglich Fleckfieber, die er sich wohl in
seiner Praxis als Bergmedicus zugezogen hat. Caroline Böhmer wird im
Alter von 24 Jahren, nach nicht einmal vier Jahren Ehe, quasi über
Nacht Witwe und steht mit ihren beiden kleinen Töchtern alleine da.
Und in ihrem Bauch wächst schon das nächste Kind heran, das sie von
ihrem Mann empfangen hat. Vielleicht hat es Caroline in ihrer Trauer
geholfen, dass viele Menschen, bei denen der Arzt äußerst beliebt
gewesen war, ihre Beileid bezeugten. Ingesamt gesehen ließ sie sich
aber wohl den Schicksalsschlag nach außen hin wenig anmerken, zeigte
sich sehr gefasst und kämpfte sich, so gut es ging, in ihr neues
Leben hinein. Und das hieß vor allem: Perspektiven dafür zu
entwickeln, wie sie sie sich und ihre bald drei Kinder ernähren, wo
sie künftig wohnen, kurzum wie es nun weitergehen sollte, mit ihrem
selbst noch so jungen Leben. Das selbständige Leben einer »Amalia
von Gallitzin (1748-1806), das sie noch ein paar Jahre zuvor ▪
aus verschiedenen
Gründen abgelehnt hatte, wäre ihr, hätte sie deren finanziellen
Mittel als Witwe besessen, wahrscheinlich jetzt gar nicht nicht mehr
so unvorstellbar gewesen.
Für das erste
Vierteljahr nach dem Tod ihres Mannes war noch in der üblichen Weise
gesorgt. Als Witwe des Bergmedicus stand ihr das übliche
Gnadenquartal zu, d. h. sie erhielt die Bezüge ihres Mannes für drei
Monate ausbezahlt und dazu auf Anordnung des Berghauptmanns eine
weitere freiwillige finanzielle Leistung. Danach stand ihr eine
geringe, aber immerhin regelmäßig gezahlte Witwenpension zu, mit der
sie sich und ihre Familie dann einigermaßen über Wasser halten
konnte, wenn sie sich keine Extravaganzen mehr leistete. Das
wichtigste aber: Ein Dach über dem Kopf zu bekommen.
Schon bald macht
ihr der neun Jahre ältere Bruder Fritz, »Christian
Friedrich Michaelis (1754-1814), der seit 1786 den Lehrstuhl für
Anatomie an der Universität von Marburg innehat und inzwischen, immer
noch unverheiratet, in Marburg lebt, das Angebot mit den
Kindern zu ihm ziehen und ihm den Haushalt zu führen.
Allerdings
lässt das Haus, das er bis dahin in Marburg mit seinen Bediensteten
bewohnt, alles vermissen, was nach Ansicht von Caroline für das
Führen eines Haushaltes, wie sie es gewohnt ist, erforderlich ist.
In einem Brief an ihren jüngeren Bruder Philipp, der inzwischen in
Marburg studiert und im Haus von Fritz wohnt, schreibt sie sich von
der Seele, wie sie den Haushalt "aufzumischen" gedenkt: »Denn mit
dem armseeligen Heerd ists doch nicht gethan. Da ist ja z. B. kein
Winkel den, wo die Domestiken schlafen könten – nicht ein Oertchen,
wo man Dinge bergen könte, die man nicht alle Tage braucht. Die
Küche so noch am Vorsaal -– wie würde da Bruder Friz oft gestört
werden. Kein Boden, kein Fleckchen, wo sich waschen läßt, kein Blaz
die nöthigsten Schränke zu placiren. Kurz, ein ordentlicher Haushalt
ist da gar nicht zu führen. Es wäre nichts halbes und nichts ganzes,
es wäre nichts. Weist Du was ich wollte? Entweder, daß sich mein
lieber Friz geduldete, bis er ein ander Haus hätte, oder daß es
möglich wäre ohne Haushalt bey ihm zu wohnen, sich speiſen zu laßen,
und nicht so für Ewigkeiten zu bauen. Da braucht ich nichts wie Raum
für mich und meine Kinder. Da ließen wir, Du und ich uns das Eßen
holen, und er ginge an seinen Tisch.«
Am 20. Juli 1788,
noch ehe der Haushalt in Clausthal endgültig aufgelöst ist, bringt
Caroline in Göttingen, wohin sie sich zur Entbindung begeben hatte,
ihren Sohn Johann Franz Wilhelm zur Welt, der allerdings
knapp zwei Monate später verstirbt.
Letzten Endes
entscheidet sich Caroline auf das Drängen ihrer Mutter hin, in das
Michaelis-Haus nach Göttingen zurückzukehren, wo der Zustand des
inzwischen erkrankten und unter seinem zunehmenden Bedeutungsverlust
leidenden Vaters Anlass zur Sorge gibt. So kehrt Caroline im Herbst
1788 wieder nach Göttingen zurück.
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Zeittafel
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
31.12.2021
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