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Deutsche Verfassungsgeschichte
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Heiliges Römisches Reich (HRR)
919-1806
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Überblick
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Das Reich im Hochmittelalter (919-1256)
▪
Das Reich in
der frühen Neuzeit (1256-1806)
Heiliges
Römisches Reich Deutscher Nation, abgekürzt meistens als HRR, ist
für uns und wahrscheinlich auch für manche Zeitgenossen ein
merkwürdiger Begriff. Alle Begriffe, aus denen diese Bezeichnung
besteht, sind für die meisten von uns erklärungsbedürftig.
"Reich" - was bedeutet das?
Fangen wir mit dem
Begriff "Reich" an. Im alltäglichen Sprachgebrauch taucht der
Begriff auf, wenn wir z. B. in einem übertragenen Sinn ausdrücken
wollen, dass uns etwas gehört oder wir über etwas allein bestimmen
können. Historisch gesehen wird der Begriff unterschiedlich
verwendet. Er kann dazu dienen, ein Herrschaftsgebiet zu bezeichnen,
das zahlreiche untergeordnete Herrschaftsbereiche, verschiedene
Ethnien oder auch Nationen unter einer monarchischen Spitze (Kaiser,
König) umfasst. In diesem Sinne spricht man vom Römischen Reich, dem
Perserreich, dem Reich Alexanders des Großen oder auch von dem
Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (919-1806). In der
Geschichte gibt es aber auch viele Beispiele dafür, bei denen die,
die Macht innehatten, ihr Herrschaftsgebiet als mit der Bezeichnung
"Reich" versehen haben, um damit seine Bedeutung hervorzuheben. Bei
der Einigung Deutschlands unter preußischer Führung im Jahr 1871
wurde das Deutsche Reich gegründet, das zunächst ein das deutsche
Kaiserreich war, nach dessen Sturz völkerrechtlich über die Zeit der
Weimarer Republik und des Nationalsozialismus in Deutschland, bis am
Ende des 2. Weltkrieges Bestand hatte. Die Inanspruchnahme des
Reichsbegriffs durch die Nazis, die vom tausendjährigen Reich und
dem Dritten Reich sprachen, zeigt, das der Begriff immer wieder
ideologisch aufgeladen und von den Herrschenden genutzt worden ist,
um ihre Macht zu legitimieren und besondere, nämlich imperiale,
übergeordnete Ansprüche gegenüber anderen Völkern zu unterstreichen.
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Mittelalter benutzte man den Begriff «Reich», Imperium, um die
übergeordnete Herrschaftsgewalt des Kaisers über alle die
Herrschaften auszudrücken, die zu seinem Imperium gehörten. Dabei
bezeichnete Imperium kein "bestimmtes Territorium, d.h. den
geographischen Raum, über den Herrschaft ausgeübt wurde. Es handelte
sich vielmehr um eine universale, transpersonale Gewalt, die sich
losgelöst von einem bestimmten Land oder Volk denken ließ."
(Stollberg-Rilinger (2018, I. Kap)
Um das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (HRR) (919-806)
vom Deutschen Reich ab 1871 in der Kurzform zu unterscheiden,
spricht man beim HRR auch vom Alten Reich.
Was machte das Alte Reich zu einem Heiligen Reich?
Als das Alte Reich
Mitte des 10. Jahrhunderts entstand, sah man keine Notwendigkeit von
einem Heiligen Reich zu sprechen. Für die »Ottonen-Kaiser
(919-1024) (»Otto
I. (936–973, ab 962 als Kaiser), »Otto
II. (Mitkönig 963, Mitkaiser 967, Alleinherrscher 973–983) und
»Otto
III.(983–1002, ab 996 als Kaiser) war klar, dass sie selbst die
Stellvertreter Gottes auf Erden waren und Beschützer der Kirche.
Warum also noch die Heiligkeit des Imperiums extra herausstreichen?
Es bedurfte offenbar zunächst keiner weiteren Betonung der sakralen
Komponente von Reich und Kaiser. Doch das änderte sich. »Otto
III.(983–1002, ab 996 als Kaiser) verknüpfte seinen Kaisertitel
schon mit Namensbestandteilen, die seinen Anspruch, letzte Instanz
in allen weltlichen und geistigen Belangen zu sein, verdeutlichten.
Konkret bedeutete dies, dass er keine päpstliche Oberhoheit über die
Kirche akzeptierte, sondern diese für sich selbst reklamierte.
Die Päpste hingegen
waren hingegen nicht bereit, diese Unterordnung unter den Kaiser
hinzunehmen. Als die Ottonendynastie 1024 von dem »ostfränkischen
»Adelsgeschlecht
der »salischen
Könige und Kaiser abgelöst wurde, verteidigten sie ihre Position
vom Supremat des Papstes über den Kaiser mit allen Mitteln und
bestritten mit Erfolg das theokratisch-sakrale
Herrschaftsverständnis Ottonen. Im so genannten »Investiturstreit
»Heinrichs
IV. (1050-1106, ab 1056 römisch-deutscher König und von
1084-1105 Kaiser) mit »Papst
Gregor VII. (1025/1030-1085, ab 1073 Papst) eskalierte der
Streit darüber, über die vom Papst nunmehr Vorrangstellung der
geistlichen Gewalt gegenüber weltlichen Machthabern. Man setzte sich
gegenseitig ab, der Papst exkommunizierte »Heinrichs
IV. und fand letzten Endes mit Fürsten im Reich, die
Verbündeten, die im halfen, »Heinrich
IV. in die Knie zu zwingen, wollte er nicht seine Königwürde im
Reich verlieren. Mit dem »Gang
nach Canossa am 28. Januar 1077, bei dem er mit kleinem Gefolge
nach Italien reiste und drei Tage lang vor der Burg Canossa aus
ausharren musste, konnte er bewirken, dass der Papst zwar seine
Exkommunikation wieder aufhob und ihn wieder in die Gemeinschaft der
Kirche aufnahm, aber nicht mehr verhindern, dass der König und
Kaiser im Reich erheblich geschwächt war. Aber auch die Päpste
konnten ihren Anspruch auf Suprematie über Kaiser und Reich,
ausgedrückt durch die dem Papst zukommende Übertragung der
Kaiserwürde auf den römisch-deutschen König bei der Kaiserkrönung
auf Dauer nicht aufrechterhalten. So nannte sich schon Kaiser »Maximilian
I.
(1459-1519) seit 1508 «Erwählter Kaiser», ohne vom Papst
gekrönt worden zu sein bzw. es später zu werden. Sein Enkel »Karl V. (geb.
1500, 1516/19-56), der seine Nachfolge antrat, war 1530 der
letzte von einem Papst zum Kaiser gekrönte »römisch-deutsche
König, obgleich er nach seiner Krönung 1520 zum
römisch-deutschen König zugleich auch »römisch-deutscher
Kaiser des »Heiligen
Römischen Reiches geworden war. Danach beanspruchten die
zum römisch-deutschen König Gewählten stets ohne Zutun des Papstes
den Kaisertitel.
Auch über die
konfessionelle Spaltung des Alten Reiches hinweg, blieb "die
«Heiligkeit» des Reiches, der Anspruch auf sakrale Würde"
(Stollberg-Rilinger (2018, I. Kap) auch in der Frühen Neuzeit
weiter "durchaus lebendig [...] Die Heiligkeit des Reiches im
Besonderen zu betonen diente darüber hinaus dazu, seinen Anspruch
auf den höchsten Rang unter allen Monarchien der Welt aufrecht zu
erhalten, und nicht zuletzt auch zur Stärkung der Abwehr gegen die
heidnischen Türken, die den Südosten vom späten 15. bis ins späte
17. Jahrhundert immer wieder bedrohten. " (ebd.)
Ab dem 18.
Jahrhundert ist eigentlich in offiziellen Verlautbarungen und Texten
vom "Heiligen" Reich nicht mehr die Rede. Stattdessen wird es
"Römisch-deutsches Reich" oder noch kürzer "Teutsches Reich"
genannt.
Was war an dem Alten Reich römisch?
Mit dem Attribut
«Römisch» in der Gesamtbezeichnung des Alten Reichs sollte dieses
Reich ganz bewusst in die Tradition des antiken Imperiums und
Kaisert
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gestellt werden um seinen Anspruch auf Universalherrschaft und eine
bestimmte heilsgeschichtliche Bedeutung zu unterstreichen. Dabei war
die Vorstellung von einer translatio Imperii, einer Übertragung der
Herrschaft von den Römern auf die Franken bzw. auf die Deutschen,
natürlich nur ein symbolischer Akt, der mit der Krönung des
Frankenkönigs »Karl
des Großen (747-814) zum Kaiser durch Papst »Leo
III. im Dezember 800 vollzogen wurde.
Was war an dem Alten Reich deutsch?
Der Zusatz
"deutsch" bzw. "deutscher Nation" kam erst Ende des 15. Jahrhunderts
auf, zu einer Zeit in der das "Reichsgebiet", das nach
mittelalterlicher Auffassung aus Italien, Gallien (d.h. im
wesentlichen Lothringen und Burgund) und Germanien bestanden hatte,
sich im Wesentlichen noch auf das Gebiet beschränkte, in dem
überwiegend Deutsch gesprochen wurde. Vor allem aber: Die
wichtigsten Einheit stiftenden Reichsinstitutionen, die seit 1495
ins Leben gerufen wurden und bis 1806 Bestand hatten, erstreckten
sich im Großen und Ganzen nur auf die deutschen Reichsglieder. Es
entwickelte sich also zu Beginn der Frühen Neuzeit ein Verständnis
vom Reich, das im Wesentlichen nur noch deutschsprachige Gebiete
umfasste.
Das seitdem im
Reichstitel enthaltene "deutscher Nation" bedeutet hingegen nicht,
dass es sich bei den Menschen, die das Reich bewohnten, um eine
Nation handelte, wie wir den Begriff heute verstehen. Bis ins 18.
Jahrhundert hinein hatte man ohnehin keine allgemein verbindliche
Vorstellung davon. So wurden mit dem Begriff auch kleinere,
regionale Herkunftsgruppen bezeichnet, wenn man zum Beispiel
von «sächsischer» oder «fränkischer» Nation sprach. "Doch neben den
vielen regionalen und lokalen Identitäten gab es in der Frühen
Neuzeit auch Ansätze zu einer übergreifenden gemeindeutschen
Identität. [ ]Neben der gemeinsamen Sprache und den gemeinsamen
Institutionen war es auch die Verteidigung der eigenen «Libertät»,
d.h. der ständischen Mitwirkungsrechte gegenüber einem Kaiser, der
kein Deutscher war, Karl V. nämlich, was zu Beginn der Neuzeit die
Entwicklung eines stärkeren politischen Zusammengehörigkeitsgefühls
begünstigte.
(Stollberg-Rilinger (2018, I. Kap).
Der Zusatz
"deutscher Nation" verschwindet gegen Ende 16. Jahrhunderts wieder
aus offiziellen Texten, wurde aber schon noch bis zum Ende des
Reiches (1806) immer wieder mal verwendet. So war denn auch Heiliges
Römisches Reich (HRR) die offizielle Bezeichnung des Alten Reiches
bis 1806.