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Dante: Die Göttliche Komödie (dt. Übersetzung von Richard Zoozmann,
pdf)
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Karl
Eitner (1805-1884): Übersetzung von Dantes Göttlicher Komödie
(Original und Übersetzung)
Johann
Michael Moscherosch (1601-1669) träumt in seiner Erzählung von einer
besseren Welt und hält der real existierenden in satirischer Weise einen
Spiegel vor, ein Motiv, das auch schon in »Sebastian
Brants (1457-1521) Moralsatire »Das
Narrenschiff (1494) oder »Thomas
Murners (1475-1537) »Narrensatiren
(1512-19), unter ihnen auch das "frauenfeindliche Pamphlet" (Dollinger
1987, S. 29) »Geuchmat
zu straff allen wybschen mannen (1514/1519), auftaucht. (vgl.
Niefanger
32012, S.228)
Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewald
sind eine Sammlung von vierzehn ab 1640 veröffentlichten satirischen
Erzählungen, die zunächst als Einblattdrucke und Flugschriften
verbreitet wurden, ehe sie unter diesem Titel zusammengefasst
veröffentlicht worden sind.
Es sind, wie das Titelkupfer ankündigt, "Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald", die in vierzehn
Episoden erzählt werden. Zugleich sollen sie verstanden werden als "Straff-Schrifften
Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In welchen Aller Weltwesen,
Aller Mänschen Hände als in einem Spiegel dargestellet und gesehen
werden". (Ausgabe 1650). Und in der Tat: Es kommt so gut wie
niemand gut weg.
Schon nachdem der
Ich-Erzähler die Schule verlassen hat, ist er, was die Welt angeht,
gänzlich desillusioniert. Zu klar steht ihm der Gegensatz dessen
gegenüber, was er in Bücher über die Menschen allgemein, über die
Großen besonders, gelesen hat, und wie sich ihm die Welt aus seiner
eigenen Erfahrung darstellt. "Ich sah die Leute an: aber ich sah sie
anders, als sie schienen und aussahen. Jedem Ding gab man zwar
seinen Namen und seine Gestalt: aber es war bloßer Name und Gestalt,
denn das Innere war anders; von außen war alles herrlich, aber
sobald man danach griff, war es ein Schatten und verlor sich unter
den Händen." Erstes Gesicht. Schergenteufel). Da er nicht weiß, ob
das, was er um ihn herum, erkennt, überall in der Welt gilt, begibt
er sich auf eine Reise durch Europa.
Das beliebte
Kompositionsprinzip der Reiserevue, die Philander, den Ich-Erzähler,
in verschiedene Städte (Nancy, Paris, Genf, Lyon, Bern, Lausanne,
Solothurn, Basel, Freiburg, Breisach etc.) führt, verbindet in
einem äußeren Rahmen die 14 Episoden. Für Moscherosch eine
Möglichkeit, "in anderen Literaturen vorgefundene Satiren mit
eigenen zu kompilieren." (vgl.
Niefanger 32012, S.229) Von der Reise zurückgekehrt,
schildert der Erzähler in "Gesichten" (Träumen), welche
Welterfahrungen er dabei gewonnen hat.
"Traumgesichte" zu
erzählen, passte dabei durchaus zum Zeitgeist, indem man gerne an
Übernatürliches, Geister und Gespenster glaubte. Die Gesichte Philanders bzw. Moscherochs (Träume, Visionen) befassen sich
im »Ersten
Theil mit allgemeinen Themen wie z. B. die Episoden das »Todtenheer, das
»letzte Gericht
und die »Höllenkinder. Im
»Schergenteufel
geht es um die Willkür, die von Personen, die Schurken dienen
(Schergen, Büttel). Die »Venus - Narren nehmen
die Buhlerei aufs Korn und in der »Welt - Wesen
dreht sich alles um die allgegenwärtige Heuchelei. Die Hof - Schule
schildert das lasterhafte Leben bei Hofe.
Vorbilder und Quellen: Dantes Göttliche Komödie (1307f.) und
Quevedos Sueños (1606)
Für seine
Prosasatire, die auch im ▪
Barock
(1600-1720) und sogar darüber hinaus sehr beliebt war und
zahlreiche Auflagen erreichte, griff Moscherosch auf verschiedene
Quellen zurück, die er nach Gutdünken übernahm und bearbeitete, wie
es in der Zeit üblich gewesen ist. Auch wenn er zahlreiche Motive
übernommen hat, gestaltete er aber auch
etliche volkstümliche Stoffe neu.
Seine Hauptquelle war spanisch,
auch wenn er – Moscherosch spricht fünf lebende Sprachen – sie auf
Französisch gelesen hat. Es handelt sich um das Werk von »Francisco de Quevedo y Villegas
(1580-1645), einem herausragenden Vertreter des spanischen »Schelmenromans
(Pikaro-Roman), »Sueños
y discursos de verdades.
(1606 (herausgegeben: 1627; deutsch: 1660–43, 1919, 1925 und 1966; »engl.
1708 ), das seinen Inhalt in sechs Traumbildern als Dialog
präsentiert.
Auch die Idee, die
Verirrungen des Menschen mit Bildern aus dem Jenseits darzustellen,
war keineswegs neu. Schon »Dante
Alighieri (1265-1321) hatte in der Renaissance mit seiner in
altitalienischer Volkssprache abgefassten »Göttlichen
Komödie (Divina
Commedia) (1307-1321) sich dieses Mittels bedient und seinen
Ich-Erzähler mit verschiedenen »Jenseitsführern
die drei Reiche der jenseitigen Welt bereisen lassen, die sich im
Mittelalter als christliche Jenseitswelten herauskristallisiert hatten.
In Dantes Jenseitsdichtung gibt es dementsprechend die Hölle
(Inferno), das »Fegefeuer
(Purgatorio) und den Himmel (Paradiso), die dem Menschen aber
(normalerweise) erst nach seinem Tode zugänglich sind.
Dante, der
als Autor zugleich der Berichterstatter in diesem Werk ist, darf
sich indessen an der Seite seiner Begleiter (der römische Dichter
»Vergil
(70 v. Chr. bis 19. n. Chr.), Beatrice, eine jung verstorbene
Frau aus Florenz, und Kirchenlehrer »Bernhard
von Clairvaux (1090-1153)) freilich schon zu Lebzeiten ein Bild
von den Jenseitswelten machen und sich eine Woche auf eine Reise
durch sie begeben (2 Tage Hölle, 4 Tage Fegefeuer und 1 Tag im
Himmel).
Ausgangspunkt ist die Erfahrung eines raumzeitlichen
Kontrollverlusts durch den Erzähler, der sich im Wald verirrt.
Zunächst führt in Vergil in die Hölle, wo er das Schreien und
Stöhnen der Verdammten hört und von ihnen immer wieder auch erfahren
kann, welche Todsünde dafür verantwortlich zeichnet, dass sie
dorthin gelangt sind.
Die »Hölle
(Inferno) ist bei Dante dabei ein gewaltiger unterirdischer Trichter
und ist in neun Höllenkreise unterteilt. Ist es am Rande der Hölle,
der sogenannten Vorhölle, - für Verhältnisse in der Hölle allerdings
- noch einigermaßen erträglich für die sündigen Seelen, wird ihr
Schicksal von Strafbezirk zu Strafbezirk immer schlimmer, die für
Lust, Völlerei, Gier, Zorn, Häresie, Gewalt, Betrug und Verrat
eingerichtet sind.
Dantes Bild der Hölle ist immer wieder von einem differenzierten Blick auf die verdammten Seelen
gekennzeichnet, was sich vor allem darin ausdrückt, dass "jeder
(...) die seiner Schuld entsprechende Strafe (erhält)" (Lang
2019, 2. Dantes Göttliche Komödie, Kindle-Version) Das
Fegefeuer, das im Mittelpunkt der Göttlichen Komödie steht, stellt
dabei als Lehre "die zentrale mittelalterliche Theologie der
Hoffnung" (ebd.)
dar, weil sie auch Sünderinnen und Sündern, die keine Todsünden
begangen haben, aber eben auch keine Heiligen waren, einen Weg ins
himmlische Paradies eröffnet.
»Francisco de Quevedo y Villegas
(1580-1645), auf den Moscherosch zurückgreift, sah sich dabei
selbst als Nachahmer Dantes und seine Visionen über das
Jüngste
Gericht und die Hölle sind auch geprägt von zahlreichen Abbildungen
der Bildenden Kunst, die sich immer wieder dieses Themas angenommen
hat. Offenbar kannte er »Jüngste Gericht
»Michelangelo
Buonarottis (1475-1564) in der »Sixtinischen
Kapelle in Rom genauso den berühmten »Freskenzyklus
mit dem
Triumph des Todes (Trionfo della Morte) (»ital.),
dem Jüngsten Gericht, der Hölle etc. im Campo Santo zu Pisa,
die heute dem Florentiner »Buonamico
Buffalmacco (1262-1340) zugeschrieben werden. Und auch die
Bilder von »Hieronymus Bosch
(1415-1516) mit ihren vielen Dämonen und Fabelwesen, sowie z. B.
das »Polyptypchon
»Visionen
des Jenseits im »Dogenpalast
von Venedig mit seinen Bildern vom irdischen Paradies, dem Aufstieg
in das himmlische Paradies, dem Sturz der Verdammten in die Hölle
sowie der Hölle selbst, scheint er gekannt zu haben. In seinen
Traumgesichtern überzieht er alle möglichen Personen und
Personengruppen mit beißendem Spott, darunter auch zahlreiche
historische Personen, die sich alle mehr oder weniger der Heuchelei
und Hoffart schuldig gemacht haben. Im Gegensatz zu Dantes
Göttlicher Komödie Quevedos und Moscheroschs Jenseitswelten in ihren
Traumgesichten eine eindeutig satirische Absicht, die mehr auf das
Diesseits als auf die Darstellung der Jenseitswelten konzentriert
ist. Die Reise durch die Jenseitswelt wird damit zum Spiegel des
Lebens im Diesseits.
Der Menschenfreund Philander auf dem Weg und in der Hölle
Philander, eine Name der wohl etwa Menschenfreund bedeutet,
stammt in Johann
Michael Moscheroschs (1601-1669) Prosasatire aus Sittewald.
Sittewald ist dabei ein durch Umstellung von Buchstaben oder Silben
innerhalb eines Wortes entstandenes neues Wort (Anagramm) aus dem
Namen des Geburtsorts des Autors, dem rechtsrheinisch in der Ortenau
gelegenen Gemeinde »Willstätt,
etwa 15 km. entfernt von dem auf der anderen Rheinseite gelegenen
Straßburg, das zu dieser Zeit zur »Grafschaft
Hanau-Lichtenberg gehörte. In der neugebildeten Wort klingt auch
mit, worum es Philander geht, nämlich Sitte walten (zu
lassen).
Im 6. Gesicht des 2. Theils der Traumgesichte Moscheroschs ist
Philander auf seiner Reise wieder zu seinem Heimatort Sittewald
unterwegs und will offenbar noch einige Zeit an einem Sauerbrunnen,
einem Badeort, der sich um eine Heil- oder Minirealquelle gebildet
hat, ausruhen und die Gesellschaft, die sich dort aufhält
beobachten. Da ihm aber offenbar die Umtriebe dort auch wieder
schnell zu viel werden, begibt er sich auf einen Spaziergang in
einen Wald und gelangt dort an einen außergewöhnlich schönen,
geradezu pittoresken Ort. Es ist ein lieblicher Ort, der alles
aufweist, was einen ▪
Locus amoenus auszeichnet, "ein Ort, wo es nicht mehr gegen
Abend, sondern heller Tag war, und ein Feld lag umher mit Blumen
geziert so schön, daß einem das Herz lachte. Es war sehr still und
anmuthig, die Luft so lieblich ..." Wie sich aber bald herausstellt,
ein Traumbild, das in die Irre führt. Wie sich bald herausstellt,
ist es nur der Platz, von dem ausgehend es nur noch zwei Wege gibt,
einen dornenreichen, schmalen, schier ungangbaren Weg in den Himmel
und einen breiten Weg an die Höllenpforte und von dort aus in die
Hölle. Einen dritten Weg - Dantes Fegefeuer für die Neutralisten -
gibt es nicht. Der Platz ist der Sammelplatz aller toten Seelen,
unmittelbar an der Grenze zwischen Tod und Leben und seine
Schilderung erinnert an die Berichte über »Nahtoderfahrungen
heutiger Menschen, die sich für einen Moment sich tot wähnen
und von denen etliche von Licht-. Jenseits und Weltraumerfahrungen
erzählen sowie von Gefühlen der Liebe, des Friedens und der
Geborgenheit. Für den Erzähler ist es ein Ort, der ihm nach seinem
Verlust raumzeitlicher Orientierung im Traumgesicht wieder Halt
gibt. Für die toten Seelen ist es der Ort, an dem sich die Spreu vom
Weizen trennt und das nach einem einfachen Schema die Guten lins,
die Bösen rechts. Nur dass sie entweder keinerlei Bewusstsein dafür
haben, wohin sie der Weg dem sie massenhaft folgen, am Ende führen
wird oder der Überzeugung sind, es könne sich nur um den Weg in den
Himmel handeln. So gehen, springen, tanzen, lachen sie alle, die
Feinen und Angesehenen, die Mächtigen, die Schönen und Reichen und
viele anderer einander wie in einem Sog folgend auf die Höllenpforte
zu, ohne zu ahnen, dass sie für ihr sündvolles Leben in der Hölle
zur Rechenschaft gezogen werden. Erst an der Höllenpforte
angekommen, wird ihnen klar, dass sie die ewige Verdammnis erwartet.
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Dante: Die Göttliche Komödie (dt. Übersetzung von Richard Zoozmann,
pdf)
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Karl
Eitner (1805-1884): Übersetzung von Dantes Göttlicher Komödie
(Original und Übersetzung)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.02.2022
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