Ein allgemeines Modell der Kommunikation
Wenn vom ▪
Sprechen als besonderer Form des (sozialen) Handelns die Rede
ist, muss man den für die ▪ linguistische
Pragmatik grundlegenden Handlungsbegriff von seiner alltagssprachlichen Verwendung
unterscheiden. (vgl.
Holly 2001, S. 9-11)
Im pragmalinguistischen Sinne sind Handlungen "interpretationsabhängige,
sinnhafte, d. h. gerichtete, kontrollierbare und zu verantwortende komplexe
Tätigkeiten oder Unterlassungen, die durch Zuordnung zu Handlungsmustern
verstanden werden können, weil sie durch soziale Regeln eingespielt sind."
(ebd., S. 12)
Der Alltagsbegriff von Handeln
In der Alltagskommunikation verstehen wir unter dem Begriff
Handlung meistens entweder eine Tätigkeit oder eine körperliche
Aktivität (auch Körperbewegung), die absichtlich oder unabsichtlich,
willentlich oder unwillentlich, ausgeführt werden .
Mit dem Alltagsbegriff
von Handeln kann man allerdings schon bestimmte "Handlungen" wie
innere Vorgänge, die sich ohne äußere
Anzeichen vollziehen (z. B. Denken und Fühlen) oder Unterlassungen, also
etwas nicht zu tun, kaum oder nicht mehr genau unterschieden werden.
Insbesondere lässt sich mit diesem Alltagsbegriff Handeln und bloßes
Verhalten kaum voneinander abheben.
Der pragmalinguistische Begriff der Sprechhandlung
Zur Definition des Begriffs der sprachlichen Handlung, wie er in der
Pragmalinguistik und damit in der ▪ Sprechakttheorie verwendet wird, kann man
sich zunächst einmalan die Definition des Soziologen
Max Weber (1864-1920) halten. Er
geht davon aus, dass Handeln ein menschliches Verhalten (sowohl
inneres und äußeres Tun, als auch Unterlassen der Dulden) ist, das für den,
der es zeigt, einen subjektiven Sinn hat.
Der pragmalinguistische
Begriff erfüllt die nachfolgenden sieben Merkmale:
-
Sinnhaftigkeit
-
Gerichtetheit
-
Kontrollierbarkeit
-
Regelhaftigkeit
-
Verantwortbarkeit
-
Komplexität
-
Interpretationsabhängigkeit
zu 1) Sinnhaftigkeit:
Das Kriterium der Sinnhaftigkeit soll Handlungen von Vorgängen und
Prozessen, also auch von bloßem Verhalten, abheben. Handlungen haben einen
Sinn.
Wenn Handlungen etwas bedeuten, dann können wir sie verstehen. Aber
nicht alles, was erklärbar ist, gilt auch als sinnhaft und verstehbar.
Der
Husten- oder Niesreflex zum Beispiel ist bei Kenntnis der physiologischen
Grundlagen zwar erklärbar, aber nicht sinnhaft.
Sinnhaftigkeit bedeutet
also nicht, dass sie im alltagssprachlichen Gebrauch "sinnvoll" sind,
sondern lediglich, dass man ihnen einen Sinn zuschreiben kann.
zu 2) Gerichtetheit:
Mit dem Kriterium der Gerichtetheit lassen sich Handlungen, aber auch
Vorgänge und Prozesse, von Zuständen und Eigenschaften, unterscheiden.
Handlungen sind stets auf etwas gerichtet, sie haben
gewollte
oder ungewollte Ergebnisse und
Folgen. Handlungen laufen zumindest auf etwas hinaus.
Insofern
lässt sich auch nur mit gewisser Einschränkung sagen, dass jede Handlung
ein Ziel oder einen Zweck verfolgt. Intentional, im Sinne von absichtlich,
müssen (gerichtete) Handlungen nicht sein.
zu 3) Kontrollierbarkeit:
Handlungen lassen sich mit dem Kriterium der Kontrollierbarkeit von
Reflexen unterscheiden.
Sie sind prinzipiell
kontrollierbar, was für bloßes Verhalten atmen, niesen, schlafen,
Reizhusten nicht zutrifft.
Das Kriterium der Kontrollierbarkeit bedeutet
dabei nicht, dass Handlungen stets kontrolliert verlaufen, denn häufig
genug passiert es, dass man auch etwas aus Versehen tut. Und: Auch wenn es
Menschen gibt, die ihr reflexartiges Verhalten wie Atmung oder Herzschlag
bewusst beeinflussen können, gelten solche Reflexe doch als prinzipiell
unkontrollierbar.
zu 4) Regelhaftigkeit:
Handlungen werden innerhalb einer sozialen Gruppe (z. B. Kultur,
Sprachgemeinschaft) nach bestimmten Regeln vollzogen.
Sie folgen einem
bestimmten Muster. Wer den Sinn einer Handlung
versteht, kennt auch die Regel, die dieser Handlung zugrunde liegt. Diese
Regeln entstanden und entstehen in einem fortwährenden Prozess der
Übereinkunft, durch Konvention.
Sie werden von den Mitgliedern einer
sozialen Gruppe im Rahmen ihres Heranwachsens (Sozialisation)
erlernt und gewähren im Gegensatz zu Naturgesetzen einen gewissen Spielraum.
zu 5) Verantwortbarkeit:
Wer seine Handlungen kontrollieren kann, muss sich auch dafür
verantworten, sofern nicht bestimmte Gründe (z. B. Alter,
Zurechnungsfähigkeit, besondere Umstände etc.) diese Verantwortung
einschränken.
zu 6) Komplexität:
Handlungen werden meisten in komplexer Weise vollzogen. Sie können
Das Muster einer Handlung kann dabei
weiter oder enger gefasst werden, je nachdem wie viel vom
Ergebnis und den Folgen der Handlung beschrieben werden. So kann man die
Handlung, dass Claudia die Balkontür öffnet, mit folgenden Varianten
ausdrücken:
-
Claudia bewegt ihre Hand.
-
Claudia dreht den Türgriff.
-
Claudia öffnet die
Balkontüre.
-
Claudia lüftet das Zimmer.
-
Claudia verschafft sich
frische Luft.
Der Aspekt, unter dem eine Handlung
beschrieben wird, kann, ohne dass sich diese Beschreibungen
widersprechen, unterschiedlich ausfallen. Die entsprechenden
Handlungsmuster werden dann instrumental
mit indem-Relationen miteinander verbunden.
- Claudia verschafft sich frische Luft, indem sie das Zimmer lüftet,
indem sie die Balkontüre öffnet, indem sie den Türgriff dreht, indem
sie ihre Hand bewegt.
Handlungen können aber nach
mehreren
Mustern erfolgen, die durch und zugleich/wobei miteinander verknüpft sind.
- Claudia schaut fern und telefoniert zugleich ( ..., wobei sie
telefoniert)
Im Allgemeinen kommen Handlungen nicht isoliert vor. Sie werden vielmehr in einer bestimmten
Abfolge/Sequenz von
und dann-Relationen vollzogen,
die selbst auch wieder bestimmten Mustern folgen können.
- Claudia schreibt eine E-Mail, indem sie an ihren Computer geht
und dann den Computer einschaltet und dann das E-Mail-Programm
startet und dann den Button E-Mail senden drückt und dann im
Eingabefester ihren E-Mail-Text schreibt.
zu 7)
Interpretationsabhängigkeit:
Handlungen lassen sich nicht hinreichend mit Hilfe von mentalen
oder materialen Komponenten wie z. B. mit genauen
Beschreibungen der Körperbewegungen, beschreiben. Sie stellen
vielmehr soziale Phänomene dar, die von der Interpretation des
erkennenden Subjekts abhängig sind.
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
23.07.2020
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