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books, Ausgabe 1668
In seinem Roman "Das
Wandelbahre Glück/ in einer angenehmen und wahrhafften Liebes-
und Lebensgeschichte des verkehrten und wieder bekehrten Tychanders
vorgestellet" von
» Hieronymus Dürer (1641-1704). einem Hauslehrer und später
lutherischen Pfarre und Superintendenten, aus dem Jahr 1668 erzählt
der auktoriale Ich-Erzähler Tychander seine Lebensgeschichte. Der
moralisierende Unterhaltungsroman war in seiner Zeit sehr
erfolgreich und wurde mehrfach wieder aufgelegt.
Das 4. Capitel.
Der Todes-Fall seine Vaters bringt ihn wieder Verhoffen in Armuth.
Findet keinen Freund, der ihme mit Geld an die Hand gienge.
Als ich vorgehörter massen mein Leben mit Löffeln
und Pancketiren1 in lauter Wollust und Üppigkeit zubrachte, kriegte
ich unversehens eine traurige Zeitung2 von Hause, wie mein Vater den
Weg alles Fleisches wäre gegangen. Diese ungesaltzene Zeitung machte
mich mächtig bestürtzt, und verrückt das Ziel meiner Gedancken nicht
ein wenig.
Doch hofte ich, es würde sonsten ausser diesem Fall das
andre noch alles wohl stehen, nahm mir deswegen vor, eine Reise nacher Hause zu thun, und alles in gute Richtigkeit zu bringen.
In
solcher Meynung schrieb ich meiner Mutter, sie mochte mir eine Summa
Geldes zu der Reise übermachen. Aber meine Hoffnung hatte mich weit
betrogen. Kein Unglück ist allein, und geschieht gar selten, daß
das
Glück, wenn es einmal ausgeschlagen, es bey einer Ohrfeigen bewenden
läßt.
Meine
Mutter schrieb mir einen gar kläglichen Brief wieder
zurücke, in weichem sie mich mit vielen wehmüthigen Worten
verständigte, wie es jetzund mit ihr in einem viel andern Zustand
gerathen wäre;
sintemahl die Gläubiger nach des Vaters Tod in die
Güter gegriffen, und alles sogar zu sich gerissen, daß ihr von allem
kaum das Hemde übrig geblieben: wiewohl dessen ungeachtet die Helffte
solcher Schuld noch kaum damit bezahlet worden.
Ermahnte mich
demnach meiner kindlichen Treue, daß, weil sie mir so lange
geschickt, und immer gehofft ich hätt, meiner Zusage nach, vor
solches Geld sollen Doktor geworden seyn, solches aber nicht
erfolget wäre: so solle ich nun zusehen,
wie ich am besten nach Hause kommen könte, und etwa einen Advocaten
suchen abzugeben, damit ich
sie, die sonst von allen Menschen
verlassen wäre, in ihrem Alter wieder möchte ernehren, angesehen ich
nicht die geringste Ursache solches Unfalls gewesen,
als der ich so
viel Tausend auf Universitäten Jährlich hätte durchgebracht.
Mit was Bestürtzung ich solche Zeitung vernommen, ist diese Feder
viel zu wenig zu beschreiben. Ich fiel Anfangs in eine Ohnmacht
nieder, in welcher ich eine gute Stunde ohn eintziges Lebens-Zeichen
lage.
Als ich aber wieder zu mir selber kam, kunte mir kein Mensch
einen Trost einsprechen, sondern ich fiel gantz in Verzweiflung, und
faßte mir vor, an mich selber gewaltsame Hand zu legen, hätte auch
solche teuflisch Eingeben zu Werck gesetzt, wenn mich nicht die
Liebe, so ich zu meiner Mutter truge, davon hätte abgehalten, indem
es mich allzu hefftig jammerte, sie ohne diß mehr als zu sehr
Betrübte, in gedoppeltes Hertzeleid zu setzen.
Als nun ein Wochen
oder vier verflossen waren, und der erste Schmertz durch Langheit
der Zeit sich in etwas gemindert hatte, bedachte ich mich,
wie ich
meine Sachen nun angreiffen wolte, damit ich meinen Unterhalt ins
künftige finden, und auch meiner armen verlassenen Mutter in ihrem
Elend möchte behülflich seyn. Ich hätte ihrer Vermahnung gerne
gefolget, und mich nach meinem Vaterland zugemacht:
aber einen Advocaten abzugeben, befand ich mich zu unvermögend, sintemahl ich
mein Tage mehr in die Gläser, als in die Bücher gesehen, und nicht
viel Zeit auf das Studiren gewandt hatte. Deswegen nahm ich mir in
meinen Sinn,
mich in die Welt zu begeben, und mein Heil zu
versuchen, ob ich etwan bey einem vornehmen Herrn
vor einen geheimen
Schreiber ankommen könte.
Aber was das ärgste war: ich hatte kein
Geld. Besann mich doch, meine alte Bekandten,
gute Freunde und
Zech-Brüder anzusprechen, weil ich vermeynte, sie würden von meinen
Unfall noch nichts wissen,
daß sie mir mit etwas Geld möchten
behülflich seyn. Ich ging zu einem meiner Lands-Leute, bate
denselben, er möchte mir 20. Thaler auf etliche Wochen vorstrecken,
mein Wechsel bliebe aussen, und ich besorgte,
es möchte allerhand
Unrichtigkeit, der Erbtheilung wegen, zu Hause vorfallen, daß ich also des Wechsels
nicht abwarten könte, sagte ihm daneben zu, so bald ich zu Hause
käme, ihm solches Geld unfehlbar wieder zu übermachen.
Er aber, der
schon erfahren hatte, wie es mit mir anjetzo stünde, hub höhnisch an
zu lachen, und sagte: Mein lieber Bruder, du darfst dich der Erbtheilung wegen nicht bekümmern: denn dieselbe ist ohnedem Zuthun
schon längst gemacht worden: Kanst du deswegen wohl hier bleiben, wo
nur anders dein Wechsel folgen will, ich halte aber, er werde
dißmahl was lange aussen bleiben.
Daß du aber von mir Geld zu borgen
begehrest, der Mühe hättest du dich wohl entschlagen mögen, denn gewißlich, wenn du keines hast, wirst du wenig von mir bekommen. Ich
kan mein Geld viel besser selbst anlegen, als daß ichs dir geben
solte, denn ichs doch wohl weiß, daß du mir nichts wieder geben
kanst.
Denke nur nicht, daß mir die Bewandtniß deines übergrossen
Reichthums so gar verborgen sey, ich habe es schon gehöret. Ich
wurde über dieser höhnischen Antwort zugleich betrübet und erzürnet,
und hätte ihn gerne an den Hals geschlagen: allein mein Zustand war dasmahl also beschaffen, daß ich Gedult schmeltzen muste: [...] Als
ich sahe, wie ich hier nichts ausrichten konte, gieng ich mit
betrübtem Gemüthe hertzlich in mich selbst erseuftzende davon,
nach
einem meiner alten Schluck-Brüder, welcher manche Kanne Rheinischen
Wein mit mir abgestochen hatte und bäte ihn, gleichwie den vorigen.
Der fing an, mir ein Hauffen unnützer Worte zu geben [...] Viel
lieber hätte ich ihm den Degen über diese Worte zwischen die Ohren
gelegt, als weiter Worte mit ihm gewechselt: aber die ungewohnte Armuth hatte mich schon blöde und demüthig gemacht. [...]«
(aus: »Hieronymus
Dürer (1641-1704,"Das Wandelbahre Glück: in einer angenehmen und wahrhafften
Liebes- und Lebens-Geschichte des verkehrten und wieder
bekehrten Tychanders, vorgestellet", Braunschweig, S.25-29 -
gemeinfrei
Worterklärungen:
1 pancketieren:
h. für bankettieren = bei Tag und Nacht schwelgen
2 Zeitung:
Nachricht
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023