Phasen der psychosozialen Entwicklung
»Sigmund Freud (1856 -1939)
nahm an, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen in den ersten
Lebensjahren entwickelt.
Die Probleme, die ihm seine Patienten mitteilten,
wurzelten seiner Überzeugung nach häufig in unbewältigten Konflikten der
frühen Kindheit. Die Symptome, die er beobachtete, ließen ihn glauben, dass
die Menschen in der Kindheit eine Reihe
von psychosexuellen Phasen bei ihrer psychosozialen Entwicklung
durchlaufen, in denen sich die Lust suchenden Energien des
•
Es auf
verschiedene, aber bestimmte lustbetonte Bereiche des menschlichen Körpers,
von Freud als erogene Zonen
bezeichnet,
konzentrierten.
Die Libido als Triebkraft psychischer Prozesse
Freud, der "den Aufbau der 'Seele' aus neuralen Konstellationen und
ihrer Energetisierung durch Triebe (erklärt)"
(Fend
32003, S.82), sieht in der so genannten "Libido"
die eigentliche Antriebskraft seelischer Prozesse.
Die Libido stellt
"Lustzonen im weitesten Sinne" dar, "die jedoch im Laufe der
Entwicklung immer klarer sexuelle
Konnotationen annehmen."
(ebd.) Auf diesen "Wanderungen", die die Libido in ihrer
Entwicklung dabei vollführt, entstehen über den von ihr induzierten
und zu bewältigenden •
Ödipus-Konflikt
die maßgeblichen Strukturen der Psyche:
•
Es,
•
Ich und
•
Über-Ich.
Kaum einer hat die "»Wanderungen« der Libido" (Fend) dabei
anschaulicher und prägnanter zusammengefasst als Helmut Fend
(32003,
S.82f.):
"Die Lustzonen verschieben sich: Anfangs liegen sie im
oralen Bereich, im Bereich der Nahrungsaufnahme und in den
Kontakten mit dem Mund generell. Aufnehmen und In-sich-Aufsaugen
sind die primären Formen der Weltzuwendung, Frustrationen und
Befriedigungsformen führen zu Imaginationen, zu Phantasien und
Wahrnehmungsbildern, also zu Vorformen des kognitiven Apparates. Im Laufe des zweiten Lebensjahres verschiebt sich die Kernzone der
Libido auf den analen Bereich.
Zurückhalten-Können und Ausstoßen werden jetzt lustvoll erlebt. Es
ist also die erste Phase des Ausagierens und des Zurückhaltens. Zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr beginnt die
Verschiebung der Lustzonen auf soziale Objekte. Die Libido
wir erstmals mit sozialen Beziehungen verquickt, und das
Drama der Beziehungskonflikte beginnt. Bekannt geworden ist dieser
Vorgang unter dem Begriff des
Ödipus-Komplexes. Hier richten sich die sexuellen Wünsche auf
den gegengeschlechtlichen Elternteil, insbesondere vom Sohn auf die
Mutter. Diese Wünsche erzeugen Eifersucht gegenüber dem Vater, der
jetzt als Konkurrent erscheint, den man ausschalten möchte. Daraus
resultieren Schuldgefühle, die durch die imaginierte Bedrohung durch
den Vater (Kastrationsangst) noch verstärkt werden. Um mit diesem
Konflikt fertig zu werden, greift die 'Psyche' zu einem genialen
Trick. Sie schlüpft in die Rolle des Vaters, tut so, als wäre sie
der Vater und kann auf diese Weise den gegengeschlechtlichen
Elternteil für sich 'besitzen'. Freud nennt diesen Prozess die
Identifikation mit dem Aggressor. Der Knabe wird wie der Vater, er
übernimmt dessen Normen und Gewohnheiten in toto. Er beginnt sich
selber so zu zensieren, als ob er der Vater wäre. Damit ist auch
eine perfekte Übertragung der väterlichen Normen erfolgt. Freud nennt die entsprechende
psychische Strukturbildung
das 'Überich'
und grenzt es vom
Es, dem unbewussten Lustinduktionsbereich, ab. Der
heranwachsende Mensch gewinnt damit eine neue Regulierungsinstanz
den inneren Trieben gegenüber, Er muss im Laufe des Lebens aber noch
eine zweite Instanz der Kontrolle erwerben, die sich an den
äußeren Bedingungen der
Triebbefriedigung orientiert. Freud nennt sie im weiteren Verlauf
das
Ich. Damit wird sichtbar, wie aus der Entwicklungsgeschichte der
Libido und ihren Konflikten mit den Normen der Umwelt und den realen
Bedingungen der Triebbefriedigung die Struktur der Psyche
hervorgeht, die er anschaulich als topologisches Modell mit den
Zonen des Es, des Überich und Ich bezeichnet."
Entwicklungsaufgaben in frühen psychosexuellen Phasen meistern
Der Mensch durchläuft nach Freud die nachfolgend noch einmal
aufgelisteten psychosexuellen Phasen und muss dabei die für die
Phasen gestellten Entwicklungsaufgaben meistern.
Allerdings kann
dabei in jeder dieser Phasen ein so starker Konflikt auftreten, dass
die Lust suchenden Energien (Libido) abgeblockt oder fixiert werden.
Fixierung nennt Freud einen Zustand,
der in einer der psychosexuellen Phasen dann eintritt, wenn
bestimmte Konflikte nicht gelöst werden. "So glaubte Freud
beispielsweise, dass ein Mensch, der oral übermäßig verwöhnt oder
benachteiligt ist (vielleicht durch ein frühes und abruptes
Abstillen), auf diese orale Phase fixiert bleiben könnte. Oral
fixierte Menschen könnten entweder in passiver Abhängigkeit (wie ein
Säugling) verharren oder diese Abhängigkeit - und andere Formen
davon - vehement verleugnen, was vielleicht in besonders aggressivem
Verhalten oder in ständigen sarkastischen Bemerkungen zum Ausdruck
kommt. Vielleicht suchen sie aber auch weiterhin nach oraler
Befriedigung, indem sie exzessiv essen, trinken oder rauchen." (Myers 2005, S.571)
Für Freud steht daher auch fest, dass schlecht angepasste
Verhaltensweisen im Erwachsenenalter auf Konflikte zurückzuführen
sind, die während der frühen psychosexuellen Entwicklungsphasen
entstanden und nicht gelöst worden sind. (vgl.
ebd.)
-
Orale Phase (0-18 Monate) Mundregion als primäres Bezugsorgan. Lustgefühle beim Saugen, Beißen und
Kauen (Säuglinge und Kleinkinder
verbringen z. B. viel Zeit damit, am Daumen oder Zehen zu lutschen; beim Essen
oder Trinken oder künstliche Reizung kommt es zu einer
Spannungsreduktion (Verminderung der libidinösen Triebspannung) und zu
einem Auftreten von Lustgefühlen. Störungen in dieser Phase führen zu
Persönlichkeitsmerkmalen, aufgrund derer viel von anderen gefordert
wird. (vgl. Stangl;
vgl.
Myers 2005, S.570)
-
Erogene Zonen: Mund, Lippen, Zunge (vgl.
Zimbardo/Gerrig
2004, S.616)
-
Wichtigste Entwicklungsaufgabe:
Entwöhnung (vgl.
ebd.),
-
Probleme bei Erwachsenen, die als Kind auf diese Phase
fixiert geblieben sind: Orales Verhalten, z. B. Rauchen, übermäßiges
Essen; Passivität und Leichtgläubigkeit niedrige
Frustrationstoleranz und schnelles Aufgeben (vgl.
Stangl)
-
Anale Phase (18-36 Monate) Lustgefühle beim Entleeren der Blase und des Darms; anfangs nur durch das Ausscheiden, später auch durch das Zurückhalten
der Exkremente. Das Kind übt in dieser Lebensphase Kontrollmechanismen
ein und vollzieht die ersten Anpassungen an die Erfordernisse der
Umwelt.
-
Erogene Zonen:
Anus (vgl.
Zimbardo/Gerrig
2004, S.619)
-
Wichtigste Entwicklungsaufgabe:
Sauberkeitserziehung (vgl.
ebd.)
-
Probleme bei Erwachsenen, die als Kind auf diese Phase
fixiert geblieben sind: ausgesprochene und übertriebene Ordentlichkeit, Gründlichkeit, Sturheit
(anal retentiv),
oder das Gegenteil (anal expulsiv) (vgl.
ebd.); zwanghafte Persönlichkeitstypen mit starker Unterdrückung
von Aggressionen, Überkontrolliertheit, Geiz und extremer
Reinlichkeit; bei manischen Persönlichkeiten auch starke Trennung
zwischen Vorstellungen und tatsächlichen Gefühlen möglich (vgl.
Stangl)
-
Phallische Phase (4.-5. Lebensjahr) Genitalien als lustbetonte Zonen; Beziehung zu den Eltern ist durch den
Ödipuskomplex bestimmt. Es treten Rivalitätsgefühle mit dem
gleichgeschlechtlichen Elternteil auf, der andersgeschlechtliche wird
geliebt. Auf der anderen Seite fürchtet das Kind den Verlust der Liebe
des gleichgeschlechtlichen Elternteils. Dieser Konflikt wird durch die
Unterdrückung der sexuellen Wünsche beigelegt. In der phallischen Phase
kommt es zur Übernahme geschlechtlicher Moralbegriffe und zur
Entwicklung des Über-Ich (Gewissen).
-
Erogene Zonen:
Genitalien ( vgl.
Zimbardo/Gerrig
2004, S.619); u. U. Entwicklung einer "hysterischen"
Persönlichkeitsstruktur mit auffälligem sexuellen Gebaren, das aber
im Widerspruch zur ängstlichen, passiven Grundstruktur steht, die
sexuelle Kontakte zu meiden versucht; Hysteriker sind meist
selbstbewusst und energisch-impulsiv. (vgl.
Stangl)
-
Wichtigste Entwicklungsaufgabe:
Ödipuskomplex (vgl.
ebd.)
-
Probleme bei Erwachsenen, die als Kind auf diese Phase
fixiert geblieben sind: Eitelkeit, Rücksichtslosigkeit, oder das
Gegenteil (vgl.
ebd.); Kampf gegen inzestuöse Gefühle vgl.
Myers 2005, S.570)
-
Latenzphase (6.-12 Lebensjahr (bis zum Beginn
der Pubertät)) scheinbare Unterbrechung der sexuellen Entwicklung; Ruhepause; sexuelle
Regungen werden abgewehrt und verdrängt. Spielkameraden werden vor allem
beim gleichen Geschlecht gesucht. Während dieser Zeit kommt es zu einer
Verinnerlichung der Anforderungen der Umwelt.(vgl.
Stangl)
-
Erogene Zonen:
keine spezifische Zone (vgl.
Zimbardo/Gerrig
2004, S.619)
-
Wichtigste Entwicklungsaufgabe:
Entwicklung der
Abwehrmechanismen (vgl.
ebd.)
-
Probleme bei Erwachsenen, die als Kind auf diese Phase
fixiert geblieben sind: Keine; normalerweise kommt es in dieser
Phase nicht zu keiner Fixierung (vgl.
ebd.);
-
Genitale Phase (ab der Pubertät - 18.
Lebensjahr) Wiederaufleben der Sexualität und normales Interesse daran;
Reaktivierung des Ödipuskomplexes und Hinwendung zum anderen Geschlecht; Der beschleunigten
körperlichen und intellektuellen Reifung steht eine verzögerte
emotionale Reifung gegenüber. Die Pubertät ist eine stark
konfliktgeladene Phase voller motorischer und innerer Unruhe.(vgl.
Stangl)
-
Erogene Zonen: Genitalien
(vgl.
Zimbardo/Gerrig
2004, S.619)
-
Wichtigste Entwicklungsaufgabe:
Reife sexuelle Intimität
(vgl.
ebd.)
-
Probleme bei Erwachsenen, die als Kind auf diese Phase
fixiert geblieben sind: Wenn Erwachsene frühere Phasen erfolgreich
integriert haben, sollten sie in der Lage sein, mit einem
aufrichtigen Interesse für andere und mit einer gereiften Sexualität
aus dieser Phase heraustreten. (vgl.
ebd.)
(*vgl.
http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/EntwicklungFreud.shtml,
9.12.09; )
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
20.01.2025
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