Essays sind als schulische Schreibform mittlerweile auch
im Unterricht angekommen
und haben selbst Eingang in Prüfungen, insbesondere auch
Abiturprüfungen,
gefunden. Auch wenn Handreichungen in der Lehrerfortbildung (z.B. »Handreichungen
des baden-württembergischen Landesinstituts für Erziehung und Unterricht
LEU, 2004) und andere von Schulbuchverlagen herausgegebene Lehr- und
Lernmittel die methodisch-didaktischen Grundlagen für die Behandlung der
Schreibform in der Schule darstellen und entsprechend bekannt machen sollen,
existieren Unklarheiten über die Schreibform bei Lehrkräften und Schülern
weiterhin.
Die anstehenden methodisch-didaktischen
Herausforderungen im Umgang mit der neuen schulischen Schreibform sind
also nicht gerade gering, wenngleich sich der Lerngegenstand Essay in der
Sekundarstufe II mit einem klaren Bezug zu den
»Bildungsstandards für das Fach Deutsch legitimieren lässt. (→Bezug zu den Bildungsstandards, Ba-Wü)
Der Essay als Aufgabentyp in der schriftlichen Abiturprüfung
(Baden-Württemberg)
In der schriftlichen
Abiturprüfung in Baden-Württemberg wird die neue Aufsatzform Essay als
Aufgabentyp IV ab 2014 verbindlich an beiden Arten des Gymnasiums,
allerdings mit einer z. T. unterschiedlichen
Arbeitsaufgabe, eingeführt.
So gehört zur Aufgabenstellung für den
Essay auf der Grundlage eines Dossiers
an den Beruflichen Gymnasien "zunächst die Bearbeitung des Dossiers, die
sich in Form von
Abstracts als Ergebnis niederschlägt." (Beringer
u. a. 2004, S.2), während im Allgemeinbildenden Gymnasium darauf
verzichtet wird. Der neue
Aufgabentyp IV "Verfassen eines Essays auf der Grundlage
vorgelegter Materialien (Dossier)"
ersetzt im schriftlichen Abitur damit Aufgaben zur
literarischen Erörterung und zur
Gestaltenden Interpretation (→Kreatives
Schreiben).
Das zuständige baden-württembergische Ministerium hat in
seinem
»Schreiben vom 16.04.2008 zur "Weiterentwicklung der schriftlichen
Abiturprüfung im Fach Deutsch an allgemein bildenden und beruflichen
Gymnasien" zu den Anforderungen, die das Verfassen eines Essays auf der
Grundlage vorgelegter Materialien (Dossier) verlangt, ausgeführt:
"Den Schülerinnen und Schülern werden zu einer vorgegebenen Thematik
und einer entsprechenden Arbeitsanweisung Materialien zur Verfügung
gestellt, die eine Wissensbasis vermitteln. Bei den Materialien handelt
es sich primär um Sachtexte, es können auch literarische Texte oder
Statistiken, Tabellen, Schaubilder, grafische und bildliche
Darstellungen sein. Der Essay vereint sachliche und kreative
Darstellungsformen - berichtende, erörternde, beschreibende sowie
schildernde und erzählende Elemente fügen sich zu einem Ganzen. Der
Essay ist nicht mit der
Erörterung
zu verwechseln, auch wenn er sich
argumentativer
Verfahren bedient. Er ist offener angelegt, aspektorientiert, eher
gedanklich verzweigt als linear oder dialektisch ausgeprägt. Sprachlich
erfordert der Essay differenzierte Mittel wie etwa
Pointen,
Metaphern,
Klimax,
Wortspiele
und Ironie."
(Schreiben des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg v.
16.04.2008; Links eingefügt durch d. Verf.)
Auch wenn sich in dieser knappen Zusammenfassung die allgemeine
Definitionsproblematik im Falle des
Essays im
Allgemeinen und als
schulische Schreibform widerspiegelt, werden doch wichtige Hinweise für
essayistisches Schreiben in der Schule gegeben. Dessen ungeachtet können
auch die methodisch-didaktischen Probleme eines für diese Schreibform
nötigen Essayunterrichts nicht einfach kleingeredet werden.
"Ich schreibe halt einfach so wie immer" - Trügerische Schülerstrategien für
den Essay
Wer heute einen Blick in Blogs und Foren im
Internet wirft, wird, wenn er sich auf die Suche nach Einträgen zum Thema
Essay macht, immer noch auf eine tiefgehende Ratlosigkeit stoßen, die viele
Textproduzenten überfällt, wenn sie einen Essay schreiben sollen. "Ich
schreibe halt einfach so wie immer", lautet mitunter die Antwort, die
Schüler oder Studenten auf einen Hilferuf erhalten.
Kein Wunder, dass auf der Grundlage solcher Einschätzungen einfach irgendwie
weiter erörtert wird. (→Essay und Erörterung)
Wenn dann noch aus
beredtem Munde bestätigt wird, was so manchen Schüler beim
Drauflossschreiben bei
Aufsätzen umtreibt, dann ist die Verwirrung besonders groß. So wird in der für den Schulunterricht produzierten "Essaywerkstatt" (Hertweck/Langermann/Wuttke
2010, S.6) das folgende Zitat von »Hans
Magnus Enzensberger (geb.1929) (ZEITmagazin v. 12.8.2010, S.13)
verwendet, um die Schwierigkeiten bei der Definition des Begriffes zu erläutern.
Enzensberger führt dazu aus: "Ich verstehe darunter einen diskursiven Text,
bei dem ich am Anfang noch nicht weiß, was am Schluss dabei herauskommt. Es
kommt, wie der Name schon sagt, auf den Versuch an."
Auch wenn damit
keineswegs intendiert ist, einer
Schreibstrategie für Schüler
bei der Produktion von Essays das Wort zu
reden, einfach
aus dem
Bauch oder "einfach mal draufloszuschreiben", nähren solche Äußerungen eben
doch solche Vorstellungen. Solange die Orientierung an erörternd-analysierenden oder
interpretierend-analysierenden Schreibformen maßgebend ist, wird es das
essayistisches Schreiben in der Schule, das eben
auch auf personal-kreativen Voraussetzungen beruht, nicht gerade einfach
haben.
Essayistisches Schreiben in der Schule
Auch wenn die Definitionsproblematik, die mit dem Genre Essay
grundsätzlich verbunden ist, auch Auswirkungen auf die präzise Beschreibung
der Anforderungen für den schulischen Essay haben muss, ist die Orientierung an einer
normativen, eng gefassten, regelorientierten Definition einer "Schulform"
des Essays und der Versuch einer zweifelsfreien Zuordnung von
Textproduktionen zum Genre, sowohl bei der
rezeptiven als auch produktiven
Essayarbeit in der Schule wenig hilfreich.
Dennoch ist der schulische Essay, insbesondere wenn er als
Aufgabentyp in der schriftlichen Abiturprüfung oder auch einfach als
Schreibform bei Klausuren auftaucht (s.o.)
auch an Bewertungskriterien zur
Leistungskontrolle zu binden, die eine möglichst transparente und vor allem
einheitliche Benotungspraxis schulischer Essays ermöglichen, die, und dies
auch im Vergleich mit den Anforderungen der anderen
Aufgabentypen, den an die Bewertung von schriftlichen Abiturarbeiten
"gestellten Ansprüchen, Präzision und Verallgemeinerung betreffend" (Ulmer
2012, S.15) irgendwie standhalten muss. (→Bewertungskriterien)
Aus diesem Grunde hat
Stadter (2003/2004, S.37) auch zu Recht vorgeschlagen, statt "Schreiben
von Essays" den Terminus "essayistisches
Schreiben" zu verwenden, da dieser "die Vielfalt des Genres"
andeute, "das durch seine Nähe zu Feuilleton, Charakteristik,
Interpretation, Fachaufsatz, Reisebeschreibung, Predigt usw. zahlreiche
Schreibaufgaben ermöglicht." Zugleich betont sie auch, dass dieses "am
Schreibhandeln orientierte Konzept die Schülertexte vor übersteigerten
Erwartungen, die auf elitären Ansprüchen an den Essay beruhen", bewahren
kann. (ebd.)
Diese Position wird auch von
Hertweck/Langermann/Wuttke (2010, S.25) unterstützt, welche die
"experimentelle Art, sich dem Gegenstand zu nähern und ihn aus verschiedenen
Perspektiven zu betrachten" als strukturbildendes Merkmal des "Denkversuchs"
Essay ansehen, der in der Methode essayistischen Schreibens münde, bei der
es vor allem auf das "Entwickeln der Gedanken vor den Augen des Lesers"
ankomme. Dabei müssen, so die Autoren, vom Verfasser eines Essays vor allem
die folgenden "Eckpunkte" beachtet werden:
- Das Thema des Essays muss von Anfang an klar ersichtlich
sein und sich wie ein roter Faden durch den gesamten Text
hindurchziehen.
- Gestaltungsmittel des Essays (assoziative Gedankenführung,
Wechsel der Perspektiven, subjektive Sicht, Durchspielen von
Möglichkeiten) müssen funktional dazu dienen, Reaktionen und Denkanstöße
bei dem jeweiligen Leser auszulösen
Eine Didaktik und Methodik des essayistischen Schreibens, das die
besonderen Qualitäten der Schreibform im Rahmen der Kompetenzentwicklung ins
Auge fasst, muss das personal-kreative als auch das argumentativ-diskursive,
sowie das ästhetische Potential der Schreibform entfalten. Dazu gehören u. a.
(vgl. Stadter (2003/2004, S.41ff.)
-
die frühzeitige, schon in der Primarstufe einsetzende und in der
Sekundarstufe I fortzuführende, fächerübergreifende Schreibförderung und
das Einüben unterschiedlicher Schreibrollen
-
"die Einsicht, dass Schreiben etwas mit der Persönlichkeit, den
Erfahrungen und der Sprache des Verfassers zu tun hat" (ebd.,
S.42)
-
offen gestaltete Lernumgebungen, bei denen die schnelle
Stoffvermittlung nicht im Zentrum steht
-
individuelle Betreuung und Beratung durch die jeweilige Lehrkraft
bzw. einen Schreibtrainer
In einer "Sphäre der Ermutigung", wie dies offenbar beim essay-writing
in Großbritannien der Fall ist, sind die Lehrkräfte besonders gefragt. Sie
funktioniert sie dort letzten Endes nicht nur deshalb, "weil Lehrer und
Lehrerinnen selber gerne und gut schreiben, weil sie ausgiebige Korrekturen
und Beratungen leisten und weil Schreiben nicht nur im muttersprachlichen
Unterricht, sondern auch in den übrigen Fächern praktiziert und also solches
entwickelt und bewertet wird." (ebd.,
S.41) Eine Reihe wohlgemeinter Aufforderungen, so möchte man anfügen, die
angesichts des Belastungsprofils deutscher Lehrerinnen und Lehrer wohl nicht
ohne Weiteres Realität werden können. Wenn heutzutage nicht einmal das "
argumentative Prüfungsschreiben" hinreichend geübt wird, bleiben solche
weitreichenden Überlegungen leicht auf der Strecke.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023