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Hieronymus Dürer: Tychander (1668) - Textauswahl

« Das 2. Capitel. »

Tychander gerath in ein ruchloses Leben.


FAChbereich Deutsch
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»google books, Ausgabe 1668

In seinem Roman "Das Wandelbahre Glück/ in einer angenehmen und wahrhafften Liebes-  und Lebensgeschichte des verkehrten und wieder bekehrten Tychanders vorgestellet" von » Hieronymus Dürer (1641-1704). einem Hauslehrer und später lutherischen Pfarre und Superintendenten, aus dem Jahr 1668 erzählt der auktoriale Ich-Erzähler Tychander seine Lebensgeschichte. Der moralisierende Unterhaltungsroman war in seiner Zeit sehr erfolgreich und wurde mehrfach wieder aufgelegt.

»Das 2. Capitel.
Tychander gerath in ein ruchloses Leben.

Wie ich nun mein Pennal-Jahr1 mit schlechten Nuzen und noch geringerer Gottesfurcht überstanden, und nun in meinen neuen Studenten-Stand getreten war, fieng ich solchen alsbald gar prächtig an, kleidete mich Fürsten gleich, und spielte sonst in allen Dingen gar weidlich des reichen Mannes, also daß ich, ehe ein Jahr vergieng, über drey tausend Reichsthaler durchbrachte, ausser was ich im Wein-Keller, Seiden-Kram, und andern Orten noch schuldig geblieben. Inzwischen kriegte ich Begierde, nicht immer an einem Orte still zu liegen, sondern mich weiter zu versuchen, verließ deswegen Ober-Teutschland, und reiste den Rhein-Strom abwerts nach »Leiden zu. Sobald ich hier angelanget, fieng ich mein lustiges Leben wieder an, machte mit den vornehmsten Studenten Kundschafft, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Daneben hielte ich mich in Kleidung und allen andern Dingen sehr prächtig, und erlustirte. mich fast täglich mit Spatzierfahrten, und andern derer Orten, gewöhnlichen Ergötzlichkeiten, wodurch ich denn hin und wieder bey dem Frauenzimmer in ziemliche Kundschafft geriethe, deren mir auch ein Theil so artig wuste um das Maul zu gehen, und sich so freundlich und verliebt gegen mich zu stellen, daß ich durch vielfältig Verehren und kostbahre Schenckungen, diesen leichten Personen ein grosses Geld anhienge, welches ich doch nicht groß achtele, weil meine Mutter, die dem Vater, was sie nur konte, heimlich abzwackte, mir das Geld überflüßig zuschickte. Einesmahls war ich in der Kirche, (welche ich nicht zwar aus Andacht, sondern zu sehen und gesehen zu werden, fleißig besuchte) da wurde ich gewahr, indem meine Augen unter dem Frauenzimmer hin und wieder spatzierten, wie ein schönes Weibes-Bild mich zum öfftern mit nur holdseligen Liebes-blicken beschenckte, und daneben zuweilen einen tieff-geholten Seufftzer gehen ließ. Ich, der ich vermeynte, alle Jungfern hatten wegen meiner schönen Kleider ein Auge auf mich geworffen, bildete mir stracks ein, es müsse dieses Mensch eine sonderliche Liebe zu mir tragen; und weil sie sehr prächtig bekleidet war, und ich sie daher vor eine Person von Stand hielte, fieng ich an, Schlösser in die Lufft zu bauen, und mich mit meinen fantastischen Grillen weidlich herum zu balgen. So bald die Predigt zu Ende, die mir mehr als zu lang gedaucht hatte, gab ich fleißig Achtung, zu welcher Kirchen-Thür diese Helena hinaus gieng, und folgte ihr gleich auf dem Fusse nach. Sie, die solches wohl vermerckte, sahe sich je zuweilen um, und winckte mir mit den Augen, daß ich ihr folgen solle. Wir giengen durch etliche Gassen, bis wir zu ihrem Hause kamen, da blieb sie an der Thür stille stehen. Ich war bey mir selber bestürtzt, und wuste nicht, was ich vorbringen, oder auf was Weise ich mich mit ihr in ein Gespräch einlassen solte, welches, als sie es aus meinem blassen Gesichte wohl abnehmen konte, wolte sie mir Ursache geben, und ließ, indem ich zu ihr nahete, einen Handschuh fallen: Hier war ich nicht unbehend, sondern sprang geschwind zu, hub solchen wieder auf, küssete ihn, und reichte ihn ihr mit sonderbarer Höflichkeit. Sie bedanckte sich deswegen mit vielen Complimenten, welche ich gleichmäßig wieder beantwortete; und also wurde der Anfang zu unserm Gespräche gemacht, welches letzlich Anleitung gabe, daß sie mich mit in ihre Behausung nöthigte. Dieses war eben, was ich wünschte, darum ließ ich mich leichtlich darzu erbitten. Wir giengen hinein, satzten uns beyde zusammen nieder, und wurde also fort von der Magd Confekt und Rheinischer Wein aufgetragen. Hier fieng Dolosette, (diß war der Jungfer Nahme) ihre Liebes-Brunst an mir zu entdecken, wie sie nehmlich, als sie mich das erstemahl gesehen, welches schon etliche Wochen wäre, alsobald dermassen durch des Cupido Pfeil wäre getroffen worden, daß sie fast weder Tag noch Nacht Ruhe vor solchen Flammen hätte haben können. Wie manchen Tag, sagte sie, habe ich am Fenster mit hertzlichen Seufftzen, die mit vielen Thranen vergeselschaftet wurden, zugebracht, in Hoffnung, seiner einmahl ansichtig zu werden. Wie hat mich doch allezeit auf den Sonntag verlanget, an welchem ich ihn, wo sonst nirgends, doch in der Kirchen zu Gesicht zu bekommen verhoffte, damit ich doch, weil mir nicht mehr zugelassen war, gleichwohl meine Augen sättigen, und mit dem blossen Anschauen meine Liebe vergnügen mochte! Zwar, es ist meiner Wenigkeit nicht, unwissend, und erkenne gar wohl, daß ich seiner unwürdig bin, gerathe auch nicht gar auf die thorhafftige Gedancken, daß ich mir solte einmahl einbilden, seiner Liebe zu gemessen. Nein, keinesweges! Ich muß nicht mit dem »Ikarus der Sonnen zu nahe fliegen, damit nicht, wenn meine wäxerne Flügel zerschmeltzen, ich gleichmäßigen Fall mit ihn ausstehen müsse. Aber diese glückseligkeit hab ich mir jederzeit gewünscht, die ich nun emmahl geniesse daß ich nur in so weit meine Liebe befriedigen mochte, ich seiner höchst erfreulichen Gegenwart einmahl theilhafftig würde.


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Diese Rede, wiewohl sie mir nur lauter Complimenten zu seyn gedauchte, so bewog sich doch mein Hertz nicht nur ein wenig zu ihrer Liebe, doch ließ ich mich solches noch nicht mercken, sondern ließ sie mit einer geziemenden, doch aus lauter Schrauben gesetzten Antwort vorüber streichen. Wir brachten in solchem Liedes-Gespräch ohngefehr zwo Stunden zu, als sich ein Jubilirer angeben liesse, mit Vermelden, es hätte die Jungfer gestern einen Boten zu ihm gesandt, und etliche Kleinodien zu sehen begehrt. Dolosette ließ ihm wieder sagen: Sie hätte gleich jetzund Fremde bey sich, er möchte sichs nicht verdriessen lassen, morgen um die Zeit wieder zu kommen, so wolle sie mit ihm handeln. Ich merckte wohl, daß dieses eine angelegte Karte wäre, die über meinen Beutel auslauffen würde, und daß diese Jungfer nicht so sehr in meine Person, als in mein Geld verliebt wäre, dessen sie ein gut Theil von mir zu bekommen verhofte. Doch wolte ich nicht unhöflich oder karg angesehen werden, insonderheit weil sie mir durch ihre Schönheit und freundliche Geberden das Haasen-Netz schon über die Ohren geworffen, deswegen sagte ich, sie möchte, wenn ihr beliebte, den Jubilirer nur herein kommen lassen, vielleicht möchte er etwas haben, das mir auch anständig wäre. Er kam herein: Dolosette besahe die Waare, feilschte bald dis, bald jenes, unter andern sahe sie ein paar mit Saphiren versetzte Armbänder, die bot der Jubilirer hundert Reichsthaler. Sie stellte sich, wie ihr diese Armbänder sonderlich wohl gefielen, vornehmlich weil sie zu der blauen Farbe, als welches ihre Liberey wäre, so grosse Belebung trüge; allein der Kauf wäre ihr zu theuer.

Sie stunde bey einer guten halben Stunde, und dünge drüber, bis der Jubilirer verdrossen wurde, seine Waar wieder zu sich nahm, und davon gehen wolte. Ich sagte, er solte verziehen, wären sie der Jungfer zu theuer, vielleicht dürfte ich mit ihm handeln können, und wurde mit ihm um 70. Reichsthaler eins, nahm darauf die Armbänder, und verehrete sie der Jungfer. Sie stellete sich Anfangs, als wenn sie sich treflich weigerte, ein solch Geschencke von mir anzunehmen, ließ sich doch letzlich durch langes Nöthigen zu dem erbitten, wornach sie doch so heftig trachtete. Endlich als der Abend schon herein zu brechen begunte, ließ sie mich, mit Vermelden, daß ihre Mutter nun zu Hause kommen würde, nach vielen abgelegten Höflichkeiten und hoher Betheurung ihrer Liebe, benedenst einem freundlichem Kusse, (das wars, was ich das mahl vor meine 70. Thaler erworben ) wieder von sich. Sie war nicht wenig froh, daß sie mit so geringer Mühe eine solche Verehrung bekommen: ich aber noch viel froher, daß ich einer so schönen Jungfer Huld, wie ich mir einbildete, erlanget hätte. Nachdem ich zu Hause gekommen, und mich niedergeleget hatte, fieng ich an der Dolosetten schöne Gestalt, holdselige Gebärden und hohe Liebes-Bezeugung bey mir zu erwegen, welches alles ich mir weit grosser einbildete, als es an sich selber war, derowegen ich dis gantze Nacht kein Auge zuthun kunte, sondern plagte mich mit diesen Grillen, bis an den lichten Morgen. Welcher, als er kaum angebrochen war, da erhub ich mich wieder aus den Federn, putzte mich, als wenn ich zur Hochzeit gehen wolle, und spatzirete einmahl oder drey vor Dolosetten Haus vorüber, welche, solches wohl vermerckende, sich auch letzlich am Fenster einmahl zeigte, da ich so bald meinen Huth erwischte und einen so küssen Reverentz gegen ihr machte, als wenn es die Römische Kayserin selbst gewesen wäre. Sie danckte mir mit einem freundlichen lieb-lächlendem Gesichte und tieffer Neigung des Haupts hinwider, und schickte mir ihre Magd auf dem Fusse nach, ließ mir nächst freundlicher Begrüssung anzeigen, wie hertzlich sie wünschte meiner so hochbeliebten Gegenwart ein paar Stunden zu geniessen: allein weil sich solches jetzund nicht schicken könte, angesehen ihre Mutter eben zu Hause wär, als ließ sie mich gar höchlich bitten, ihr nicht zu verargen, daß es biß auf gelegnere Zeit müsse verschoben bleiben, daneben mich bey allen Heiligen versichernde, daß ihre Liebe, als welche nicht absondern täglich zunähme, keinem andern als mir ergeben bliebe. Ich bedanckke mich dessen gebührend, ließ ihr, nächst höflicher Antwort, meine untergebenste Dienste, und bis in den Tod beständige Liede, wieder vermelden, verehrte der Magd einen Ducaten, und gierig mit solchen Freuden nach Hause, als wenn ich den Stein der Weisen oder des Furtunatens Glücks-Beutel erlanget hätte [...]«

(aus: »Hieronymus Dürer (1641-1704,"Das Wandelbahre Glück: in einer angenehmen und wahrhafften Liebes- und Lebens-Geschichte des verkehrten und wieder bekehrten Tychanders, vorgestellet", Braunschweig, S.13 - 19 - gemeinfrei

Worterklärungen:

1 Pennal-Jahr: Nach der Aufnahme in eine Universität mit ▪ Immatrikulation und ▪ Deposition galten die Neulinge an der Universität in ihren Landsmannschaften etwas mehr als ein Jahr lang als Pennäler, die noch nicht als vollständige Studenten von den älteren Studenten, den Schoristen, angesehen wurden; Pennäler mussten diesen auf vielfältige Weise zu Diensten sein, wurden schikaniert und immer wieder ausgenutzt, ehe sie per Absolution "freigesprochen" wurden und selbst Schoristen sein durften. Dieses System wird auch als ▪ Pennalismus bezeichnet.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 23.12.2023

    
   Arbeitsanregungen:
  1. Fassen Sie den Inhalt des Kapitels knapp zusammen.
  2. Welche Strategie verfolgt Dolosette?
  3. Wie reagiert Tychander darauf?
 
 
 

 
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