Die
Zunahme und Verbreitung von Nah- und Fernbeziehungen von Paaren ist vor
allem ein Ergebnis Strukturwandels bzw. des sozialen Wandels, der im Zuge
der Individualisierung auch zu einer weiteren Pluralisierung von
Lebensformen geführt hat unter den Bedingungen des heutigen Arbeitsmarktes
eine große Bereitschaft zur Mobilität abverlangt. Wie diese Nah- und
Fernbeziehungen gelebt werden, deren gemeinsames Merkmal zunächst einmal das
(Zusammen-)Leben eines Paares in räumlich voneinander getrennten Haushalten
ist, ob die Paare sich täglich sehen, einmal in der Woche, mehrmals oder nur
einmal pro Monat oder gar nur alle paar Monate prägt dabei natürlich die
Art, aber wohl auch die Beständigkeit solcher Beziehungen, die eben oft
vergleichsweise instabil und von kurzer Dauer sind. (vgl.
Dorbritz/Naderi 2012)
Lange Zeit stand das Zusammen-Getrennt-Leben eines Paares (engl. Living
Apart Together, nach dem niederländischen Film "Frank & Eva. Living Apart
Together" aus dem Jahr 1973) im Ruf eine Lebensform zu sein, die
insbesondere nonkonformistischen antibürgerlichen Paare im (alternativen)
Künstlermilieu zu Gesichte stand, die sich damit von den für
bürgerlich-spießig gehaltenen traditionellen Lebensformen von Ehe und
Familie abgrenzte. Inzwischen haben sich dieses Bild und vor allem die
Anzahl der Paare, die nach diesem Muster (zusammen-)leben, aber deutlich
verändert. Zugleich wurden die Muster solchen Zusammenlebens noch einmal
genauer betrachtet und differenziert, was zugleich auch die Bildung neuer
Begriffe nach sich zog. So werden Beziehungen dieser Art heute mit dem
Oberbegriff bilokale Beziehungen (Huinink/Konietzka
2007, S. 31) bezeichnet. Dabei werden zwei Formen bilokaler
Beziehungen unterschieden:
-
Als
Nahbeziehung
Living Apart Together (LAT)
werden danach nur noch solche Paare bezeichnet, die den Haushalt des
Partners relativ schnell, in einem Zeitraum unter 2 Stunden erreichen
können und häufig Face-to-Face-Kontakte haben.Im Vordergrund steht bei
diesen Paaren das Zusammenleben. (Dorbritz/Naderi
2012)
-
Als
Fernbeziehung (Long
Distance Relationship, Abk. LDR) werden
dagegen Paare bezeichnet, deren Haushalte so weit weit voneinander
entfernt sind, dass sie mehr als zwei Stunden benötigen, um den Haushalt
des Partners zu erreichen. Solche Paare haben daher naturgemäß auch
weniger Face-to-Face-Kontakte.
Insgesamt gesehen gibt es heute in etwa gleich viel bilokale
Paarbeziehungen zwischen 18 und 79 Jahren (7,3%) wie nichteheliche
Lebensgemeinschaften (8,3%). Bei den bilokalen Beziehungen stellen
allerdings die Nahbeziehungen (LAT) die Mehrheit dar.
Betrachtet man die Altersgruppen, dann stellt man fest, dass die Lebensform
der bilokalen Paarbeziehung bei den unter 30-Jährigen mit einem Anteil von
20% besonders hoch ist. Bei dieser Altersgruppe ist sie sogar die
zweithäufigste Lebensform. Das liegt natürlich auch daran, dass nahezu jede
Beziehung mit einer bilokalen Phase beginnt. Zugleich zeigt es aber auch,
dass ein großer Teil der jungen Leute nicht Hals über Kopf zusammenzieht.
Altersspezifisch betrachtet stellt sich die Situation sehr differenziert
dar. Je älter die Männer und Frauen, desto geringer wird auch der Anteil
bilokaler Lebensformen. Zwischen 30 und 49 Jahren leben nur noch 6,9% so,
aber über 50 steigt der Prozentsatz wieder an (9,8%), was darauf hinweist,
dass mehr Paare in dieser Lebensphase ganz bewusst auf räumliche Distanz
zueinander gehen.
(vgl.
(Keine) Lust auf Kinder, BiB 2012, S.22, Hervorh. d. Verf.)
Die Gründe, die junge Leute veranlassen, eine bilokale Beziehung zu führen,
beruhen dagegen meistens nicht auf einer bewussten Wahl dieser Lebensform.
Sind die Paare sehr jung, ist es häufig so, dass die Partner ihre Ausbildung
an verschiedenen, weiter auseinander liegenden Orten machen. Danach steht
dem Wohnen in einem gemeinsamen Haushalt oft entgegen, dass keine geeigneten
Arbeitsplätze für beide am gleichen Ort gefunden werden können.
Grundsätzlich ist es aber - von den wenigen abgesehen, die sich ganz bewusst
für eine solches Beziehungsmuster entscheiden - so, dass die Partner in
Fern- und Nahbeziehungen in der Regel sofort zusammenziehen, wenn dies
möglich ist. An eine Heirat denken die Partner einer bilokalen Paarbeziehung
allerdings wenig. Verglichen mit nichtehelichen Lebensgemeinschaften (38,5%)
sind es gerade mal 13,5%, die sich in absehbarer Zeit vorstellen können, mit
ihrem Partner eine Ehe einzugehen. Und auch, was den Kinderwunsch anbelangt,
zeigen sich die Partner bilokaler Paarbeziehungen deutlich zurückhaltender
als andere Lebensformen, wobei sich Männer deutlich häufiger gegen Kinder
aussprechen als Frauen. Jene, aber natürlich auch die Frauen, die sich gegen
Kinder in einer solchen Beziehung aussprechen, geben dabei - und das sind
für die Bilokalen besonders typische Aussagen - häufig an, dass sie
befürchten, sich mit einem Kind zu sehr an den Partner oder die Partnerin zu
binden oder ihr Leben, so wie sie gewohnt sind, nicht mehr genießen könnten.
(vgl. Dorbritz/Naderi 2012, vgl.
(Keine) Lust auf Kinder, BiB 2012, S.22))
Dennoch: Bilokale Paarbeziehungen scheinen, zumindest für eine gewisse Zeit
lang eine Lebensform anzubieten, "in der sich Intimität und Unabhängigkeit
ideal vereinbaren lassen, wodurch die typischen Probleme vermieden werden,
die ein Zusammenwohnen mit sich bringt." (ebd.)
Was andere Paare häufig in Auseinandersetzungen und mehr oder weniger
heftigen Streits beschäftigt, nämlich Geld, Kindererziehung oder Hausarbeit,
spielt bei bilokalen Partnerschaften naturgemäß eine weitaus geringere Rolle
als Streit darüber, wie man die ohnehin gering bemessene, gemeinsame Zeit am
besten verbringen kann.
Gert Egle, 2004 zuletzt bearbeitet am:
27.08.2024