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Johann Michael Moscherosch (1601-1669): Philander von Sittewald

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Johann Michael Moscherosch (1601-1669)Überblick Kurzbiografie ▪ Lyrische Texte [ Erzählende Texte Philander von Sittewald ] Links ins Internet  ...   Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

Dante: Die Göttliche Komödie (dt. Übersetzung von Richard Zoozmann, pdf)
Karl Eitner (1805-1884): Übersetzung von Dantes Göttlicher Komödie (Original und Übersetzung)

Johann Michael Moscherosch (1601-1669) träumt in seiner Erzählung von einer besseren Welt und hält der real existierenden in satirischer Weise einen Spiegel vor, ein Motiv, das auch schon in »Sebastian Brants (1457-1521) Moralsatire »Das Narrenschiff (1494) oder »Thomas Murners (1475-1537) »Narrensatiren (1512-19), unter ihnen auch das "frauenfeindliche Pamphlet" (Dollinger 1987, S. 29) »Geuchmat zu straff allen wybschen mannen (1514/1519), auftaucht. (vgl. Niefanger 32012, S.228)

Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewald sind eine Sammlung von vierzehn ab 1640 veröffentlichten satirischen Erzählungen, die zunächst als Einblattdrucke und Flugschriften verbreitet wurden, ehe sie unter diesem Titel zusammengefasst veröffentlicht worden sind.

Es sind, wie das Titelkupfer ankündigt, "Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald", die in vierzehn Episoden erzählt werden. Zugleich sollen sie verstanden werden als "Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In welchen Aller Weltwesen, Aller Mänschen Hände als in einem Spiegel dargestellet und gesehen werden". (Ausgabe 1650). Und in der Tat: Es kommt so gut wie niemand gut weg.

Schon nachdem der Ich-Erzähler die Schule verlassen hat, ist er, was die Welt angeht, gänzlich desillusioniert. Zu klar steht ihm der Gegensatz dessen gegenüber, was er in Bücher über die Menschen allgemein, über die Großen besonders, gelesen hat, und wie sich ihm die Welt aus seiner eigenen Erfahrung darstellt. "Ich sah die Leute an: aber ich sah sie anders, als sie schienen und aussahen. Jedem Ding gab man zwar seinen Namen und seine Gestalt: aber es war bloßer Name und Gestalt, denn das Innere war anders; von außen war alles herrlich, aber sobald man danach griff, war es ein Schatten und verlor sich unter den Händen." Erstes Gesicht. Schergenteufel). Da er nicht weiß, ob das, was er um ihn herum, erkennt, überall in der Welt gilt, begibt er sich auf eine Reise durch Europa.

Das beliebte Kompositionsprinzip der Reiserevue, die Philander, den Ich-Erzähler, in verschiedene Städte (Nancy, Paris, Genf, Lyon, Bern, Lausanne, Solothurn, Basel, Freiburg, Breisach etc.) führt, verbindet in einem äußeren Rahmen die 14 Episoden. Für Moscherosch eine Möglichkeit, "in anderen Literaturen vorgefundene Satiren mit eigenen zu kompilieren." (vgl. Niefanger 32012, S.229) Von der Reise zurückgekehrt, schildert der Erzähler in "Gesichten" (Träumen), welche Welterfahrungen er dabei gewonnen hat.

"Traumgesichte" zu erzählen, passte dabei durchaus zum Zeitgeist, indem man gerne an Übernatürliches, Geister und Gespenster glaubte. Die Gesichte Philanders bzw. Moscherochs (Träume, Visionen) befassen sich im »Ersten Theil mit allgemeinen Themen wie z. B. die Episoden das »Todtenheer, das »letzte Gericht und die »Höllenkinder. Im »Schergenteufel geht es um die Willkür, die von Personen, die Schurken dienen (Schergen, Büttel). Die »Venus - Narren  nehmen die Buhlerei aufs Korn und in der »Welt - Wesen dreht sich alles um die allgegenwärtige Heuchelei. Die Hof - Schule schildert das lasterhafte Leben bei Hofe.

Vorbilder und Quellen: Dantes Göttliche Komödie (1307f.) und Quevedos Sueños (1606)

Für seine Prosasatire, die auch im ▪ Barock (1600-1720) und sogar darüber hinaus sehr beliebt war und zahlreiche Auflagen erreichte, griff Moscherosch auf verschiedene Quellen zurück, die er nach Gutdünken übernahm und bearbeitete, wie es in der Zeit üblich gewesen ist. Auch wenn er zahlreiche Motive übernommen hat, gestaltete er aber auch etliche volkstümliche Stoffe neu.

Seine Hauptquelle war spanisch, auch wenn er – Moscherosch spricht fünf lebende Sprachen – sie auf Französisch gelesen hat. Es handelt sich um das Werk von »Francisco de Quevedo y Villegas (1580-1645), einem herausragenden Vertreter des spanischen »Schelmenromans (Pikaro-Roman), »Sueños y discursos de verdades. (1606 (herausgegeben: 1627; deutsch: 1660–43, 1919, 1925 und 1966; »engl. 1708 ), das seinen Inhalt in sechs Traumbildern als Dialog präsentiert.

Auch die Idee, die Verirrungen des Menschen mit Bildern aus dem Jenseits darzustellen, war keineswegs neu. Schon »Dante Alighieri (1265-1321) hatte in der Renaissance mit seiner in altitalienischer Volkssprache abgefassten »Göttlichen Komödie (Divina Commedia) (1307-1321) sich dieses Mittels bedient und seinen Ich-Erzähler mit verschiedenen »Jenseitsführern die drei Reiche der jenseitigen Welt bereisen lassen, die sich im Mittelalter als christliche Jenseitswelten herauskristallisiert hatten. In Dantes Jenseitsdichtung gibt es dementsprechend die Hölle (Inferno), das »Fegefeuer (Purgatorio) und den Himmel (Paradiso), die dem Menschen aber (normalerweise) erst nach seinem Tode zugänglich sind.

Dante, der als Autor zugleich der Berichterstatter in diesem Werk ist, darf sich indessen an der Seite seiner Begleiter (der römische Dichter »Vergil (70 v. Chr. bis 19. n. Chr.), Beatrice, eine jung verstorbene Frau aus Florenz, und Kirchenlehrer »Bernhard von Clairvaux (1090-1153)) freilich schon zu Lebzeiten ein Bild von den Jenseitswelten machen und sich eine Woche auf eine Reise durch sie begeben (2 Tage Hölle, 4 Tage Fegefeuer und 1 Tag im Himmel).

Ausgangspunkt ist die Erfahrung eines raumzeitlichen Kontrollverlusts durch den Erzähler, der sich im Wald verirrt. Zunächst führt in Vergil in die Hölle, wo er das Schreien und Stöhnen der Verdammten hört und von ihnen immer wieder auch erfahren kann, welche Todsünde dafür verantwortlich zeichnet, dass sie dorthin gelangt sind.

Die »Hölle (Inferno) ist bei Dante dabei ein gewaltiger unterirdischer Trichter und ist in neun Höllenkreise unterteilt. Ist es am Rande der Hölle, der sogenannten Vorhölle,  - für Verhältnisse in der Hölle allerdings - noch einigermaßen erträglich für die sündigen Seelen, wird ihr Schicksal von Strafbezirk zu Strafbezirk immer schlimmer, die für Lust, Völlerei, Gier, Zorn, Häresie, Gewalt, Betrug und Verrat eingerichtet sind.

Dantes Bild der Hölle ist immer wieder von einem differenzierten Blick auf die verdammten Seelen gekennzeichnet, was sich vor allem darin ausdrückt, dass "jeder (...) die seiner Schuld entsprechende Strafe (erhält)" (Lang 2019, 2. Dantes Göttliche Komödie, Kindle-Version) Das Fegefeuer, das im Mittelpunkt der Göttlichen Komödie steht, stellt dabei als Lehre "die zentrale mittelalterliche Theologie der Hoffnung" (ebd.) dar, weil sie auch Sünderinnen und Sündern, die keine Todsünden begangen haben, aber eben auch keine Heiligen waren, einen Weg ins himmlische Paradies eröffnet.

»Francisco de Quevedo y Villegas (1580-1645), auf den Moscherosch zurückgreift, sah sich dabei selbst als Nachahmer Dantes und seine Visionen über das Jüngste Gericht und die Hölle sind auch geprägt von zahlreichen Abbildungen der Bildenden Kunst, die sich immer wieder dieses Themas angenommen hat. Offenbar kannte er »Jüngste Gericht »Michelangelo Buonarottis (1475-1564) in der »Sixtinischen Kapelle in Rom genauso den berühmten »Freskenzyklus mit dem Triumph des Todes (Trionfo della Morte) ital.), dem Jüngsten Gericht, der Hölle etc. im Campo Santo zu Pisa, die heute dem Florentiner »Buonamico Buffalmacco (1262-1340) zugeschrieben werden. Und auch die Bilder von »Hieronymus Bosch (1415-1516) mit ihren vielen Dämonen und Fabelwesen, sowie z. B. das »Polyptypchon »Visionen des Jenseits im »Dogenpalast von Venedig mit seinen Bildern vom irdischen Paradies, dem Aufstieg in das himmlische Paradies, dem Sturz der Verdammten in die Hölle sowie der Hölle selbst, scheint er gekannt zu haben. In seinen Traumgesichtern überzieht er alle möglichen Personen und Personengruppen mit beißendem Spott, darunter auch zahlreiche historische Personen, die sich alle mehr oder weniger der Heuchelei und Hoffart schuldig gemacht haben. Im Gegensatz zu Dantes Göttlicher Komödie Quevedos und Moscheroschs Jenseitswelten in ihren Traumgesichten eine eindeutig satirische Absicht, die mehr auf das Diesseits als auf die Darstellung der Jenseitswelten konzentriert ist. Die Reise durch die Jenseitswelt wird damit zum Spiegel des Lebens im Diesseits.

Der Menschenfreund Philander auf dem Weg und in der Hölle

Philander, eine Name der wohl etwa Menschenfreund bedeutet, stammt in Johann Michael Moscheroschs (1601-1669) Prosasatire aus Sittewald. Sittewald ist dabei ein durch Umstellung von Buchstaben oder Silben innerhalb eines Wortes entstandenes neues Wort (Anagramm) aus dem Namen des Geburtsorts des Autors, dem rechtsrheinisch in der Ortenau gelegenen Gemeinde »Willstätt, etwa 15 km. entfernt von dem auf der anderen Rheinseite gelegenen Straßburg, das zu dieser Zeit zur »Grafschaft Hanau-Lichtenberg gehörte. In der neugebildeten Wort klingt auch mit, worum es Philander geht, nämlich  Sitte walten (zu lassen).

Im 6. Gesicht des 2. Theils der Traumgesichte Moscheroschs ist Philander auf seiner Reise wieder zu seinem Heimatort Sittewald unterwegs und will offenbar noch einige Zeit an einem Sauerbrunnen, einem Badeort, der sich um eine Heil- oder Minirealquelle gebildet hat, ausruhen und die Gesellschaft, die sich dort aufhält beobachten. Da ihm aber offenbar die Umtriebe dort auch wieder schnell zu viel werden, begibt er sich auf einen Spaziergang in einen Wald und gelangt dort an einen außergewöhnlich schönen, geradezu pittoresken Ort. Es ist ein lieblicher Ort, der alles aufweist, was einen  ▪ Locus amoenus auszeichnet, "ein Ort, wo es nicht mehr gegen Abend, sondern heller Tag war, und ein Feld lag umher mit Blumen geziert so schön, daß einem das Herz lachte. Es war sehr still und anmuthig, die Luft so lieblich ..." Wie sich aber bald herausstellt, ein Traumbild, das in die Irre führt. Wie sich bald herausstellt, ist es nur der Platz, von dem ausgehend es nur noch zwei Wege gibt, einen dornenreichen, schmalen, schier ungangbaren Weg in den Himmel und einen breiten Weg an die Höllenpforte und von dort aus in die Hölle. Einen dritten Weg - Dantes Fegefeuer für die Neutralisten - gibt es nicht. Der Platz ist der Sammelplatz aller toten Seelen, unmittelbar an der Grenze zwischen Tod und Leben und seine Schilderung erinnert an die Berichte über »Nahtoderfahrungen heutiger Menschen, die sich  für einen Moment sich tot wähnen und von denen etliche von Licht-. Jenseits und Weltraumerfahrungen erzählen sowie von Gefühlen der Liebe, des Friedens und der Geborgenheit. Für den Erzähler ist es ein Ort, der ihm nach seinem Verlust raumzeitlicher Orientierung im Traumgesicht wieder Halt gibt. Für die toten Seelen ist es der Ort, an dem sich die Spreu vom Weizen trennt und das nach einem einfachen Schema die Guten lins, die Bösen rechts. Nur dass sie entweder keinerlei Bewusstsein dafür haben, wohin sie der Weg dem sie massenhaft folgen, am Ende führen wird oder der Überzeugung sind, es könne sich nur um den Weg in den Himmel handeln. So gehen, springen, tanzen, lachen sie alle, die Feinen und Angesehenen, die Mächtigen, die Schönen und Reichen und viele anderer einander wie in einem Sog folgend auf die Höllenpforte zu, ohne zu ahnen, dass sie für ihr sündvolles Leben in der Hölle zur Rechenschaft gezogen werden. Erst an der Höllenpforte angekommen, wird ihnen klar, dass sie die ewige Verdammnis erwartet.

Dante: Die Göttliche Komödie (dt. Übersetzung von Richard Zoozmann, pdf)
Karl Eitner (1805-1884): Übersetzung von Dantes Göttlicher Komödie (Original und Übersetzung)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 16.02.2022

 
 

 
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