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5. Aufzug
Armbrustschießen
Soldaten und Bürger mit
Armbrüsten
Jetter, Bürger von Brüssel, Schneider, tritt vor und spannt
die Armbrust. Soest, Bürger von Brüssel, Krämer.
SOEST. Nun schießt nur hin,
dass es alle wird! Ihr nehmt mir's doch nicht! Drei Ringe schwarz, die habt
ihr eure Tage nicht geschossen. Und so wär' ich für dies Jahr Meister.
JETTER. Meister und König
dazu. Wer missgönnt's Euch? Ihr sollt dafür auch die Zeche doppelt
bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit bezahlen, wie's recht ist.
(Buyck, ein Holländer,
Soldat unter Egmont.)
BUYCK. Jetter, den Schuss
handl' ich Euch ab, teile den Gewinst, traktiere die Herren: ich bin so
schon lange hier und für viele Höflichkeit Schuldner. Fehl' ich, so ist's,
als wenn Ihr geschossen hättet.
SOEST. Ich sollte drein
reden; denn eigentlich verlier' ich dabei. Doch, Buyck, nur immerhin.
Buyck (schießt). Nun, Pritschmeister, Reverenz! - Eins! Zwei! Drei! Vier!
SOEST. Vier Ringe? Es sei!
Alle. Vivat, Herr König,
hoch! und abermal hoch!
BUYCK. Danke, ihr Herren.
Wäre Meister zu viel! Danke für die Ehre.
JETTER. Die habt Ihr Euch
selbst zu danken.
(Ruysum, ein Friesländer,
Invalide und taub.)
RUYSUM. dass ich euch sage!
SOEST. Wie ist's, Alter?
RUYSUM. dass ich euch sage!
- Er schießt wie sein Herr, er schießt wie Egmont.
BUYCK. Gegen ihn bin ich
nur ein armer Schlucker. Mit der Büchse trifft er erst, wie keiner in der
Welt. Nicht etwa wenn er Glück oder gute Laune hat; nein! wie er anlegt,
immer rein schwarz geschossen. Gelernt habe ich von ihm. Das wäre auch ein
Kerl, der bei ihm diente und nichts von ihm lernte! - Nicht zu vergessen,
meine Herren! Ein König nährt seine Leute; und so, auf des Königs
Rechnung, Wein her!
JETTER. Es ist unter uns
ausgemacht, dass jeder -
BUYCK. Ich bin fremd und
König, und achte eure Gesetze und Herkommen nicht.
JETTER. Du bist ja ärger
als der Spanier; der hat sie uns doch bisher lassen müssen.
RUYSUM. Was?
SOEST (laut). Er will uns
gastieren; er will nicht haben, dass wir zusammenlegen und der König nur
das Doppelte zahlt.
RUYSUM. Lasst ihn! doch ohne
Präjudiz! Das ist auch seines Herrn Art, splendid zu sein und es laufen zu
lassen, wo es gedeiht. (Sie bringen Wein.)
ALLE. Ihro Majestät Wohl!
Hoch!
JETTER (zu Buyck).
Versteht
sich, Eure Majestät.
BUYCK. Danke von Herzen,
wenn's doch so sein soll.
SOEST. Wohl! Denn unserer
spanischen Majestät Gesundheit trinkt nicht leicht ein Niederländer von
Herzen.
RUYSUM. Wer?
SOEST (laut).
Philipps des
Zweiten, Königs in Spanien.
RUYSUM.
Unser
allergnädigster König und Herr! Gott geb' ihm langes Leben.
SOEST. Hattet Ihr seinen
Herrn Vater, Karl den Fünften, nicht lieber?
RUYSUM. Gott tröst' ihn!
Das war ein Herr! Er hatte die Hand über dem ganzen Erdboden, und war euch
alles in allem; und wenn er euch begegnete, so grüßt' er euch, wie ein
Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken wart, Wust' er mit so guter
Manier - Ja, versteht mich - Er ging aus, ritt aus, wie's ihm einkam, gar
mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint, wie er seinem Sohn das
Regiment hier abtrat - sagt' ich, versteht mich - der ist schon anders,
der ist majestätischer.
JETTER. Er ließ sich nicht
sehen, da er hier war, als in Prunk und königlichem Staate. Er spricht
wenig, sagen die Leute.
SOEST. Es ist kein Herr für
uns Niederländer.
Unsre Fürsten müssen froh und frei sein wie wir, leben
und leben lassen. Wir wollen nicht verachtet noch gedruckt sein, so
gutherzige Narren wir auch sind.
JETTER.
Der König, denk'
ich, wäre wohl ein gnädiger Herr, wenn er nur bessere Ratgeber hätte.
SOEST. Nein, nein! Er hat
kein Gemüt gegen uns Niederländer, sein Herz ist dem Volke nicht geneigt,
er liebt uns nicht; wie können wir ihn wieder lieben? Warum ist alle Welt
dem Grafen Egmont so hold? Warum trügen wir ihn alle auf den Händen? Weil
man ihm ansieht, dass er uns wohl will; weil ihm die Fröhlichkeit, das
freie Leben, die gute Meinung aus den Augen sieht; weil er nichts besitzt,
das er dem Dürftigen nicht mitteilte, auch dem, der's nicht bedarf.
Lasst
den Grafen Egmont leben! Buyck, an Euch ist's, die erste Gesundheit zu
bringen! Bringt Eures Herrn Gesundheit aus.
BUYCK. Von ganzer Seele
denn: Graf Egmont hoch!
RUYSUM. Überwinder bei
St. Quintin!
BUYCK. Dem Helden von
Gravelingen!
ALLE. Hoch!
RUYSUM.
St. Quintin war
meine letzte Schlacht. Ich konnte kaum mehr fort, kaum die schwere Büchse
mehr schleppen. Hab' ich doch den Franzosen noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum Abschied noch einen
Streifschuss ans
rechte Bein.
BUYCK. Gravelingen!
Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir allein. Brannten und sengten
die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern? Aber ich mein', wir trafen
sie! Ihre alten handfesten Kerle hielten lange wider, und wir drängten und
schossen und hieben, dass sie die Mäuler verzerrten und ihre Linien
zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe niedergeschossen, und
wir stritten lange hinüber herüber, Mann für Mann, Pferd gegen Pferd,
Haufe mit Haufe, auf dem breiten flachen Sand an der See hin. Auf einmal
kam's, wie vom Himmel herunter, von der Mündung des Flusses, bav! bau!
immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren Engländer, die unter
dem Admiral Malin von ungefähr von Dünkirchen her vorbeifuhren. Zwar viel
halfen sie uns nicht; sie konnten nur mit den kleinsten Schiffen herbei,
und das nicht nah genug; schossen auch wohl unter uns - Es tat doch gut!
Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da ging's! Rick! rack! herüber,
hinüber! Alles tot geschlagen, alles ins Wasser gesprengt. Und die Kerle
ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was wir Holländer waren,
gerad hinten drein. Uns, die wir beidlebig sind, ward erst wohl im Wasser,
wie den Fröschen; und immer die Feinde im Fluss zusammengehauen,
weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach, schlugen euch auf
der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot. Musste doch die
welsche Majestät gleich das Pfötchen reichen und Friede machen. Und
den
Frieden seid ihr uns schuldig, dem großen Egmont schuldig.
ALLE.
Hoch! dem großen
Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal hoch!
JETTER. Hätte man uns den
statt der Margarete von Parma zum Regenten gesetzt!
SOEST. Nicht so! Wahr
bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht schelten. Nun ist's an mir.
Es
lebe unsre gnädige Frau!
ALLE. Sie lebe!
SOEST. Wahrlich, treffliche
Weiber sind in dem Hause. Die Regentin lebe!
JETTER.
Klug ist sie, und
mäßig in allem, was sie tut; hielte sie's nur nicht so
steif und fest mit
den Pfaffen. Sie ist doch auch mit schuld, dass wir die vierzehn neuen
Bischofsmützen im Lande haben. Wozu die nur sollen? Nicht wahr, dass man
Fremde in die guten Stellen einschieben kann, wo sonst Äbte aus den
Kapiteln gewählt wurden? Und wir sollen glauben, es sei um der Religion
willen. Ja, es hat sich. An drei Bischöfen hatten wir genug: da ging's
ehrlich und ordentlich zu. Nun muss doch auch jeder tun, als ob er nötig
wäre; und da setzt's allen Augenblick Verdruss und Händel. Und je mehr ihr
das Ding rüttelt und schüttelt, desto trüber wird's. (Sie trinken.)
SOEST. Das war nun des
Königs Wille; sie kann nichts davon, noch dazu tun.
JETTER. Da sollen wir nun
die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind wahrlich gar schön in Reimen
gesetzt, und haben recht erbauliche Weisen. Die sollen wir nicht singen;
aber Schelmenlieder, soviel wir wollen. Und warum? Es seien Ketzereien
drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiß. Ich hab' ihrer doch auch gesungen;
es ist jetzt was Neues, ich hab' nichts drin gesehen.
BUYCK. Ich wollte sie
fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir wollen. Das macht, dass Graf
Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach so etwas nicht. -
In Gent, Ypern, durch ganz Flandern
singt sie, wer Belieben hat. (Laut.) Es ist ja
wohl nichts unschuldiger, als ein geistlich Lied? Nicht wahr, Vater?
RUYSUM. Ei wohl! Es ist ja
ein Gottesdienst, eine Erbauung.
JETTER. Sie sagen aber, es
sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre Art; und gefährlich ist's
doch immer, da lässt man's lieber sein. Die Inquisitionsdiener schleichen
herum und passen auf; mancher ehrliche Mann ist schon unglücklich
geworden! Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich nicht tun darf, was ich
möchte, können sie mich doch denken und singen lassen, was ich will.
SOEST. Die
Inquisition
kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die Spanier, unser Gewissen
tyrannisieren zu lassen. Und der Adel
muss auch beizeiten
suchen, ihr die
Flügel zu beschneiden.
JETTER. Es ist sehr fatal.
Wenn's den lieben Leuten einfällt, in mein Haus zu stürmen, und ich sitz'
an meiner Arbeit und summe just einen französischen Psalm und denke nichts
dabei, weder Gutes noch Böses; ich summe ihn aber, weil er mir in der
Kehle ist; gleich bin ich ein Ketzer
und werde eingesteckt. Oder ich gehe
über Land, und bleibe bei einem Haufen Volks stehen, das einem neuen
Prediger zuhört, einem von denen, die aus Deutschland gekommen sind; auf
der Stelle heiß' ich ein Rebell und komme in Gefahr, meinen Kopf zu
verlieren. Habt ihr je einen predigen hören?
SOEST.
Wackre Leute.
Neulich hört' ich einen auf dem Felde vor tausend und tausend Menschen
sprechen. Das war ein ander Geköch, als wenn unsre auf der Kanzel
herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken erwürgen. Der sprach
von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hätten bei der Nase
herumgeführt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr Erleuchtung
haben könnten. - Und das bewies er euch alles aus der Bibel.
JETTER. Da mag doch auch
was dran sein. Ich sagt's immer selbst, und grübelte so über die Sache
nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.
BUYCK.
Es läuft ihnen auch
alles Volk nach.
SOEST. Das glaub' ich, wo
man was Gutes hören kann und was Neues.
JETTER. Und was ist's denn
nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen nach seiner Weise.
BUYCK. Frisch, ihr Herren!
Über dem Schwätzen vergesst ihr den Wein und Oranien.
JETTER. Den nicht zu
vergessen! Das ist ein rechter Wall: wenn man nur an ihn denkt, meint man
gleich, man könne sich hinter ihn verstecken, und der Teufel brächte einen
nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!
ALLE. Hoch! hoch!
SOEST. Nun, Alter, bring'
auch deine Gesundheit.
RUYSUM.
Alte Soldaten! Alle
Soldaten! Es lebe der Krieg!
BUYCK. Bravo, Alter! Alle
Soldaten! Es lebe der Krieg!
JETTER.
Krieg! Krieg!
Wisst
ihr auch, was ihr ruft? dass es euch leicht vom Munde geht, ist wohl
natürlich; wie lumpig aber unser einem dabei zu Mute ist, kann ich nicht
sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hören, und nichts zu hören, als wie
da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer, wie sie über einen Hügel
kamen und bei einer Mühle hielten, wie viel da geblieben sind, wie viel
dort, und wie sie sich drängen, und einer gewinnt, der andere verliert,
ohne dass man sein Tage begreift, wer was gewinnt oder verliert. Wie eine
Stadt eingenommen wird, die Bürger ermordet werden, und wie's den armen
Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not und Angst, man
denkt jeden Augenblick: "Da kommen sie! Es geht uns auch so."
SOEST. Drum muss auch ein
Bürger immer in Waffen geübt sein.
JETTER. Ja, es übt sich,
wer Frau und Kinder hat. Und doch hör' ich noch lieber von Soldaten, als
ich sie sehe.
BUYCK. Das sollt' ich übel
nehmen.
JETTER. Auf Euch ist's
nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen Besatzungen los waren,
holten wir wieder Atem.
SOEST. Gelt! die lagen dir
am schwersten auf?
JETTER. Vexier Er sich.
SOEST. Die hatten scharfe
Einquartierung bei dir.
JETTER. Halt dein Maul.
SOEST. Sie hatten ihn
vertrieben aus der Küche, dem Keller, der Stube - dem Bette. (Sie lachen.)
JETTER. Du bist ein Tropf.
BUYCK. Friede, ihr Herren!
muss der Soldat Friede rufen? - Nun, da ihr von uns nichts hören wollt, nun
bringt auch eure Gesundheit aus, eine bürgerliche Gesundheit.
JETTER. Dazu sind wir
bereit! Sicherheit und Ruhe!
SOEST.
Ordnung und
Freiheit!
BUYCK. Brav! das sind auch
wir zufrieden.
(Sie stoßen an und
wiederholen fröhlich die Worte, doch so,
dass jeder ein anders ausruft, und
es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und fällt endlich auch mit ein.)
ALLE.
Sicherheit und Ruhe!
Ordnung und Freiheit!
Palast der Regentin.
Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
REGENTIN. Ihr stellt das
Jagen ab, ich werde heut' nicht reiten. Sagt Machiavellen, er soll zu mir
kommen. (Alle gehen ab.) Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten
lässt mir keine Ruhe! Nichts kann mich ergötzen, nichts mich zerstreuen;
immer sind diese Bilder, diese Sorgen vor mir. Nun wird der König sagen,
dies sei'n die Folgen meiner Güte, meiner Nachsicht; und doch sagt mir
mein Gewissen jeden Augenblick, das Rätlichste, das Beste getan zu haben.
Sollte ich früher mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und
umhertreiben? Ich hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu
verschütten. Ja, was ich mir selbst sage, was ich wohl weiß, entschuldigt
mich vor mir selbst; aber wie wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es
zu leugnen? Der Übermut der fremden Lehrer hat sich täglich erhöht; sie
haben unser Heiligtum gelästert, die stumpfen Sinne des Pöbels zerrüttet
und den Schwindelgeist unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter
die Aufrührer gemischt, und schreckliche Taten sind geschehen, die zu
denken schauderhaft ist und die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten
habe, schnell und einzeln, damit mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme,
damit der König nicht denke, man wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe
kein Mittel, weder strenges noch gelindes, dem Übel zu steuern. O was sind
wir Großen auf der Woge der Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen,
und sie treibt uns auf und nieder, hin und her.
(Machiavell tritt auf.)
REGENTIN. Sind die Briefe
an den König aufgesetzt?
MACHIAVELL. In einer Stunde
werdet Ihr sie unterschreiben können.
REGENTIN. Habt Ihr den
Bericht ausführlich genug gemacht?
MACHIAVELL. Ausführlich und
umständlich, wie es der König liebt. Ich erzähle, wie zuerst um
St. Omer
die bilderstürmerische Wut sich zeigt. Wie eine rasende Menge, mit Stäben,
Beilen, Hämmern, Leitern, Stricken versehen, von wenig Bewaffneten
begleitet, erst Kapellen, Kirchen und Klöster anfallen, die Andächtigen
verjagen, die verschlossenen Pforten aufbrechen, alles umkehren, die
Altäre niederreißen, die Statuen der Heiligen zerschlagen, alle Gemälde
verderben, alles, was sie nur Geweihtes, Geheiligtes antreffen,
zerschmettern, zerreißen, zertreten. Wie sich der Haufe unterwegs
vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Thore eröffnen. Wie sie den
Dom mit unglaublicher Schnelle verwüsten, die Bibliothek des Bischofs
verbrennen. Wie eine große Menge Volks, von gleichem Unsinn ergriffen,
sich über Menin, Comines,
Verwich, Lille verbreitet, nirgend Widerstand
findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die
ungeheure Verschwörung sich erklärt und ausgeführt ist.
REGENTIN. Ach, wie ergreift
mich aufs neue der Schmerz bei deiner Wiederholung! Und die Furcht gesellt
sich dazu, das Übel werde nur größer und größer werden.
Sagt mir Eure
Gedanken, Machiavell!
MACHIAVELL. Verzeihen Eure
Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so ähnlich; und wenn Ihr auch immer
mit meinen Diensten zufrieden wart, habt Ihr doch selten meinem Rat folgen
mögen. Ihr sagtet oft im Scherze: "Du siehst zu weit, Machiavell! Du
solltest Geschichtsschreiber sein. Wer handelt, muss fürs Nächste sorgen."
Und doch, habe ich diese Geschichte nicht voraus erzählt?
Hab' ich nicht
alles voraus gesehen?
REGENTIN. Ich sehe auch
viel voraus, ohne es ändern zu können.
MACHIAVELL. Ein Wort für
tausend: Ihr unterdrückt die neue Lehre nicht!
Lasst sie gelten, sondert
sie von den Rechtgläubigen, gebt ihnen Kirchen, fasst sie in die
bürgerliche Ordnung, schränkt sie ein; und so habt Ihr die Aufrührer auf
einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel sind vergeblich, und Ihr
verheert das Land.
REGENTIN. Hast du
vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die Frage verwarf, ob
man die neue Lehre dulden könne? Weißt du nicht, wie er mir in jedem
Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste empfiehlt? dass er
Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht hergestellt wissen will?
Hält er nicht selbst in den Provinzen Spione, die wir nicht kennen, um zu
erfahren, wer sich zu der neuen Meinung hinüberneigt? Hat er nicht zu
unsrer Verwunderung uns diesen und jenen genannt, der sich in unsrer Nähe
heimlich der Ketzerei schuldig machte? Befiehlt er nicht Strenge und
Schärfe? Und ich soll gelind sein? Ich soll Vorschläge tun, dass er
nachsehe, dass er dulde?
Würde ich nicht alles Vertrauen, allen Glauben bei
ihm verlieren?
MACHIAVELL. Ich weiß wohl;
der König befiehlt, er lässt Euch seine Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe
und Friede wieder herstellen durch ein Mittel, das die Gemüter noch mehr
erbittert, das den Krieg unvermeidlich an allen Enden anblasen wird.
Bedenkt, was Ihr tut! Die größten Kaufleute sind angesteckt, der Adel,
das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen Gedanken beharren, wenn
sich um uns alles ändert? Möchte doch ein guter Geist Philippen eingeben,
dass es einem Könige anständiger ist, Bürger zweierlei Glaubens zu
regieren, als sie durch einander aufzureiben.
REGENTIN.
Solch ein Wort
nie wieder! Ich weiß wohl, dass Politik selten Treu' und Glauben halten
kann, dass sie Offenheit, Gutherzigkeit, Nachgiebigkeit aus unsern Herzen
ausschließt. In weltlichen Geschäften ist das leider nur zu wahr; sollen
wir aber auch mit Gott spielen, wie unter einander? Sollen wir
gleichgültig gegen unsere bewährte Lehre sein, für die so viele ihr Leben
aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben an hergelaufne, ungewisse,
sich selbst widersprechende Neuerungen?
MACHIAVELL.
Denkt nur
deswegen nicht übler von mir.
REGENTIN. Ich kenne dich
und deine Treue, und weiß, dass einer ein ehrlicher und verständiger Mann
sein kann, wenn er gleich den nächsten, besten Weg zum Heil seiner Seele
verfehlt hat. Es sind noch andere, Machiavell, Männer, die ich schätzen
und tadeln muss.
MACHIAVELL. Wen bezeichnet
Ihr mir?
REGENTIN. Ich kann es
gestehen, dass mir Egmont heute einen recht innerlichen, tiefen
Verdruss
erregte.
MACHIAVELL. Durch welches
Betragen?
REGENTIN. Durch sein
gewöhnliches, durch Gleichgültigkeit und Leichtsinn. Ich erhielt die
schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen und ihm begleitet, aus
der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an, ich beklagte mich laut
und rief, indem ich mich zu ihm wendete: "Seht, was in Eurer Provinz
entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der König sich alles versprach?"
MACHIAVELL. Und was
antwortete er?
REGENTIN. Als wenn es
nichts, als wenn es eine Nebensache wäre, versetzte er:
Wären nur erst die
Niederländer über ihre Verfassung beruhigt! Das übrige würde sich leicht
geben.
MACHIAVELL. Vielleicht hat
er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie soll Zutrauen entstehen und
bleiben, wenn der Niederländer sieht, dass es mehr um seine Besitztümer als
um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu tun ist? Haben die neuen Bischöfe
mehr Seelen gerettet als fette Pfründen geschmaust, und sind es nicht
meist Fremde? Noch werden alle Statthalterschaften mit Niederländern
besetzt; lassen sich es die Spanier nicht zu deutlich merken, dass sie die
größte, unwiderstehlichste Begierde nach diesen Stellen empfinden? Will
ein Volk nicht lieber nach seiner Art von den Seinigen regieret werden,
als von Fremden, die erst im Lande sich wieder Besitztümer auf Unkosten
aller zu erwerben suchen, die einen fremden Maßstab mitbringen und
unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
REGENTIN.
Du stellst dich
auf die Seite der Gegner.
MACHIAVELL. Mit dem Herzen
gewiss nicht; und wollte, ich könnte mit dem Verstande ganz auf der
unsrigen sein.
REGENTIN. Wenn du so
willst, so tät' es not, ich träte ihnen meine Regentschaft ab; denn
Egmont und Oranien machten sich große Hoffnung, diesen Platz einzunehmen.
Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen mich verbunden, sind
Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.
MACHIAVELL.
Ein
gefährliches Paar.
REGENTIN. Soll ich
aufrichtig reden,
ich fürchte Oranien, und ich fürchte für Egmont.
Oranien
sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in die Ferne, er ist heimlich,
scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und in tiefster Ehrfurcht, mit
größter Vorsicht tut er, was ihm beliebt.
MACHIAVELL. Recht im
Gegenteil geht
Egmont einen freien Schritt, als wenn die Welt ihm gehörte.
REGENTIN. Er trägt das
Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestät nicht über ihm schwebte.
MACHIAVELL. Die
Augen des
Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die Herzen hängen an ihm.
REGENTIN. Nie hat er einen
Schein vermieden; als wenn niemand Rechenschaft von ihm zu fordern hätte.
Noch trägt er den Namen Egmont. Graf Egmont freut ihn sich nennen zu
hören; als wollte er nicht vergessen, dass seine Vorfahren Besitzer von
Geldern waren.
Warum nennt er sich nicht Prinz von Gaure, wie es ihm
zukommt? Warum tut er das?
Will er erloschne Rechte wieder geltend
machen?
MACHIAVELL. Ich halte ihn
für einen treuen Diener des Königs.
REGENTIN. Wenn er wollte,
wie verdient könnte er sich um die Regierung machen, anstatt dass er uns
schon, ohne sich zu nutzen, unsäglichen Verdruss gemacht hat.
Seine
Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den Adel mehr verbunden und
verknüpft als die gefährlichsten heimlichen Zusammenkünfte. Mit seinen
Gesundheiten haben die Gäste einen dauernden Rausch, einen nie sich
verziehenden Schwindel geschöpft. Wie oft setzt er durch seine Scherzreden
die Gemüter des Volks in Bewegung, und wie stutzte der Pöbel über
die
neuen Livreen, über die törichten Abzeichen der Bedienten!
MACHIAVELL. Ich bin
überzeugt, es war ohne Absicht.
REGENTIN. Schlimm genug.
Wie ich sage: er schadet uns und nützt sich nicht.
Er nimmt das Ernstliche
scherzhaft, und wir, um nicht müßig und nachlässig zu scheinen, müssen das
Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt eins das andre; und was man
abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er ist gefährlicher als ein
entschiednes Haupt einer Verschwörung; und ich müsste mich sehr irren, wenn
man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann nicht leugnen, es vergeht
wenig Zeit, dass er mich nicht empfindlich, sehr empfindlich macht.
MACHIAVELL. Er scheint
mir
in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
REGENTIN. Sein Gewissen hat
einen gefälligen Spiegel. Sein Betragen ist oft beleidigend. Er sieht oft
aus, als wenn er in der völligen Überzeugung lebe, er sei Herr, und wolle
es uns nur aus Gefälligkeit nicht fühlen lassen, wolle uns so gerade nicht
zum Lande hinausjagen; es werde sich schon geben.
MACHIAVELL. Ich bitte Euch,
legt seine Offenheit, sein glückliches Blut, das alles Wichtige leicht
behandelt, nicht zu gefährlich aus. Ihr schadet nur ihm und Euch.
REGENTIN.
Ich lege nichts
aus; ich spreche nur von den unvermeidlichen Folgen, und ich kenne ihn.
Sein niederländischer Adel und sein
golden Vlies vor der Brust stärken
sein Vertrauen, seine Kühnheit. Beides kann ihn vor einem schnellen,
willkürlichen Unmut des Königs schützen. Untersuch' es genau; an dem
ganzen Unglück, das Flandern trifft, ist
er doch nur allein schuld. Er hat
zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht genommen, und
vielleicht sich heimlich gefreut, dass wir etwas zu schaffen hatten. Las
mich nur! Was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser Gelegenheit davon.
Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschießen; ich weiß, wo er
empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.
MACHIAVELL. Habt Ihr den
Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien
auch?
REGENTIN. Ich habe nach
Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die
Last der Verantwortung nahe
genug zuwälzen; sie sollen sich mit mir dem Übel ernstlich entgegensetzen
oder sich auch als Rebellen erklären. Eile,
dass die Briefe fertig werden,
und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann sende schnell den bewährten
Vaska nach Madrid; er ist unermüdet und treu;
dass mein Bruder zuerst durch
ihn die Nachricht erfahre, dass der Ruf ihn nicht übereile. Ich will ihn
selbst noch sprechen, eh' er abgeht.
MACHIAVELL. Eure Befehle
sollen schnell und genau befolgt werden.
Bürgerhaus.
Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
KLARE. Wollt Ihr mir nicht
das Garn halten, Brackenburg?
BRACKENBURG. Ich bitt'
Euch, verschont mich, Klärchen.
KLARE. Was habt Ihr wieder?
Warum versagt Ihr mir diesen kleinen Liebesdienst?
BRACKENBURG. Ihr bannt mich
mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich kann Euern Augen nicht ausweichen.
KLARE. Grillen! kommt und
haltet!
MUTTER (im Sessel
strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert so hübsch.
Sonst wart
ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
BRACKENBURG. Sonst.
KLARE. Wir wollen singen.
BRACKENBURG. Was Ihr wollt.
KLARE. Nur hübsch munter
und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen, mein Leibstück.
(Sie wickelt Garn und singt
mit Brackenburg.)
Die Trommel gerühret!
Das
Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster gewaffnet
Dem Haufen befiehlt,
Die Lanze
hoch führet,
Die Leute regieret.
Wie klopft mir das Herze!
Wie wallt mir
das Blut!
O hätt' ich ein Wämslein
Und Hosen und Hut!
Ich folgt' ihm zum
Thor 'naus
Mit mutigem Schritt,
Ging' durch die Provinzen,
Ging' überall
mit.
Die Feinde schon weichen,
Wir schießen darein!
Welch Glück
sondergleichen,
Ein Mannsbild zu sein!
(Brackenburg hat unter dem
Singen Klärchen oft angesehen; zuletzt bleibt ihm die Stimme stocken, die
Tränen kommen ihm in die Augen, er
lässt den Strang fallen und geht ans
Fenster. Klärchen singt das Lied allein aus, die Mutter winkt ihr halb
unwillig, sie steht auf, geht einige Schritte nach ihm hin, kehrt halb
unschlüssig wieder um und setzt sich.)
MUTTER
Was gibt's auf der
Gasse, Brackenburg? Ich höre marschieren.
BRACKENBURG. Es ist die
Leibwache der Regentin.
KLARE. Um diese Stunde? Was
soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht an das Fenster zu Brackenburg.)
Das ist nicht die tägliche Wache, das sind weit mehr! Fast alle ihre
Haufen. O Brackenburg, geht! hört einmal, was es gibt? Es
muss etwas
Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den Gefallen.
BRACKENBURG. Ich gehe! Ich
bin gleich wieder da! (Er reicht ihr abgehend die Hand; sie gibt ihm die
ihrige.)
MUTTER Du schickst ihn
schon wieder weg.
KLARE. Ich bin neugierig.
Und auch, verdenkt mir's nicht, seine Gegenwart tut mir weh. Ich weiß
immer nicht, wie ich mich gegen ihn betragen soll. Ich habe Unrecht gegen
ihn, und mich nagt's am Herzen, dass er es so lebendig fühlt. - Kann ich's
doch nicht ändern!
MUTTER Es ist ein so treuer
Bursche.
KLARE. Ich kann's auch
nicht lassen, ich muss ihm freundlich begegnen. Meine Hand drückt sich oft
unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so liebevoll anfasst.
Ich
mache mir Vorwürfe, dass ich ihn betrüge, dass ich in seinem Herzen eine
vergebliche Hoffnung nähre. Ich bin übel dran.
Weiß Gott, ich betrüg' ihn
nicht. Ich will nicht, dass er hoffen soll, und ich kann ihn doch nicht
verzweifeln lassen.
MUTTER Das ist nicht gut.
KLARE. Ich hatte ihn gern
und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich hätte ihn heiraten können,
und glaube, ich war nie in ihn verliebt.
MUTTER Glücklich wärst du
immer mit ihm gewesen.
KLARE.
Wäre versorgt und
hätte ein ruhiges Leben.
MUTTER Und das ist
alles
durch deine Schuld verscherzt.
KLARE. Ich bin in einer
wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie es gegangen ist, weiß ich's
wohl und weiß es nicht.
Und dann darf ich Egmont nur wieder ansehen, wird
mir alles sehr begreiflich, ja, wäre mir weit mehr begreiflich.
Ach, was
ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an, und ich in seinem Arm sollte
nicht das glücklichste Geschöpf von der Welt sein?
MUTTER
Wie wird's in der
Zukunft werden?
KLARE. Ach, ich frage nur,
ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist das eine Frage?
MUTTER Man hat nichts als
Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das ausgehen wird? Immer Sorge und
Kummer!
Es geht nicht gut aus! Du hast dich unglücklich gemacht! mich
unglücklich gemacht.
KLARE (gelassen).
Ihr
ließet es doch im Anfange.
MUTTER Leider war ich zu
gut, bin immer zu gut.
KLARE.
Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr mich da? Tratet Ihr
nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah, lächelte, nickte, mich
grüßte, war es Euch zuwider?
Fandet Ihr Euch nicht selbst in Eurer Tochter
geehrt?
MUTTER Mache mir noch
Vorwürfe.
KLARE (gerührt).
Wenn er
nun öfter die Straße kam und wir wohl fühlten, dass er um meinetwillen den
Weg machte, bemerktet Ihr's nicht selbst mit heimlicher Freude? Rieft Ihr
mich ab, wenn ich hinter den Scheiben stand und ihn erwartete?
MUTTER Dachte ich, dass es
so weit kommen sollte?
KLARE (mit stockender
Stimme und zurückgehaltenen Tränen).
Und wie er uns abends, in den Mantel
eingehüllt, bei der Lampe überraschte, wer war geschäftig, ihn zu
empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und staunend sitzen
blieb?
MUTTER Und konnte ich
fürchten, dass diese unglückliche Liebe das kluge Klärchen so bald
hinreißen würde? Ich muss es nun tragen, dass meine Tochter -
KLARE (mit ausbrechenden Tränen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt Eure Freude, mich zu
ängstigen.
MUTTER (weinend). Weine noch
gar! mache mich noch elender durch deine Betrübnis! Ist mir's nicht Kummer
genug, dass meine einzige Tochter ein verworfenes Geschöpf ist?
KLARE (aufstehend und
kalt). Verworfen? Egmonts Geliebte verworfen? - Welche Fürstin
neidete nicht das arme Klärchen um den Platz an seinem Herzen! O Mutter -
meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe Mutter, seid gut! Das
Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die murmeln -
Diese Stube,
dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts Liebe drin wohnt.
MUTTER
Man muss ihm hold
sein! das ist wahr.
Er ist immer so freundlich, frei und offen.
KLARE.
Es ist keine falsche
Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch der große Egmont. Und wenn er
zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut!
wie er mir seinen Stand, seine
Tapferkeit gerne verbärge! wie er um mich besorgt ist! so nur Mensch, nur
Freund, nur Liebster.
MUTTER
Kommt er wohl heute?
KLARE. Habt Ihr mich nicht
oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht bemerkt, wie ich horche, wenn's
an der Tür rauscht? Ob ich schon weiß, dass er vor Nacht nicht kommt,
vermut' ich ihn doch jeden Augenblick, von morgens an, wenn ich aufstehe.
Wär' ich nur ein Bube und könnte immer mit ihm gehen, zu Hufe und überall
hin! Könnt' ihm die Fahne nachtragen in der Schlacht! -
MUTTER
Du warst immer so
ein Springinsfeld; als ein kleines Kind schon, bald toll, bald
nachdenklich. Ziehst du dich nicht ein wenig besser an?
KLARE. Vielleicht, Mutter!
wenn ich Langeweile habe. - Gestern, denkt, gingen von seinen Leuten
vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn. Wenigstens war sein Name in den
Liedern; das übrige konnt' ich nicht verstehn. Das Herz schlug mir bis an
den Hals. - Ich hätte sie gern zurückgerufen, wenn ich mich nicht geschämt
hätte.
MUTTER. Nimm dich in acht!
Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles;
du verrätst dich offenbar vor den
Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie du den
Holzschnitt und die
Beschreibung fandst und mit einem Schrei riefst: Graf Egmont! - Ich ward
feuerrot.
KLARE. Hätt' ich nicht
schreien sollen? Es war die Schlacht bei Gravelingen; und ich finde oben
im Bilde den Buchstaben C. und suche unten in der Beschreibung C. Steht
da: "Graf Egmont, dem das Pferd unter dem Leibe totgeschossen wird." Mich
überlief's - und hernach musst ich lachen über den
holzgeschnitzten Egmont,
der so groß war als der Turm von Gravelingen gleich dabei und die
englischen Schiffe an der Seite. - Wenn ich mich manchmal erinnere, wie
ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt, und was ich mir als Mädchen für
ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn sie von ihm erzählten, und von
allen Grafen und Fürsten - und wie mir's jetzt ist!
(Brackenburg kommt.)
KLARE. Wie stehts?
BRACKENBURG. Man weiß
nichts Gewisses.
In Flandern soll neuerdings ein Tumult entstanden sein;
die Regentin soll besorgen, er möchte sich hieher verbreiten. Das Schloss
ist stark besetzt, die Bürger sind zahlreich an den Thoren, das Volk summt
in den Gassen. - Ich will nur schnell zu meinem alten Vater. (Als wollt'
er gehen.)
KLARE.
Sieht man Euch
morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der Vetter kommt, und ich sehe
gar zu liederlich aus. Helft mir einen Augenblick, Mutter! - Nehmt das Buch
mit, Brackenburg, und bringt mir wieder so eine Historie.
MUTTER Lebt wohl!
BRACKENBURG (seine Hand
reichend). Eure Hand!
KLARE (ihre Hand
versagend). Wenn Ihr wiederkommt.
(Mutter und Tochter ab.)
BRACKENBURG. (allein). Ich
hatte mir vorgenommen, gerade wieder fortzugehn, und da sie es dafür
aufnimmt und mich gehen lässt, möcht' ich rasend werden. - Unglücklicher!
und dich rührt deines Vaterlandes Geschick nicht? der wachsende Tumult
nicht? - und
gleich ist dir Landsmann oder Spanier, und wer regiert und
wer Recht hat? -
War ich doch ein andrer Junge als Schulknabe!
- Wenn da
ein Exerzitium aufgegeben war: "Brutus' Rede für die Freiheit, zur Übung
der Redekunst"; da war doch immer Fritz der erste, und der Rektor sagte:
wenn's nur ordentlicher wäre, nur nicht alles so über einander gestolpert.
- Damals kocht' es und trieb! -
Jetzt schlepp' ich mich an den Augen
des Mädchens so hin. Kann ich sie doch nicht lassen! Kann sie mich doch
nicht lieben! -
Ach - Nein - Sie - Sie kann mich nicht ganz verworfen
haben. - Nicht ganz - und halb und nichts! - Ich duld' es nicht
länger! -
Sollte es wahr sein, was mir ein Freund neulich ins Ohr sagte?
dass sie nachts einen Mann heimlich zu sich einlässt, da sie mich züchtig
immer vor Abend aus dem Hause treibt.
Nein, es ist nicht wahr, es ist eine
Lüge, eine schändliche verleumderische Lüge!
Klärchen ist so unschuldig,
als ich unglücklich bin. - Sie hat mich verworfen, hat mich von ihrem
Herzen gestoßen - Und ich soll so fortleben? Ich duld', ich duld' es
nicht. -
Schon wird mein Vaterland von innerm Zwiste heftiger bewegt, und
ich sterbe unter dem Getümmel nur ab! Ich duld' es nicht! - Wenn die
Trompete klingt, ein Schuss fällt, mir fährt's durch Mark und Bein!
Ach, es
reizt mich nicht, es fordert mich nicht, auch mit einzugreifen, mit zu
retten, zu wagen. - Elender, schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich
end' auf einmal. Neulich stürzt' ich mich ins Wasser, ich sank - aber die geängstete Natur war stärker; ich fühlte,
dass ich schwimmen konnte, und
rettete mich wider Willen. -
Könnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich
liebte, mich zu lieben schien! - Warum hat mir's Mark und Bein
durchdrungen, das Glück? Warum haben mir diese Hoffnungen allen Genug des
Lebens aufgezehrt, indem sie mir ein Paradies von weitem zeigten? -
Und
jener erste Kuss! Jener einzige! - Hier (die Hand auf den Tisch legend),
hier waren wir allein - sie war immer gut und freundlich gegen mich
gewesen - da schien sie sich zu erweichen - sie sah mich an - alle Sinnen
gingen mir um, und ich fühlte ihre Lippen auf den meinigen. - Und - und
nun? - Stirb, Armer! Was zauderst du? (Er zieht ein Fläschchen aus der
Tasche.) Ich will dich nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkästchen
gestohlen haben, heilsames Gift! Du sollst mir dieses Bangen, diese
Schwindel, diese Todesschweiße auf einmal verschlingen und lösen.
Platz in Brüssel
Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.
ZIMMERMEISTER. Sagt' ich's
nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der Zunft sagt' ich, es würde
schwere Händel geben.
JETTER. Ist's denn wahr,
dass sie die Kirchen in Flandern geplündert haben?
ZIMMERMEISTER. Ganz und gar
zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und Kapellen. Nichts als die vier
nackten Wände haben sie stehen lassen. Lauter Lumpengesindel! Und das
macht unsre gute Sache schlimm.
Wir hätten eher, in der Ordnung und
standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und drauf halten
sollen.
Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heißt es, wir
gesellen uns zu den Aufwieglern.
JETTER. Ja, so denkt jeder
zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran? hängt doch der Hals gar nah
damit zusammen.
ZIMMERMEISTER. Mir ist's
bange,
wenn's einmal unter dem Pack zu lärmen anfängt, unter dem Volk, das
nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum Vorwande, worauf wir uns
auch berufen müssen, und bringen das Land in Unglück.
(Soest tritt dazu.)
SOEST. Guten Tag, ihr
Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, dass die Bilderstürmer gerade hierher
ihren Lauf nehmen?
ZIMMERMEISTER. Hier sollen
sie nichts anrühren.
SOEST. Es trat ein Soldat
bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich aus. Die Regentin, so eine
wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie außer Fassung. Es muss sehr
arg sein, dass sie sich so geradezu hinter ihre Wache versteckt. Die Burg
ist scharf besetzt. Man meint sogar,
sie wolle aus der Stadt flüchten.
ZIMMERMEISTER. Hinaus soll
sie nicht! Ihre Gegenwart beschützt uns, und wir wollen ihr mehr
verschaffen als ihre Stutzbärte. Und
wenn sie uns unsere Rechte und
Freiheiten aufrechterhält, so wollen wir sie auf den Händen tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
SEIFENSIEDER.
Garstige
Händel! Üble Händel! Es wird unruhig und geht schief aus! -
Hütet euch, dass ihr stille bleibt, dass man euch nicht auch
für Aufwiegler hält.
SOEST. Da kommen die sieben
Weisen aus Griechenland.
SEIFENSIEDER. Ich weiß, da
sind viele, die es heimlich mit den Calvinisten halten, die auf die
Bischöfe lästern, die den König nicht scheuen.
Aber ein treuer Untertan,
ein aufrichtiger Katholike! -
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
VANSEN. Gott grüß' euch
Herren! Was Neues?
ZIMMERMEISTER. Gebt euch
mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
JETTER. Ist es nicht der
Schreiber beim Doktor Wiets?
ZIMMERMEISTER. Er hat schon
viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber, und wie ihn ein Patron nach
dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber, pfuscht er jetzt Notaren und
Advokaten ins Handwerk und ist ein Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
VANSEN. Ihr seid auch
versammelt, steckt die Köpfe zusammen. Es ist immer redenswert.
SOEST. Ich denk auch.
VANSEN. Wenn jetzt einer
oder der andere Herz hätte, und einer oder der andere den Kopf dazu:
wir
könnten die spanischen Ketten auf einmal sprengen.
SOEST. Herre! So müsst Ihr
nicht reden. Wir haben dem König geschworen.
VANSEN.
Und der König uns.
Merkt das.
JETTER. Das lässt sich
hören! Sagt Eure Meinung.
EINGE ANDERE. Horch,
der versteht's. Der hat Pfiffe.
VANSEN.
Ich hatte einen
alten Patron, der besaß Pergamente und Briefe von uralten Stiftungen,
Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die rarsten Bücher. In einem
stand unsere ganze Verfassung: wie uns Niederländer
zuerst einzelne
Fürsten regierten, alles nach hergebrachten Rechten, Privilegien und
Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht für ihren Fürsten gehabt,
wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie sich gleich vorsahen, wenn
er über die Schnur hauen wollte. Die Staaten waren gleich hinterdrein:
denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre Staaten, ihre Landstände.
ZIMMERMEISTER.
Haltet Euer
Maul! das weiß man lange! Ein jeder rechtschaffene Bürger
ist, so viel er
braucht, von der Verfassung unterrichtet.
JETTER.
Lasst ihn reden; man
erfährt immer etwas mehr.
SOEST. Er hat ganz recht.
MEHRERE. Erzählt! erzählt!
So was hört man nicht alle Tage.
VANSEN.
So seid ihr
Bürgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und wie ihr euer Gewerb' von
euern Eltern überkommen habt, so lasst ihr auch das Regiment über euch
schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt nicht nach dem
Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten; und über das
Versäumnis haben euch die Spanier das Netz über die Ohren gezogen.
SOEST. Wer denkt da dran?
wenn einer nur das tägliche Brot hat.
JETTER. Verflucht! Warum
tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem so etwas?
VANSEN. Ich sag es euch
jetzt. Der König in Spanien, der die Provinzen durch gut Glück zusammen
besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten anders als die kleinen
Fürsten, die sie ehemals einzeln besaßen. Begreift ihr das?
JETTER. Erklärt's uns.
VANSEN. Es ist so klar als
die Sonne.
Müsst ihr nicht nach euern Landrechten gerichtet werden?
Woher
käme das?
EIN BÜRGER. Wahrlich!
VANSEN. Hat der
Brüsseler
nicht ein ander Recht als der Antwerper? der Antwerper als der Genter?
Woher käme denn das?
ANDERER BÜRGER. Bei Gott!
VANSEN. Aber, wenn ihr's so
fortlaufen lasst, wird man's euch bald anders weisen. Pfui! Was Karl der
Kühne, Friedrich der Krieger, Karl der Fünfte nicht konnten,
das tut nun
Philipp durch ein Weib.
SOEST. Ja, ja! Die alten
Fürsten haben's auch schon probiert.
VANSEN. Freilich! -
Unsere
Vorfahren passten auf. Wie sie einem Herrn gram wurden, fingen sie ihm etwa
seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei sich und gaben ihn nur auf die
besten Bedingungen heraus. Unsere Väter waren Leute! Die wußten, was ihnen
nütz war! Die wussten etwas zu fassen und festzusetzen! Rechte Männer!
Dafür sind aber auch unsere Privilegien so deutlich, unsere Freiheiten so
versichert.
SEIFENSIEDER. Was sprecht
Ihr von Freiheiten?
DAS VOLK. Von unsern
Freiheiten, von unsern Privilegien!
Erzählt noch was von unsern
Privilegien.
VANSEN. Wir Brabanter
besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile haben, wir sind am
herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
SOEST. Sagt an.
JETTER. Lasst hören.
EIN BÜRGER. Ich bitt Euch.
VANSEN.
Erstlich steht
geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein guter und getreuer Herr
sein.
SOEST. Gut! Steht das so?
JETTER. Getreu? Ist das
wahr?
VANSEN. Wie ich euch sage.
Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm. Zweitens:
Er soll keine Macht oder
eignen Willen an uns beweisen,
merken lassen, oder gedenken zu gestatten,
auf keinerlei Weise.
JETTER.
Schön! Schön! nicht
beweisen.
SOEST.
Nicht merken
lassen.
EIN ANDERER. Und nicht
gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt. Niemanden gestatten, auf
keinerlei Weise.
VANSEN. Mit ausdrücklichen
Worten.
JETTER. Schafft uns das
Buch.
EIN BÜRGER. Ja, wir
müssen's haben.
ANDERE.
Das Buch! das Buch!
EIN ANDERER.
Wir wollen zu
der Regentin gehen mit dem Buche.
EIN ANDERER. Ihr sollt das
Wort führen, Herr Doktor.
SEIFENSIEDER.
O die Tröpfe!
ANDERE. Noch etwas aus dem
Buche!
SEIFENSIEDER. Ich
schlage
ihm die Zähne in den Hals, wenn er noch ein Wort sagt.
DAS VOLK. Wir wollen sehen,
wer ihm etwas tut. Sagt uns was von den Privilegien! Haben wir noch mehr
Privilegien?
VANSEN. Mancherlei, und
sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch:
Der Landsherr soll den
geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne Verwilligung des
Adels und der Stände! Merkt das! Auch den Staat des Landes nicht
verändern.
SOEST. Ist das so?
VANSEN. Ich will's euch
geschrieben zeigen, von zwei-, dreihundert Jahren her.
BÜRGER. Und wir leiden
die
neuen Bischöfe? Der Adel muss uns schützen, wir fangen Händel an!
ANDERE. Und wir lassen uns
von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
VANSEN. Das ist eure
Schuld.
DAS VOLK.
Wir haben noch
Egmont! noch Oranien! Die sorgen für unser Bestes!
VANSEN.
Eure Brüder in
Flandern haben das gute Werk angefangen.
SEIFENSIEDER.
Du Hund!
(Er schlägt ihn.)
ANDERE (widersetzen sich
und rufen). Bist du auch ein Spanier?
EIN ANDERER. Was? den
Ehrenmann?
EIN ANDERER. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
ZIMMERMEISTER. Um's Himmels
willen, ruht!
(Andere mischen sich in den Streit.)
ZIMMERMEISTER. Bürger, was
soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bürger stehn und
gaffen, Volk läuft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
ANDERE.
Freiheit und
Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
EGMONT.
Ruhig! Ruhig,
Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
ZIMMERMEISTER. Gnädiger
Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels. Stille! seht ihr nichts? Graf
Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
EGMONT. Auch hier? Was
fangt ihr an? Bürger gegen Bürger! Hält sogar die Nähe unsrer königlichen
Regentin diesen Unsinn nicht zurück?
Geht auseinander, geht an euer
Gewerbe. Es ist ein übles Zeichen, wenn ihr an Werktagen feiert. Was
war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
ZIMMERMEISTER. Sie schlagen
sich um ihre Privilegien.
EGMONT. Die sie noch
mutwillig zertrümmern werden - Und wer seid Ihr? Ihr scheint mir
rechtliche Leute.
ZIMMERMEISTER. Das ist
unser Bestreben.
EGMONT. Eures Zeichens?
ZIMMERMEISTER. Zimmermann
und Zunftmeister.
EGMONT. Und Ihr?
SOEST. Krämer.
EGMONT. Ihr?
JETTER. Schneider.
EGMONT. Ich erinnere mich,
Ihr habt mit an den Livreen für meine Leute gearbeitet. Euer Name ist
Jetter.
JETTER. Gnade, dass Ihr Euch
dessen erinnert.
EGMONT.
Ich vergesse
niemanden leicht, den ich einmal gesehen und gesprochen habe. - Was an
euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das tut; ihr seid übel genug
angeschrieben.
Reizt den König nicht mehr, er hat zuletzt doch die Gewalt
in Händen. Ein ordentlicher Bürger, der sich ehrlich und fleißig nährt,
hat überall so viel Freiheit, als er braucht.
ZIMMERMEISTER. Ach wohl!
das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die Söffer, die Faulenzer, mit Euer
Gnaden Verlaub, die stänkern aus Langerweile und scharren aus Hunger nach
Privilegien und lügen den Neugierigen und Leichtgläubigen was vor, und um
eine Kanne Bier bezahlt zu kriegen, fangen sie Händel an, die viel tausend
Menschen unglücklich machen. Das ist ihnen eben recht.
Wir halten unsre
Häuser und Kasten zu gut verwahrt; da möchten sie gern uns mit
Feuerbränden davontreiben.
EGMONT. Allen Beistand
sollt ihr finden; es
sind Maßregeln genommen, dem Übel kräftig zu
begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und
glaubt nicht, durch
Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause;
leidet nicht, daß sie
sich auf den Straßen rotten. Vernünftige Leute können viel tun.
(Indessen hat sich der größte Haufe verlaufen.)
ZIMMERMEISTER. Danken Euer
Exzellenz, danken für die gute Meinung! Alles, was an uns liegt.
(Egmont ab.) Ein gnädiger Herr! der echte Niederländer! Gar so nichts
Spanisches.
JETTER. Hätten wir ihn nur
zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
SOEST. Das lässt der König
wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit den Seinigen.
JETTER.
Hast du das Kleid
gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach spanischem Schnitt.
ZIMMERMEISTER.
Ein schöner
Herr!
JETTER.
Sein Hals wär' ein
rechtes Fressen für einen Scharfrichter.
SOEST. Bist du toll? was
kommt dir ein!
JETTER. Dumm genug, dass
einem so etwas einfällt. - Es ist mir nun so. Wenn ich einen schönen
langen Hals sehe, muss ich gleich wider Willen denken:
der ist gut köpfen.
- Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie nicht aus dem Sinne. Wenn
die Bursche schwimmen, und ich seh einen nackten Buckel, gleich fallen sie
mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit Ruten streichen sehen. Begegnet mir
ein rechter Wanst, mein ich, den säh' ich schon am Pfahl braten.
Des
Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern; man wird eben keine
Stunde froh.
Jede Lustbarkeit, jeden Spaß hab ich bald vergessen; die
fürchterlichen Gestalten sind mir wie vor die Stirne gebrannt.
Egmonts Wohnung
Sekretär an einem Tisch mit Papieren, er steht
unruhig auf.
SEKRETÄR. Er kommt immer
nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die Feder in der Hand,. die
Papiere vor mir; und eben heute möcht' ich gern so zeitig fort. Es brennt
mir unter den Sohlen. Ich kann vor Ungeduld kaum bleiben. »Sei
auf die Stunde da«, befahl er mir noch, ehe er wegging; nun kommt er
nicht. Es ist so viel zu tun, ich werde vor Mitternacht nicht fertig.
Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger. Doch hielt' ich's
besser, wenn er strenge wäre und ließe einen auch wieder zur bestimmten
Zeit. Man könnte sich einrichten. Von der Regentin ist er nun schon zwei
Stunden weg; wer weiß, wen er unterwegs angefaßt hat.
(Egmont
tritt auf.)
EGMONT. Wie sieht's aus?
SEKRETÄR. Ich bin bereit,
und drei Boten warten.
EGMONT. Ich bin dir wohl zu
lang geblieben; du machst ein verdrießlich Gesicht.
SEKRETÄR. Euerm Befehl zu
gehorchen, wart ich schon lange. Hier sind die Papiere!
EGMONT.
Donna Elvira wird böse auf mich werden, wenn
sie hört, daß ich dich abgehalten habe.
SEKRETÄR. Ihr scherzt.
EGMONT. Nein, nein. Schäme
dich nicht. Du zeigst einen guten Geschmack. Sie
ist hübsch; und es ist mir ganz recht, daß du auf dem Schlosse eine
Freundin hast. Was sagen die Briefe?
SEKRETÄR. Mancherlei und
wenig Erfreuliches.
EGMONT. Da ist gut, daß wir
die Freude zu Hause haben und sie nicht von auswärts zu erwarten brauchen.
Ist viel gekommen?
SEKRETÄR. Genug, und drei
Boten warten.
EGMONT. Sag an!
das Nötigste!
SEKRETÄR. Es ist alles
nötig.
EGMONT. Eins nach dem
andern, nur geschwind!
SEKRETÄR.
Hauptmann Breda schickt die
Relation, was weiter in Gent und der umliegenden Gegend vorgefallen.
Der Tumult hat sich meistens
gelegt. -
EGMONT. Er schreibt wohl
noch von einzelnen Ungezogenheiten und Tollkühnheiten?
SEKRETÄR. Ja! Es kommt noch
manches vor.
EGMONT. Verschone mich
damit.
SEKRETÄR.
Noch sechs sind eingezogen
worden, die bei Wervicq das Marienbild umgerissen haben. Er fragt an,
ob er sie auch wie die andern soll hängen lassen?
EGMONT.
Ich bin des Hängens müde. Man soll
sie durchpeitschen, und sie mögen gehen.
SEKRETÄR. Es sind zwei
Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
EGMONT. Die mag er
verwarnen und laufenlassen.
SEKRETÄR.
Brink von Bredas
Kompanie will heiraten. Der Hauptmann hofft, Ihr werdet's ihm
abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen, schreibt er, daß, wenn
wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern einem Zigeunergeschleppe
ähnlich sehen wird.
EGMONT. Dem mag's noch
hingehen! Es ist ein schöner junger Kerl; er bat mich noch gar dringend,
eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr gestattet sein, so leid mir's
tut, den armen Teufeln, die ohnedies geplagt genug sind, ihren besten Spaß
zu versagen.
SEKRETÄR. Zwei von Euern
Leuten, Seter und Hart, haben einem Mädel, einer
Wirtstochter, übel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die Dirne
konnte sich ihrer nicht erwehren.
EGMONT. Wenn es ein ehrlich
Mädchen ist, und sie haben Gewalt gebraucht, so soll er sie drei Tage
hintereinander mit Ruten streichen lassen, und wenn sie etwas besitzen,
soll er so viel davon einziehen, daß dem Mädchen eine Ausstattung gereicht
werden kann.
SEKRETÄR.
Einer von den fremden Lehrern
ist heimlich durch Comines gegangen und entdeckt
worden. Er schwört, er sei im Begriff, nach Frankreich zu gehen. Nach dem
Befehl soll er enthauptet werden.
EGMONT. Sie sollen ihn in
der Stille an die Grenze bringen und ihm versichern, daß er das zweitemal
nicht so wegkommt.
SEKRETÄR. Ein
Brief von Euerm Einnehmer. Er
schreibt: es komme wenig Geld ein, er könne auf die Woche die verlangte
Summe schwerlich schicken; der Tumult habe in alles die größte Konfusion
gebracht.
EGMONT.
Das Geld muß herbei! er mag sehen, wie
er es zusammenbringt.
SEKRETÄR. Er sagt, er werde
sein möglichstes tun und wolle endlich den Raymond, der Euch so lange
schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen lassen.
EGMONT. Der hat ja
versprochen zu bezahlen.
SEKRETÄR. Das letztemal
setzte er sich selbst vierzehn Tage.
EGMONT.
So gebe man ihm noch vierzehn
Tage; und dann mag er gegen ihn verfahren.
SEKRETÄR. Ihr tut wohl. Es
ist nicht Unvermögen; es ist böser Wille. Er macht gewiß Ernst, wenn er
sieht, Ihr spaßt nicht. - Ferner sagt der Einnehmer: er wolle den alten
Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen Ihr
Gnadengehalte gebt, die Gebühr einen halben Monat zurückhalten; man
könne indessen Rat schaffen; sie möchten sich einrichten.
EGMONT. Was ist da
einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nötiger als ich. Das soll er
bleibenlassen.
SEKRETÄR. Woher befehlt Ihr
denn, daß er das Geld nehmen soll?
EGMONT. Darauf mag er
denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon gesagt.
SEKRETÄR. Deswegen tut er
die Vorschläge.
EGMONT. Die taugen nicht,
er soll auf was anders sinnen.
Er soll Vorschläge tun,
die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld schaffen.
SEKRETÄR. Ich habe den
Brief des Grafen Oliva wieder
hiehergelegt. Verzeiht, daß ich Euch daran erinnere. Der alte Herr
verdient vor allen andern eine ausführliche Antwort. Ihr wolltet ihm
selbst schreiben. Gewiß, er liebt Euch wie ein Vater.
EGMONT. Ich komme nicht
dazu. Und unter vielem Verhaßten ist mir
das Schreiben das Verhaßteste.
Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib in meinem Namen.
Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht
dazu; und wünschte selbst, daß ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht
Beruhigendes geschrieben würde.
SEKRETÄR. Sagt mir nur
ungefähr Eure Meinung; ich will die Antwort schon aufsetzen und sie Euch
vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daß sie vor Gericht für Eure Hand
gelten kann.
EGMONT. Gib mir den Brief.
(Nachdem er hineingesehen.) Guter
ehrlicher Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedächtig?
Erstiegst du nie einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die
Klugheit anrät, hinten? - Der treue, sorgliche! Er will mein Leben und
mein Glück und fühlt nicht, daß der schon tot ist, der um seiner
Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm, er möge unbesorgt sein; ich handle,
wie ich soll, ich werde mich schon wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu
meinen Gunsten brauchen und meines vollkommnen Dankes gewiß sein.
SEKRETÄR. Nichts weiter? O
er erwartet mehr.
EGMONT. Was soll ich mehr
sagen? Willst du mehr Worte machen, so steht's bei dir. Es dreht sich
immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie ich nicht leben mag.
Daß
ich fröhlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch lebe, das ist mein
Glück; und ich vertausch es nicht gegen die
Sicherheit eines Totengewölbes.
Ich habe nun
zu der spanischen Lebensart nicht einen Blutstropfen in meinen Adern;
nicht Lust, meine Schritte nach der neuen bedächtigen Hofkadenz zu
mustern. Leb ich nur, um aufs Leben zu denken? Soll ich den gegenwärtigen
Augenblick nicht genießen, damit ich des folgenden gewiß sei? Und diesen
wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
SEKRETÄR.
Ich bitt Euch, Herr;
seid nicht so harsch und rauh gegen den guten Mann. Ihr seid ja sonst
gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefällig Wort, das den edeln Freund
beruhige. Seht, wie sorgfältig er ist, wie leis er Euch berührt.
EGMONT. Und doch berührt er
immer diese Saite.
Er
weiß von alters her, wie verhaßt mir diese Ermahnungen sind; sie
machen nur irre, sie helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wäre und
auf dem gefährlichen Gipfel eines Hauses spazierte, ist es
freundschaftlich, mich beim Namen zu rufen und mich zu warnen, zu wecken
und zu töten? Laßt jeden seines Pfades gehn; er mag sich wahren.
SEKRETÄR. Es ziemt Euch,
nicht zu sorgen, aber wer Euch kennt und liebt -
EGMONT (in den Brief
sehend). Da bringt er wieder die alten
Märchen auf, was wir an einem Abend
in leichtem
Übermut der Geselligkeit und des Weins getrieben und gesprochen; und
was man daraus für Folgen und Beweise durchs ganze Königreich gezogen und
geschleppt habe. - Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener Ärmel sticken lassen,
und haben diese tolle Zierde nachher in ein Bündel Pfeile verwandelt; ein
noch gefährlicher Symbol für alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten
ist. Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen
gleich und geboren; sind schuld, daß eine ganze edle Schar mit
Bettelsäcken und
mit einem selbstgewählten Unnamen dem Könige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedächtnis rief; sind schuld - was ist's nun weiter?
Ist ein
Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen, bunten Lumpen
zu mißgönnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um
unsers Lebens arme Blöße hängen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft
nehmt, was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden
weckt, am Abend uns keine Lust zu hoffen übrigbleibt: ist's wohl des An-
und Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne heut, um das zu überlegen, was
gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese
Betrachtungen; wir wollen sie Schülern und Höflingen überlassen. Die mögen
sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen, wohin sie können,
erschleichen, was sie können. - Kannst du von allem diesem etwas brauchen,
daß deine Epistel kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten Alten
scheint alles viel zu wichtig. So drückt ein
Freund, der lang unsre Hand gehalten, sie stärker noch einmal, wenn er sie
lassen will.
SEKRETÄR. Verzeiht mir, es
wird dem Fußgänger schwindlig, der einen Mann, mit rasselnder Eile
daherfahren sieht.
EGMONT.
Kind! Kind! nicht weiter! Wie von
unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die
Sonnenpferde der Zeit mit unsers
Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefaßt,
die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom
Sturze da, die Räder wegzulenken.
Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.
SEKRETÄR. Herr! Herr!
EGMONT.
Ich stehe hoch und kann und muß noch höher steigen; ich fühle mir
Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab ich meines Wachstums Gipfel nicht
erreicht; und steh ich droben einst, so will ich fest, nicht ängstlich
stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind, ja ein
selbst verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen; da lieg ich
mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmäht,
mit meinen guten Kriegsgesellen
um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich knickern,
wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
SEKRETÄR. O Herr!
Ihr wißt nicht, was
für Worte Ihr sprecht! Gott erhalt' Euch!
EGMONT. Nimm deine Papiere
zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nötigsten ist, daß die Boten fortkommen, eh die Tore geschlossen werden.
Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen laß bis morgen; versäume
nicht, Elviren zu besuchen, und grüße sie von mir. - Horche, wie sich die
Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich verbirgt.
(Sekretär ab.)
(Oranien kommt.)
EGMONT. Willkommen,
Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
ORANIEN.
Was sagt
Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
EGMONT. Ich fand in ihrer
Art, uns aufzunehmen, nichts Außerordentliches. Ich habe sie schon mehr so
gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
ORANIEN. Merktet Ihr nicht,
daß sie zurückhaltender war? Erst wollte sie unser Betragen bei dem neuen
Aufruhr des Pöbels gelassen billigen; nachher merkte sie an, was sich doch
auch für ein falsches Licht darauf werfen lasse; wich dann mit dem
Gespräche zu ihrem alten gewöhnlichen Diskurs: daß man ihre liebevolle
gute Art, ihre Freundschaft zu uns Niederländern, nie genug erkannt, zu
leicht behandelt habe, daß nichts einen erwünschten Ausgang nehmen wolle,
daß sie am Ende wohl müde werden, der König sich zu andern Maßregeln
entschließen müsse. Habt Ihr das gehört?
EGMONT. Nicht alles;
ich dachte unterdessen an
was anders. Sie ist ein Weib, guter
Oranien, und die möchten immer gern, daß sich alles unter ihr sanftes Joch
gelassen schmiegte, daß jeder Herkules die Löwenhaut ablegte und ihren
Kunkelhof vermehrte; daß, weil sie friedlich gesinnt sind, die Gärung, die
ein Volk ergreift, der Sturm, den mächtige Nebenbuhler gegeneinander
erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen ließe und die widrigsten
Elemente sich zu ihren Füßen in sanfter Eintracht vereinigten. Das ist ihr
Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so hat sie keinen Weg, als
launisch zu werden, sich über Undankbarkeit, Unweisheit zu beklagen, mit
schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu drohen, und zu drohen - daß sie
fortgehn will.
ORANIEN. Glaubt Ihr dasmal
nicht, daß sie ihre Drohung erfüllt?
EGMONT. Nimmermehr! Wie oft
habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo will sie denn hin? Hier
Statthalterin, Königin; glaubst du, daß sie es unterhalten wird, am Hofe
ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder nach Italien zu gehen
und sich in alten Familienverhältnissen herumzuschleppen?
ORANIEN. Man hält sie
dieser Entschließung nicht fähig, weil Ihr sie habt zaudern, weil Ihr sie
habt zurücktreten sehn; dennoch liegt's wohl in ihr;
neue
Umstände treiben sie zu dem lang verzögerten Entschluß. Wenn sie
ginge? und der König schickte
einen andern?
EGMONT. Nun, der würde
kommen, und würde eben auch zu tun finden. Mit großen Planen, Projekten
und Gedanken würde er kommen, wie er alles zurechtrücken, unterwerfen und
zusammenhalten wolle; und würde heut mit dieser Kleinigkeit, morgen mit
einer andern zu tun haben, übermorgen jene Hindernis finden, einen Monat
mit Entwürfen, einen andern mit Verdruß über fehlgeschlagne Unternehmen,
ein halb Jahr in Sorgen über eine einzige Provinz zubringen. Auch ihm wird
die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und die Dinge wie zuvor ihren Gang
halten, daß er, statt weite Meere nach einer vorgezognen Linie zu
durchsegeln,
Gott danken mag, wenn er sein Schiff in diesem Sturme vom Felsen hält.
ORANIEN. Wenn man nun aber
dem König zu einem Versuch riete?
EGMONT. Der wäre?
ORANIEN.
Zu sehen, was der
Rumpf ohne Haupt anfinge.
EGMONT. Wie?
ORANIEN. Egmont, ich trage
viele Jahre her alle unsere Verhältnisse am Herzen,
ich stehe immer wie
über einem Schachspiele und halte keinen Zug des Gegners für
unbedeutend; und wie müßige Menschen mit der größten Sorgfalt sich um die
Geheimnisse der Natur bekümmern, so halt ich es für Pflicht, für Beruf
eines Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller Parteien zu kennen.
Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befürchten. Der König hat lange nach
gewissen Grundsätzen gehandelt; er sieht, daß er damit nicht auskommt; was
ist wahrscheinlicher, als daß er es auf einem andern Wege versucht?
EGMONT. Ich glaub's nicht.
Wenn man alt wird und hat so viel versucht, und es will in der Welt nie
zur Ordnung kommen, muß man es endlich wohl genug haben.
ORANIEN. Eins hat er noch
nicht versucht.
EGMONT. Nun?
ORANIEN.
Das Volk zu
schonen und die Fürsten zu verderben.
EGMONT. Wie viele haben das
schon lange gefürchtet! Es ist keine Sorge.
ORANIEN. Sonst war's Sorge;
nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt Gewißheit geworden.
EGMONT.
Und hat der König
treuere Diener als uns?
ORANIEN. Wir dienen ihm auf
unsere Art; und unter einander können wir gestehen, daß wir des Königs
Rechte und die unsrigen wohl abzuwägen wissen.
EGMONT. Wer tut's nicht?
Wir sind ihm untertan und gewärtig in dem, was ihm zukommt.
ORANIEN. Wenn er sich nun
aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit nennte, was wir heißen: auf unsre
Rechte halten?
EGMONT. Wir werden uns
verteidigen können. Er
rufe die Ritter des Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
ORANIEN. Und was wäre ein
Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe
vor dem Urteil?
EGMONT. Eine
Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen wird; und eine
Torheit, die ich ihm und seinen Räten nicht zutraue.
ORANIEN. Und wenn sie nun
ungerecht und töricht wären?
EGMONT. Nein, Oranien, es
ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an uns zu legen? - Uns
gefangenzunehmen, wär' ein verlornes und fruchtloses Unternehmen. Nein,
sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch aufzustecken. Der
Windhauch, der diese Nachricht übers Land brächte, würde ein ungeheures
Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie?
Richten und
verdammen kann nicht der König allein; und wollten sie
meuchelmörderisch an unser Leben? - Sie können nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen.
Haß und ewige
Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.
ORANIEN. Die Flamme wütete
dann über unserm Grabe, und das Blut unsrer Feinde flösse zum leeren
Sühnopfer. Laß uns denken, Egmont.
EGMONT. Wie sollten sie
aber?
ORANIEN.
Alba ist unterwegs.
EGMONT. Ich glaub's nicht.
ORANIEN. Ich weiß es.
EGMONT. Die Regentin wollte
nichts wissen.
ORANIEN. Um desto mehr bin
ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz machen. Seinen Mordsinn kenn
ich, und ein Heer bringt er mit.
EGMONT. Aufs neue die
Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst schwierig werden.
ORANIEN. Man wird sich der
Häupter versichern.
EGMONT. Nein! Nein!
ORANIEN.
Laß uns gehen, jeder in
seine Provinz. Dort wollen wir uns verstärken; mit offner Gewalt fängt
er nicht an.
EGMONT. Müssen wir ihn
nicht begrüßen, wenn er kommt?
ORANIEN. Wir zögern.
EGMONT. Und wenn er uns im
Namen des Königs bei seiner Ankunft fordert?
ORANIEN. Suchen wir
Ausflüchte.
EGMONT. Und wenn er dringt?
ORANIEN. Entschuldigen wir
uns.
EGMONT. Und wenn er drauf
besteht?
ORANIEN. Kommen wir um so
weniger.
EGMONT. Und der
Krieg ist erklärt,
und wir sind die Rebellen. Oranien, laß dich nicht durch Klugheit
verführen; ich weiß, daß Furcht dich nicht weichen macht. Bedenke den
Schritt.
ORANIEN. Ich hab ihn
bedacht.
EGMONT. Bedenke, wenn du
dich irrst, woran du
schuld bist; an dem verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet
hat. Dein Weigern ist das Signal, das die Provinzen mit einmal zu den
Waffen ruft, das jede Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur
gern den Vorwand gehascht hat. Was wir lange mühselig gestillt haben,
wirst du mit einem Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an
die Städte, die Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die
Gewerbe! und denke die Verwüstung, den Mord! - Ruhig sieht der Soldat wohl
im Felde seinen Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluß herunter
werden dir die Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen
entgegenschwimmen, daß du mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weißt,
wessen Sache du verteidigst, da die zugrunde gehen, für deren Freiheit du
die Waffen ergriffst. Und wie wird dir's sein, wenn du dir still sagen
mußt: »Für meine Sicherheit
ergriff ich sie.«
ORANIEN.
Wir sind nicht einzelne
Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns für Tausende hinzugeben, so ziemt
es sich auch, uns für Tausende zu schonen.
EGMONT. Wer sich schont,
muß sich selbst verdächtig werden.
ORANIEN. Wer sich kennt,
kann sicher vor- und rückwärts gehen.
EGMONT. Das Übel, das du
fürchtest, wird gewiß durch deine Tat.
ORANIEN. Es ist klug und
kühn, dem unvermeidlichen Übel entgegenzugehn.
EGMONT. Bei so großer
Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in Anschlag.
ORANIEN. Wir haben nicht
für den leisesten Fußtritt Platz mehr; der Abgrund liegt hart vor uns.
EGMONT. Ist des Königs
Gunst ein so schmaler Grund?
ORANIEN. So schmal nicht,
aber schlüpfrig.
EGMONT. Bei Gott! man tut
ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, daß man unwürdig von ihm denkt! Er ist
Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fähig.
ORANIEN.
Die Könige tun nichts
Niedriges.
EGMONT. Man sollte ihn
kennenlernen.
ORANIEN. Eben diese
Kenntnis rät uns, eine gefährliche Probe nicht abzuwarten.
EGMONT. Keine Probe ist
gefährlich, zu der man Mut hat.
ORANIEN.
Du wirst aufgebracht, Egmont.
EGMONT.
Ich muß mit meinen Augen sehen.
ORANIEN. O sähst du diesmal
nur mit den meinigen! Freund, weil du sie offen hast, glaubst du, du
siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und Gott sei bei dir!
Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht daß der Drache nichts zu
fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal verschlingt. Vielleicht
zögert er, um seinen Anschlag sicherer auszuführen; und vielleicht siehest
du indes die Sache in ihrer wahren Gestalt. Aber dann schnell! schnell!
Rette! rette dich! - Leb wohl! - Laß deiner Aufmerksamkeit nichts
entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie er die Stadt besetzt, was
für Macht die Regentin behält, wie deine Freunde gefaßt sind. Gib mir
Nachricht - - - Egmont -
EGMONT. Was willst du?
Oranien (ihn bei der
Hand fassend). Laß dich überreden! Geh mit!
EGMONT. Wie?
Tränen, Oranien?
ORANIEN. Einen Verlornen zu
beweinen, ist auch männlich.
EGMONT. Du wähnst mich
verloren?
ORANIEN. Du bist's.
Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl! (Ab.)
Egmont (allein). Daß
andrer Menschen Gedanken solchen Einfluß auf uns haben! Mir wär' es nie
eingekommen; und dieser Mann trägt seine Sorglichkeit in mich herüber. -
Weg! - Das ist ein
fremder Tropfen in meinem Blute. Gute Natur,
wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die sinnenden Runzeln
wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
Palast der Regentin
Margarete von Parma.
REGENTIN. Ich hätte mir's
vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mühe und Arbeit vor sich hinlebt, denkt
man immer, man tue das Möglichste; und der von weitem zusieht und
befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mögliche. - O die Könige! -
Ich hätte nicht geglaubt, daß es mich so verdrießen könnte. Es ist so
schön zu herrschen! - Und abzudanken? - Ich weiß nicht, wie mein Vater es
konnte; aber ich will es auch.
(Machiavell erscheint im
Grunde.)
REGENTIN. Tretet näher,
Machiavell. Ich denke hier über den Brief meines Bruders.
MACHIAVELL. Ich darf
wissen, was er enthält?
REGENTIN. So viel zärtliche
Aufmerksamkeit für mich, als Sorgfalt für seine Staaten. Er rühmt die
Standhaftigkeit, den Fleiß und die Treue, womit ich bisher für die Rechte
Seiner Majestät in diesen Landen gewacht habe. Er bedauert mich, daß mir
das unbändige Volk so viel zu schaffen mache. Er ist von der Tiefe meiner
Einsichten so vollkommen überzeugt, mit der Klugheit meines Betragens so
außerordentlich zufrieden, daß ich fast sagen muß, der Brief ist für einen
König zu schön geschrieben, für einen Bruder gewiß.
MACHIAVELL. Es ist nicht
das erste Mal, daß er Euch seine gerechte Zufriedenheit bezeigt.
REGENTIN. Aber das erste
Mal, daß es rednerische Figur ist.
MACHIAVELL. Ich versteh'
Euch nicht.
REGENTIN. Ihr werdet. -
Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne Mannschaft, ohne eine kleine
Armee werde ich immer hier eine üble Figur spielen. Wir hätten, sagt er,
unrecht gethan, auf die Klagen der Einwohner unsre Soldaten aus den
Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er, die dem Bürger auf dem
Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, große Sprünge zu machen.
MACHIAVELL. Es würde die
Gemüter äußerst aufbringen.
REGENTIN. Der König meint
aber, hörst du? - Er meint, daß ein tüchtiger General, so einer, der gar
keine Raison annimmt, gar bald mit Volk und Adel, Bürgern und Bauern
fertig werden könne; - und schickt deswegen mit einem starken Heere - den
Herzog von Alba.
MACHIAVELL. Alba?
REGENTIN. Du wunderst dich?
MACHIAVELL. Ihr sagt: er
schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?
REGENTIN. Der König fragt
nicht; er schickt.
MACHIAVELL. So werdet Ihr
einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten haben.
REGENTIN. In meinen
Diensten? Rede g'rad' heraus, Machiavell.
MACHIAVELL. Ich möcht' Euch
nicht vorgreifen.
REGENTIN. Und ich möchte
mich verstellen. Es ist mir empfindlich, sehr empfindlich. Ich wollte
lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als daß er förmliche Episteln
unterschreibt, die ein Staatssekretär aufsetzt.
MACHIAVELL. Sollte man
nicht einsehen? -
REGENTIN. Und ich kenne sie
inwendig und auswendig. Sie möchten's gern gesäubert und gekehrt haben:
und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet ein jeder Vertrauen, der
mit dem Besen in der Hand kommt. O, mir ist's, als wenn ich den König und
sein Conseil auf dieser Tapete gewirkt sähe.
MACHIAVELL. So lebhaft?
REGENTIN. Es fehlt kein
Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der ehrliche Rodrich, der so erfahren
und mäßig ist, nicht zu hoch will und doch nichts fallen läßt, der gerade
Alonzo, der fleißige Freneda, der feste Las Vargas und noch einige, die
mitgehen, wenn die gute Partei mächtig wird. Da sitzt aber der hohläugige
Toledaner mit der ehrnen Stirne und dem tiefen Feuerblick, murmelt
zwischen den Zähnen von Weibergüte, unzeitigem Nachgeben, und daß Frauen
wohl von zugerittenen Pferden sich tragen lassen, selbst aber schlechte
Stallmeister sind, und solche Späße, die ich ehemals von den politischen
Herren habe mit durchhören müssen.
MACHIAVELL. Ihr habt zu dem
Gemälde einen guten Farbentopf gewählt.
REGENTIN. Gesteht nur,
Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus der ich allenfalls malen
könnte, ist kein Ton so gelbbraun, gallenschwarz, wie Albas Gesichtsfarbe,
und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist bei ihm gleich ein
Gotteslästerer, ein Majestätsschänder; denn aus diesem Kapitel kann man
sie alle sogleich rädern, pfählen, vierteilen und verbrennen. - Das Gute,
was ich hier gethan habe, sieht gewiß in der Ferne wie nichts aus, eben
weil's gut ist. - Da hängt er sich an jeden Mutwillen, der vorbei ist,
erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird dem Könige vor den
Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkühnheit, daß er sich vorstellt,
sie fräßen sich hier einander auf, wenn eine flüchtig vorübergehende
Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist. Da faßt er
einen recht herzlichen Haß auf die armen Leute; sie kommen ihm
abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und
Schwert um, und wähnt, so bändige man Menschen.
MACHIAVELL. Ihr scheint mir
zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch. Bleibt Ihr nicht Regentin?
REGENTIN. Das kenn' ich. Er
wird eine Instruktion bringen. - Ich bin in Staatsgeschäften alt genug
geworden, um zu wissen, wie man einen verdrängt, ohne ihm seine Bestallung
zu nehmen. - Erst wird er eine Instruktion bringen, die wird unbestimmt
und schief sein; er wird um sich greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn
ich mich beklage, wird er eine geheime Instruktion vorschützen; wenn ich
sie sehen will, wird er mich herumziehen; wenn ich darauf bestehe, wird er
mir ein Papier zeigen, das ganz was anders enthält; und wenn ich mich da
nicht beruhige, gar nicht mehr tun, als wenn ich redete. - Indes wird er,
was ich fürchte, gethan, und was ich wünsche, weit abwärts gelenkt haben.
MACHIAVELL. Ich wollt', ich
könnt' Euch widersprechen.
REGENTIN. Was ich mit
unsäglicher Geduld beruhigte, wird er durch Härte und Grausamkeiten wieder
aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein Werk verloren sehen, und
überdies noch seine Schuld zu tragen haben.
MACHIAVELL. Erwarten's Eure
Hoheit.
REGENTIN. So viel Gewalt
hab' ich über mich, um stille zu sein. Laß ihn kommen; ich werde ihm mit
der besten Art Platz machen, eh' er mich verdrängt.
MACHIAVELL. So rasch diesen
wichtigen Schritt?
REGENTIN. Schwerer, als du
denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's hergebracht hat, daß jeden Tag
das Schicksal von Tausenden in seiner Hand liegt, steigt vom Throne wie
ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste gleich unter den Lebenden
bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz behaupten wollen, den ihm ein
anderer abgeerbt hat und nun besitzt und genießt.
Klärchens Wohnung.
Klärchen.
Mutter.
MUTTER. So eine Liebe wie
Brackenburgs hab' ich nie gesehen; ich glaubte, sie sei nur in
Heldengeschichten.
KLÄRCHEN (geht in der
Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen summend).
Glücklich allein Ist die
Seele, die liebt.
MUTTER. Er vermutet deinen
Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du ihm ein wenig freundlich
thätest, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
KLÄRCHEN (singt).
Freudvoll Und leidvoll, Gedankenvoll sein; Langen Und bangen In
schwebender Pein; Himmelhoch jauchzend, Zum Tode betrübt; Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
MUTTER. Laß das Heiopopeio.
KLÄRCHEN. Scheltet mir's
nicht; es ist ein kräftig Lied. Hab' ich doch schon manchmal ein großes
Kind damit schlafen gewiegt.
MUTTER. Du hast doch nichts
im Kopfe als deine Liebe. Vergäßest du nur nicht alles über das eine. Den
Brackenburg solltest du in Ehren halten, sag' ich dir. Er kann dich noch
einmal glücklich machen.
KLÄRCHEN. Er?
MUTTER. O ja! es kommt eine
Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus und überhorcht unsre Erfahrungen.
Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat sein Ende; und es kommt eine
Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo unterkriechen kann.
KLÄRCHEN (schaudert,
schweigt und fährt auf). Mutter, laßt die Zeit kommen wie den Tod.
Dran vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt! Wenn wir müssen -
dann - wollen wir uns gebärden, wie wir können. - Egmont, ich dich
entbehren! - (In Tränen.) Nein, es ist nicht möglich, nicht
möglich.
(Egmont in einem
Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrückt.)
EGMONT. Klärchen!
KLÄRCHEN (tut einen
Schrei, fährt zurück). Egmont! (Sie eilt auf ihn zu.) Egmont!
(Sie umarmt ihn, und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Süßer!
Kommst du? bist du da?
EGMONT. Guten Abend,
Mutter!
MUTTER. Gott grüß' Euch,
edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen, daß Ihr so lang ausbleibt;
sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet und gesungen.
EGMONT. Ihr gebt mir doch
ein Nachtessen?
MUTTER. Zu viel Gnade. Wenn
wir nur etwas hätten.
KLÄRCHEN. Freilich! Seid
nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles darauf eingerichtet, ich habe
etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter!
MUTTER. Schmal genug.
KLÄRCHEN. Wartet nur! Und
dann denk' ich: wenn er bei mir ist, hab' ich gar keinen Hunger; da sollte
er auch keinen großen Appetit haben, wenn ich bei ihm bin.
EGMONT. Meinst du?
KLÄRCHEN (stampft mit
dem Fuße, und kehrt sich unwillig um).
EGMONT. Wie ist dir?
KLÄRCHEN. Wie seid Ihr
heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuß angeboten. Warum habt Ihr die
Arme in den Mantel gewickelt, wie ein Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten
noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu haben.
EGMONT. Zu Zeiten,
Liebchen, zu Zeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer steht und dem Feinde
etwas ablisten möchte, da nimmt er sich zusammen, faßt sich selbst in
seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein Liebhaber -
MUTTER. Wollt Ihr Euch
nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich muß in die Küche; Klärchen
denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr müßt fürlieb nehmen.
EGMONT. Euer guter Wille
ist die beste Würze. (Mutter ab.)
KLÄRCHEN. Und was wäre denn
meine Liebe?
EGMONT. So viel du willst.
KLÄRCHEN. Vergleicht sie,
wenn Ihr das Herz habt.
EGMONT. Zuvörderst also.
(Er wirft den Mantel ab und steht in einem prächtigen Kleide da.)
KLÄRCHEN. O je!
EGMONT. Nun hab' ich die
Arme frei. (Er herzt sie.)
KLÄRCHEN. Laßt! Ihr
verderbt Euch. (Sie tritt zurück.) Wie prächtig! da darf ich Euch
nicht anrühren.
EGMONT. Bist du zufrieden?
Ich versprach dir, einmal spanisch zu kommen.
KLÄRCHEN. Ich bat Euch
zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr wolltet nicht. - Ach und das
goldne Vließ!
EGMONT. Da siehst du's nun.
KLÄRCHEN. Das hat dir der
Kaiser umgehängt?
EGMONT. Ja, Kind! und Kette
und Zeichen geben dem, der sie trägt, die edelsten Freiheiten. Ich erkenne
auf Erden keinen Richter über meine Handlungen, als den Großmeister des
Ordens mit dem versammelten Kapitel der Ritter.
KLÄRCHEN. O, du dürftest
die ganze Welt über dich richten lassen. - Der Sammet ist gar zu herrlich,
und die Passementarbeit! und das Gestickte! - Man weiß nicht, wo man
anfangen soll.
EGMONT. Sieh dich nur satt.
KLÄRCHEN. Und das goldne
Vließ! Ihr erzähltet mir die Geschichte und sagtet: es sei ein Zeichen
alles Großen und Kostbaren, was man mit Müh' und Fleiß verdient und
erwirbt. Es ist sehr kostbar - ich kann's deiner Liebe vergleichen. - Ich
trage sie ebenso am Herzen - und hernach -
EGMONT. Was willst du
sagen?
KLÄRCHEN. Hernach
vergleicht sich's auch wieder nicht.
EGMONT. Wieso?
KLÄRCHEN. Ich habe sie
nicht mit Müh' und Fleiß erworben, nicht verdient.
EGMONT. In der Liebe ist es
anders. Du verdienst sie, weil du dich nicht darum bewirbst - und die
Leute erhalten sie auch meist allein, die nicht darnach jagen.
KLÄRCHEN. Hast du das von
dir abgenommen? Hast du diese stolze Anmerkung über dich selbst gemacht?
du, den alles Volk liebt?
EGMONT. Hätt' ich nur etwas
für sie getan! könnt' ich etwas für sie tun! Es ist ihr guter Wille, mich
zu lieben.
KLÄRCHEN. Du warst gewiß
heute bei der Regentin?
EGMONT. Ich war bei ihr.
KLÄRCHEN. Bist du gut mit
ihr?
EGMONT. Es sieht einmal so
aus. Wir sind einander freundlich und dienstlich.
KLÄRCHEN. Und im Herzen?
EGMONT. Will ich ihr wohl.
Jedes hat seine eignen Absichten. Das thut nichts zur Sache. Sie ist eine
treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sähe tief genug, wenn sie auch
nicht argwöhnisch wäre. Ich mache ihr viel zu schaffen, weil sie hinter
meinem Betragen immer Geheimnisse sucht, und ich keine habe.
KLÄRCHEN. So gar keine?
EGMONT. Eh nun! einen
kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in den Fässern an mit der
Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere Unterhaltung für sie und eine
immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit gesetzt, daß er immer etwas
Geheimes vorhabe; und nun sieht sie immer nach seiner Stirne, was er wohl
denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohl richten möchte.
KLÄRCHEN. Verstellt sie
sich?
EGMONT. Regentin, und du
fragst?
KLÄRCHEN. Verzeiht, ich
wollte fragen: ist sie falsch?
EGMONT. Nicht mehr und
nicht weniger als jeder, der seine Absichten erreichen will.
KLÄRCHEN. Ich könnte mich
in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch einen männlichen Geist, sie
ist ein ander Weib als wir Nähterinnen und Köchinnen. Sie ist groß,
herzhaft, entschlossen.
EGMONT. Ja, wenn's nicht
gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein wenig aus der Fassung.
KLÄRCHEN. Wieso?
EGMONT. Sie hat auch ein
Bärtchen auf der Oberlippe, und manchmal einen Anfall von Podagra. Eine
rechte Amazone!
KLÄRCHEN. Eine
majestätische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu treten.
EGMONT. Du bist doch sonst
nicht zaghaft - Es wäre auch nicht Furcht, nur jungfräuliche Scham.
KLÄRCHEN (schlägt die Augen
nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich an ihn).
EGMONT. Ich verstehe dich!
liebes Mädchen! du darfst die Augen aufschlagen. (Er küßt ihre Augen.)
KLÄRCHEN. Laß mich
schweigen! Laß mich dich halten! Laß mich dir in die Augen sehen, alles
drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und Kummer. (Sie umarmt ihn
und sieht ihn an.) Sag' mir! Sage! ich begreife nicht! bist du Egmont?
der Graf Egmont? der große Egmont, der so viel Aufsehn macht, von dem in
den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hängen?
EGMONT. Nein, Klärchen, das
bin ich nicht.
KLÄRCHEN. Wie?
EGMONT. Siehst du, Klärchen!
- Laß mich sitzen! - (Er setzt sich, sie kniet sich vor ihn auf einen
Schemel, legt ihre Arme auf seinen Schoß und sieht ihn an.) Jener
Egmont ist ein verdrießlicher, steifer, kalter Egmont, der an sich halten,
bald dieses, bald jenes Gesicht machen muß; geplagt, verkannt, verwickelt
ist, wenn ihn die Leute für froh und fröhlich halten; geliebt von einem
Volke, das nicht weiß, was es will; geehrt und in die Höhe getragen von
einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von Freunden, denen er
sich nicht überlassen darf; beobachtet von Menschen, die ihm auf alle
Weise beikommen möchten; arbeitend und sich bemühend, oft ohne Zweck,
meist ohne Lohn. - O laß mich schweigen, wie es dem ergeht, wie es dem zu
Mute ist. Aber dieser, Klärchen, der ist ruhig, offen, glücklich, geliebt
und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit voller
Liebe und Zutrauen an das seine drückt. (Er umarmt sie.) Das ist dein
Egmont!
KLÄRCHEN. So laß mich
sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!
Straße
Jetter. Zimmermeister.
JETTER. He! Pst! He,
Nachbar, ein Wort!
ZIMMERMEISTER. Geh deines
Pfads, und sei ruhig.
JETTER. Nur ein Wort.
Nichts Neues?
ZIMMERMEISTER. Nichts, als
dass uns vom Neuen zu reden verboten ist.
JETTER. Wie?
ZIMMERMEISTER. Tretet hier
ans Haus an! Hütet Euch! Der Herzog von Alba hat gleich bei seiner Ankunft
einen
Befehl ausgehen lassen, dadurch zwei oder drei, die auf der Straße
zusammen sprechen, des Hochverrats ohne Untersuchung schuldig erklärt
sind.
JETTER. O weh!
ZIMMERMEISTER. Bei ewiger
Gefangenschaft ist verboten, von Staatssachen zu reden.
JETTER. O unsre Freiheit!
ZIMMERMEISTER. Und bei
Todesstrafe soll niemand die Handlungen der Regierung missbilligen.
JETTER. O unsre Köpfe!
ZIMMERMEISTER. Und mit
großem Versprechen werden Väter, Mütter, Kinder, Verwandte, Freunde,
Dienstboten eingeladen, was in dem Innersten des Hauses vorgeht, bei dem
besonders niedergesetzten Gerichte zu offenbaren.
JETTER.
Gehn wir nach
Hause.
ZIMMERMEISTER. Und
den
Folgsamen ist versprochen, dass sie weder an Leibe, noch Ehre, noch
Vermögen einige Kränkung erdulden sollen.
JETTER. Wie gnädig!
War
mir's doch gleich weh, wie der Herzog in die Stadt kam. Seit der Zeit ist
mir's, als wäre der Himmel mit einem schwarzen Flor überzogen und hinge so
tief herunter, dass man sich bücken müsse, um nicht dran zu stoßen.
ZIMMERMEISTER. Und
wie
haben dir seine Soldaten gefallen? Gelt! das ist eine andre Art von
Krebsen, als wir sie sonst gewohnt waren.
JETTER.
Pfui! Es schnürt
einem das Herz ein, wenn man so einen Haufen die Gassen hinab marschieren
sieht. Kerzengerad, mit unverwandtem Blick, ein Tritt, so viel ihrer sind.
Und wenn sie auf der Schildwache stehen und du gehst an einem vorbei,
ist's, als wenn er dich durch und durch sehen wollte, und sieht so steif
und mürrisch aus, dass du auf allen Ecken einen Zuchtmeister zu sehen
glaubst. Sie tun mir gar nicht wohl.
Unsre Miliz war doch noch ein lustig
Volk; sie nahmen sich was heraus, standen mit ausgegrätschten Beinen da,
hatten den Hut überm Ohr, lebten und ließen leben;
diese Kerle aber sind
wie Maschinen, in denen ein Teufel sitzt.
ZIMMERMEISTER. Wenn so
einer ruft: "Halt!" und anschlägt, meinst du, man hielte?
JETTER. Ich wäre gleich des
Todes.
ZIMMERMEISTER. Gehn wir
nach Hause.
JETTER.
Es wird nicht gut.
Adieu.
(Soest tritt dazu.)
SOEST. Freunde! Genossen!
ZIMMERMEISTER. Still! Lasst
uns gehen!
SOEST. Wisst ihr?
JETTER. Nur zu viel!
SOEST.
Die Regentin ist
weg.
JETTER.
Nun gnad' uns Gott!
ZIMMERMEISTER. Die hielt
uns noch.
SOEST. Auf einmal und in
der Stille. Sie konnte sich mit dem Herzog nicht vertragen; sie ließ dem
Adel melden, sie komme wieder. Niemand glaubt's.
ZIMMERMEISTER.
Gott verzeih's dem Adel, dass er uns diese neue Geißel über den Hals gelassen
hat. Sie hätten es abwenden können.
Unsre Privilegien sind hin.
JETTER.
Um Gottes willen
nichts von Privilegien! Ich
wittre den Geruch
von einem Exekutionsmorgen;
die Sonne will nicht hervor, die Nebel stinken.
SOEST.
Oranien ist auch
weg.
ZIMMERMEISTER. So sind wir
denn ganz verlassen!
SOEST.
Graf Egmont ist noch
da.
JETTER.
Gott sei Dank!
Stärken ihn alle Heiligen, dass er sein Bestes tut; der ist allein was
vermögend.
(Vansen tritt auf.)
VANSEN.
Find' ich endlich
ein paar, die noch nicht untergekrochen sind?
JETTER.
Tut uns den
Gefallen und geht fürbass.
VANSEN. Ihr seid nicht
höflich.
ZIMMERMEISTER. Es ist gar
keine Zeit zu Komplimenten. Juckt Euch der Buckel wieder? Seid Ihr schon
durchgeheilt?
VANSEN. Fragt einen
Soldaten nach seinen Wunden! Wenn ich auf Schläge was gegeben hätte, wäre
sein Tage nichts aus mir geworden.
JETTER. Es kann ernstlicher
werden.
VANSEN.
Ihr spürt von dem
Gewitter, das aufsteigt, eine erbärmliche Mattigkeit in den Gliedern,
scheint's.
ZIMMERMEISTER. Deine
Glieder werden sich bald wo anders eine Motion machen, wenn du nicht
ruhst.
VANSEN.
Armselige Mäuse,
die gleich verzweifeln, wenn der Hausherr eine neue Katze anschafft! Nur
ein bissschen anders; aber wir treiben unser Wesen vor wie nach, seid nur
ruhig.
ZIMMERMEISTER. Du bist ein
verwegener Taugenichts.
VANSEN.
Gevatter Tropf! Lass
du den Herzog nur gewähren. Der alte Kater sieht aus, als wenn er Teufel
statt Mäuse gefressen hätte und könnte sie nun nicht verdauen. Lasst ihn
nur erst; er muss auch essen, trinken, schlafen wie andere Menschen.
Es ist
mir nicht bange, wenn wir unsere Zeit recht nehmen. Im Anfange geht's
rasch; nachher wird er auch finden, dass in der Speisekammer unter den
Speckseiten besser leben ist und des Nachts zu ruhen, als auf dem
Fruchtboden einzelne Mäuschen zu erlisten.
Geht nur, ich kenne die
Statthalter.
ZIMMERMEISTER. Was so einem
Menschen alles durchgeht! Wenn ich in meinem Leben so etwas gesagt hätte,
hielt' ich mich keine Minute für sicher.
VANSEN.
Seid nur ruhig.
Gott im Himmel erfährt nichts von euch Würmern, geschweige der Regent.
JETTER.
Lästermaul!
VANSEN. Ich weiß andere,
denen es besser wäre, sie hätten
statt ihres Heldenmuts eine Schneiderader
im Leibe.
ZIMMERMEISTER. Was wollt
Ihr damit sagen?
VANSEN. Hm! den Grafen
mein' ich.
JETTER.
Egmont! Was soll
der fürchten?
VANSEN.
Ich bin ein armer
Teufel und könnte ein ganzes Jahr leben von dem, was er in einem Abende
verliert. Und doch könnt' er mir sein Einkommen eines ganzen Jahres geben,
wenn er meinen Kopf auf eine Viertelstunde hätte.
JETTER. Du denkst dich was
Rechts. Egmonts Haare sind gescheiter als dein Hirn.
VANSEN. Red't Ihr! Aber
nicht feiner.
Die Herren betrügen sich am ersten. Er sollte nicht trauen.
JETTER. Was er schwätzt! So
ein Herr!
VANSEN. Eben weil er kein
Schneider ist!
JETTER. Ungewaschen Maul!
VANSEN. Dem wollt' ich Eure
Courage nur eine Stunde in die Glieder wünschen, dass sie ihm da Unruh'
machte und ihn so lange neckte und juckte, bis er aus der Stadt müsste.
JETTER. Ihr redet recht
unverständig; er ist so sicher wie der Stern am Himmel.
VANSEN. Hast du nie einen
sich schneuzen gesehn? Weg war er!
ZIMMERMEISTER.
Wer will ihm
denn was tun?
VANSEN. Wer will? Willst
du's etwa hindern?
Willst du einen Aufruhr erregen, wenn sie ihn gefangen
nehmen?
JETTER. Ah!
VANSEN. Wollt ihr Eure
Rippen für ihn wagen?
SOEST. Eh!
VANSEN
(sie nachäffend).
Ih! Oh! Uh! Verwundert euch durchs ganze Alphabet. So ist's und bleibt's!
Gott bewahre ihn!
JETTER. Ich erschrecke über
Eure Unverschämtheit.
So ein edler, rechtschaffener Mann sollte was zu
befürchten haben?
VANSEN. Der Schelm sitzt
überall im Vorteil. Auf dem Armensünderstühlchen hat er den Richter zum
Narren; auf dem Richterstuhl macht er den Inquisiten mit Lust zum
Verbrecher. Ich habe so ein Protokoll abzuschreiben gehabt, wo der
Kommissarius schwer Lob und Geld von Hofe erhielt, weil er einen ehrlichen
Teufel, an den man wollte, zum Schelmen verhört hatte.
ZIMMERMEISTER. Das ist
wieder frisch gelogen.
Was wollen sie denn heraus verhören, wenn einer
unschuldig ist?
VANSEN. O Spatzenkopf!
Wo
nichts heraus zu verhören ist, da verhört man hinein. Ehrlichkeit macht
unbesonnen, auch wohl trotzig. Da fragt man erst recht sachte weg, und der
Gefangene ist stolz auf seine Unschuld, wie sie's heißen, und sagt alles
geradezu, was ein Verständiger verbärge. Dann macht der Inquisitor aus den
Antworten wieder Fragen, und passt ja auf, wo irgend ein Widersprüchelchen
erscheinen will; da knüpft er seinen Strick an, und lässt sich der dumme
Teufel betreten, dass er hier etwas zu viel, dort etwas zu wenig gesagt,
oder wohl gar aus Gott weiß was für einer Grille einen Umstand
verschwiegen hat, auch wohl irgend an einem Ende sich hat schrecken
lassen: dann sind wir auf dem rechten Weg! Und ich versichre euch, mit
mehr Sorgfalt suchen die Bettelweiber nicht die Lumpen aus dem Kehricht,
als so ein Schelmenfabrikant aus kleinen, schiefen, verschobenen,
verrückten, verdrückten, geschlossenen, bekannten, geleugneten Anzeichen
und Umständen sich endlich einen strohlumpenen Vogelscheu
zusammenkünstelt, um wenigstens seinen Inquisiten in effigie hängen zu
können. Und Gott mag der arme Teufel danken, wenn er sich noch kann hängen
sehen.
JETTER. Der hat eine
geläufige Zunge.
ZIMMERMEISTER.
Mit Fliegen
mag das angehen. Die Wespen lachen Eures Gespinstes.
VANSEN. Nachdem die Spinnen
sind. Seht,
der lange Herzog hat euch so ein rein Ansehn von einer
Kreuzspinne; nicht einer dickbäuchigen, die sind weniger schlimm,
aber so
einer langfüßigen, schmalleibigen, die vom Fraße nicht feist wird und
recht dünne Fäden zieht, aber desto zähere.
JETTER.
Egmont ist Ritter
des Goldnen Vlieses; wer darf Hand an ihn legen?
Nur von seinesgleichen
kann er gerichtet werden, nur vom gesamten Orden. Dein loses Maul, dein
böses Gewissen verführen dich zu solchem Geschwätz.
VANSEN.
Will ich ihm darum
übel? Mir kann's recht sein.
Es ist ein trefflicher Herr. Ein paar meiner
guten Freunde, die anderwärts schon wären gehangen worden, hat er mit
einem Buckel voll Schläge verabschiedet. Nun geht! Geht! Ich rat' es euch
selbst. Dort seh' ich wieder eine Runde antreten; die sehen nicht aus, als
wenn sie so bald Brüderschaft mit uns trinken würden.
Wir wollen's
abwarten, und nur sachte zusehen. Ich hab' ein paar Nichten und einen
Gevatter Schenkwirt; wenn sie von denen gekostet haben, und werden dann
nicht zahm, so sind sie ausgepichte Wölfe.
Der
Culenburgische Palast. Wohnung des Herzogs von ALBA.
Silva und
Gomez begegnen einander.
SILVA. Hast du die Befehle
des Herzogs ausgerichtet?
GOMEZ Pünktlich. Alle
tägliche Runden sind beordert, zur bestimmten Zeit an verschiedenen
Plätzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe; sie gehen indes, wie
gewöhnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten. Keiner weiß von dem
andern; jeder glaubt, der Befehl gehe ihn allein an, und in einem
Augenblick kann alsdann der Cordon gezogen und alle Zugänge zum Palast
können besetzt sein. Weißt du die Ursache dieses Befehls?
SILVA. Ich bin gewohnt,
blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht sich's leichter als dem Herzoge,
da bald der Ausgang beweist, daß er recht befohlen hat?
GOMEZ Gut! Gut! Auch
scheint es mir kein Wunder, daß du so verschlossen und einsilbig wirst wie
er, da du immer um ihn sein mußt. Mir kommt es fremd vor, da ich den
leichteren italienischen Dienst gewohnt bin. An Treue und Gehorsam bin ich
der Alte; aber ich habe mir das Schwätzen und Räsonnieren angewöhnt. Ihr
schweigt alle und laßt es euch nie wohl sein. Der Herzog gleicht mir einem
ehrnen Turm ohne Pforte, wozu die Besatzung Flügel hätte. Neulich hört'
ich ihn bei Tafel von einem frohen freundlichen Menschen sagen: er sei wie
eine schlechte Schenke mit einem ausgesteckten Branntweinzeichen, um
Müßiggänger, Bettler und Diebe herein zu locken.
SILVA. Und hat er uns nicht
schweigend hierher geführt?
GOMEZ Dagegen ist nichts zu
sagen. Gewiß! Wer Zeuge seiner Klugheit war, wie er die Armee aus Italien
hierher brachte, der hat etwas gesehen. Wie er sich durch Freund und
Feind, durch die Franzosen, Königlichen und Ketzer, durch die Schweizer
und Verbundnen gleichsam durchschmiegte, die strengste Mannszucht hielt,
und einen Zug, den man so gefährlich achtete, leicht und ohne Anstoß zu
leiten wußte! - Wir haben was gesehen, was lernen können.
SILVA. Auch hier! Ist nicht
alles still und ruhig, als wenn kein Aufstand gewesen wäre?
GOMEZ Nun, es war auch
schon meist still, als wir herkamen.
SILVA. In den Provinzen ist
es viel ruhiger geworden; und wenn sich noch einer bewegt, so ist es, um
zu entfliehen. Aber auch diesem wird er die Wege bald versperren, denk'
ich.
GOMEZ Nun wird er erst die
Gunst des Königs gewinnen.
SILVA. Und uns bleibt
nichts angelegener, als uns die seinige zu erhalten. Wenn der König
hierher kommt, bleibt gewiß der Herzog und jeder, den er empfiehlt, nicht
unbelohnt.
GOMEZ Glaubst du, daß der
König kommt?
SILVA. Es werden so viele
Anstalten gemacht, daß es höchst wahrscheinlich ist.
GOMEZ Mich überreden sie
nicht.
SILVA. So rede wenigstens
nicht davon. Denn wenn des Königs Absicht ja nicht sein sollte, zu kommen,
so ist sie's doch wenigstens gewiß, daß man es glauben soll.
(Ferdinand, Albss
natürlicher Sohn.)
FERDINAND. Ist mein Vater
noch nicht heraus?
SILVA. Wir warten auf ihn.
FERDINAND. Die Fürsten
werden bald hier sein.
GOMEZ Kommen sie heute?
FERDINAND. Oranien und
Egmont.
GOMEZ (leise zu Silva).
Ich begreife etwas.
SILVA. So behalt' es für
dich.
(Herzog von Aba. - Wie
er herein- und hervortritt, treten die andern zurück.)
ALBA. Gomez!
GOMEZ (tritt vor).
Herr!
ALBA. Du hast die Wachen
verteilt und beordert?
GOMEZ Aufs genaueste. Die
täglichen Runden -
ALBA. Genug. Du wartest in
der Galerie. Silva wird dir den Augenblick sagen, wenn du sie
zusammenziehen, die Zugänge nach dem Palaste besetzen sollst. Das übrige
weißt du.
GOMEZ Ja, Herr! (Ab.)
ALBA. Silva!
SILVA. Hier bin ich.
ALBA. Alles, was ich von
jeher an dir geschätzt habe, Mut, Entschlossenheit, unaufhaltsames
Ausführen, das zeige heut'.
SILVA. Ich danke Euch, daß
Ihr mir Gelegenheit gebt, zu zeigen, daß ich der alte bin.
ALBA. Sobald die Fürsten
bei mir eingetreten sind, dann eile gleich, Egmonts Geheimschreiber
gefangen zu nehmen. Du hast alle Anstalten gemacht, die übrigen, welche
bezeichnet sind, zu fahen?
SILVA. Vertraue auf uns.
Ihr Schicksal wird sie, wie eine wohlberechnete Sonnenfinsternis,
pünktlich und schrecklich treffen.
ALBA. Hast du sie genau
beobachten lassen?
SILVA. Alle; den Egmont vor
andern. Er ist der einzige, der, seit du hier bist, sein Betragen nicht
geändert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd aufs andere, ladet Gäste, ist
immer lustig und unterhaltend bei Tafel, würfelt, schießt und schleicht
nachts zum Liebchen. Die andern haben dagegen eine merkliche Pause in
ihrer Lebensart gemacht; sie bleiben bei sich; vor ihrer Türe sieht's aus,
als wenn ein Kranker im Hause wäre.
ALBA. Drum rasch! eh' sie
uns wider Willen genesen.
SILVA. Ich stelle sie. Auf
deinen Befehl überhäufen wir sie mit dienstfertigen Ehren. Ihnen graut's;
politisch geben sie uns einen ängstlichen Dank, fühlen, das Rätlichste
sei, zu entfliehen. Keiner wagt einen Schritt, sie zaudern, können sich
nicht vereinigen; und einzeln etwas Kühnes zu thun, hält sie der
Gemeingeist ab. Sie möchten gern sich jedem Verdacht entziehen, und machen
sich immer verdächtiger. Schon seh' ich mit Freuden deinen ganzen Anschlag
ausgeführt.
ALBA. Ich freue mich nur
über das Geschehene, und auch über das nicht leicht; denn es bleibt stets
noch übrig, was uns zu denken und zu sorgen gibt. Das Glück ist
eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswürdige zu adeln und wohlüberlegte
Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren. Verweile, bis die Fürsten
kommen; dann gieb Gomez die Ordre, die Straßen zu besetzen, und eile
selbst, Egmonts Schreiber und die übrigen gefangen zu nehmen, die dir
bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und meld' es meinem Sohne,
daß er mir in den Rat die Nachricht bringe.
SILVA. Ich hoffe diesen
Abend vor dir stehn zu dürfen.
ALBA (geht nach seinem
Sohne, der bisher in der Galerie gestanden).
SILVA. Ich traue mir es
nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt. Ich fürchte, es wird nicht
werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir, die still und sinnend auf
schwarzen Schalen das Geschick der Fürsten und vieler Tausende wägen.
Langsam wankt das Zünglein auf und ab; tief scheinen die Richter zu
sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene, angehaucht vom Eigensinn
des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
ALBA (mit Ferdinand
hervortretend). Wie fandst du die Stadt?
FERDINAND. Es hat sich
alles gegeben. Ich ritt, als wie zum Zeitvertreib, Straß' auf, Straß' ab.
Eure wohlverteilten Wachen halten die Furcht so angespannt, daß sie sich
nicht zu lispeln untersteht. Die Stadt sieht einem Felde ähnlich, wenn das
Gewitter von weitem leuchtet: man erblickt keinen Vogel, kein Tier, als
das eilend nach einem Schutzorte schlüpft.
ALBA. Ist dir nichts weiter
begegnet?
FERDINAND. Egmont kam mit
einigen auf den Markt geritten; wir grüßten uns; er hatte ein rohes Pferd,
das ich ihm loben mußte. "Laßt uns eilen, Pferde zuzureiten; wir werden
sie bald brauchen!" rief er mir entgegen. Er werde mich noch heute
wiedersehn, sagte er, und komme auf Euer Verlangen, mit Euch zu
ratschlagen.
ALBA. Er wird dich
wiedersehn.
FERDINAND. Unter allen
Rittern, die ich hier kenne, gefällt er mir am besten. Es scheint, wir
werden Freunde sein.
ALBA. Du bist noch immer zu
schnell und wenig behutsam; immer erkenn' ich in dir den Leichtsinn deiner
Mutter, der mir sie unbedingt in die Arme lieferte. Zu mancher
gefährlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig ein.
FERDINAND. Euer Wille
findet mich bildsam.
ALBA. Ich vergebe deinem
jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen, diese unachtsame Fröhlichkeit.
Nur vergiß nicht, zu welchem Werke ich gesandt bin, und welchen Teil ich
dir dran geben möchte.
FERDINAND. Erinnert mich,
und schont mich nicht, wo Ihr es nötig haltet.
ALBA (nach einer Pause).
Mein Sohn!
FERDINAND. Mein Vater!
ALBA. Die Fürsten kommen
bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht Mißtrauen, daß ich dir erst
jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden nicht wieder von hinnen
gehn.
FERDINAND. Was sinnst du?
ALBA. Es ist beschlossen,
sie festzuhalten. - Du erstaunst! Was du zu tun hast, höre; die Ursachen
sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt bleibt keine Zeit, sie
auszulegen. Mit dir allein wünscht' ich das Größte, das Geheimste zu
besprechen; ein starkes Band hält uns zusammengefesselt; du bist mir wert
und lieb; auf dich möcht' ich alles häufen. Nicht die Gewohnheit zu
gehorchen allein möcht' ich dir einprägen; auch den Sinn, auszudenken, zu
befehlen, auszuführen wünscht' ich in dir fortzupflanzen; dir ein großes
Erbteil, dem Könige den brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit dem
Besten, was ich habe, auszustatten, daß du dich nicht schämen dürfest,
unter deine Brüder zu treten.
FERDINAND. Was werd' ich
dir nicht für diese Liebe schuldig, die du mir allein zuwendest, indem ein
ganzes Reich vor dir zittert.
ALBA. Nun höre, was zu tun
ist. Sobald die Fürsten eingetreten sind, wird jeder Zugang zum Palaste
besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird eilen, Egmonts Schreiber mit
den Verdächtigsten gefangen zu nehmen. Du hältst die Wache am Thore und in
den Höfen in Ordnung. Vor allen Dingen besetze diese Zimmer hierneben mit
den sichersten Leuten; dann warte auf der Galerie, bis Silva wiederkommt,
und bringe mir irgend ein unbedeutend Blatt herein, zum Zeichen, daß sein
Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib' im Vorsaale, bis Oranien weggeht;
folg' ihm; ich halte Egmont hier, als ob ich ihm noch was zu sagen hätte.
Am Ende der Galerie fordre Oraniens Degen, rufe die Wache an, verwahre
schnell den gefährlichsten Mann; und ich fasse Egmont hier.
FERDINAND. Ich gehorche,
mein Vater. Zum ersten Mal mit schwerem Herzen und mit Sorge.
ALBA. Ich verzeihe dir's;
es ist der erste große Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
SILVA. Ein Bote von
Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
ALBA. Sagt' es der Bote?
SILVA. Nein, mir sagt's das
Herz.
ALBA. Aus dir spricht mein
böser Genius. (Nachdem er den Brief gelesen, winkt er beiden, und sie
ziehen sich in die Galerie zurück. Er bleibt allein auf dem Vorderteile.)
Er kommt nicht! Bis auf den letzten Augenblick verschiebt er, sich zu
erklären. Er wagt es, nicht zu kommen! So war denn diesmal wider Vermuten
der Kluge klug genug, nicht klug zu sein! - Es rückt die Uhr! Noch einen
kleinen Weg des Seigers, und ein großes Werk ist getan oder versäumt,
unwiederbringlich versäumt; denn es ist weder nachzuholen, noch zu
verheimlichen. Längst hatt' ich alles reiflich abgewogen und mir auch
diesen Fall gedacht, mir festgesetzt, was auch in diesem Falle zu tun sei;
und jetzt, da es zu tun ist, wehr' ich mir kaum, daß nicht das Für und
Wider mir aufs neue durch die Seele schwankt. - Ist's rätlich, die andern
zu fangen, wenn er mir entgeht? - Schieb' ich es auf, und lass' Egmont mit
den Seinigen, mit so vielen entschlüpfen, die nun, vielleicht nur heute
noch, in meinen Händen sind? So zwingt dich das Geschick denn auch, du
Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet! Wie groß, wie schön
der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! Und nun im Augenblick des
Entscheidens bist du zwischen zwei Übel gestellt; wie in einen Lostopf
greifst du in die dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch zugerollt, dir
unbewußt, sei's Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam, wie einer,
der etwas hört, und tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont! - Trug dich
dein Pferd so leicht herein, und scheute vor dem Blutgeruche nicht und vor
dem Geiste mit dem blanken Schwert, der an der Pforte dich empfängt? -
Steig ab! - So bist du mit dem einen Fuß im Grab! und so mit beiden! - Ja,
streichl' es nur, und klopfe für seinen mutigen Dienst zum letzten Male
den Nacken ihm. - Und mir bleibt keine Wahl. In der Verblendung, wie hier
Egmont naht, kann er dir nicht zum zweiten Mal sich liefern! - Hört!
(Ferdinand und Silva
treten eilig herbei).
ALBA. Ihr tut, was ich
befahl; ich ändre meinen Willen nicht. Ich halte, wie es gehn will, Egmont
auf, bis du mir von Silva die Nachricht gebracht hast. Dann bleib' in der
Nähe. Auch dir raubt das Geschick das große Verdienst, des Königs größten
Feind mit eigener Hand gefangen zu haben. (Zu Silva) Eile! (Zu
Ferdinand) Geh ihm entgegen! (Alba bleibt einige Augenblicke allein
und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)
EGMONT. Ich komme, die
Befehle des Königs zu vernehmen, zu hören, welchen Dienst er von unserer
Treue verlangt, die ihm ewig ergeben bleibt.
ALBA. Er wünscht vor allen
Dingen Euern Rat zu hören.
EGMONT. Über welchen
Gegenstand? Kommt Oranien auch? Ich vermutete ihn hier.
ALBA. Mir tut es leid, daß
er uns eben in dieser wichtigen Stunde fehlt. Euern Rat, Eure Meinung
wünscht der König, wie diese Staaten wieder zu befriedigen. Ja, er hofft,
Ihr werdet kräftig mitwirken, diese Unruhen zu stillen und die Ordnung der
Provinzen völlig und dauerhaft zu gründen.
EGMONT. Ihr könnt besser
wissen als ich, daß schon alles genug beruhigt ist, ja noch mehr beruhigt
war, eh' die Erscheinung der neuen Soldaten wieder mit Furcht und Sorge
die Gemüter bewegte.
ALBA. Ihr scheint andeuten
zu wollen, das Rätlichste sei gewesen, wenn der König mich gar nicht in
den Fall gesetzt hätte, Euch zu fragen.
EGMONT. Verzeiht! Ob der
König das Heer hätte schicken sollen, ob nicht vielmehr die Macht seiner
majestätischen Gegenwart allein stärker gewirkt hätte, ist meine Sache
nicht zu beurteilen. Das Heer ist da, er nicht. Wir aber müßten sehr
undankbar, sehr vergessen sein, wenn wir uns nicht erinnerten, was wir der
Regentin schuldig sind. Bekennen wir! Sie brachte durch ihr so kluges als
tapferes Betragen die Aufrührer mit Gewalt und Ansehn, mit Überredung und
List zur Ruhe und führte zum Erstaunen der Welt ein rebellisches Volk in
wenigen Monaten zu seiner Pflicht zurück.
ALBA. Ich leugne es nicht.
Der Tumult ist gestillt, und jeder scheint in die Grenzen des Gehorsams
zurückgebannt. Aber hängt es nicht von eines jeden Willkür ab, sie zu
verlassen? Wer will das Volk hindern, loszubrechen? Wo ist die Macht, sie
abzuhalten? Wer bürgt uns, daß sie sich ferner treu und unterthänig zeigen
werden? Ihr guter Wille ist alles Pfand, das wir haben.
EGMONT. Und ist der gute
Wille eines Volks nicht das sicherste, das edelste Pfand? Bei Gott! Wann
darf sich ein König sicherer halten, als wenn sie alle für einen, einer
für alle stehn? Sicherer gegen innere und äußere Feinde?
ALBA. Wir werden uns doch
nicht überreden sollen, daß es jetzt hier so steht?
EGMONT. Der König schreibe
einen General-Pardon aus, er beruhige die Gemüter; und bald wird man
sehen, wie Treue und Liebe mit dem Zutrauen wieder zurückkehrt.
ALBA. Und jeder, der die
Majestät des Königs, der das Heiligtum der Religion geschändet, ginge frei
und ledig hin und wieder! Lebte den andern zum bereiten Beispiel, daß
ungeheure Verbrechen straflos sind?
EGMONT. Und ist ein
Verbrechen des Unsinns, der Trunkenheit nicht eher zu entschuldigen, als
grausam zu bestrafen? Besonders, wo so sichre Hoffnung, wo Gewißheit ist,
daß die Übel nicht wiederkehren werden? Waren Könige darum nicht sicherer?
Werden sie nicht von Welt und Nachwelt gepriesen, die eine Beleidigung
ihrer Würde vergeben, bedauern, verachten konnten? Werden sie nicht eben
deswegen Gott gleich gehalten, der viel zu groß ist, als daß an ihn jede
Lästerung reichen sollte?
ALBA. Und eben darum soll
der König für die Würde Gottes und der Religion, wir sollen für das Ansehn
des Königs streiten. Was der Obere abzulehnen verschmäht, ist unsere
Pflicht zu rächen. Ungestraft soll, wenn ich rate, kein Schuldiger sich
freuen,
EGMONT. Glaubst du, daß du
sie alle erreichen wirst? Hört man nicht täglich, daß die Furcht sie hie
und dahin, sie aus dem Lande treibt? Die Reichsten werden ihre Güter,
sich, ihre Kinder und Freunde flüchten; der Arme wird seine nützlichen
Hände dem Nachbar zubringen.
ALBA. Sie werden, wenn man
sie nicht verhindern kann. Darum verlangt der König Rat und That von jedem
Fürsten, Ernst von jedem Statthalter; nicht nur Erzählung, wie es ist, was
werden könnte, wenn man alles gehen ließe, wie's geht. Einem großen Übel
zusehen, sich mit Hoffnung schmeicheln, der Zeit vertrauen, etwa einmal
drein schlagen, wie im Fastnachtsspiel, daß es klatscht und man doch etwas
zu thun scheint, wenn man nichts thun möchte: heißt das nicht, sich
verdächtig machen, als sehe man dem Aufruhr mit Vergnügen zu, den man
nicht erregen, wohl aber hegen möchte?
Egmont (im Begriff
aufzufahren, nimmt sich zusammen, und spricht nach einer kleinen Pause
gesetzt). Nicht jede Absicht ist offenbar, und manches Mannes Absicht ist
zu mißdeuten. Muß man doch auch von allen Seiten hören: es sei des Königs
Absicht weniger, die Provinzen nach einförmigen und klaren Gesetzen zu
regieren, die Majestät der Religion zu sichern und einen allgemeinen
Frieden seinem Volke zu geben, als vielmehr sie unbedingt zu unterjochen,
sie ihrer alten Rechte zu berauben, sich Meister von ihren Besitztümern zu
machen, die schönen Rechte des Adels einzuschränken, um derentwillen der
Edle allein ihm dienen, ihm Leib und Leben widmen mag. Die Religion, sagt
man, sei nur ein prächtiger Teppich, hinter dem man jeden gefährlichen
Anschlag nur desto leichter ausdenkt. Das Volk liegt auf den Knieen, betet
die heiligen gewirkten Zeichen an, und hinten lauscht der Vogelsteller,
der sie berücken will.
ALBA. Das muß ich von dir
hören?
EGMONT. Nicht meine
Gesinnungen! Nur was bald hier, bald da, von Großen und von Kleinen,
Klugen und Thoren gesprochen, laut verbreitet wird. Die Niederländer
fürchten ein doppeltes Joch, und wer bürgt ihnen für ihre Freiheit?
ALBA. Freiheit? Ein schönes
Wort, wer's recht verstände. Was wollen sie für Freiheit? Was ist des
Freiesten Freiheit? - Recht zu thun! - und daran wird sie der König nicht
hindern. Nein! nein! sie glauben sich nicht frei, wenn sie sich nicht
selbst und andern schaden können. Wäre es nicht besser, abzudanken, als
ein solches Volk zu regieren? Wenn auswärtige Feinde drängen, an die kein
Bürger denkt, der mit dem Nächsten nur beschäftigt ist, und der König
verlangt Beistand, dann werden sie uneins unter sich, und verschwören sich
gleichsam mit ihren Feinden. Weit besser ist's, sie einzuengen, daß man
sie wie Kinder halten, wie Kinder zu ihrem Besten leiten kann. Glaube nur,
ein Volk wird nicht alt, nicht klug; ein Volk bleibt immer kindisch.
EGMONT. Wie selten kommt
ein König zu Verstand! Und sollen sich viele nicht lieber vielen vertrauen
als einem? und nicht einmal dem einen, sondern den wenigen des einen, dem
Volke, das an den Blicken seines Herrn altert. Das hat wohl allein das
Recht, klug zu werden.
ALBA. Vielleicht eben
darum, weil es sich nicht selbst überlassen ist.
EGMONT. Und darum niemand
gern sich selbst überlassen möchte. Man thue, was man will; ich habe auf
deine Frage geantwortet und wiederhole: Es geht nicht! Es kann nicht
gehen! Ich kenne meine Landsleute. Es sind Männer, wert, Gottes Boden zu
betreten; ein jeder rund für sich, ein kleiner König, fest, rührig, fähig,
treu, an alten Sitten hangend. Schwer ist's, ihr Zutrauen zu verdienen;
leicht, zu erhalten. Starr und fest! Zu drücken sind sie; nicht zu
unterdrücken.
ALBA (der sich indes einige
Mal umgesehen hat). Solltest du das alles in des Königs Gegenwart
wiederholen?
EGMONT. Desto schlimmer,
wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto besser für ihn, für sein
Volk, wenn er mir Mut machte, wenn er mir Zutrauen einflößte, noch weit
mehr zu sagen.
ALBA. Was nützlich ist,
kann ich hören, wie er.
EGMONT. Ich würde ihm
sagen: Leicht kann der Hirt eine ganze Herde Schafe vor sich hintreiben,
der Stier zieht seinen Pflug ohne Widerstand; aber dem edeln Pferde, das
du reiten willst, mußt du seine Gedanken ablernen, du mußt nichts
Unkluges, nichts unklug von ihm verlangen. Darum wünscht der Bürger, seine
alte Verfassung zu behalten, von seinen Landsleuten regiert zu sein, weil
er weiß, wie er geführt wird, weil er von ihnen Uneigennutz, Teilnehmung
an seinem Schicksal hoffen kann.
ALBA. Und sollte der Regent
nicht Macht haben, dieses alte Herkommen zu verändern? Und sollte nicht
eben dies sein schönstes Vorrecht sein? Was ist bleibend auf dieser Welt?
Und sollte eine Staatseinrichtung bleiben können? Muß nicht in einer
Zeitfolge jedes Verhältnis sich verändern, und eben darum eine alte
Verfassung die Ursache von tausend Übeln werden, weil sie den
gegenwärtigen Zustand des Volkes nicht umfaßt? Ich fürchte, diese alten
Rechte sind darum so angenehm, weil sie Schlupfwinkel bilden, in welchen
der Kluge, der Mächtige, zum Schaden des Volks, zum Schaden des Ganzen,
sich verbergen oder durchschleichen kann.
EGMONT. Und diese
willkürlichen Veränderungen, diese unbeschränkten Eingriffe der höchsten
Gewalt, sind sie nicht Vorboten, daß einer thun will, was Tausende nicht
thun sollen? Er will sich allein frei machen, um jeden seiner Wünsche
befriedigen, jeden seiner Gedanken ausführen zu können. Und wenn wir uns
ihm, einem guten, weisen Könige, ganz vertrauten, sagt er uns für seine
Nachkommen gut? daß keiner ohne Rücksicht, ohne Schonung regieren werde?
Wer rettet uns alsdann von völliger Willkür, wenn er uns seine Diener,
seine Nächsten sendet, die ohne Kenntnis des Landes und seiner Bedürfnisse
nach Belieben schalten und walten, keinen Widerstand finden, und sich von
jeder Verantwortung frei wissen?
ALBA (der sich indes
wieder umgesehen hat). Es ist nichts natürlicher, als daß ein König
durch sich zu herrschen gedenkt, und denen seine Befehle am liebsten
aufträgt, die ihn am besten verstehen, verstehen wollen, die seinen Willen
unbedingt ausrichten.
EGMONT. Und eben so
natürlich ist's, daß der Bürger von dem regiert sein will, der mit ihm
geboren und erzogen ist, der gleichen Begriff mit ihm von Recht und
Unrecht gefaßt hat, den er als seinen Bruder ansehen kann.
ALBA. Und doch hat der Adel
mit diesen seinen Brüdern sehr ungleich geteilt.
EGMONT. Das ist vor
Jahrhunderten geschehen, und wird jetzt ohne Neid geduldet. Würden aber
neue Menschen ohne Not gesendet, die sich zum zweiten Male auf Unkosten
der Nation bereichern wollten, sähe man sich einer strengen, kühnen,
unbedingten Habsucht ausgesetzt, das würde eine Gärung machen, die sich
nicht leicht in sich selbst auflöste.
ALBA. Du sagst mir, was ich
nicht hören sollte; auch ich bin fremd.
EGMONT. Daß ich dir's sage,
zeigt dir, daß ich dich nicht meine.
ALBA. Und auch so wünscht'
ich es nicht von dir zu hören. Der König sandte mich mit Hoffnung, daß ich
hier den Beistand des Adels finden würde. Der König will seinen Willen.
Der König hat nach tiefer Überlegung gesehen, was dem Volke frommt; es
kann nicht bleiben und gehen wie bisher. Des Königs Absicht ist, sie
selbst zu ihrem eignen Besten einzuschränken, ihr eigenes Heil, wenn's
sein muß, ihnen aufzudringen, die schädlichen Bürger aufzuopfern, damit
die übrigen Ruhe finden, des Glücks einer weisen Regierung genießen
können. Dies ist sein Entschluß; diesen dem Adel kund zu machen, habe ich
Befehl; und Rat verlang' ich in seinem Namen, wie es zu tun sei, nicht
was; denn das hat er beschlossen.
EGMONT. Leider
rechtfertigen deine Worte die Furcht des Volks, die allgemeine Furcht! So
hat er denn beschlossen, was kein Fürst beschließen sollte. Die Kraft
seines Volks, ihr Gemüt, den Begriff, den sie von sich selbst haben, will
er schwächen, niederdrücken, zerstören, um sie bequem regieren zu können.
Er will den innern Kern ihrer Eigenheit verderben; gewiß in der Absicht,
sie glücklicher zu machen. Er will sie vernichten, damit sie etwas werden,
ein ander Etwas. O, wenn seine Absicht gut ist, so wird sie mißgeleitet!
Nicht dem Könige widersetzt man sich; man stellt sich nur dem Könige
entgegen, der, einen falschen Weg zu wandeln, die ersten unglücklichen
Schritte macht.
ALBA. Wie du gesinnt bist,
scheint es ein vergeblicher Versuch, uns vereinigen zu wollen. Du denkst
gering vom Könige und verächtlich von seinen Räten, wenn du zweifelst, das
alles sei nicht schon gedacht, geprüft, gewogen worden. Ich habe keinen
Auftrag, jedes Für und Wider noch einmal durchzugehen. Gehorsam fordre ich
von dem Volke - und von euch, ihr Ersten, Edelsten, Rat und That, als
Bürgen dieser unbedingten Pflicht.
EGMONT. Fordre unsre
Häupter, so ist es auf einmal gethan. Ob sich der Nacken diesem Joche
biegen, ob er sich vor dem Beile ducken soll, kann einer edeln Seele
gleich sein. Umsonst hab' ich so viel gesprochen; die Luft hab' ich
erschüttert, weiter nichts gewonnen.
(Ferdinand kommt.)
FERDINAND. Verzeiht, daß
ich euer Gespräch unterbreche. Hier ist ein Brief, dessen Überbringer die
Antwort dringend macht.
ALBA. Erlaubt mir, daß ich
sehe, was er enthält. (Tritt an die Seite.)
FERDINAND (zu Egmont).
Es ist ein schönes Pferd, das Eure Leute gebracht haben, Euch abzuholen.
EGMONT. Es ist nicht das
schlimmste. Ich hab' es schon eine Weile; ich denk' es wegzugeben. Wenn es
Euch gefällt, so werden wir vielleicht des Handels einig.
FERDINAND. Gut, wir wollen
sehn.
ALBA (winkt seinem
Sohne, der sich in den Grund zurückzieht).
EGMONT. Lebt wohl! entlaßt
mich; denn ich wüßte, bei Gott! nicht mehr zu sagen.
ALBA. Glücklich hat dich
der Zufall verhindert, deinen Sinn noch weiter zu verraten. Unvorsichtig
entwickelst du die Falten deines Herzens, und klagst dich selbst weit
strenger an, als ein Widersacher gehässig tun könnte.
EGMONT. Dieser Vorwurf
rührt mich nicht; ich kenne mich selbst genug, und weiß, wie ich dem König
angehöre; weit mehr als viele, die in seinem Dienst sich selber dienen.
Ungern scheid' ich aus diesem Streite, ohne ihn beigelegt zu sehen, und
wünsche nur, daß uns der Dienst des Herrn, das Wohl des Landes bald
vereinigen möge. Es wirkt vielleicht ein wiederholtes Gespräch, die
Gegenwart der übrigen Fürsten, die heute fehlen, in einem glücklichem
Augenblick, was heut' unmöglich scheint. Mit dieser Hoffnung entfern' ich
mich.
ALBA (der zugleich
seinem Sohn Ferdinand ein Zeichen gibt). Halt, Egmont! - Deinen
Degen! - (Die Mitteltür öffnet sich: man sieht die Galerie mit Wache
besetzt die unbeweglich bleibt.)
EGMONT (der staunend
eine Weile geschwiegen). Dies war die Absicht? Dazu hast du mich
berufen? (Nach dem Degen greifend, als wenn er sich verteidigen
wollte). Bin ich denn wehrlos?
ALBA. Der König befiehlt's,
du bist mein Gefangener. (Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete
herein.)
EGMONT(nach einer
Stille). Der König? - Oranien! Oranien! (Nach einer Pause, seinen
Degen hingebend). So nimm ihn! Er hat weit öfter des Königs Sache
verteidigt, als diese Brust beschützt. (Er geht durch die Mitteltür ab;
die Gewaffneten, die im Zimmer sind, folgen ihm; ingleichen Albas Sohn.
Alba bleibt stehen. Der Vorhang fällt.)
Straße. Dämmerung.
Klärchen. Brackenburg. Bürger
BRACKENBURG. Liebchen, um
Gottes willen, was nimmst du vor?
KLÄRCHEN. Komm mit,
Brackenburg! Du musst die Menschen nicht kennen;
wir befreien ihn gewiss.
Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fühlt, ich schwör' es, in sich
die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von einem kostbaren Leben
abzuwenden, und dem Freiesten die Freiheit wiederzugeben. Komm! Es fehlt
nur an der Stimme, die sie zusammenruft.
In ihrer Seele lebt noch ganz
frisch, was sie ihm schuldig sind; und dass sein mächtiger Arm allein von
ihnen das Verderben abhält, wissen sie. Um seinet - und ihretwillen müssen
sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum höchsten unser Leben, das zu
erhalten nicht der Mühe wert ist, wenn er umkommt.
BRACKENBURG. Unglückliche!
du siehst nicht die Gewalt, die uns mit ehernen Banden gefesselt
hat.
KLÄRCHEN. Sie scheint mir
nicht unüberwindlich. Lass uns nicht lang vergebliche Worte wechseln. Hier
kommen von den alten, redlichen, wackern Männern! Hört, Freunde! Nachbarn,
hört! - Sagt, wie ist es mit Egmont?
ZIMMERMEISTER
Was will das
Kind? Lass sie schweigen!
KLÄRCHEN. Tretet näher, dass
wir sachte reden, bis wir einig sind und stärker. Wir dürfen nicht einen
Augenblick versäumen!
Die freche Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln,
zuckt schon den Dolch, ihn zu ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der
Dämmerung werd' ich ängstlicher. Ich fürchte diese Nacht. Kommt! wir
wollen uns teilen; mit schnellem Lauf von Quartier zu Quartier rufen wir
die Bürger heraus. Ein jeder greife zu seinen alten Waffen. Auf dem Markte
treffen wir uns wieder, und unser Strom reißt einen jeden mit sich fort.
Die Feinde sehen sich umringt und überschwemmt, und sind erdrückt. Was
kann uns eine Handvoll Knechte widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrt
zurück, sieht sich befreit, und kann uns einmal danken, uns, die wir ihm
so tief verschuldet worden. Er sieht vielleicht - gewiss, er sieht das
Morgenrot am freien Himmel wieder.
ZIMMERMEISTER Wie ist dir,
Mädchen?
KLÄRCHEN. Könnt ihr mich
missverstehn? Vom Grafen sprech' ich! Ich spreche von Egmont.
JETTER.
Nennt den Namen
nicht! Er ist tödlich.
KLÄRCHEN. Den Namen nicht!
Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn nicht bei jeder Gelegenheit? Wo
steht er nicht geschrieben? In diesen Sternen hab' ich oft mit allen
seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was soll das? Freunde! Gute,
teure Nachbarn, ihr träumt; besinnt euch.
Seht mich nicht so starr und
ängstlich an! Blickt nicht schüchtern hie und da beiseite. Ich ruf' euch
ja nur zu, was jeder wünscht. Ist meine Stimme nicht eures Herzens eigne
Stimme? Wer würfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er sein unruhvolles
Bette besteigt, nicht auf die Kniee, ihn mit ernstlichem Gebet vom Himmel
zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst! und
wer spricht
mir nicht nach: "Egmonts Freiheit oder den Tod!"
JETTER.
Gott bewahr' uns!
Da gibt's ein Unglück.
KLÄRCHEN. Bleibt! Bleibt
und drückt euch nicht vor seinem Namen weg, dem ihr euch sonst so froh
entgegen drängtet! -
Wenn der Ruf ihn ankündigte, wenn es hieß: "Egmont
kommt! Er kommt von Gent!" da hielten die Bewohner der Straßen sich
glücklich, durch die er reiten musste. Und wenn ihr seine Pferde schallen
hörtet, warf jeder seine Arbeit hin, und über die bekümmerten Gesichter,
die ihr durchs Fenster stecktet, fuhr wie ein Sonnenstrahl von seinem
Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da hobt ihr eure Kinder auf
der Türschwelle in die Höhe und deutetet ihnen:
"Sieh, das ist Egmont, der
größte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr bessere Zeiten, als eure armen
Väter lebten, einst zu erwarten habt." Lasst eure Kinder nicht dereinst
euch fragen: "Wo ist er hin? Wo sind die Zeiten hin, die ihr verspracht?"
- Und so wechseln wir Worte, sind müßig, verraten ihn!
SOEST.
Schämt Euch,
Brackenburg! Lasst sie nicht gewähren! Steuert dem Unheil!
BRACKENBURG.
Liebes
Klärchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter sagen? Vielleicht -
KLÄRCHEN. Meinst du, ich
sei ein Kind, oder wahnsinnig? Was kann vielleicht? - Von dieser
schrecklichen Gewissheit bringst du mich mit keiner Hoffnung weg. - Ihr
sollt mich hören, und ihr werdet; denn ich seh's, ihr seid bestürzt, und
könnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden. Lasst durch die
gegenwärtige Gefahr nur einen Blick in das Vergangene dringen, das kurz
Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft! Könnt ihr denn leben?
Werdet ihr, wenn er zu Grunde geht?
Mit seinem Atem flieht der letzte
Hauch der Freiheit. Was war er euch? Für wen übergab er sich der
dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur für euch. Die
große Seele, die euch alle trug, beschränkt ein Kerker, und Schauer
tückischen Mordes schweben um sie her.
Er denkt vielleicht an euch, er
hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfüllen gewohnt war.
ZIMMERMEISTER Gevatter,
kommt.
KLÄRCHEN. Und ich habe
nicht Arme, nicht Mark, wie ihr;
doch hab' ich, was euch allen eben fehlt,
Mut und Verachtung der Gefahr. Könnt' euch mein Atem doch entzünden!
könnt' ich an meinen Busen drückend euch erwärmen und beleben! Kommt! In
eurer Mitte will ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos ein edles Heer von
Kriegern wehend anführt, so soll mein Geist um eure Häupter flammen, und
Liebe und Mut das schwankende, zerstreute Volk zu einem fürchterlichen
Heer vereinigen.
JETTER.
Schaff' sie
beiseite, sie dauert mich.
(Bürger ab.)
BRACKENBURG. Klärchen!
siehst du nicht, wo wir sind?
KLÄRCHEN. Wo? Unter dem
Himmel, der so oft sich herrlicher zu wölben schien, wenn der Edle unter
ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie herausgesehn, vier, fünf Köpfe
über einander; an diesen Türen haben sie gescharrt und genickt, wenn er
auf die Memmen herabsah.
O, ich hatte sie so lieb, wie sie ihn ehrten!
Wäre er Tyrann gewesen, möchten sie immer vor seinem Falle seitwärts gehn.
Aber sie liebten ihn! -
O ihr Hände, die ihr an die Mützen grifft, zum
Schwert könnt ihr nicht greifen - Brackenburg, und wir? - Schelten wir
sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was tun sie für ihn? -
List hat in der Welt so viel erreicht. -
Du kennst Wege und Stege, kennst
das alte Schloss. Es ist nichts unmöglich, gib mir einen Anschlag.
BRACKENBURG. Wenn wir nach
Hause gingen.
KLÄRCHEN. Gut.
BRACKENBURG. Dort an der
Ecke seh' ich Albas Wache; lass doch die Stimme der Vernunft dir zu Herzen
dringen. Hältst du mich für feig?
Glaubst du nicht, dass ich um
deinetwillen sterben könnte? Hier sind wir beide toll, ich so gut wie du.
Siehst du nicht das Unmögliche? Wenn du dich fasstest!
Du bist außer dir.
KLÄRCHEN. Außer mir!
Abscheulich! Brackenburg, ihr seid außer euch. Da ihr laut den Helden
verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung nanntet, ihm Vivat rieft,
wenn er kam; da stand ich in meinem Winkel, schob das Fenster halb auf,
verbarg mich lauschend, und das Herz schlug mir höher als euch allen.
Jetzt schlägt mir's wieder höher als euch allen!
Ihr verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fühlt nicht, dass ihr untergeht, wenn er
verdirbt.
BRACKENBURG. Komm nach
Hause.
KLÄRCHEN.
Nach Hause?
BRACKENBURG.
Besinne dich
nur! Sieh dich um! Dies sind die Straßen, die du nur sonntäglich betratst,
durch die du sittsam nach der Kirche gingst, wo du übertrieben ehrbar
zürntest, wenn ich mit einem freundlichen grüßenden Wort mich zu dir
gesellte. Du stehst und redest, handelst vor den Augen der offnen Welt;
besinne dich, Liebe! Wozu hilft es uns?
KLÄRCHEN. Nach Hause! Ja,
ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach Hause!
Weißt du, wo meine Heimat
ist? (Ab.)
Gefängnis
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde.
(Egmont allein.)
Alter Freund! immer
getreuer Schlaf, fliehst du mich auch, wie die übrigen Freunde? Wie willig
senktest du dich auf mein freies Haupt herunter, und kühltest, wie ein
schöner Myrtenkranz der Liebe, meine Schläfe! Mitten unter Waffen, auf der
Woge des Lebens, ruht' ich leicht atmend, wie ein aufquellender Knabe, in
deinen Armen. Wenn Stürme durch Zweige und Blätter sausten, Ast und Wipfel
sich knirrend bewegten, blieb innerst doch der Kern des Herzens ungeregt.
Was schüttelt dich nun? Was erschüttert den festen, treuen Sinn? Ich
fühl's, es ist der Klang der Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch
steh' ich aufrecht, und ein innrer Schauer durchfährt mich. Ja, sie
überwindet, die verräterische Gewalt; sie untergräbt den festen hohen
Stamm, und eh' die Rinde dorrt, stürzt krachend und zerschmetternd deine
Krone.
Warum denn jetzt, der du so
oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen dir vom Haupte weggewiesen, warum
vermagst du nicht die Ahnung zu verscheuchen, die tausendfach in dir sich
auf und nieder treibt? Seit wann begegnet der Tod dir fürchterlich, mit
dessen wechselnden Bildern, wie mit den übrigen Gestalten der gewohnten
Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist er's nicht, der rasche Feind, dem
die gesunde Brust wetteifernd sich entgegensehnt; der Kerker ist's, des
Grabes Vorbild, dem Helden wie dem Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's
schon auf meinem gepolsterten Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die
Fürsten, was leicht zu entscheiden war, mit wiederkehrenden Gesprächen
überlegten, und zwischen düstern Wänden eines Saals die Balken der Decke
mich erdrückten. Da eilt' ich fort, sobald es möglich war, und rasch aufs
Pferd mit tiefem Atemzuge. Und frisch hinaus, da wo wir hingehören! ins
Feld, wo aus der Erde dampfend jede nächste Wohlthat der Natur, und durch
die Himmel wehend alle Segen der Gestirne uns umwittern; wo wir, dem
erdgebornen Riesen gleich, von der Berührung unsrer Mutter kräftiger uns
in die Höhe reißen; wo wir die Menschheit ganz, und menschliche Begier in
allen Adern fühlen; wo das Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zu
erhaschen, seine Faust zu brauchen, zu besitzen, zu erobern, durch die
Seele des jungen Jägers glüht; wo der Soldat sein angebornes Recht auf
alle Welt mit raschem Schritt sich anmaßt, und in fürchterlicher Freiheit
wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und Wald verderbend streicht, und
keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.
Du bist nur Bild,
Erinnerungstraum des Glücks, das ich so lang besessen; wo hat dich das
Geschick verräterisch hingeführt? Versagt es dir, den nie gescheuten Tod
im Angesicht der Sonne rasch zu gönnen, um dir des Grabes Vorgeschmack im
ekeln Moder zu bereiten? Wie haucht er mich aus diesen Steinen widrig an!
Schon starrt das Leben; vor dem Ruhebette wie vor dem Grabe scheut der
Fuß. -
O Sorge! Sorge! die du vor
der Zeit den Mord beginnst, laß ab! - Seit wann ist Egmont denn allein, so
ganz allein in dieser Welt? Dich macht der Zweifel hilflos, nicht das
Glück. Ist die Gerechtigkeit des Königs, der du lebenslang vertrautest,
ist der Regentin Freundschaft, die fast, du darfst es dir gestehn, fast
Liebe war, sind sie auf einmal, wie ein glänzend Feuerbild der Nacht,
verschwunden, und lassen dich allein auf dunkelm Pfad zurück? Wird an der
Spitzedeiner Freunde Oranien nicht wagend sinnen? Wird nicht ein Volk sich
sammeln und mit anschwellender Gewalt den alten Freund erretten?
O haltet, Mauern, die ihr
mich einschließt, so vieler Geister wohlgemeintes Drängen nicht von mir
ab; und welcher Mut aus meinen Augen sonst sich über sie ergoß, der kehre
nun aus ihren Herzen in meines wieder. O ja, sie rühren sich zu Tausenden!
sie kommen! stehen mir zur Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem
Himmel, er bittet um ein Wunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein
Engel nieder, so seh' ich sie nach Lanz' und Schwertern greifen. Die Thore
spalten sich, die Gitter springen, die Mauer stürzt vor ihren Händen ein,
und der Freiheit des einbrechenden Tages steigt Egmont fröhlich entgegen.
Wie manch bekannt Gesicht empfängt mich jauchzend! Ach, Klärchen, wärst du
Mann, so säh' ich dich gewiß auch hier zuerst, und dankte dir, was einem
Könige zu danken hart ist, Freiheit.
Klärchens Haus.
KLÄRCHEN
(kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer; sie setzt das
Glas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid Ihr's?
Was hört' ich denn? Noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe ins
Fenster setzen, daß er sieht, ich wache noch, ich warte noch auf ihn. Er
hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? Entsetzliche Gewißheit! - Egmont
verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn! Der
König verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich!
Oranien zaudert, und alle seine Freunde! - Ist dies die Welt, von deren
Wankelmut, Unzuverlässigkeit ich viel gehört und nichts empfunden habe?
Ist dies die Welt? - Wer wäre bös genug, den Teuern anzufeinden? Wäre
Bosheit mächtig genug, den allgemein Erkannten schnell zu stürzen? Doch
ist es so - es ist! - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und
Menschen, wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt,
mein ganzes Leben widmete ich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens
streck' ich nach der Schlinge, die dich faßt, die Hand aus. Du hilflos,
und ich frei! - Hier ist der Schlüssel zu meiner Thür. An meiner Willkür
hängt mein Gehen und mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - O, bindet
mich, damit ich nicht verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker,
daß ich das Haupt an feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, träume,
wie ich ihm helfen wollte, wenn Fesseln mich nicht lähmten, wie ich ihm
helfen würde! - Nun bin ich frei! Und in der Freiheit liegt die Angst der
Ohnmacht. - Mir selbst bewußt, nicht fähig, ein Glied nach seiner Hilfe zu
rühren. Ach leider, auch der kleine Teil von deinem Wesen, dein Klärchen,
ist wie du gefangen, und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letzten
Kräfte. - Ich höre schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender,
guter Mann, dein Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen öffnet
dir die nächtliche Tür, und ach! zu welch unseliger Zusammenkunft!
(Brackenburg tritt auf.)
KLÄRCHEN. Du kommst so
bleich und schüchtern, Brackenburg! was ist's?
BRACKENBURG. Durch Umwege
und Gefahren such' ich dich auf. Die großen Straßen sind besetzt; durch
Gäßchen und durch Winkel hab' ich mich zu dir gestohlen.
KLÄRCHEN. Erzähl', wie
ist's?
Brackenburg (indem er
sich setzt). Ach, Kläre, laß mich weinen. Ich liebt' ihn nicht. Er war
der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf zur bessern Weide
herüber. Ich hab' ihn nie verflucht; Gott hat mich treu geschaffen und
weich. In Schmerzen floß mein Leben von mir nieder, und zu verschmachten
hofft' ich jeden Tag.
KLÄRCHEN. Vergiß das,
Brackenburg! Vergiß dich selbst! Sprich mir von ihm! Ist's wahr? Ist er
verurteilt?
BRACKENBURG. Er ist's! Ich
weiß es ganz genau.
KLÄRCHEN. Und lebt noch?
BRACKENBURG. Ja, er lebt
noch.
KLÄRCHEN. Wie willst du das
versichern? - Die Tyrannei ermordet in der Nacht den Herrlichen! vor allen
Augen verborgen fließt sein Blut. Ängstlich im Schlafe liegt das betäubte
Volk, und träumt von Rettung, träumt ihres ohnmächtigen Wunsches
Erfüllung; indes, unwillig über uns, sein Geist die Welt verläßt. Er ist
dahin! - Täusche mich nicht! dich nicht!
BRACKENBURG. Nein, gewiß,
er lebt! - Und leider! es bereitet der Spanier dem Volke, das er zertreten
will, ein fürchterliches Schauspiel, gewaltsam jedes Herz, das nach
Freiheit sich regt, auf ewig zu zerknirschen.
KLÄRCHEN. Fahre fort und
sprich gelassen auch mein Todesurteil aus! Ich wandle den seligen Gefilden
schon näher und näher, mir weht der Trost aus jenen Gegenden des Friedens
schon herüber. Sag' an.
BRACKENBURG. Ich konnt' es
an den Wachen merken, aus Reden, die bald da, bald dorten fielen, daß auf
dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis zubereitet werde. Ich schlich
durch Seitenwege, durch bekannte Gänge nach meines Vettern Hause, und sah
aus einem Hinterfenster nach dem Markte. - Es wehten Fackeln in einem
weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wieder. Ich schärfte mein
ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes Gerüst
entgegen, geräumig, hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschäftig waren
viele rings umher bemüht, was noch von Holzwerk weiß und sichtbar war, mit
schwarzem Tuch einhüllend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie zuletzt
auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines gräßlichen
Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weißes Kruzifix, das durch die Nacht
wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich sah, und
sah die schreckliche Gewißheit immer gewisser. Noch wankten Fackeln hie
und da herum; allmählich wichen sie und erloschen. Auf einmal war die
scheußliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter Schoß zurückgekehrt.
KLÄRCHEN. Still Brackenburg!
Nun still! Laß diese Hülle auf meiner Seele ruhn. Verschwunden sind die
Gespenster, und du, holde Nacht, leih' deinen Mantel der Erde, die in sich
gärt; sie trägt nicht länger die abscheuliche Last, reißt ihre tiefen
Spalten grausend auf und knirscht das Mordgerüst hinunter. Und irgend
einen Engel sendet der Gott, den sie zum Zeugen ihrer Wut geschändet; vor
des Boten heiliger Berührung lösen sich Riegel und Bande, und er umgießt
den Freund mit mildem Schimmer; er führt ihn durch die Nacht zur Freiheit
sanft und still. Und auch mein Weg geht heimlich in dieser Dunkelheit, ihm
zu begegnen.
BRACKRNBURG (sie
aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?
KLÄRCHEN. Leise, Lieber,
daß niemand erwache! daß wir uns selbst nicht wecken! Kennst du dies
Fläschchen, Brackenburg? Ich nahm dir's scherzend, als du mit übereiltem
Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun, mein Freund -
BRACKENBURG. In aller
Heiligen Namen! -
KLÄRCHEN. Du hinderst
nichts. Tod ist mein Teil! und gönne mir den sanften schnellen Tod, den du
dir selbst bereitetest. Gieb' mir deine Hand! - Im Augenblick, da ich die
dunkle Pforte eröffne, aus der kein Rückweg ist, könnt' ich mit diesem
Händedruck dir sagen: wie sehr ich dich geliebt, wie sehr ich dich
bejammert! Mein Bruder starb mir jung; dich wählt' ich, seine Stelle zu
ersetzen. Es widersprach dein Herz, und quälte sich und mich, verlangtest
heiß und immer heißer, was dir nicht beschieden war. Vergieb' mir und leb'
wohl! Laß mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel Namen in sich
faßt. Nimm die letzte schöne Blume der Scheidenden mit treuem Herzen ab -
nimm diesen Kuß. - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg, uns denn auch.
BRACKENBURG. So laß mich
mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug, zwei Leben auszulöschen.
KLÄRCHEN. Bleib! du sollst
leben, du kannst leben. - Steh meiner Mutter bei, die ohne dich in Armut
sich verzehren würde. Sei ihr, was ich ihr nicht mehr sein kann; lebt
zusammen, und beweint mich. Beweint das Vaterland und den, der es allein
erhalten konnte. Das heutige Geschlecht wird diesen Jammer nicht los; die
Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu tilgen. Lebt, ihr Armen, die Zeit
noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut' steht die Welt auf einmal still;
es stockt ihr Kreislauf, und mein Puls schlägt kaum noch wenige Minuten.
Leb' wohl!
BRACKENBURG. O, lebe du mit
uns, wie wir für dich allein! Du tötest uns in dir, o leb' und leide! Wir
wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten stehn, und immer achtsam soll
die Liebe den schönsten Trost in ihren lebendigen Armen dir bereiten. Sei
unser! Unser! Ich darf nicht sagen, mein.
KLÄRCHEN. Leise,
Brackenburg! Du fühlst nicht, was du rührst. Wo Hoffnung dir erscheint,
ist mir Verzweiflung.
BRACKENBURG. Teile mit den
Lebendigen die Hoffnung! Verweil' am Rande des Abgrundes, schau' hinab und
sieh auf uns zurück.
KLÄRCHEN. Ich hab'
überwunden, ruf' mich nicht wieder zum Streit.
BRACKENBURG. Du bist
betäubt; gehüllt in Nacht suchst du die Tiefe. Noch ist nicht jedes Licht
erloschen, noch mancher Tag! -
KLÄRCHEN. Weh! über dich
Weh! Weh! Grausam zerreißest du den Vorhang vor meinem Auge. Ja, er wird
grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich ziehn und wider Willen
grauen! Furchtsam schaut der Bürger aus seinem Fenster, die Nacht läßt
einen schwarzen Flecken zurück; er schaut, und fürchterlich wächst im
Lichte das Mordgerüst. Neu leidend wendet das entweihte Gottesbild sein
flehend Auge zum Vater auf. Die Sonne wagt sich nicht hervor; sie will die
Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll. Träge gehn die Zeiger
ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlägt. Halt! Halt! nun ist es
Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab. (Sie tritt ans
Fenster, als sähe sie sich um, und trinkt heimlich.)
BRACKENBURG. Kläre! Kläre!
KLÄRCHEN
(geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist
der Rest! Ich locke dich nicht nach. Thu', was du darfst, leb' wohl.
Lösche diese Lampe still und ohne Zaudern, ich geh' zur Ruhe. Schleiche
dich sachte weg, ziehe die Thür nach dir zu. Still! Wecke meine Mutter
nicht! Geh, rette dich.
Rette dich, wenn du nicht mein Mörder scheinen willst. (Ab.)
BRACKENBURG. Sie läßt mich
zum letzten Male, wie immer. O, könnte eine Menschenseele fühlen, wie sie
ein liebend Herz zerreißen kann. Sie läßt mich stehn, mir selber
überlassen; und Tod und Leben ist mir gleich verhaßt. - Allein zu sterben!
- Weint, ihr Liebenden! Kein härter Schicksal ist als meins! Sie teilt mit
mir den Todestropfen und schickt mich weg! von ihrer Seite weg! Sie zieht
mich nach, und stößt ins Leben mich zurück. O Egmont, welch preiswürdig
Los fällt dir! Sie geht voran; der Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist
dein, sie bringt den ganzen Himmel dir entgegen! - Und soll ich folgen?
wieder seitwärts stehn? den unauslöschlichen Neid in jene Wohnungen
hinübertragen? - Auf Erden ist kein Bleiben mehr für mich, und Höll' und
Himmel bieten gleiche Qual. Wie wäre der Vernichtung Schreckenshand dem
Unglückseligen willkommen!
(Brackenburg geht ab,
das Theater bleibt einige Zeit unverändert. Eine Musik,
Klärchens Tod bezeichnend, beginnt; die
Lampe, welche Brackenburg auszulöschen vergessen, flammt noch einige Mal
auf, dann erlischt sie. Bald verwandelt sich der Schauplatz in das
Gefängnis.
(Egmont
liegt schlafend auf dem Ruhebette. Es entsteht ein Gerassel mit
Schlüsseln, und die Tür tut sich auf. Diener mit Fackeln treten herein;
ihnen folgt
Ferdinand, Albas Sohn, und Silva, begleitet von Gewaffneten. Egmont
fährt aus dem Schlaf auf.)
EGMONT. Wer
seid ihr, die ihr mir unfreundlich den Schlaf von den Augen schüttelt? Was
künden eure trotzigen, unsichern Blicke mir an? Warum diesen
fürchterlichen Aufzug? Welchen Schreckenstraum kommt ihr der halberwachten
Seele vorzulügen?
SILVA. Uns schickt der
Herzog, dir dein Urteil anzukündigen.
EGMONT. Bringst du den
Henker auch mit, es zu vollziehen?
SILVA. Vernimm es, so wirst
du wissen, was deiner wartet.
EGMONT. So ziemt es euch
und euerm schändlichen Beginnen! In Nacht gebrütet und in Nacht vollführt.
So mag diese freche Tat der Ungerechtigkeit sich verbergen! - Tritt kühn
hervor, der du das Schwert verhüllt unter dem Mantel trägst; hier ist mein
Haupt, das freieste, das je die Tyrannei vom Rumpf gerissen.
SILVA. Du irrst! Was
gerechte Richter beschließen, werden sie vorm Angesicht des Tages nicht
verbergen.
EGMONT. So übersteigt die
Frechheit jeden Begriff und Gedanken.
SILVA (nimmt einem
Dabeistehenden das Urteil ab, entfaltet's und liest's). "Im Namen des
Königs, und kraft besonderer von Seiner Majestät uns übertragenen Gewalt,
alle seine Untertanen, wes Standes sie seien, zugleich die Ritter des
goldnen Vließes zu richten, erkennen wir - "
EGMONT. Kann die der König
übertragen?
SILVA. "Erkennen wir, nach
vorgängiger genauer, gesetzlicher Untersuchung, dich Heinrich Grafen
Egmont, Prinzen von Gaure, des Hochverrats schuldig, und sprechen das
Urteil: daß du mit der Frühe des einbrechenden Morgens aus dem Kerker auf
den Markt geführt, und dort vorm Angesicht des Volks zur Warnung aller
Verräter mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht werden sollest.
Gegeben Brüssel am" (Datum und Jahrzahl werden undeutlich gelesen, so,
daß sie der Zuhörer nicht versteht.) "Ferdinand, Herzog von Alba,
Vorsitzer des Gerichts der Zwölfe." Du weißt nun dein Schicksal; es bleibt
dir wenige Zeit, dich drein zu ergeben, dein Haus zu bestellen und von den
Deinigen Abschied zu nehmen.
(Silva mit dem Gefolge
geht ab. Es bleibt Ferdinand und zwei Fackeln; das Theater ist mäßig
erleuchtet.)
EGMONTt (hat eine Weile
in sich versenkt, stille gestanden und Silva, ohne sich umzusehen, abgehen
lassen. Er glaubt sich allein, und da er die Augen aufhebt, erblickt er
Albas Sohn). Du stehst und bleibst? Willst du mein Erstaunen, mein
Entsetzen noch durch deine Gegenwart vermehren? Willst du noch etwa die
willkommne Botschaft deinem Vater bringen, daß ich unmännlich verzweifle?
Geh! Sag' ihm! Sag' ihm, daß er weder mich, noch die Welt belügt. Ihm, dem
Ruhmsüchtigen, wird man es erst hinter den Schultern leise lispeln, dann
laut und lauter sagen, und wenn er einst von diesem Gipfel herabsteigt,
werden tausend Stimmen es ihm entgegen rufen: Nicht das Wohl des Staats,
nicht die Würde des Königs, nicht die Ruhe der Provinzen haben ihn hierher
gebracht. Um sein selbst willen hat er Krieg geraten, daß der Krieger im
Kriege gelte. Er hat diese ungeheure Verwirrung erregt, damit man seiner
bedürfe. Und ich falle, ein Opfer seines niedrigen Hasses, seines
kleinlichen Neides. Ja, ich weiß es, und ich darf es sagen; der Sterbende,
der tödlich Verwundete kann es sagen: mich hat der Eingebildete beneidet;
mich wegzutilgen, hat er lange gesonnen und gedacht.
Schon damals, als wir noch
jünger mit Würfeln spielten und die Haufen Goldes, einer nach dem andern,
von seiner Seite zu mir herübereilten, da stand er grimmig, log
Gelassenheit, und innerlich verzehrte ihn die Ärgernis, mehr über mein
Glück, als über seinen Verlust. Noch erinnere ich mich des funkelnden
Blicks, der verräterischen Blässe, als wir an einem öffentlichen Feste vor
vielen tausend Menschen um die Wette schossen. Er forderte mich auf, und
beide Nationen standen; die Spanier, die Niederländer wetteten und
wünschten. Ich überwand ihn; seine Kugel irrte, die meine traf; ein lauter
Freudenschrei der Meinigen durchbrach die Luft. Nun trifft mich sein
Geschoß. Sag' ihm, daß ich's weiß, daß ich ihn kenne, daß die Welt jede
Siegszeichen verachtet, die ein kleiner Geist erschleichend sich
aufrichtet. Und du! wenn einem Sohne möglich ist, von der Sitte des Vaters
zu weichen, übe beizeiten die Scham, indem du dich für den schämst, den du
gerne von ganzem Herzen verehren möchtest.
FERDINAND. Ich höre dich
an, ohne dich zu unterbrechen! Deine Vorwürfe lasten wie Keulschläge auf
einen Helm; ich fühle die Erschütterung, aber ich bin bewaffnet. Du
triffst mich, du verwundest mich nicht; fühlbar ist mir allein der
Schmerz, der mir den Busen zerreißt. Wehe mir! Wehe! Zu einem solchen
Anblick bin ich aufgewachsen, zu einem solchen Schauspiele bin ich
gesendet!
EGMONT. Du brichst in
Klagen aus? Was rührt, was bekümmert dich? Ist es eine späte Reue, daß du
der schändlichen Verschwörung deinen Dienst geliehen? Du bist so jung und
hast ein glückliches Ansehn. Du warst so zutraulich, so freundlich gegen
mich. So lang ich dich sah, war ich mit deinem Vater versöhnt. Und eben so
verstellt, verstellter als er, lockst du mich in das Netz. Du bist der
Abscheuliche! Wer ihm traut, mag er es auf seine Gefahr tun; aber wer
fürchtete Gefahr, dir zu vertrauen? Geh! Geh! Raube mir nicht die wenigen
Augenblicke! Geh, daß ich mich sammle, die Welt und dich zuerst vergesse!
-
FERDINAND. Was soll ich dir
sagen? Ich stehe und sehe dich an, und sehe dich nicht, und fühle mich
nicht. Soll ich mich entschuldigen? Soll ich dir versichern, daß ich erst
spät, erst ganz zuletzt des Vaters Absichten erfuhr, daß ich als ein
gezwungenes, ein lebloses Werkzeug seines Willens handelte? Was fruchtet's,
welche Meinung du von mir haben magst? Du bist verloren; und ich
Unglücklicher stehe nur da, um dir's zu versichern, um dich zu bejammern.
EGMONT. Welche sonderbare
Stimme, welch ein unerwarteter Trost begegnet mir auf dem Wege zum Grabe?
Du, Sohn meines ersten, meines fast einzigen Feindes, du bedauerst mich,
du bist nicht unter meinen Mördern? Sage, rede! Für wen soll ich dich
halten?
FERDINAND. Grausamer Vater!
Ja, ich erkenne dich in diesem Befehle. Du kanntest mein Herz, meine
Gesinnung, die du so oft als Erbteil einer zärtlichen Mutter schaltest.
Mich dir gleich zu bilden, sandtest du mich hierher. Diesen Mann am Rande
des gähnenden Grabes, in der Gewalt eines willkürlichen Todes zu sehen,
zwingst du mich; daß ich den tiefsten Schmerz empfinde, daß ich taub gegen
alles Schicksal, daß ich unempfindlich werde, es geschehe mir, was wolle.
EGMONT. Ich erstaune! Fasse
dich! Stehe, rede wie ein Mann!
FERDINAND. O, daß ich ein
Weib wäre! daß man mir sagen könnte: was rührt dich? was ficht dich an?
Sage mir ein größeres, ein ungeheureres Übel, mache mich zum Zeugen einer
schrecklichern That; ich will dir danken, ich will sagen: es war nichts.
EGMONT. Du verlierst dich?
Wo bist du?
FERDINAND. Laß diese
Leidenschaft rasen, laß mich losgebunden klagen! Ich will nicht standhaft
scheinen, wenn alles in mir zusammenbricht. Dich soll ich hier sehn? -
Dich? - Es ist entsetzlich! Du verstehst mich nicht! Und sollst du mich
verstehen? Egmont! Egmont! (Ihm um den Hals fallend.)
EGMONT. Löse mir das
Geheimnis.
FERDINAND. Kein Geheimnis.
EGMONT. Wie bewegt dich so
tief das Schicksal eines fremden Mannes?
FERDINAND. Nicht fremd! Du
bist mir nicht fremd. Dein Name war's, der mir in meiner ersten Jugend
gleich einem Stern des Himmels entgegenleuchtete. Wie oft hab' ich nach
dir gehorcht, gefragt! Des Kindes Hoffnung ist der Jüngling, des Jünglings
der Mann. So bist du vor mir her geschritten; immer vor, und ohne Neid sah
ich dich vor, und schritt dir nach, und fort und fort. Nun hofft' ich
endlich dich zu sehen, und sah dich, und mein Herz flog dir entgegen. Dich
hatt' ich mir bestimmt, und wählte dich aufs neue, da ich dich sah. Nun
hofft' ich erst mit dir zu sein, mit dir zu leben, dich zu fassen, dich. -
Das ist nun alles weggeschnitten, und ich sehe dich hier!
EGMONT. Mein Freund, wenn
es dir wohl tun kann, so nimm die Versicherung, daß im ersten Augenblick
mein Gemüt dir entgegenkam. Und höre mich. Laß uns ein ruhiges Wort unter
einander wechseln. Sage mir: ist es der strenge, ernste Wille deines
Vaters, mich zu töten?
FERDINAND. Er ist's.
EGMONT. Dieses Urteil wäre
nicht ein leeres Schreckbild, mich zu ängstigen, durch Furcht und Drohung
zu strafen, mich zu erniedrigen, und dann mit königlicher Gnade mich
wieder aufzuheben?
FERDINAND. Nein, ach leider
nein! Anfangs schmeichelte ich mir selbst mit dieser ausweichenden
Hoffnung; und schon da empfand ich Angst und Schmerz, dich in diesem
Zustande zu sehen. Nun ist es wirklich, ist gewiß. Nein, ich regiere mich
nicht. Wer giebt mir eine Hilfe, wer einen Rat, dem Unvermeidlichen zu
entgehen?
EGMONT. So höre mich. Wenn
deine Seele so gewaltsam dringt, mich zu retten, wenn du die Übermacht
verabscheust, die mich gefesselt hält, so rette mich! Die Augenblicke sind
kostbar. Du bist des Allgewaltigen Sohn, und selbst gewaltig. - Laß uns
entfliehen! Ich kenne die Wege; die Mittel können dir nicht unbekannt
sein. Nur diese Mauern, nur wenige Meilen entfernen mich von meinen
Freunden. Löse diese Bande, bringe mich zu ihnen und sei unser! Gewiß, der
König dankt dir dereinst meine Rettung. Jetzt ist er überrascht, und
vielleicht ist ihm alles unbekannt. Dein Vater wagt; und die Majestät muß
das Geschehene billigen, wenn sie sich auch davor entsetzet. Du denkst? O,
denke mir den Weg der Freiheit aus! Sprich, und nähre die Hoffnung der
lebendigen Seele.
FERDINAND. Schweig'! o
schweige! Du vermehrst mit jedem Worte meine Verzweiflung. Hier ist kein
Ausweg, kein Rat, keine Flucht. - Das quält mich, das greift und faßt mir
wie mit Klauen die Brust. Ich habe selbst das Netz zusammengezogen; ich
kenne die strengen festen Knoten; ich weiß, wie jeder Kühnheit, jeder List
die Wege verrennt sind; ich fühle mich mit dir und mit allen andern
gefesselt. Würde ich klagen, hätte ich nicht alles versucht? Zu seinen
Füßen habe ich gelegen, geredet und gebeten. Er schickte mich hierher, um
alles, was von Lebenslust und Freude in mir lebt, in diesem Augenblicke zu
zerstören.
EGMONT. Und keine Rettung?
FERDINAND. Keine!
EGMONT (mit dem Fuße
stampfend). Keine Rettung! - Süßes Leben! schöne, freundliche
Gewohnheit des Daseins und Wirkens! von dir soll ich scheiden! So gelassen
scheiden! Nicht im Tumulte der Schlacht, unter dem Geräusch der Waffen, in
der Zerstreuung des Getümmels gibst du mir ein flüchtiges Lebewohl; du
nimmst keinen eiligen Abschied, verkürzest nicht den Augenblick der
Trennung. Ich soll deine Hand fassen, dir noch einmal in die Augen sehn,
deine Schöne, deinen Wert recht lebhaft fühlen, und dann mich entschlossen
losreißen und sagen: Fahre hin!
FERDINAND. Und ich soll
daneben stehn, zusehn, dich nicht halten, nicht hindern können! O, welche
Stimme reichte zur Klage! Welches Herz flösse nicht aus seinen Banden vor
diesem Jammer!
EGMONT. Fasse dich!
FERDINAND. Du kannst dich
fassen, du kannst entsagen, den schweren Schritt an der Hand der
Notwendigkeit heldenmäßig gehn. Was kann ich? Was soll ich? Du überwindest
dich selbst und uns; du überstehst; ich überlebe dich und mich selbst. Bei
der Freude des Mahls hab' ich mein Licht, im Getümmel der Schlacht meine
Fahne verloren. Schal, verworren, trüb' scheint mir die Zukunft.
EGMONT. Junger Freund, den
ich durch ein sonderbares Schicksal zugleich gewinne und verliere, der für
mich die Todesschmerzen empfindet, für mich leidet, sieh mich in diesen
Augenblicken an; du verlierst mich nicht. War dir mein Leben ein Spiegel,
in welchem du dich gerne betrachtetest, so sei es auch mein Tod. Die
Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen sind; auch der
Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Ich lebe dir, und habe mir genug
gelebt. Eines jeden Tages hab' ich mich gefreut; an jedem Tage mit rascher
Wirkung meine Pflicht getan, wie mein Gewissen mir sie zeigte. Nun endigt
sich das Leben, wie es sich früher, früher, schon auf dem Sande von
Gravelingen hätte endigen können. Ich höre auf zu leben; aber ich habe
gelebt. So leb' auch du, mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den
Tod nicht.
FERDINAND. Du härtest dich
für uns erhalten können, erhalten sollen. Du hast dich selber getötet. Oft
hört' ich, wenn kluge Männer über dich sprachen, feindselige,
wohlwollende, sie stritten lang über deinen Wert; doch endlich vereinigten
sie sich, keiner wagt' es zu leugnen, jeder gestand: ja, er wandelt einen
gefährlichen Weg. Wie oft wünscht' ich, dich warnen zu können! Hattest du
denn keine Freunde?
EGMONT. Ich war gewarnt.
FERDINAND. Und wie ich
punktweise alle diese Beschuldigungen wieder in der Anklage fand, und
deine Antworten! Gut genug, dich zu entschuldigen; nicht triftig genug,
dich von der Schuld zu befreien. -
EGMONT. Dies sei beiseite
gelegt. Es glaubt der Mensch sein Leben zu leiten, sich selbst zu führen;
und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach seinem Schicksale gezogen.
Laß uns darüber nicht sinnen; dieser Gedanken entschlag' ich mich leicht -
schwerer der Sorge für dieses Land; doch auch dafür wird gesorgt sein.
Kann mein Blut für viele fließen, meinem Volk Friede bringen, so fließt es
willig. Leider wird's nicht so werden. Doch es ziemt dem Menschen, nicht
mehr zu grübeln, wo er nicht mehr wirken soll. Kannst du die verderbende
Gewalt deines Vaters aufhalten, lenken, so tu's. Wer wird das können? -
Leb' wohl!
FERDINAND. Ich kann nicht
gehn.
EGMONT. Laß meine Leute dir
aufs beste empfohlen sein! Ich habe gute Menschen zu Dienern; daß sie
nicht zerstreut, nicht unglücklich werden! Wie steht es um Richard, meinen
Schreiber?
FERDINAND. Er ist dir
vorangegangen. Sie haben ihn als Mitschuldigen des Hochverrats enthauptet.
EGMONT. Arme Seele! - Noch
eins, und dann leb' wohl, ich kann nicht mehr. Was auch den Geist
gewaltsam beschäftigt, fordert die Natur zuletzt doch unwiderstehlich ihre
Rechte; und wie ein Kind, umwunden von der Schlange, des erquickenden
Schlafs genießt, so legt der Müde sich noch einmal vor der Pforte des
Todes nieder und ruht tief aus, als ob er einen weiten Weg zu wandern
hätte. - Noch eins. - Ich kenne ein Mädchen; du wirst sie nicht verachten,
weil sie mein war. Nun ich sie dir empfehle, sterb' ich ruhig. Du bist ein
edler Mann; ein Weib, das den findet, ist geborgen. Lebt mein alter Adolf?
ist er frei?
FERDINAND. Der muntre
Greis, der Euch zu Pferde immer begleitete?
EGMONT. Derselbe.
FERDINAND. Er lebt, er ist
frei.
EGMONT. Er weiß ihre
Wohnung; laß dich von ihm führen, und lohn' ihm bis an sein Ende, daß er
dir den Weg zu diesem Kleinode zeigt. - Leb wohl!
FERDINAND. Ich gehe nicht.
Egmont (ihn nach der Tür
drängend). Leb' wohl!
FERDINAND. O, laß mich
noch!
EGMONT. Freund, keinen
Abschied!
(Er begleitet
Ferdinanden bis an die Tür, und reißt sich dort von ihm los. Ferdinand,
betäubt, entfernt sich eilend.)
EGMONT (allein). Feindseliger Mann! Du glaubtest nicht, mir
diese Wohltat durch deinen Sohn zu erzeigen. Durch ihn bin ich der Sorgen
los und der Schmerzen, der Furcht und jedes ängstlichen Gefühls. Sanft und
dringend fordert die Natur ihren letzten Zoll. Es ist vorbei, es ist
beschlossen! und was die letzte Nacht mich ungewiß auf meinem Lager
wachend hielt, das schläfert nun mit unbezwinglicher Gewißheit meine
Sinnen ein.
(Er setzt sich aufs
Ruhebett. Musik.)
Süßer Schlaf! Du kommst wie
ein reines Glück, ungebeten, unerfleht am willigsten. Du lösest die Knoten
der strengen Gedanken, vermischest alle Bilder der Freude und des
Schmerzes; ungehindert fließt der Kreis innerer Harmonien, und, eingehüllt
in gefälligen Wahnsinn, versinken wir und hören auf, zu sein.
(Er entschläft; die Musik
begleitet seinen Schlummer. Hinter seinem Lager scheint sich die Mauer zu
eröffnen, eine glänzende Erscheinung zeigt sich. Die Freiheit in
himmlischem Gewande, von einer Klarheit umflossen, ruht auf einer Wolke.
Sie hat die Züge von Klärchen, und neigt sich gegen den schlafenden
Helden. Sie drückt eine bedauernde Empfindung aus, sie scheint ihn zu
beklagen. Bald faßt sie sich, und mit aufmunternder Gebärde zeigt sie ihm
das
Bündel Pfeile, dann den Stab mit dem Hute. Sie heißt ihn froh sein,
und indem sie ihm andeutet, daß sein Tod den Provinzen die Freiheit
verschaffen werde, erkennt sie ihn als Sieger und reicht ihm einen
Lorbeerkranz. Wie sie sich mit dem Kranze dem Haupte nahet, macht Egmont
eine Bewegung, wie einer, der sich im Schlafe regt, dergestalt, daß er mit
dem Gesicht aufwärts gegen sie liegt. Sie hält den Kranz über seinem
Haupte schwebend; man hört ganz von weitem eine kriegerische Musik von
Trommeln und Pfeifen; bei dem leisesten Laut derselben verschwindet die
Erscheinung. Der Schall wird stärker. Egmont erwacht; das Gefängnis wird
vom Morgen mäßig erhellt. Seine erste Bewegung ist, nach dem Haupte zu
greifen; er steht auf und sieht sich um, indem er die Hand auf dem Haupte
behält.)
Verschwunden ist der Kranz!
Du schönes Bild, das Licht des Tages hat dich verscheuchet! Ja, sie
waren's, sie waren vereint, die beiden süßesten Freuden meines Herzens.
Die göttliche Freiheit, von meiner Geliebten borgte sie die Gestalt; das
reizende Mädchen kleidete sich in der Freundin himmlisches Gewand. In
einem ernsten Augenblick erscheinen sie vereinigt, ernster als lieblich.
Mit blutbefleckten Sohlen trat sie vor mir auf, die wehenden Falten des
Saumes mit Blut befleckt. Es war mein Blut und vieler Edeln Blut. Nein, es
ward nicht umsonst vergossen. Schreitet durch! Braves Volk! Die
Siegesgöttin führt dich an! Und wie das Meer durch eure Dämme bricht, so
brecht, so reißt den Wall der Tyrannei zusammen, und schwemmt ersäufend
sie von ihrem Grunde, den sie sich anmaßt, weg!
(Trommeln näher.)
Horch! Horch! Wie oft rief
mich dieser Schall zum freien Schritt nach dem Felde des Streits und des
Siegs! Wie munter traten die Gefährten auf der gefährlichen, rühmlichen
Bahn! Auch ich schreite einem ehrenvollen Tode aus diesem Kerker entgegen;
ich sterbe für die Freiheit, für die ich lebte und focht, und der ich mich
jetzt leidend opfre.
(Der Hintergrund wird
mit einer Reihe spanischer Soldaten besetzt, welche Hellebarden tragen.)
Ja, führt sie nur zusammen!
Schließt eure Reihen, ihr schreckt mich nicht. Ich bin gewohnt, vor
Speeren gegen Speere zu stehn, und, rings umgeben von dem drohenden Tod,
das mutige Leben nur doppelt rasch zu fühlen.
(Trommeln.)
Dich schließt der Feind von
allen Seiten ein! Es blinken Schwerter; Freunde, höhern Mut! Im Rücken
habt ihr Eltern, Weiber, Kinder!
(Auf die Wache zeigend.)
Und diese treibt ein hohles
Wort des Herrschers, nicht ihr Gemüt. Schützt eure Güter! Und euer
Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe.
(Trommeln. Wie er auf
die Wache los und auf die Hinterthür zugeht, fällt der Vorhang; die Musik
fällt ein und schließt mit einer Siegessymphonie das Stück.)
1. Aufzug - 2. Aufzug -
3. Aufzug -
4. Aufzug -
5. Aufzug
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.01.2024