»Hieronymus
Dürer (1641-1704) hat für seinen ▪
Tychander-Roman auf einige Episoden des
spanischen Romans »Lazarillo
de
Tormes (1552) zurückgegriffen, dessen ich-erzählende Titelfigur
Lazarillo den Typus des »"Antihelden"
verkörpert, den man bis heute in Literatur und Film finden kann.
Zugleich ist er wohl das Vorbild eines weiteren Romans, den Dürer
benutzt hat. Dabei handelt es sich um den deutschen
Gusman (»Guzmán
de Alfarche, 1559) von »Mateo
Alemán (1547-1613/14), einem Roman, "der mit seiner Fülle von
Auflagen und Übersetzungen vielleicht der meistgelesene Roman des
17. Jahrhunderts ist." (Chihaia
2011, S.213).
In diesem werden ebenfalls in Ich-Perspektive die Abenteuer und die
Exzesse erzählt wird, die der Titel-(Anti-)Held auf dem Weg ins
Erwachsenenalter erlebt. Insgesamt ist der Roman, der sich zwischen
einer romanhaften Erzählung und einem moralisierenden Diskurs
bewegt, als eine Art umfangreiche Lehrpredigt über die Sünden der
Gesellschaft konzipiert und wurde wohl auch so so von den
Zeitgenossen des Autors rezipiert. Der Roman war zu seiner Zeit sehr
populär, wurde vielfach wieder aufgelegt und in etliche Sprachen,
darunter Französisch, Deutsch, Englisch, Italienisch und Latein
übersetzt.
Beide und auch andere Werke dieser Art stellen "fiktionale
Autobiografien von Personen niedersten Standes" dar, "welche die
Welt aus ihrer höchst eigenwilligen Sicht zeigen. Dies kann, wie im
Guzmán, eine Perspektive sei, die sich besonders gut dazu
eignet, die Schwächen der Menschen aufzudecken: Niemand gibt sich
die Mühe sich gegenüber den Armen zu verstellen, die zugleich am
besten über die Barmherzigkeit ihrer Nächsten Bescheid wissen." (ebd.)
»Hieronymus
Dürers (1641-1704) Roman ist kein »Schelmenroman
(Pikaroroman) und auch keine reine Prosasatire, sondern eine
Mischform barocker Erzählkunst, ein moralisierender
Unterhaltungsroman vielleicht, jedenfalls eine hybride Form, die
sich aus verschiedenen Elementen speist.
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Dabei "(sind) die Unbeständigkeit der Welt und der Appell, sich dem
Machtbereich der Fortuna durch Weltabkehr zu entziehen", die der
Roman thematisiert, "epochaler Gemeinbesitz, über die
konfessionellen Grenzen hinweg." ((Koopmann
(Hg.) 1983 S.135)
Im Verlauf der Geschichte durchläuft Tychander, "eine repräsentative
Universalfigur", die mehr noch als der ▪
Simplicissimus Teutsch (1688)
von
»Hans
Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622-1676), "die ständische Ordnung bis zur Königswürde. Von
Stufe zu Stufe vergrößert sich die Fallhöhe seine Sturzes, bis sie
schließlich nicht mehr gesteigert werden kann" (Koopmann
(Hg.) 1983 S.136) und der anschließende Absturz danach nicht
mehr tiefer ausfallen kann.
Grimmelshausen:
Simplicissimus Teutsch (1668
Der Student Tychander, der an der Universität das typische Leben
eines Pennälers und Schoristen führt und dabei alles andere als sein
Studium im Sinn hat, zieht nach dem Tod seiner Eltern, der ihn
mittellos macht, von seinen ehemaligen Zechfreunden verlassen und
von seiner Geliebten Dolosette betrogen in die Welt hinaus und
welwbr dabei das Auf und Ab des Schicksals (Fortuna). Am Ende wird
er sogar König von Abessinien, wird aber dann gestürzt und ist über
Nacht wieder so arm, wie er zuvor gewesen ist. Nur in der Liebe
macht er neue, positive Erfahrungen. Nach der Enttäuschung, die er
mit der geldgierigen und berechnenden Dirne Dolosette in seiner
Studienzeit gemacht hat, wird ihm mit Hilfe seiner Ehefrauen
bewusst, wie wertvoll die Treue bis in den Tod ist. Am Ende wird ihm
klar, dass alles Irdische nichtig und eitel ist und Ausdruck einer
umfassenden Sündhaftigkeit. Aus dieser Einsicht heraus, erzählt der
Ich-Erzähler Tychander im Rückblick auf sein Leben, was seine
Liebes- und Lebensgeschichte ausgemacht hat.
Er will damit ein warnendes Beispiel für alle seine Leser sein. In
der Rückschau auf sein Leben könne er, wie er in seiner Vorrede an
den Leser deutlich macht, sehen, "wie gar keine wahre Sicherheit und
ruh darinn zu finden / nach welchen ich damahls meinen compass
richtete. Es sey gleich die anfurt der zeitlichen Ehre / oder
Reichthums/ oder andrer irdischen glückseligkeiten/ auf welche doch
die meisten menschen ihr enziges begehren setzen: [...] Hier stehe
ich am ufer und sehe die gefährligkeit der annoch herum irrenden und
wünsche von hertzen/ dass, sie auch diesen port ereilen möchten. Ja
hier warte ich nun noch mit sehnlichem verlangen des gewünschten
windes mit welchem ich meinen ancker noch einmahl leichten und die
anfurt des wahren Vaterlands erreichen kann. Dir aber geliebter
Leser/ habe ich die gefährligkeit meiner Lebens-reise hierinn
erzehlen wollen/ damit du hinangesetzt aller andern diesen haden/ in
welchem ich mich befinde/ mit desto größerm eifer suchen mögest." (google
books, Ausgabe 1668)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023