Was man unter einer
• Revolution versteht, scheint mitunter Ansichtssache,
so unterschiedlich wird der Begriff verwendet und in so verschiedenen
Kontexten tritt er in Erscheinung. Allerdings, darauf hat schon
Theodor
Schieder 1973b, S.13, 16f.) hingewiesen, ist es "je größer der
Anwendungsbereich eines Begriffs wird, desto schwieriger (...), seinen
spezifischen Gehalt zu bestimmen. Dies gilt auch für den Begriff
'Revolution'. Man wird sich daher im einzelnen Fall einer Revolution an
die Ereignisse zu halten haben, die im Geschehensablauf durch relativ
feste Daten oder Datenketten markiert sind. Diese Ereignisse spiegeln
sich in der Regel innerhalb der politischen Institutionen ab, erfassen
aber je nach ihrer Komplexität gesellschaftliche,
kulturell-ideologische, materielle Lebensbereiche."
Unter geschichts-
und politikwissenschaftlicher Perspektive versteht man darunter unter
dem aus dem Lateinischen stammenden Begriff
(lat. revolutio: Umwälzung) eine "grundlegende, meist plötzliche Umgestaltung
der politisch-sozialen Verhältnisse, in der Regel unter Anwendung von
Gewalt." (Gesellschaft und Staat; Lexikon der
Politik (1995), S.695f.)
E. Bayer (1960, S. 523ff). definiert den Begriff wie folgt und grenzt
ihn dabei von Begriffen wie Gegenrevolution, Evolution, Revolte,
Staatsstreich oder Putsch ab.
(Spätlat. revolution, '[periodische] Wiederkehr') [...] politisch
zunächst als Erneuerung des alten geordneten Zustands verstanden, erst
durch die Frz. R. [...] interpretiert als 'gewaltsame Erlangung der
staatlichen Entscheidungsgewalt [verbunden mit] einer Strukturveränderung
der gegebenen Gesellschaftspyramide' (G. Eisermann). Der Begriff diente
alsbald zur Kennzeichnung bestimmter historischer Ereignisse: und zwar
näher bestimmt durch die Nation: Englische R. (Puritanische R. 1642-49,
Glorious R. 1688/89), Amerikanische R. 1775-82; Französische R. 1789-95
u. a. - oder durch den Monat des Ausbruchs: die frz. Juli-R. 1830, die
Februar-R. 1848, die dt. März-R. 1848, November-R. 1918, die russische
Oktober-R. 1917 [...] Der R-sbegriff [...] ist abzugrenzen gegen die
Evolution als organische Entwicklung, gegen die Revolte als misslungene R.
und gegen die von vorrevolutionären Kräften getragene Gegenrevolution,
sowie gegen den Staatsstreich oder Putsch, der von einer kleinen
Minderheit (oft Offiziere) getragen wird [...]
Für
Theodor
Schieder (1973b, S.!3, 16f.), der in Revolutionen besondere,
nämlich eruptive Formen "jenes Verlaufsprozesses" sieht, "den wir als geschichtlichen
Wandel bezeichnen", ist die Revolution auf folgende Art und Weise von
den Begriffen Evolution und Reform abzugrenzen:
"Evolution, verstanden als langsame Anpassung von
Institutionen und Lebensformen an veränderte menschliche
Lebensbedingungen (der Umwelt, der Technik usw.) ist nicht
gleichzusetzen mit Anpassung durch bewusste Reformen, welche
ebenso wohl Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen
voraussetzen wie den Willen zur Wahrung der Kontinuität."
Die Abgrenzung des Revolutionsbegriffs: Staatsstreich - Putsch -
Reform
Der Begriff der Revolution steht in einem Spannungsverhältnis zu
verschiedenen Begriffen
Staatsstreich |
Putsch |
Reform |
Änderung oder Beseitigung der bestehenden politischen Machtverhältnisse
durch einen gewaltsamen Akt führender Vertreter staatlicher - häufig
militärischer - Macht. Der Staatsstreich kann auch von der
Regierungsspitze selber ausgehen, um z.B. die Stellung der Exekutive
gegenüber der Legislative zu stärken.
Wie der Putsch ist der Staatsstreich immer das Werk einer Einzelperson
oder einer kleinen Minderheit.
(aus:
Gesellschaft und Staat; Lexikon der
Politik (1995), S.783f.)
führt u. U. nur einen irregulären Regierungswechsel
herbei oder - in der Monarchie - eine irreguläre Erbfolge,
ohne an der Grundstruktur eines politischen und sozialen
Systems etwas zu ändern.
Theodor
Schieder 1973b, S.!3, 16f.), |
Aufstand einer bewaffneten Gruppe, meist mit Unterstützung von Teilen des
Militärs, mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und selbst die Macht zu
übernehmen.
Putsch und Staatsstreich sind Begriffe für sehr ähnliche politische
Vorgänge.. Als Putschisten werden aber mehr Personen bezeichnet, die noch
nicht direkt an der Regierungsgewalt beteiligt waren.
Beispiele: Aus der neuesten deutschen Geschichte sind der gescheiterte
Hitler-Putsch der NSDAP (9.11.1923 in München) und der durch einen
Generalstreik bald beendete Kapp-Putsch von Reichswehrtruppen
(13.-17.3.1920) bekannt geworden. Durch einen Militärputsch, den man auch
einen Staatsstreich nennen kann, übernahmen Offiziere 1967 in
Griechenland und 1973 in Chile die Macht.
(aus:
Gesellschaft und Staat; Lexikon der
Politik (1995), S.663f.) |
lat. reformatio: Erneuerung) schrittweise Veränderung und Verbesserung
ökonomischer, sozialer und politischer Verhältnisse. Reformpolitik
benutzt die in einem gegebenen System liegenden Möglichkeiten, um das
System in Teilen zu verändern (z.B. Bildungsreform, Strafrechtsreform,
Steuerreform, Wahlrechtsreform). Langfristig können umfassende Reformen
dem gleichen Ziel nahe kommen, das Anhänger der Revolution in einem
Schritt erreichen wollen. Z.B. könnte eine konsequente Demokratisierung
ein Gesellschaftssystem grundsätzlich verändern. In der Regel
beschränkt sich Reformpolitik aber auf die Beseitigung von Missständen,
ohne ein gesamtgesellschaftliches Ziel ins Auge zu fassen. In den
kompliziert organisierten wissenschaftlich-technisch-industriellen
Gesellschaften stellen viele Menschen die Frage, ob es die Alternative
Reform oder Revolution noch geben kann.
(aus:
Gesellschaft und Staat; Lexikon der
Politik (1995), S.677f.) |
Revolution nicht Rebellion
Der Revolutionsbegriff ist aber auch vom Begriff der Rebellion
abzugrenzen. Dieser kann nach
Theodor
Schieder (1973b, S.!3, 16f.) als eine "Form der
Wiederherstellung einer bestimmten politischen Struktur und
Sozialstruktur, als Akt sozialer Chirurgie verstanden werden, mit dem
eine durch Machtmissbrauch von einzelnen oder ganzen Schichten gestörte
Ordnung restituiert wird."
Revolutionsbegriff im engeren und übertragenen Sinne
Grundsätzlich kann man den engeren Revolutionsbegriff von seiner
Verwendung im übertragenen Sinne unterscheiden
(vgl.
Gesellschaft und Staat; Lexikon der
Politik (1995), S.695f.):
Revolution im engeren Sinne |
Revolution im übertragenen Sinne |
Radikale Umwälzung der bestehenden Staats-
und/oder Gesellschaftsordnung
Äußere Formen
-
gewaltsam als blutiger Bürgerkrieg, aber unter bestimmten Bedingungen
auch auf friedlich-kompromisshafte Weise (*Reform)
-
meist
spontane Massenaktion in Gestalt der klassischen
Volksrevolution, aber auch als bewusste "Revolution von
oben", die - über Palastrevolution und Staatsstreich
hinausgehend - unter Einsatz der Machtmittel des Staates
eine weitreichende Umgestaltung der politischen und/oder
Gesellschaftsstruktur bewirkt (Bismarck 1864-1871,
Entstehung einiger osteuropäischer *Volksdemokratien)
Beispiele:
-
Bürgerliche Revolutionen,
in denen sich das Bürgertum die Macht erkämpft hat, wie
die Französischen Revolution (1789), Revolutionen von
1830 und 1848 in Frankreich; vorübergehend 1848/49 und
endgültig 1918 in Deutschland,
-
Proletarische Revolutionen,
in denen sich die Arbeiter (Proletariat) und Bauern
von der Herrschaft des Großbürgertum (Bourgeoisie)
befreit und eine sozialistische bzw.
kommunistische Gesellschaft an die Stelle des
Kapitalismus gesetzt haben, wie 1917 in Russland, 1949
in China
-
Amerikanische Revolution: in der angelsächsischen
Geschichtsschreibung spricht man auch im Zusammenhang
mit erfolgreichen Unabhängigkeitskriegen, z.B. den der
englischen Kolonien in Nordamerika gegen England
(1775-1783), von Revolution.
-
Der deutsche
Nationalsozialismus und der italienische Faschismus sprachen von der
nationalen
Revolution (1933 bzw. 1922).
|
grundlegende Umwälzungen in
wichtigen Einzelbereichen der Gesellschaft, z.B.: erste industrielle
Revolution (durch Erfindung der Dampfmaschine); zweite industrielle oder
wissenschaftlich-technische Revolution (durch Einführung der Automation,
Nutzbarmachung der Atomkraft und der Computer). |
Bürgerliche und proletarische Revolutionen
Immanuel
Geiss
(1975, S.4) unterscheidet zwei große Phasen in dem seit der
Industrialisierung einsetzenden Revolutionsprozess:
-
Bürgerliche Revolutionen: Sie bringen und ermöglichen
politisch den Durchbruch des neuen industriellen Prinzips
-
Proletarische Revolutionen: Sie sind getragen im Namen des Industrieproletariats
von einer revolutionären Intelligentsia meist bürgerlicher
Abstammung.
Dabei hätten, so Geis, sowohl bürgerliche wie proletarische Revolutionen
Bauern als eigentliche Massenbasis gehabt, die ihrerseits darauf
drängten die anachronistisch gewordene aristokratischer Herrschafts- und
Ausbeutungssysteme abzuschaffen.
"Beide - Bürgerliche Revolutionen entstanden aus der Spannung
zwischen dem mit der anlaufenden Industrialisierung aufsteigenden
modernen Industrie- und Handelsbürgertum und den die Ausweitung der
Produktivkräfte hemmenden aristokratisch monarchischen
Gesellschaftsstrukturen. die noch ganz auf der agrarischen Art des
Produzierens beruhten. Der revolutionäre Aufstieg des Bürgertums
seit der Englischen Revolution im 17. Jahrhundert parallel zur
Industrialisierung in ihrer historisch ersten, nämlich
kapitalistischen Form etablierte das Bürgertum allmählich in den
Zentren der ökonomischen Entwicklung als mehr oder weniger offen
oder direkt herrschende Klasse, selbstverständlich mit
charakteristischen nationalen Nuancen, und führte im weltweiten
Imperialismus zu einem System seiner sozusagen kollektiven
Weltherrschaft, wenn auch in verschiedene Nationalstaaten und
Kolonialimperien aufgeteilt.
Die weiterlaufenden systeminternen Spannungen und Rivalitäten
führten jedoch zu weltweiten Konflikten zwischen den
imperialistischen Mächten, zugespitzt in den beiden Welt kriegen. In
zwei großen Etappen setzen die beiden Weltkriege die proletarische
Revolution unter Führung kommunistischer Parteien frei - am Rande
der Industrie-Metropole (Russland 1917, Osteuropa ab 1945) und an
der Nahtstelle zwischen modernem imperialistischem System und
traditioneller imperialer Machtstruktur, die aber schon auf den
Status einer kollektiven europäisch-nordamerikanisch japanischen
Wirtschafts-Kolonie herabgesunken war (China 1949). Im Anschluss an
die kommunistischen Revolutionen entstanden nach 1945 - nur
teilweise unter kommunistischer Führung - nationaldemokratische oder
nationalrevolutionäre Emanzipationsbewegungen in den früheren
Kolonialländern, die zunächst ihren historischen Präzedenzfall im
Kampf der südslawischen Nationalbewegung auf dem Balkan vor 1914
fanden.
Zu den historischen Voraussetzungen der proletarischen Revolution in
Russland und China aber auch der sozialrevolutionären Prozesse in
der sogenannten Dritten Welt in oder nach der Phase der nationalen
Emanzipation gehören das mindest punktuelle Eindringen der
Industrialisierung und das ungewöhnlich starke Anwachsen der
ländlichen Bevölkerung.
Beide Faktoren zusammen sprengten (und sprengen noch immer) das
traditionelle meist feudale gesellschaftliche und politische
Machtgefüge. Da sich die herrschende Klasse nirgends zu
rechtzeitigen und tiefgreifenden Strukturreformen bequemen konnte -
sie hätten ja die freiwillige Abschaffung oder Beschneidung der
eigenen Privilegien und Machtpositionen bringen müssen -, kam es
früher oder später zum Ausbruch revolutionärer Bewegungen, in denen
der nationalrevolutionäre und sozialrevolutionäre Faktor je nach
unterschiedlichen historischen Voraussetzungen, unterschiedlich früh
oder spät auftraten - in China beide ungefähr gleichzeitig "
(aus:
Geiss
1975, S.4 )Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
01.10.2023
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