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books, Ausgabe 1668
In seinem Roman "Das
Wandelbahre Glück/ in einer angenehmen und wahrhafften Liebes-
und Lebensgeschichte des verkehrten und wieder bekehrten Tychanders
vorgestellet" von
» Hieronymus Dürer (1641-1704). einem Hauslehrer und später
lutherischen Pfarre und Superintendenten, aus dem Jahr 1668 erzählt
der auktoriale Ich-Erzähler Tychander seine Lebensgeschichte. Der
moralisierende Unterhaltungsroman war in seiner Zeit sehr
erfolgreich und wurde mehrfach wieder aufgelegt.
»Das 3. Capitel.
Tychander wird durch die Liebe betrogen, und kommt um sein Geld
Weil sich nun diese meine Thorheit täglich vermehrete, und alle
meine Gedancken und gantzes Hertze nur eintzig auf
Dolosetten
gerichtet waren, kunte ich den gantzen Tag keine Ruh im Hause
aben,
noch auch bey einiger Gesellschafft, sie war so lustig als sie
wolle, meine Liebes-Grillen aus dem Sinne schlagen, deßwegen triebe
ich das
offtmahlige Vorübergehen vor der Geliebten Haus alle Tage,
und schaute ohne Unterlaß nach dem Fenster zu, da denn, wenn ich nur
eine Katze am Fenster erblickte, oder sonst etwas weisses, das durch
das Glas schiene, und mir Muthmassung gabe, es mochte vielleicht
Dolosette seyn,
war ich alsobald mit meinem Hut so dienstfertig, daß
ich in kurzer Zeit bis den Rand desselben ganz dünne gegriffen
hatte. Sie enthielte sich aber mit Fleiß des Fensters, damit sie
durch die Anwesenheit meine Brunst desto grösser machen möchte, bis
es ihr endlich Zeit gedauchte: da sie nun handgreiflich spürte,
wie
sie mich am Narren-Seil schon genug befestiget hätte, dachte sie der
Gelegenheit zu gebrauchen, und mich zu berupfen, weil ich noch
Federn hatte. Deswegen
schickte sie mir durch die Magd einen Brief,
welcher gar künstlich zusammengelegt, am Rande vergüldet, und mit
bunten seidenen Fäden umwunden war. Der Innhalt desselben war, daß
sie mir zu verstehen gab, wie ihre Mutter gleich jetzund abwesend
wäre, wünschte demnach gar sehnlich daß, so es mir nicht zuwider
oder meinen Geschäften hinderlich wäre, ich ihr die grosse Ehre
geben, und morgen des Tages nach der Predigt mich bey ihr einfinden
möchte.
Wer war froher als ich? Hundertmahl küßte ich den Brief, und
noch öfter. Hier war kein Verzug. Ich ergriffe so fort die Feder,
und antwortete ihr mit grosser Höflichkeit,
die damals mein
vernarrtes Gehirn nur ersinnen kunte, hinwieder,
gab der Magd einen
Ducaten, und ließ sie damit hinstreichen. Der Morgen kam, ich
besuchte die Predigt, mit was für Andacht, ist leicht zu erachten,
welche so bald nicht zu Ende war: da gieng ich halb unsinnig, weil
ich Dolosetten nicht in der Kirchen gesehen hatte, heraus und nach
ihrem Hause zu. Als ich vor dasselbe kam,
war die Magd schon da, und thäte mir auf, empfinge mich freundlich, doch mit etwas zur
Traurigkeit verstelltem Gesichte, und führte mich hinein, zu ihrer
Jungfer, welche ich in einem Winckel weinende, und sich gar kläglich
gebärdende, antraf. So bald sie aber mich sahe, stund sie auf,
wischte die Augen, umpfieng mich, und hieß mich willkommen. Ich
erschrack dieses unverhofften Anblicks wegen, und
fragte mir
bebender Stimme, was doch die Ursach solches Weinens wäre? Sie
stellte sich Anfangs, als ob sie solches vermänteln wolte, fieng
doch auf mein ferners Anhalten an zu
erzehlen, wie ihr die
Armbänder, so ich ihr neulich gegeben, wären gestohlen worden: denn
es wäre bey nächtlicher Weile ein Dieb zum Fenster eingebrochen,
hätte etwas von Kleidern und andern Sachen, so in der Stuben
gelegen, mit sich weggenommen, und unter andern auch ein silbern
Lädgen, darinn die Armbänder gelegen, welches sie gestern Abends aus
ihrer Lade genommen, und dahin gesetzt gehabt, damit sie es des
Morgens desto eher bey der Hand haben möchte, weil sie willens wäre
gewesen, selbe umzustecken, wenn sie in die Kirchen gienge. Nun wär
ihr eben nicht so sehr an dem Verlust der Armbänder gelegen, wiewohl
doch solches auch kein Geringes;
Aber diß kränckete sie am meisten,
weil solche Armbänder von mir gekommen wären, und welche sie hätte gemeynet ihr Lebenlang zum erfreulichen Andencken meiner zu
behalten, und nimmermehr von ihr kommen zu lassen. Und
als sie das
sagte, fieng sie wieder an so kläglich zu weinen, daß immer eine
Zähre1 die andre schluge.
Ich war zwar auch kein Kind, und vermerckte
flugs wohl, daß solche nur Crocodils-Zähren, und
ein pur erdichtet
Handel wäre, verstunde auch wohl, wo solches alles hinzielte: aber
die Liebe hatte mir gantz meine Sinnen verrückt, daß ich sehends
blind war, und mich mit Wissen und Willen von dieser
Mätze3 herum
führen, und betrügen ließ. Was ich derowegen sahe, daß ich thun
muste, wolte ich anders nicht für einen Lauser4 angesehen seyn, das
thate ich gerne, sprach ihr freundlich zu, und hieß sie solchen
Verlust aus dem Sinne schlagen, und gutes Muths seyn, mit Vermelden,
daß an dem Orte, wo diese hergekommen wären, noch mehr würden
vorhanden seyn;
sie solle nur ihre Dienerin morgen zu mir schicken,
so wolte ich ihr ein paar andere senden. Sie weigert, sich im Anfang
dessen ein wenig, nahm es doch mit grosser Dancksagung gar willig
an. Damit sie nun sich in etwas wieder danckbar erweisen wolte,
verehrte sie mir einen Blumen-Crantz, welchen sie, wie sie sagte,
mit ihren eignen Händen, um mir zu verehren, gewunden halte. Fürwahr
eine trefliche Vergeltung.
Ich nähme diesen Crantz zwar mit grosser Ehrerbietung an,
vermeynte doch billig etwas mehrers für mein Geld zu haben,
erinnerte sie derowegen, wie es nunmehr die beste Gelegenheit wäre,
wegen Abwesenheit der Mutter,
daß wir mit unsrer Liede etrwas näher
zusammen treten, und uns solcher Lust teilhaftig machten, worinnen
Verliebte sonsten ihre Zufriedenheit zu suchen pflegen. Sie stellte
sich hierzu zwar willig, und gab vor, wie sie nun so lange Zeit her
nichts mehr, als dieses, gewünschet hätte: beklagte doch daneben,
daß sie meinen und ihrem Begehren auf dismahl um zugestossner
Unpäßlichkeit willen, welche denn wegen des Schreckens über den
Verlust der Armbänder, nicht ein geringes wäre vermehret worden,
könte kein Gnügen thun: Bath mich dennoch gar sehr, ich mochte ihr
solches nicht verdencken, noch einigen Zweifel in ihre Liebe sehen,
sondern vielmehr in meiner Liebe beständig bleiben, und mich bis auf
eine andere bequemere Gelegenheit noch ein klein wenig gedulden: es
würde nicht lang anstehen, daß ihre Mutter eine Reise nacher
Gröningen nehmen, und daselost eine Zeitlang sich aufhalten würde,
alsdenn könnten wir unsrer Lieben nach Hetzens-Wunsch ohne Hinderniß
geniessen. Ich muste hierauf zufrieden seyn,und mich mit dieser
kahlen Entschuldigung abspeisen lassen. Jedoch vergunte sie mir,
damit sie meine Brunst damit unterhalten möchte,
ihre Brüste nach
Belieben zu betasten.
Es war der andere Morgen kaum angebrochen, da war ich meiner
gegebenen Zusage eingedenck, gieng sofort nach einem Jubilier, und
kauffte ein paar andere Armbänder, mit Diamanten an den Schlössern
versehet, wiewohl um 12. Reichsthaler theurer, als die ersten, damit
Dolosette ja nicht Ursach haben solle, den vorgegebenen Verlust der
ersten zu beklagen, und verfügte mich damit nach ihrer Behausung.
Die Magd aber entschuldigte ihre Jungfer, daß selbige mich, wie hoch
sie auch wünschte, auf dißmah! nicht sprechen könte, aus Ursache,
daß ihre Mutter gleich diese Stunde unverhofft wieder nach Hause
gekommen wäre, liesse mich doch gleichwohl darneben dienstlich
ersuchen, so ich, meiner gestrigen Zusage nach, ein paar anders
Armbänder gekaufft hätte, ich ihr dieselbigen durch ihre Dienerin
nur überschicken möchte, so bald es die Gelegenheit geben würde, daß
ihre Mutter wieder abwesend wäre, wolle sie mirs unverzüglich zu
wissen thun.
Ich war im Anfang hierüber etwas entrüstet, und
zweifelte, ob ich der Magd die Armbänder geben solle, oder nicht;
doch befürchtete ich darneben, daß, wo ich ihr solches abschlüge,
Dolosette einen Unwillen auf mich werffen möchte, welches ich nicht
gern verursachen wolle, verbiß demnach meinen Zorn, gab ihr die
Armbänder, und gieng voller Unmuths wieder nach Hause. Hier bedachte
ich bey mir selbst, die grosse Unverschämtheit dieses heißhungerigen
Geldwolffes, die da, ungeachtet meiner großen Freygebigkeit,
gleichwohl so gar unverschämt,
solch Geschenk von mir abfordern,
und mich darneben so schimpflich abweisen liesse, als ob ich ein
Bettler gewesen wäre,
entschlösse mich deswegen ihrer zu entäusern.
Aber verliebter Leute Zorn ist nur, wie jener Poet sagt, eine
Erneuerung der Liebe:
es hatte mich die Liebe dermassen verzaubert,
daß ich, wie ein geblendetes Pferd, in mein Verderben rannte, und
mich dieses Weib-Stückes nicht entschlagen konte, hätte auch mein
gantz Vermögen darüber zu Scheitern gehen sollen. Sie
sahe mich nur
einmal freundlich wieder an, da war der Unwill schon vergessen, und
war ich nur froh, daß ich wieder konte zu ihr kommen,
wiewohl ich
mich niemahls unterstunde, mit leerer Hand vor ihr zu erscheinen,
sondern suchte bald mit diesem, bald mit jenem raren Geschencke, daß
ich möchte ihre Gunst in steter Blüthe erhalten. Weil aber solche
Verehrungen nicht eben von so grossem Werlhe waren, als wie die zwey
ersten, und deswegen ihr nicht viel einzubringen gedauchten,
ersannn
das arglistige Weid allerhand Räncke damit sie mir das Geld aus dem
Beutel vexierte. Einsmahls schickte sie ihre Magd zu mir, und ließ
mir klagen, wie sie
ihrer Mutter besten Ring, in welchem ein Demant
von 50.Thalern werth wäre versetzt gewesen, verlohren hätte: Nun
befürchtete sie gar sehr ihrer ihrer Mutter Zorn, ließ mich deswegen
durch die Liebe bitten, die ich zu ihr trüge,
ich möchte sie doch jetzund nicht verlassen, sondern ihr 50. Thaler vorstrecken, so wolte sie einen andern Ring dagegen in die Stelle kauffen, ich solte
das Geld zum allerlängsten in vierzehen Tagen gewiß wieder haben.
Ich merckte gar wohl, wohin dieses Gedicht gemeynet war, wüste auch
wohl, daß man solchen Personen lieber etwas verehren soll, als
leihen, weil man doch von einem so viel wieder kriegt, als vom
andern.
Doch durfte ich ihr nichts versagen, und weil ich selber dasmahl
so viel baar Geld nicht hatte, gieng ich hin zu einem guten Freund,
borgte es so lange auf, und gab es der Magd, mit Vermelden, daß ich
nicht gewohnt wäre, Jungfern etwas zu leihen, aber wohl zu geben:
ließ demnach die Jungfer bitten, solche geringe Verehrung von dessen
Händen anzunehmen, der sich, und alle das Seinige, zu ihren Diensten
vorlängst verpflichtet hätte.
Mit solchen und dergleichen Practiquen
brachte sie mich um eine solche Summa Geldes, daß sie sich eine
lange Zeit prächtig davon unterhalten kunte.«
(aus: »Hieronymus
Dürer (1641-1704,"Das Wandelbahre Glück: in einer angenehmen und wahrhafften
Liebes- und Lebens-Geschichte des verkehrten und wieder
bekehrten Tychanders, vorgestellet", Braunschweig, S.19-25 -
gemeinfrei
Worterklärungen:
1 Zähre: Träne
2 Zeitung:
Nachricht
3 Mätze:
Metze = Dirne
4 Lauser:
knickriger Mensch, über alle Maßen sparsam bis zum Geiz
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.02.2022