Bei der ▪
Gesprächsanalyse ist der
▪ Sprecherwechsel,
d. h. das für ein Gespräch konstitutive Wechseln von der Hörer- in die
Sprecherrolle, von zentraler Bedeutung. Er stellt hohe Anforderungen an die Kooperation der
Gesprächsteilnehmer. Dieser Rollenwechsel
(turn-taking) unterscheidet das dialogische Sprechen vom monologischen
Text.
Man kann verschiedene
Formen des Sprecherwechsels unterscheiden
und diese nach den folgenden Kriterien einteilen:
Sprecherwechsel nach der Art ihres Zustandekommens
Unter diesem Blickwinkel gibt es grundsätzlich zwei verschiedene
Möglichkeiten, mit denen man von der Hörer- in die Sprecherrolle wechseln
kann:
-
Fremdwahl (auch: Fremdzuweisung, Fremdselektion genannt)
-
Selbstwahl (auch: Selbstzuweisung, Selbstselektion)
Die Fremdwahl beim Sprecherwechsel
Bei der Fremdwahl kommt der Sprecherwechsel dadurch zustande,
dass der Hörer vom Sprecher mit bestimmten verbalen und/oder non-verbalen
Signalen zum Sprechen aufgefordert wird, während er zugleich zu verstehen
gibt, selbst sein Sprechen zu beenden.
Die Art und Weise, wie sich Sprecherwechsel mit Fremdwahl vollzieht, hängt
natürlich auch vom Gesprächstyp und den davon u. a. bestimmten
institutionellen, funktionalen oder festen sozialen Rollen ab, die die
Partner in einem derartigen Gespräch einnehmen. So wird einem in einer
öffentlichen Diskussion oder in einer Konferenz das Wort von einem
Diskussionsleiter erteilt und in anderen Gesprächen ergeben sich
Bevorrechtigungen anderer Art.
Besonders wichtig bei der Fremdwahl sind aber die
nonverbalen Signale. So reicht mitunter ein intensiver Augenkontakt
aus oder unterstreicht ein dem ausgewählten Gesprächspartner zugedachtes
Kopfnicken, um die Übergabe des Rederechts an den anderen zu
verdeutlichen.
Die Selbstwahl beim Sprecherwechsel
Bei der Selbstwahl muss man unterscheiden, ob ein Sprecher
dadurch zu Wort kommt, dass er den Sprecher unterbricht oder ob er nach
dem Ende eines Gesprächsbeitrages, u. U. nach einer kleinen Pause, seine
eigenen lautsprachlichen Äußerungen beginnt. (vgl.
Brinker/Sager 1989, S.60;
Linke u. a. 1995, S.264f.)
Sprecherwechsel nach der Art ihres Verlaufs
Unter dem Blickwinkel des Verlaufs von Sprecherwechseln lassen sich vier verschiedene Formen des
Sprecherwechsel unterscheiden:
Sprecherwechsel mit oder ohne Sprechpause
Beim Sprecherwechsel mit oder ohne Sprechpause, der von einer
guten Koordination zeugt und sehr üblich ist, gibt es zwischen dem Ende
des letzten Gesprächsbeitrages (turn) und dem Beginn des neuen keine
oder nur eine sehr kurze Pause.
Sprecherwechsel mit Überlappen
Beim Sprecherwechsel mit Überlappen handelt es sich zwar um
einen Übergang, bei dem es zu einer Phase simultanen Sprechens kommt, aber
dennoch handelt es sich nicht um eine Unterbrechung. Denn diese Form wird
in der Regel nicht als störend empfunden, weil die lautsprachlichen
Äußerungen, die davon betroffen sind, häufig verbale "Pufferzonen"
darstellen, in deren Bereich - wie analog im Staffellauf der Stab - das
Rederecht übergeben werden kann. Zugleich stellen sie eine Art verbale
"Knautschzone" dar, deren Äußerungen beim Simultansprechen ohne Weiteres
"überhört" werden können, ohne dass der Gesprächszusammenhang verloren
geht. (z. B. am Anfang: "Ja, also ...", "schon, aber ich meine...", "ich
würde sagen..." - am Ende: "dachte ich mir eben"; "gell?", "nicht wahr?")
Sprecherwechsel mit längerer Pause oder Schweigen
Was eine längere Pause ist, kann natürlich nur schwer gesagt werden.
Ein solches gesprächsloses Intervall ist daher im höchsten Maße relativ
und wird im Übrigen auch in verschiedenen Regionen und in
unterschiedlichen Beziehungen der Menschen zueinander ganz unterschiedlich
wahrgenommen und interpretiert. Und doch lassen wir normalerweise
jedenfalls in einem Gespräch aus zwei Gründen keine (subjektiv)
allzu groß empfundenen Gesprächspausen.
-
Zum einen regelt der Grundsatz "Wer zuerst spricht, hat das
Anrecht auf den nächsten Redebeitrag" im Allgemeinen die pausenlose
Koordination des Sprecherwechsels von alleine.
-
Zum anderen tritt bei längeren Pausen, einem richtigen
"Gesprächsloch", der Beziehungsaspekt der Kommunikation deutlich
hervor. Vielleicht ist einem diese Pause nur peinlich, aber genau so
gut, kann man sie als mangelndes Interesse an Gespräch und
Gesprächspartner auslegen.
Im Gegensatz zum Sprecherwechsel durch Überlappen handelt es sich bei
dieser Art des Sprecherwechsels um "eine latent aggressive und vom
betroffenen Sprecher meist als unangenehm empfundene Form der
Selbstwahl." (Linke
u. a. 1995, S.267) Bei einer Unterbrechung kann der Sprecher seine
Äußerung mit ihren wesentlichen Inhalten nicht mehr realisieren.
Sprecherwechsel durch Unterbrechung sind aber dennoch nicht immer von
Überlappungen zu unterscheiden. Denk- und Formulierungspausen eines
Sprechers können leicht als Ende eines Gesprächsbeitrages missdeutet
werden, Intonationskurven können als Aufforderung verstanden werden und so
manche rhetorische Frage hat den Gesprächspartner schon zur sofortigen
Antwort gereizt. So können Unterbrechungen also von den Sprechern und
Hörern ganz unterschiedlich beurteilt werden. (vgl.
ebd.) Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.12.2023
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