Thomas Hobbes (1588-1679), Sohn
eines Landvikars und einer Bauerstochter aus einfachsten Verhältnissen,
ist einer der wichtigsten geistesgeschichtlichen Vertreter der
Aufklärung.
Sein Menschenbild, "das bis heute als Inbild pessimistischer
Anthropologie" (Schneider 1995b, S.393) und seine Auffassungen von Staat
und Gesellschaft hat er 1651 in seiner berühmten Schrift Leviathan
dargelegt. Der Titel des Werkes, das an das Ungeheurer im Buch Hiob,
3,40-41 erinnern soll, ist ein Bild für die menschliche Gesellschaft, so
wie sie sich Thomas Hobbes vorgestellt hat. Ausgangspunkt der
Überlegungen von Hobbes ist eine Art Gedankenexperiment, was wäre, wenn
plötzlich keine staatliche Gewalt mehr existierte. Was das bedeuten
konnte, hatte England in den Wirren des Bürgerkrieges, nach der
Enthauptung Karl I. (1649) und der Diktatur Cromwells erleben müssen:
Chaos, Willkür und Zügellosigkeit.
Der Naturzustand des Menschen: Krieg aller gegen alle
»Thomas
Hobbes (1588-1679)
leitet die Notwendigkeit einer
übergeordneten Macht, des Leviathan, aus den unveränderlichen
Triebstrukturen des Menschen ab. Diese ließen die Menschen ohne jede moralisch-sittliche
Überzeugung stets danach trachten, den eigenen Vorteil zu
suchen.
In einem bloß gedachten, vorstaatlichen Zustand, der Menschen,
dem Naturzustand, müsse daher seiner
Überzeugung nach eine von Machtstreben und
Konkurrenzverhalten bestimmte Anarchie herrschen. Hier führten die Menschen
auf Gedeih und Verderb einen
"Krieg aller gegen alle“ (bellum omium contra omnes).
"Die Menschen sind von Natur aus gleich, sowohl in ihren körperlichen als
auch in den geistigen Anlagen. Es mag wohl jemand erwiesenermaßen
stärker sein als ein anderer oder schneller in seinen Gedankengängen,
wenn man jedoch alles zusammen bedenkt, so ist der Unterschied zwischen
den einzelnen Menschen nicht so erheblich, dass irgendjemand Veranlassung
hätte, sich einen Anspruch daraus herzuleiten. Man nehme nur die
Körperstärke: Selbst der Schwächste ist stark genug, auch den
Stärksten zu vernichten; er braucht sich nur einer List zu bedienen oder
sich zu verbinden mit anderen.[...]
Dieser Gleichheit der Fähigkeiten entspringen die gleichen Hoffnungen,
ein Ziel zu erreichen. So werden zwei Menschen zu Feinden, wenn beide zu
erlangen versuchen, was nur einem von ihnen zukommen kann. Um ihr Ziel zu
erreichen (welches fast immer ihrer Selbsterhaltung dient, nur selten
allein der größeren Befriedigung ihrer Bedürfnisse), trachten sie
danach, den anderen zu vernichten oder untertan zu machen. Und der
Angreifer selbst ist wieder durch andere gefährdet. Die Folge dieses wechselseitigen Argwohns ist, dass sich ein jeder um
seiner Sicherheit willen bemüht, dem anderen zuvorzukommen. So wird er
sich so lange gewaltsam oder hinterrücks des anderen zu bemächtigen
suchen, bis ihn keine größere Macht mehr gefährden kann. Das verlangt
nur seine Selbsterhaltung und wird deshalb allgemein gebilligt. Schon weil
es einige geben mag, die bestrebt sind, aus Machtgier und Eitelkeit mehr
an sich zu reißen, als zu ihrer Sicherheit notwendig wäre. Die aber, die
glücklich wären, sich in schmalen Grenzen zu begnügen, würden schnell
untergehen, wenn sie sich - ein jeder für sich - verteidigen würden und
nicht danach trachteten, durch Eroberungen ihre Macht zu vergrößern.
Folglich muss dem Menschen die Ausweitung seiner Macht über andere, zu
der ihn sein Selbsterhaltungstrieb zwingt, erlaubt sein. Das Zusammenleben ist den Menschen also kein Vergnügen, sondern schafft
ihnen im Gegenteil viel Kummer, solange es keine übergeordnete Macht
gibt, die sie alle im Zaum hält. [...] Er wird dabei so weit gehen, wie
er es wagen darf - was dort, wo es keine Ordnungsgewalt gibt, zur
wechselseitigen Vernichtung führt.
" (aus: Thomas Hobbes, Leviathan, XIII, Kapitel, zitiert
nach: Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft, Band 6,
herausgegeben von Peter Cornelius Mayer-Tasch, Reinbek 1965, S. 96 ff.)
Hobbes ist von dieser Annahme so felsenfest überzeugt, dass er im Stil
mathematischer Axiome den vielzitierten Satz formuliert: "Der Mensch ist
für den Menschen ein Wolf“ (homo homini lupus)“
Für die
Zeitgenossen kann das wohl kaum drastischer ausgedrückt werden, denn der
Wolf gilt schon seit jeher als wesensverwandt mit dem Abgründig-Bösen. (Metzler
Lexikon literarischer Symbole 2008, S.426)
Mit seinem
allegorischen Satz bringt Hobbes zum Ausdruck, dass
der Mensch letzten Endes stets vor dem Menschen geschützt werden müsse.
So kann es
seiner Überzeugung nach in einem vorstaatlichen Zustand weder
persönliche Sicherheit noch Sicherheit von Eigentum geben, solange
jeder sich zur Befriedigung seiner Bedürfnisse- im Sinne der
Selbsterhaltung - an Leib und Leben sowie Hab und Gut des jeweils
anderen bedrohen kann. Denn, das ist die Logik, im Naturzustand ist ein
solches Verhalten durchaus folgerichtig.
"Wie im letzten Kapitel gezeigt worden ist, befindet sich der Mensch in dem
Zustand des Krieges aller gegen alle. Jeder wird nur von seiner eigenen
Vernunft geleitet und es gibt nichts - so man es nur in den Griff bekommt
- was einem nicht dabei helfen könnte, sein Leben vor seinen Feinden zu
schützen. So hat dann in einer solchen Lage jeder ein Recht auf alles,
selbst auf das Leben seiner Mitmenschen. Und folglich kann es keine
Sicherheit für den Menschen geben (er mag noch so stark oder klug sein),
sich in der Zeit seines Lebens, die ihm die Natur im Allgemeinen schenkt,
zu erfreuen, solange dieses natürliche Recht eines jeden auf alles
besteht. Als eine Vorschrift oder allgemeine Regel der Vernunft hat daher
zu gelten: Jeder Mensch suche Frieden, solange er hoffen kann, dieses Ziel
zu erreichen, und nehme allen Nutzen und Vorteil eines Krieges wahr, wenn
du zu keinem Frieden gelangen kannst. Die erste Hälfte dieser Regel ist
das erste und wichtigste Naturgesetz, nämlich: Suche Frieden und bewahre
ihn. Die zweite Hälfte besagt: Verteidige dich, ganz gleich auf welche
Art, und schließt somit jegliches Naturrecht in sich. Auf dieses erste
und grundlegende Naturgesetz, welches den Menschen befiehlt, nach Frieden
zustreben, gründet sich das zweite: Zur Erhaltung des Friedens und zu
ihrer eigenen Verteidigung sollen alle Menschen - sofern es ihre
Mitmenschen auch sind -, bereit sein, ihrem Recht auf alles zu entsagen
und sich mit dem Maße an Freiheit zu begnügen, das sie bei ihren
Mitmenschen dulden... " (aus: Thomas Hobbes, Leviathan, XIII, Kapitel, zitiert
nach: Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft, Band 6,
herausgegeben von Peter Cornelius Mayer-Tasch, Reinbek 1965, S. 102 f.)
Der Staat als "Leviathan"
Im Naturzustand gibt es also keinen Frieden und keine Macht, die den Frieden
unter den Menschen garantiert. Trotzdem können Menschen, die im
Naturzustand leben, durchaus Verträge und Vereinbarungen untereinander
schließen, um dem Krieg aller gegen alle zu entkommen.
Solange diese
Verträge aber nicht von einer Macht garantiert und durchgesetzt werden
können, sind sie äußerst anfällig und erweisen sich schnell als brüchig.
Daher muss eine höhere, den
Menschen übergeordnete Instanz geschaffen werden, die soviel Macht
besitzt, dass sie die vernünftigen Vereinbarungen und
Gesetze auch gegen die divergierende Einzelinteressen durchsetzen kann und
ihre Nichtbefolgung entsprechend sanktioniert.
Soll der Weg aus dem
Naturzustand in den Gesellschaftszustand gelingen, setzt dies allerdings
voraus, "dass die anderen Menschen diese Absicht nicht ausnutzen,
sondern sich ihr anschließen.
Selbst wenn dies gewährleistet ist,
erscheint es ihm in Anbetracht der menschlichen Natur wenig ratsam, es
bei einem informellen oder vertraglich vereinbarten Naturrechts-Verzicht
zu belassen. Denn da die Naturgesetze den »natürlichen Leidenschaften
zuwiderlaufen« und die Menschen mehr ihren Leidenschaften als der
Vernunft folgen, besteht die Gefahr, dass sie bei sich bietender
Gelegenheit um eines kurzfristigen Vorteils willen jene
Verzichtsvereinbarung übertreten.
Um dies zu vermeiden, ist es notwendig
[...], die Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen durch die
Androhung von Strafe zu sichern. Und um dies zu realisieren, muss bei
Vertragsabschluss eine Instanz geschaffen werden, die berechtigt und
befähigt ist, eventuelle Vertragsbrüche zu ahnden. Der »einzige Weg« zur
Schaffung einer solchen Instanz [...] besteht darin, »alle Macht und
Stärke auf einen Menschen zu übertragen oder auf eine Versammlung von
Menschen, die durch die Pluralität der Stimmen den Willen aller auf
einen Willen reduziert« [Hobbes, Leviathan]. Geschieht dies und
vereinigt sich die Menge in »einer Person«, so entsteht damit die
Gesellschaft, der »sterbliche Gott« und große »Leviathan«."
(Opitz 1977, S.687)
"Die Menschen sind von Natur aus gleich, sowohl in ihren körperlichen als
auch in ihren geistigen Anlagen… Man nehme nur die Körperstärke:
selbst der Schwächste ist stark genug, auch den Stärksten zu vernichten;
er braucht sich nur einer List zu bedienen [...] Dieser Gleichheit
entspringen die gleichen Hoffnungen, ein Ziel zu erreichen. Das Zusammenleben ist den Menschen also kein Vergnügen, sondern schafft
ihnen im Gegenteil viel Kummer, solange es keine übergeordnete Macht
gibt, die sie alle im Zaume hält… So sehen wir drei Hauptursachen des
Streits in der menschlichen Natur begründet: Wettstreben, Argwohn und
Ruhmsucht [...]. Und hieraus folgt, dass Krieg herrscht, solange die Menschen miteinander
leben ohne eine oberste Gewalt, die in der Lage ist, die Ordnung zu
bewahren. Und es ist ein Krieg, den jeder Einzelne gegen jeden Einzelnen
führt… In einem solchen Zustand gibt es keinen Fleiß, denn seine
Früchte werden ungewiss sein, keine Bebauung des Bodens, keine
Schifffahrt, keinerlei Einfuhr von überseeischen Gütern, kein
behagliches Heim [...] Statt dessen: ständige Furcht und die drohende
Gefahr eines gewaltsamen Todes.
" (aus: Thomas Hobbes, Leviathan, Reinbek bei Hamburg
1965, Kap. XIII.)
Der Gesellschaftsvertrag
Nur die Androhung und Verhängung von Strafen
garantieren damit also letzten Endes den Frieden oder den Menschen. Die
Macht, die solches leisten kann, muss an einen Souverän übertragen
werden, den eine Gemeinschaft im Naturzustand per Vertrag bestimmen kann
und dem sie sich unterwirft. Dadurch verlässt sie den Naturzustand und
tritt in den Zustand ein, den ein solcher
Gesellschaftsvertrag regelt.
Hobbes " vereint hier zwei
Hauptrichtungen in der Entwicklung des Gesellschaftsvertrags: Die freien
Individuen im Naturzustand vereinen sich zu einer Gesellschaft durch einen
Vertrag und unterwerfen sich einer Macht, die sie alle fürchten müssen
und die sie voreinander schützt. Die Pflichten der Untertanen und die
Rechte des Souveräns können aus dem Gesellschaftsvertrag abgeleitet
werden. Der Souverän hat Recht zu allem, was die Wahrnehmung seiner
Funktion erfordert: Er kann Gesetze erlassen, richten, strafen, Steuern
eintreiben, ein Heer ausrüsten, die öffentlichen Äußerungen
zensurieren und sogar nicht-gesetzliche Handlungen vornehmen. Den
Untertanen obliegen die entsprechenden Pflichten, solange der Souverän
ausreichend Macht hat, sie zu beschützen. - H. ist Anhänger der
absoluten Monarchie, d. h. eines Alleinkönigtums; er behauptet jedoch
nicht, dass der Charakter und Zweck des Gesellschaftsvertrags an sich eine
solche Regierungsform notwendig macht." (Philosophielexikon / Rowohlt-Systhema)
Aus diesem Grund hebt
(Opitz 1977, S.687) auch hervor, dass Hobbes "dem Souverän, der diesen
sterblichen Gott »trägt« und seine »künstliche Seele« bildet,
absolute
Macht zuspricht. Denn nur wenn er über diese Macht verfügt, wenn er
Oberbefehl und Steuerbewilligungsrecht, exekutive, legislative und judikative
Gewalt ungeteilt in seinen Händen hält, ist er in der Lage, den
menschlichen Wolf zu zähmen und den inneren Frieden zu verteidigen. Er
ist es, der mit seinen Gesetzen erst das Recht und Gerechtigkeit
schafft; gegen sein Recht gibt es keine legitime Auflehnung und gegen
seine Herrschaft keinen gerechtfertigten Widerstand."
"Der alleinige Weg zur Errichtung einer solchen allgemeinen Gewalt, die in
der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseitigen
Übergriffen zu schützen und ihnen dadurch eine solche Sicherheit zu
verschaffen, dass sie sich durch eigenen Fleiß und von den Früchten der
Erde ernähren und zufrieden leben können, liegt in der Übertragung
ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung
von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen
reduzieren können. Das heißt so viel wie einen Menschen oder eine
Versammlung von Menschen bestimmen, die deren Person verkörpern sollen,
und bedeutet, dass jedermann alles als eigen anerkennt, was derjenige […]
tun oder veranlassen wird, und sich selbst als Autor alles dessen bekennt
und dabei den eigenen Willen und das eigene Urteil seinem Willen und
Urteil unterwirft. Dies ist mehr als Zustimmung oder Übereinstimmung: es
ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch
den Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam.[…] Ist dies geschehen,
so nennt man diese zu einer Person vereinigte Menge Staat, auf lateinisch
"civitas". Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder
besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem
wir unter dem unsterblichen Gott unsern Frieden und Schutz verdanken. Denn
durch diese ihm von jedem Einzelnen im Staate verliehene Autorität steht
ihm so viel Macht und Stärke zur Verfügung, dass er durch den dadurch
erzeugten Schrecken in die Lage versetzt wird, den Willen aller auf
gegenseitige Hilfe gegen auswärtige Feinde hinzulenken. " (aus: Thomas Hobbes, Leviathan, Reinbek
bei Hamburg 1965, Kap. XVII)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.12.2024
|