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Merkmalsdimensionen von Parteitypologien

Parteitypen nach ihrer Wählerschaft oder soziologischen Basis

 
 
  Es gibt verschiedene Ansätze, um Parteien als Typen voneinander zu unterscheiden. Solche Typologien greifen stets bestimmte Eigenschaften heraus und vernachlässigen andere, um so genannte Idealtypen zu bestimmen. Solche Idealtypen entsprechen insofern nicht dem kompletten Bild einer Partei in der Wirklichkeit. Sie dienen vor allem dazu, Parteien unter Bezug auf den Idealtyp miteinander zu vergleichen.

Man kann Parteien z. B. auf der Grundlage ihrer Wählerschaft oder soziologischen Basis voneinander unterscheiden.

Folgt man der Unterscheidung von Lucardie (2007, S.74), dann lassen sich Parteien unter dem Aspekt ihrer Stammwähler unterscheiden, die einer Partei über mehrere aufeinander folgende Wahlen die Treue halten, weil sie sich von ihr mit ihren Interessen am besten vertreten sehen. Welche Interessen dabei von den Parteien aufgegriffen werden, hängt natürlich auch davon ab, ob sie wirklich politisiert und ihre Vertretung medienwirksam inszeniert werden können. Unter dem Aspekt ihrer Wählerschaft und soziologischen Basis lassen sich mindestens die nachfolgenden Typen unterscheiden (vgl. ebd.) Sie vertreten

Parteien nach  sozio-ökonomischen Interessen

In nahezu allen demokratischen politischen Systemen haben sich Parteien in besonderem Maße den sozio-ökonomischen Interessen ihrer Wähler angenommen. Probleme im Zusammenhang mit der Verteilungsgerechtigkeit des gesellschaftlichen Wohlstandes und die Frage, ob dieses Problem dem freien Spiel der Kräfte auf dem Markt überlassen oder vom Sozialstaat reguliert werden soll, hat die Gesellschaft seit Beginn der Industrialisierung gespalten und eine Konfliktlinie (→Cleavage-Theorie) geschaffen. Das wiederum hat zur Entstehung der wesentlichen, entlang dieser Konfliktlinie miteinander konkurrierenden Parteien geführt.
Die sozio-ökonomische Konfliktlinie ließ als Klassenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital (class-conflict) auf Seiten der Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert die sozialistischen und kommunistischen Parteien, entstehen, in deren Reihen sich als Mitglieder oder Wähler vor allem Angehörige der Arbeiterklasse befanden, die für meist geringen Lohn ihre Arbeitskraft in den Fabriken der Kapitalisten verkaufen mussten.
Die je nach Weltanschauung und politischen Zielen der Arbeiterparteien ideologisch überformten Interessen, entsprachen dabei auch Wertvorstellungen, die von den Arbeitern, die noch in einem mehr oder weniger festen Sozialmilieu, in Arbeitervierteln mit einer ausgeprägten Arbeiterkultur, zusammen wohnten, gelebt worden sind.
Auch wenn die Arbeiterbewegung in der deutschen Geschichte schon sehr früh ideologisch und organisatorisch gespalten war (Kommunisten und Sozialdemokraten), konvergierten die ideologisch und im politischen Handeln miteinander verfeindeten Arbeiterparteien entlang dieser Konfliktlinie bis zu einem gewissen Grad im Ziel, soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Zudem agierten sie im gleichen sozialen Lager.
Die Aufspaltung der Arbeiterbewegung erfolgte dabei entlang der Konfliktlinie zwischen Demokratie und Diktatur (Verfassungskonflikt). Während z.B. die KPD in der Weimarer Republik auf die sozialistische Revolution hinarbeitete und den Kapitalismus mitsamt seinem "bürgerlichen" politischen System gewaltsam beseitigen wollte, strebte die SPD als eine der staatstragenden Parteien in Weimar für ihre Klientel soziale Gerechtigkeit auf dem Weg von Reformen an.
An der sozio-ökonomischen Konfliktlinie standen den "klassischen" Arbeiterparteien liberale Parteien gegenüber, die sich hauptsächlich als Interessenpartei selbständiger Unternehmer und Angestellter verstanden.
Konservative Parteien schließlich warben um Gutsbesitzer und Bauern auf dem Land. (vgl. Lucardie (2007, S.74)
Konservative und liberale Parteien traten im Allgemeinen für eine weitreichende Marktfreiheit im kapitalistischen Staat ohne nennenswerte oder nur mit sehr begrenzten sozialstaatlichen Leistungen ein.
Im Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland hat die sozio-ökonomische Konfliktlinie lange Zeit eine besonders wichtige Rolle gespielt. Der Strukturwandel und andere Faktoren haben aber dazu geführt, dass diese Konfliktlinie, wie im Übrigen andere auch, für die Wählerbindung zusehends an Bedeutung verloren hat. Die daraus resultierende Abnahme der Stammwähler und die Zunahme von Wechselwählern zeigt die heute im Vergleich zu früher weitaus geringere Bindung der Wähler an eine bestimmte Partei auf. Die Parteien haben darauf längst schon reagiert und ihren Charakter verändert. So ist insbesondere die Sozialdemokratische Partei Deutschlands längst keine Interessenpartei der Arbeiter (Klassenpartei)  mehr, sondern versteht sich selbst, wie die anderen größeren Parteien im Parteiensystem der Bundesrepublik auch, als Volkspartei, die als Allerweltsparteien (catch-all parties) möglichst sämtliche Schichten der Bevölkerung ansprechen wollen. Heute sehen sich die beiden großen Volksparteien der Bundesrepublik, die SPD und die CDU, einem fortschreitenden Erosionsprozess des Volksparteikonzeptes gegenüber und befinden sich auf dem Weg zu Wählerparteien.

Parteien nach kulturellen und religiösen Interessen

Kulturelle und religiöse Interessen gesellschaftlicher Großgruppen, die im Konflikt miteinander stehen, führen unter bestimmten Umständen zur Bildung von konfessionellen Parteien, wie es z.B. das Zentrum für die katholische Wählerschaft der Weimarer Republik war und die CDU/CSU in der Bundesrepublik Deutschland für die katholischen und protestantischen Christen ist. Das Cleavage Staat vs. Kirche (church-state), das in Deutschland ursprünglich eine konfessionelle Konfliktlinie zwischen den katholischen Christen und dem Staat war, bei dem es im Kern um die Frage ging, wie viel Macht der katholischen Kirche im Staat zugebilligt wird oder werden soll, hat sich seit der von der CDU/CSU im Nachkriegsdeutschland vollzogenen Integration der beiden großen christlichen Religionen in Deutschland zu einem Cleavage entwickelt, das auf der ideologischen Spaltung zwischen religiös motivierten nicht religiös motivierten, laizistischen Interessen beruht.
Bisher ohne nennenswerte Bedeutung im Parteiensystem ist die von Muslimen 2010 gegründete Partei »Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), die aber, weil der Islam nicht zum Parteiprogramm gehöre, aber bestreitet, eine islamische Partei zu sein. Sie hat sich mehr "Chancengerechtigkeit" im Bildungsbereich verschrieben und setzt sich für die Integration von Muslimen ein. Das BIG "ist in erster Linie eine Migrantenpartei, mit der insbesondere muslimische Einwanderer versuchen, jenseits von Vereinsstrukturen politisch zu etablieren." (Philippsberg 2013, S.163)
Der Partei, die sich bei klarer Ablehnung  wird nachgesagt, ein verlängerter Arm der türkischen »AKP (dt.: Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung), zu deren Wahl die »Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), ein "AKP-Lobby-Verein"  (Popp/Sehl 2011), alle türkischstämmigen Wahlberechtigten immer wieder aufruft. Da Parteien, die als Ableger ausländischer Parteien fungieren (Ausländer- bzw. Exterritorialparteien), nach den Bestimmungen des »Parteiengesetzes von 1967, neueste Fassung 22. Dez. 2015, § 2 Absatz 3 nicht an Wahlen teilnehmen dürfen, betont die Parteiführung des Bündnisses immer wieder die vollkommene Unabhängigkeit der Partei von der türkischen »AKP. Bei der Bundestagswahl 2013 nahm BIG in den Bundesländern Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg an den Wahlen teil und erreichte 17.743 (0,0%) Zweitstimmen. (vgl. Wikipedia.de)

Parteien nach ethnischen oder regionalen Interessen

Im Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland haben Parteien, die ethnische oder religiöse Interessen  vertreten (vgl. Cleavage Zentrum vs. Peripherie), nach der Traditionsphase bis Ende 1953 stets eine geringe Bedeutung gehabt. Und keine der Parteien, die heute wie der »Südschleswigsche Wählerverband (SSW) oder die sich aber nur bis zu einem gewissen Grad regionalpolitisch verstehende Christlich Soziale Union in Bayern (CSU)  (auch) die Interessen einer Region vertreten, haben sich kulturelle Autonomie auf die Fahnen geschrieben oder sehen sich gar als Verfechter von Separationsbestrebungen.
Anders ist dies bei der wohl weiterhin unbedeutenden »Bayernpartei (BP), einer regionalen Kleinpartei, die bis 1953 auch im Bundestag vertreten war. Sie stellte im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung die Zugehörigkeit Bayerns zur Bundesrepublik in Frage und ist bis heute mit ihrer auch in ihrem Parteiprogramm ("Weiß-Blaue Grundsätze") niedergelegten Forderung nach bayerischer Eigenstaatlichkeit, eine "dezidiert regionalistisch-separatistische Partei mit wertkonservativem Programm" (Kranenpohl 2013, S. 157) Daneben gab es für kurze Zeit nach dem 2. Weltkrieg die Niedersächsische Landespartei (NLP) (1945-1947). Wenngleich es sich bei ihr um eine Neugründung handelte, sah sie sich doch in der Tradition der 1869 gegründeten konservativ-föderalistischen »Deutsch-Hannoverschen Partei (DHP), die sich 1933 aufgrund ihres bevorstehenden Verbots durch die Nazis selbst aufgelöst hatte. Die NLP trat für den Zusammenschluss der niedersächsischen Landesteile in der britischen Besatzungszone zum Land Niedersachsen ein und forderte die  "engste Verbindung mit dem britischen Imperium" (Meyn 1965, S.13). 1947 nannte sie sich, nachdem die Briten das Land Niedersachsen gegründet hatten, zur national-konservativen »Deutschen Partei (DP) um, die vor allem wegen Absprachen mit der CDU über Direktmandate bis zur »Bundestagswahl 1961 sogar Sitze im Bundestag erringen konnte.
Einen regionalen Bezug weist auch die auf das Bundesland Bayern beschränkte CSU (Christlich Soziale Union) auf. Allerdings ist sie in einer »Fraktionsgemeinschaft mit ihrer »Schwesterpartei, der CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands) auch im Bundestag vertreten und spielt damit auch auf nationaler Bühne eine Rolle. (»CDU/CSU-Bundestagsfraktion) Insofern kann man die CSU auch nicht als Regionalpartei bezeichnen, die sich vor allem entlang des Cleavage Zentrum vs. Peripherie formiert.
Das gilt auch, wenn man bedenkt, dass die Erfolgsgeschichte der CSU in Bayern auch stets daran hing, "dass sie sich von Anfang an nicht nur als bayerische Partei verstand." (Decker/Neu 2007, S.223) Dazu gehört auch, dass die CSU immer wieder Sonderstandpunkte in die politische Auseinandersetzung einbringt, die zumindest den Anschein der Vertretung von Regionalinteressen haben. Dies wurde im Zusammenhang mit der »Flüchtlingskrise ab 2015 besonders deutlich, in der sich der CSU-Ministerpräsident »Horst Seehofer (geb. 1949) (CSU) nicht zuletzt unter Berufung auf die besondere bayerische Situation, wo über die so genannte »"Balkanroute" Zehntausende von Flüchtlingen ankamen und versorgt werden mussten, offen gegen die Politik der CDU-Kanzlerin »Angela Merkel (geb. 1954) stellte.
Dass die CSU ansonsten vor allem in den Bereichen Bildung und Kultur immer wieder beansprucht, einen bayerischen Sonderweg zu gehen, ist Teil der Identität der stärksten Partei des »Freistaats Bayern, aber grundsätzlich in der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland verankert.
Auch wenn die Partei Die Linke "nach wie vor eine überwiegend ostdeutsche Partei ist" (Neu 2013, S.330), stellt sie heute doch keine Regionalpartei dar.
In anderen EU-Staaten haben Regionalparteien, davon die meisten mit einem Hang zum Populismus, eine weitaus größere Bedeutung. Dazu zählen z.B. die »Südtiroler Volkspartei (SVP), die »Lega Nord in Italien, die belgische »Vlaams Belang, die baskischen Separatisten-Parteien (»Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) und das Separatistenbündnis »Bildu)  oder die Einheitsliste »Junts pel Sí, die in Spanien für die Unabhängigkeit Kataloniens eintritt.

Parteien nach Interessen von Altersgruppen und Geschlechter

Die unterschiedlichen Interessen verschiedener Altersgruppen  in der Gesellschaft oder auch Probleme, die sich aus dem Verhältnis der verschiedenen Geschlechter ergeben, werden selten in einem Maße politisiert, dass Spannungslinien entstehen, die dauerhaft Einfluss auf das Format des Parteiensystems haben.
Aber auch in der Bundesrepublik gibt es mehre Seniorenparteien, die aber allesamt Klein- und Kleinstparteien darstellen. Auch wenn sie derzeit keine nennenswerte Rolle im Parteiensystem spielen, bleibt doch abzuwarten, wie sich das Generationenverhältnis im Zuge des demographischen Wandels weiterentwickelt. Konfliktpotential ist in einer "vergreisenden" Gesellschaft dafür hinreichend vorhanden, das wissen die Alten so gut wie die Jungen. (Die Alten und die Jungen (2006-2015): Ergebnisse der 17. Shell-Jugendstudie) Wegen der Gefahr, dass unsere Sozialsysteme in der Renten- und Krankenversicherung den kommenden Herausforderungen nicht gewachsen sind, sehen manche einen Verteilungskampf der Generationen kommen, in dem die Jungen, die arbeiten, nicht mehr im Generationenvertrag für die Alten, die Rentner und Pensionäre, auf dem gegenwärtigen Niveau aufkommen wollen. Denn die Jüngeren sind es, die dies infolge höherer Rentenbeiträge mit erheblichen Abstrichen am eigenen Lebensstandard bezahlen müssen. Auf der anderen Seite stehen die Rentnerinnen und Rentner, von denen viele eine Senkung ihrer Renten oder Versorgungsbezüge finanziell kaum verkraften können.
»DIE GRAUEN - Graue Panther (Graue) waren von ihrer Gründung im Jahr 1989 bis zur ihrer einer Spendenaffäre geschuldeten Selbstauflösung 2007, auch wenn sie nie den Sprung in den Bundestag oder in ein Länderparlament schafften, eine der erfolgreichsten Kleinparteien in der Bundesrepublik. Ob die Partei, die im Übrigen mit Landesverbänden in allen Bundesländern arbeitete, wirklich von älteren Menschen gewählt wurde, kann aufgrund fehlender Daten allerdings nicht gesagt werden. In jedem Fall verstand sie sich als "Generationenpartei" und "kritisierte jegliche Benachteiligung, vor allem die Hinausdrängung älterer Menschen aus Gesellschaft und Arbeitswelt." (Schulze 2013, S.308) Die 2002 gegründete »Rentner Partei Deutschland (RENTNER) konzentriert sich im Gegensatz zu den Grauen, die sich auch mit Fragen der Altersdiskriminierung befasst haben, vor allem verteilungspolitische Fragen im Zusammenhang mit dem Thema Rentenversicherung und fordert z. B. eine Grundrente von 1.200 Euro. In einem mehr oder weniger klaren Konkurrenzverhältnis zu der Partei RENTNER steht die Kleinstpartei »Bündnis21/RRP. Sie wurde 2007 als Rentnerinnen und Rentner-Partei (RRP) gegründet und 2012 zu dem heutigen Parteinamen umbenannt.
Die "Frauenfrage" hat 1995 in Deutschland unter den Kleinparteien u. a. die »Feministische Partei Die Frauen hervorgebracht. Sie tritt dafür ein, dass der "Sichtweise von Frauen" (Präambel des Programms von 2012)  in der Politik mehr Raum gegeben wird, versteht sich aber nicht als "Ein-Punkt-Partei", sondern steht auch für Pazifismus, Antimilitarismus und für den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus. (vgl. Fischer 2013, S.264)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 25.08.2016

 

 
   
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, nach welchen Merkmalen sich Parteien unter dem Aspekt ihrer Wählerschaft und ihrer soziologischen Basis unterscheiden lassen.

  2. Informieren Sie sich über einzelne Parteien im Internet genauer.
     

 
     
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