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Caroline Schelling (1763-1809): Biografie

Kindheit und Jugend von Caroline Michaelis

Das Sozialkapital einer jungen Frau: Ehefrau und Mutter

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren
Caroline Schelling, geb. Michaelis, verw. Böhmer, gesch. Schlegel (1763-1809) Überblick [ Biografie Überblick ZeittafelKurzbiografie Kindheit und Jugend von Caroline Michaelis in Göttingen 1763-1784 ◄ ▪ Caroline Böhmer als Ehefrau und Mutter in Clausthal 1784-1788 Quo vadis: Caroline Böhmer zwischen den Männern, zwischen Marburg, Gotha und Göttingen 1788-1792 Caroline unterm Freiheitsbaum der Mainzer Republik April 1792 bis Ende März 1793 Caroline als gefangene Klubistin und als sozial Geächtete 1793-1795 Heirat von Caroline Böhmer mit August Wilhelm Schlegel und die Jenaer Lebensgemeinschaft der Frühromantiker 1796-1799 Getrennte Wege: Carolines Liebe zu Schelling und die Scheidung von Schlegel ] Textauswahl Bausteine Links ins Internet August Wilhelm Schlegel (1767-1845) Literaturepoche der Romantik ...   Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

Zeittafel

Dorothea Caroline Albertine Michaelis wird am 2. September 1763 in der »Universitätsstadt Göttingen als Tochter von »Johann David Michaelis (1717-1791) und seiner zwanzig Jahre jüngeren 2. Ehefrau Louise Philippine Antoinette Michaelis, geb. Schröder (1743-1808) geboren.

Sie ist das älteste der vier Kinder von den insgesamt neun, die ihre Mutter geboren hat und die überhaupt erwachsen werden. Nichts Außergewöhnliches in einer Zeit, in der die Kindersterblichkeit außerordentlich hoch und die Gefahr, sich mit lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten anzustecken, sehr groß ist.

Als Caroline, wie die Tochter gerufen wird, zur Welt kommt, hat sie schon einen neunjährigen Halbbruder. »Christian Friedrich Michaelis (1754-1814), genannt Fritz (geb. am 13.4.1754) hatte seine Mutter Friederike, mit der der Vater zehn Jahre lang verheiratet gewesen war, kaum 5 Jahre alt, Anfang 1759 verloren.

Im Laufe weniger Jahre folgen Caroline die Geschwister Charlotte Wilhelmine (1766-1793), genannt Lotte, Gottfried Philipp (1768-1811) und Luise Friederike (1770- 1846) nach. Ihr Bruder Bruder Julius Wilhelm Ernst stirbt 1791 im Alter von sieben Jahren.

Caroline und ihre Geschwister werden in eine Zeit großer politischer, gesellschaftlicher, wissenschaftlicher, wirtschaftlicher Umbrüche hineingeboren, die eine außerordentliche Dynamik entfalten, auch wenn sich der weitere Weg in die Moderne nicht ohne gegenläufig Prozesse vollzogen hat, die das Bestehende bewahren und von diesem schädliche Einflüsse fernhalten wollten.

Die Welt nach dem Siebenjährigen Krieg

Als Caroline Michaelis in Göttingen das Licht der Welt erblickt, ist der »Siebenjährige Krieg (1756-1763) gerade zu Ende. Dieser quälend lange Krieg hat wie alle Kriege viele Gesichter. Sieht man darauf, wofür die Mächtigen der Zeit hunderttausende von Soldaten auf die Schlachtfelder überall in der Welt schickten, dann war es ihnen einzig und allein um die Macht gegangen.

Das »hohenzollerische »Preußen hatte mit dem »habsburgischen Österreich, Russland, Schweden und den Reichsfürsten um »Schlesien gekämpft. Die Engländer und Franzosen hatten ihre Soldaten, unterstützt von von Söldnerheeren, die meistens aus zwangsgepressten und von den deutschen Fürsten an beide Kriegsparteien verkauften Soldaten bestanden, im Kampf um die Kolonien weltweit und auf allen Meeren aufeinander gehetzt. Mit den Friedensverträgen von »Paris und von Hubertusburg im Februar 1763 war u. a. die Annexion Schlesiens durch Preußen und damit dessen angestrebte Stellung als Großmacht bestätigt worden.

Der Siebenjährige Krieg, das war selbst jenen bewusst, die von den Schauplätzen dieses Krieges bestenfalls vom Hörensagen wussten, war ein Weltkrieg. Das war auch den einfachsten Zeitgenossen klar, wenn sie erlebten, wie Werbeoffiziere der Kriegsparteien überall durch die Lande zogen, um die Söldner mit allen Tricks und Versprechungen auf Abenteuer für ihren Einsatz in der Welt, vor allem in Nordamerika, zusammenzubekommen. Und so mancher Zeitgenosse konnte auch aus der Nähe beobachten, wie die von den Fürsten zwangsgepressten und verkauften Truppen in langen Fußmärschen und dazu oft schlecht ausgerüstet und versorgt, bis an die Küste durchmarschierten, wo sie dann mit einem, ihnen jedenfalls gänzlich unbekannten Ziel eingeschifft wurden. Und wer von dort wieder zurückkam, war häufig gezeichnet und ein Invalide. Er hatte seinen Leib und sein Leben für eine Sache eingesetzt, in der es "um viel mehr als um eine deutsche Provinz" und das "Mächtegleichgewicht in Europa" gegangen war. In engster machtpolitischer Verflechtung mit diesen Problemen war auch mit seiner freiwilligen oder unfreiwilligen Hilfe, "in der Neuen Welt zwischen Englang und Frankreich um Kolonialbesitz in Amerika und in der Karibik, um die Beherrschung der transatlantischen Seewege, um Stützpunkte in Afrika sowie um lukrative Handelsvorteile in Asien, vornehmlich in Indien, gewürfelt" worden. (Schilling 1994a, S.452)


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Die Folgen dieses Gemetzels, in dem allein Preußen auf den Schlachtfeldern dieses ersten Weltkrieges 180.000 Mann verloren hat, waren katastrophal.

Blühende deutsche Städte wie das für seine "urban-barocke Heiterkeit" (ebd.,S.465) weithin bekannte Dresden, das von den Preußen mit ihren Kanonen acht Tage lang beschossen und zerstört wurde, oder Berlin, das von der Gegenseite geplündert und zerstört wurde, sind nur zwei prominente Beispiele für das, was die Kriegsparteien auf deutschem Boden, vor allem die Preußen und die österreichischen Habsburger, angerichtet haben.

Wie immer in solchen Fällen war es die Zivilbevölkerung, die unter den Kriegsereignissen und ihren Folgen am meisten zu leiden hatte. Allein in Brandenburg-Preußen haben unter »Friedrich II., dem Großen (1712-1786) in der machtpolitischen Auseinandersetzung zwischen den preußischen Hohenzollern und den österreichischen Habsburgern, die am Ende nur den Status quo ante in Deutschland bestätigte, eine halbe Million Menschen ihr Leben gelassen.

Aber auch die Jahre danach waren für die Bevölkerung keine glücklichen Jahre. Wer in Brandenburg-Preußen lebte, "das am schwersten unter dem Krieg gelitten hatte", lernte Elend, Not und Verzweiflung kennen. (ebd.,S.476) Die Preise für alles explodierten, Ernten fielen immer schlechter aus und verschärften die Versorgungslage und die "Alte Welt wurde zum letzten Mal von einer Krise alten Typs erschüttert: allenthalben in Europa kam es zu Hungerrevolten – Vorboten der zwei Jahrzehnte später in Frankreich ausbrechenden Revolution." (ebd., S.476f.)


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Göttingen im und nach dem Siebenjährigen Krieg

Göttingen war seit 1715 eine Festungsstadt. Im Siebenjährigen Krieg war sie dennoch verglichen mit Dresden oder Berlin mit einem blauen Auge davongekommen, auch wenn es mal von dieser oder jener Kriegspartei besetzt wurde. Trotzdem die Stadt auch beschossen wurde (z. B. 1760 von den Truppen des Herzogs »Ferdinand von Braunschweig (1721-1792)), wurde sie nicht gänzlich zerstört.

Allerdings musste sie zwischen 1757 und 1762 das Schicksal einer von der französischen Armee besetzten Stadt mit ihren ernormen Folgen erdulden. Das bedeutete zu den schlimmsten Zeiten hohe Belastungen zur Versorgung der bis zu 10.000 Mann und 4.000 Pferde starken französischen Besatzungsmacht, für viele Männer Zwangsarbeit beim Ausbau ihrer Festungswerke rund um die Stadt (sie werden 1762 nach dem Abzug der Franzosen wieder geschleift) und vor allem auch Zwangseinquartierungen, um die Soldaten, vor allem die französischen Offiziere, unterzubringen. Kirchen und Hörsäle wurden zu Magazinen, die Stadtschule zu einem Lazarett und einem Pferdestall umfunktioniert. Weil die Besatzer aber immer stärker auf die Ressourcen der Stadt zugriffen, "nahmen nicht nur Spannungen zu und verschlechterte sich die Versorgungslage" (Vierhaus 2002S.33), sondern die Stadt verzeichnete auch einen deutlichen Bevölkerungsverlust.

 Das Tagebuch des Professors für Orientalistik »Andreas Georg Wähner (1732-1762) begleitet die Ereignisse des Siebenjährigen Krieges aus Göttinger Perspektive und verzeichnet das Hin und Her der Kampfhandlungen und die Ereignisse in Göttingen von Juli 1757 bis vor kurz vor seinem Tod im Februar 1762 Tag für Tag.

Immerhin der Lehrbetrieb der erst 1737 als zweite Universität des Kurfürstentums Hannover eröffneten Georg-August-Universität (Georgia Augusta) konnte, wenn auch empfindlich gestört, weiterlaufen, auch wenn »Johann David Michaelis (1717-1791) im November 1760 unter seinen Kollegen dafür warb, die Universität nach Clausthal zu verlegen.

Die Georgia Augusta hatte innerhalb von knapp 25 Jahren Jahren nicht nur mit ihren Bauten das Stadtbild sehr verändert, sondern unter dem Einfluss ihres ersten Kurators »Gerlach Adolph von Münchhausen (1688-1770) auch zahlreiche berühmte Gelehrte und Persönlichkeiten aus aller Welt anzogen. Mit ihren teilweise sehr repräsentativen Bauten und der großen Zahl adeliger Studenten, die sich das teure Pflaster der ca. 6.000 Einwohner zählenden Universitätsstadt leisten konnten.

Dabei war Göttingen keineswegs nur Universitätsstadt. Es war zugleich bis zur Industrialisierung auch eine typische Ackerbürgerstadt, in der die meisten Einwohnerinnen und Einwohner vom Handel und vom Handwerk lebten und dazu entweder in den großen Gärten, die zahlreiche Häuser umgaben oder auf Äckern vor der Stadt Stallungen unterhielten, in denen Kühe, Schweine und Schafe im Haupt- oder Nebenerwerb gehalten wurden. Und doch strahlte es vor allem im Zentrum um die Universität herum eine gewisse höfische Eleganz aus, auch wenn morgens in aller Hergottsfrühe Hirten mit lautem Klingeln annähernd 200 Kühe, dazu noch Schafe und Ziegen der Kleinbürger, die diese auf ihren Grundstücken in der Stadt hielten, einsammelten, am Brunnen vor dem Rathaus tränkten und auf die Gemeindewiesen vor den Toren der Stadt hinausführten.

Ein gesellschaftliches Miteinander zwischen den unterschiedlichen sozialen Schichten und Gruppen in der Stadt gab es nicht und ihre sozialen Berührungspunkte waren, wenn es nicht durch die Lebensführung der bürgerlichen Oberschicht notwendig war (z.B. Bedienstete, Versorgung etc.) auf das Notwendige beschränkt. Stände und Klassen, Wohlhabende und Gebildete auf der einen, Arme und Ungebildete auf der anderen Seite, lebten ihre Leben in klarer sozialer, aber auch räumlicher Distanz voneinander. Vor allem zwischen der Mehrheit der Stadtbevölkerung und der Minderheit der Universitätsbevölkerung fiel diese Distanz besonders stark aus und "fand in Sprache, Auftreten und Statusempfindlichkeit" (Vierhaus 2002, S.36) der wohlhabenden und gebildeten bürgerlichen Oberschicht, zu der auch die 40-50 Professorenfamilien gehörten, ihren Ausdruck.

Das zeigt sich auch daran, dass »Caroline Michaelis (1763-1809) auf diese so weit auseinanderklaffenden sozialen Welten in ihren zahlreichen brieflichen Zeugnissen offenbar nie zu sprechen kommt und damit geradezu links liegen lässt, was nicht zur ihrer eigenen sozialen Welt gehört. Selbst wenn man bedenkt, dass es sich um eine junge Frau handelt, die viele verschiedenen Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz bewältigen muss, ist es doch bemerkenswert, dass sie über ihre eigene Welt in einer kleinen Stadt, die die Gegensätze nicht übertünchen kann, keine Worte verliert und nicht einmal vom Leben der Dienstmädchen, die in einem Haushalt wie dem ihres Vaters sicherlich bis zu 18 Stunden am Tag schufteten, berichtet. Ein besonderes Gespür für soziale Fragen der Zeit entwickelte sie jedenfalls nicht. Und wenn sie es einmal mit der politischen Wirklichkeit dieser Zeit zu tun bekam, dann verliert sie nicht viele Worte darüber. Meistens aber, auch in ihrer Zeit in der Bergarbeiterstadt ▪Clausthal während ihrer ersten Ehe mit Johann Wilhelm Böhmer zeigt sie sich, soweit dies durch ihre fehlenden schriftlichen Zeugnisse darüber abzuleiten ist, am Schicksal Bergarbeiter, die an schmerzhaften Bleivergiftungen litten und die Praxis ihres als Bergmedikus arbeitenden Mannes dutzendweise aufsuchten, keinen sichtbaren Anteil. (vgl. Damm 1978/1997, S.22, vgl. Roßbeck 2009, S.51)

Eines immerhin bekommt sie mit und empört sie: Als sie im April 1782 auf ihrer Reise nach Kassel unterwegs zu sehen bekommt, wie in Hannoversch-Münden ein Haufen zwangsgepresster und als Söldner verkaufter Soldaten verabschiedet werden, notiert sie kritisch an, »daß der Landgraf in Münden Menschen verkaufte, um in Caßel Paläste zu bauen.« (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.98) Die Sache berührt sie aber auch deshalb, weil ihr älterer Bruder »Christian Friedrich Michaelis (1754-1814) zu dieser Zeit, zwar als Freiwilliger, aber doch auch als hessischer Söldner in Nordamerika gegen die aufständischen Kolonisten kämpfte.

Dass sie sich nicht in jene Teilen der Stadt begab, die ein bürgerliches Mädchen am besten nie aufsuchte, sondern nur an dem geselligen Leben ihrer sozialen Schicht teilnahm und teilnehmen konnte, ist dabei natürlich die andere Seite der Medaille.

Auch wenn es Studenten aus ärmeren Schichten gab, die, mit allerdings sehr gering bemessenen Stipendien ihres jeweiligen Landesvaters ausgestattet, in die Stadt kamen und dort oft in Schlafsälen mit bis zu 20 anderen auf Stroh schliefen, war Göttingen aber auch eine Stadt, in die die feine Gesellschaft gerne ihre adeligen Söhne zum Studium schickte. Prominentestes Beispiel dafür waren die drei englischen Prinzen »Ernst August (1771-1851), Herzog von Cumberland (er wird später im Jahr 1837 der König von Hannover), »Augustus Frederick (1773-1843), Herzog von Sussex, und »Adolphus Frederick (1774-1850), Herzog von Cambridge, 15, 13 und 12 Jahre alt (vgl. Kleßmann 1975, S.67). Sie kamen im Jahr 1786 zum Studium in die Stadt. Im Übrigen kann nur eine offenbar als zu hoch empfundene Mietforderung von Carolines Vater »Johann David Michaelis (1717-1791) verhindern, dass die Familie ihre Wohnung räumen und den hochherrschaftlichen Prinzen und ihrer Begleitung für die kommenden Jahre zur Verfügung stellen musste. (vgl. ebd.). Trotzdem: Während ihrer Zeit in Göttingen finden sich die Prinzen alle drei Wochen regelmäßig, so wie vom britischen Königshaus gewünscht, auch im im Hause Michaelis zum Tee ein und blieben in der Regel ca. drei Stunden. Da sie einige Jahre gegenüber wohnen, kommen Lotte und Luise auch privat mit ihnen in Kontakt. Luise Friederike Wiedemann, geb. Michaelis (1770-1846), spricht sogar davon, dass der der jüngste Prinz Adolph ihr ein" treuer Spielkamerad gewesen" (Wiedemann 1929, S.14) sei. Auf den zahlreichen Bällen dieser Zeit, an denen die Prinzen teilnehmen, scheinen sich jedenfalls viele junge Damen darum gerissen zu haben, von einem der Prinzen auf die Tanzfläche geführt zu werden. (vgl. ebd.)

Mochte Göttingen mit seinen kaum befestigten Straßen und den Hühnern und Gänsen darauf und tausender freilaufender Hunde und Katzen auch mit dem eher mondänen gesellschaftlichen Leben in den meisten Residenzstädten der Zeit nicht mithalten, konnte die mittelgroße Stadt aber neben der angesehenen Universität inzwischen auch mit anderem punkten.

Die Stadt hatte kräftig gebaut, mit einer »Reithalle, einer Rennbahn, dem Botanischen Garten, repräsentativen Logierhäusern, einer großen Zahl von Gaststätten und Speiselokalen entlang der repräsentativen Allee und einer ausreichenden Zahl von Frisören für die adelige Kundschaft das von der zahlungskräftigen Studentenelite erwartete Ambiente mit einem vergleichsweise hohen Wohn- und Freizeitwert geschaffen. (vgl. Appel 2013, S.15)

Aber natürlich hatte Göttingen insgesamt eine sozial sehr heterogen zusammengesetzte Bevölkerung, die räumlich deutlich voneinander separiert in unterschiedlichen Vierteln der Stadt lebte. Während die Wohlhabenden im Zentrum der Stadt im Umfeld der Universität wohnten, lebten die Armen und Bettler der Stadt – sie machten immerhin ca. ein Drittel der Stadtbevölkerung aus – vorrangig an den Stadträndern, wie zum Beispiel im Ritterplan, an der Neuen Leine oder in der Turmstraße (Reincke 2012/2013, dort unter Bezug auf Rohrbach 1987, S.183).

Das Haus, in dem die Familie Michaelis während der französischen Besatzungszeit von 1767 bis 1762 wohnte, war auf besondere Anordnung der französischen Regierung von Einquartierungen verschont geblieben. Wahrscheinlich lag dies an dem internationalen Ruf, den »Johann David Michaelis (1717-1791) als Professor erworben hatte, sicher aber auch an seinen guten Beziehungen zu den französischen Offizieren der Besatzungsarmee, mit denen er, wie z. B. mit dem Generaladjutanten Beville des Marschalls »Victor-François de Broglie (1718-1804) oder dem General »Thiery Freiherr de Vaux (1748-1820) in freundschaftlichem Umgang stand. Dass diese Beziehungen auch der Universität zugute kamen, versteht sich. (vgl. Kleßmann 1975, S.28) So ergaben Verhandlungen zwischen Vertretern der Stadt und der Universität, dass der französische Kommandeur zu bemerkenswerten Zusicherungen bereit war. So sollte das geschäftliche Leben in der Stadt, insbesondere der Universitätsbetrieb ungestört weitergehen, die Professoren von Zwangseinquartierungen verschont und "die Studenten vor gewaltsamer Anwerbung geschützt bleiben." (Vierhaus 2002, S.33) Wahrscheinlich blieb das Haus der Familie Michaelis nach dem Verlust dieses zunächst gewährten Privilegs für die Professoren im Jahr 1760 auch danach noch von Zwangseinquartierungen verschont.

Familienleben im repräsentativen Wohnhaus der Familie in bester Innenstadtlage von Göttingen

Der Siebenjährige Krieg und seine Folgen trafen die Familie Michaelis also aus verschiedenen Gründen nicht sonderlich. So konnte »Johann David Michaelis (1717-1791) 1764 um den ersten Geburtstag seiner Tochter Caroline herum die mitten in der Stadt liegende, wohl etwas heruntergekommene "Londonschänke" erwerben. Das weitläufige Gebäude mit verschiedenen Seitenflügeln war ehemals ein Treffpunkt von Studenten und während der Besatzungszeit französisches Militärhospital gewesen. Für viertausendreihundert Taler ging es in den Besitz der Familie Michaelis über.

Nicht genug: Mit etwa der gleichen Summe ließ der Professor das repräsentative Eckhaus mit einem großem Hof und Garten so renovieren, dass es danach als repräsentatives Wohnhaus der Familie, aber in einem Seitenflügel an der Leinestraße auch als Logierhaus für bis zu einem Dutzend gut betuchter Studenten, die mit ihren Mieten – 371 Taler Jahresmiete im voraus - das Haushaltseinkommen der Professorenfamilie beträchtlich erhöhten, dienen konnte. (vgl. ebd S.31)


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Das »Michaelis-Haus, das an der Allee unmittelbar gegenüber der Universitätsbibliothek lag, war ein großes mehrstöckiges Gebäude, das was hermachte und damit genau nach dem Geschmack des Professors für Orientalistik und Theologie, der ab 1791 auch den Titel eines Hofrates führen durfte und zu diesem Zeitpunkt wohl auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt war.

So passte der Erwerb des mit Abstand prächtigsten Hauses, das die etwa 40-50 Professoren der Universität in Göttingen bewohnten, durch den für seine "coolen" Zoten und derben Sprüchen in seinen Vorlesungen bekannten Gelehrten wohl haargenau in sein Selbstbild und dazu, wie er sich gerne nach außen darstellte.

Allerdings wurde die Art und Weise, wie er seinen akademischen Erfolg und seinen sozialen Status nach außen kehrte, wohl nicht nur von seinen Kollegen "mit einem Gemisch aus Ärger Spott und Bewunderung" beäugt (vgl. ebd S.29). So waren es wohl auch nicht nur sie, die ihm einen Hang zur Selbstinszenierung nachsagten, seine Eitelkeit, narzisstische Selbstverliebtheit und Geltungssucht bemerkten und feststellten, dass er auch seinen internationalen Ruhm gerne überschätzte (vgl. ebd S.29f.). Dass er dennoch ein hochangesehener, vom Geist der Aufklärung geprägter Wissenschaftler war, der die Georgia Augusta als moderne Reformuniversität, in der die theologische Fakultät nicht mehr die erste Geige spielte, ihre Aufsicht über die anderen Fakultäten einbüsste und die Forschungsergebnisse nicht mehr der kirchlichen Zensur unterlagen, entscheidend mit geprägt hat, steht dabei allerdings außer Zweifel.

Im Michaelis-Haus bewohnte die Professorenfamilie den an der Mühlenpforte gelegenen Teil des Haus, das von seinen zwölf Fenstern in einer Reihe einen direkten Blick auf die gegenüberliegende Universitätsbibliothek und andere Gebäude der Universität ermöglichte. Die weitläufigen Räumlichkeiten erlaubten es, dass der Professor in den eigenen vier Wänden einen eigenen Hörsaal einrichten konnte.


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»Caroline Michaelis (1763-1809) und ihre Geschwister wuchsen also in weitgehender sozialer Sicherheit auf, in einem Haus, das ihnen mit seiner zentralen Lage Gelegenheit gab, alles mitzubekommen, was in der Stadt los war. Das rege Treiben der Studenten, die zu ihren Vorlesungen gingen, die Bibliothek aufsuchten oder in eines der zahlreichen Gasthäuser einkehrten, bot den Heranwachsenden sicher immer wieder Interessantes, auch wenn sich Göttingen und seine Universität sehr darum bemühte, den sonst üblichen Umtrieben von studentischen Burschenschaften mit ihrer "Sauf- und Raufkultur" (Appel 2013, S.15), die man z.B. aus Jena kannte, entgegenzuwirken.

Spielkameradinnen und -kameraden gab es in einer Zeit, in der wahrlich kinderreiche Familien mit zehn und mehr Kindern keine Ausnahme waren, in der unmittelbaren Nachbarschaft genug. Im unmittelbaren Nachbarhaus der Familie des Geheimen Justizrates und Professors für Straf- und Kirchenrecht »Georg Ludwig Böhmer (1715-1797) wuchsen allein 12 Kinder auf, von denen »Georg Wilhelm Böhmer (1761–1839) als Mitgründer des ▪ Mainzer Jakobinerklubs während der kurzen Episode der Mainzer Republik (Oktober 1792-Juli 1793 eine gewisse Berühmtheit erlangte und Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754–1788) im Jahr ▪ 1784 der erste Ehemann von Caroline Michaelis und der Vater von drei ihrer insgesamt vier Kinder wurde. Aber auch eine Vielzahl anderer Professorenkinder, die Heynes, Loders, Schlözers, Kästners, Gatteres und wie sie alle hießen, wohnten in der Umgebung. So blieben auch die Kinder der Professoren beim Spielen unter sich, zumal "die etwa vierzig Göttinger Professorenfamilien eine relativ geschlossene soziale Einheit (bildeten)." (ebd,, S.24)

Das bedeutete jedoch nicht, dass die Häuser der Professoren, neben Studenten nicht auch interessanten Besuchern von außerhalb stets offenstanden. Aber nicht in jedem Haus hat man den gleichen Spaß an Geselligkeit. Vor allem in den Kreisen der Professoren gab es immer wieder einmal Bälle, an denen die älteren Kinder sicher auch teilnehmen durften. Natürlich waren solche Veranstaltungen nicht jedermanns Sache und im Hause Michaelis wohl eher eine Seltenheit. Aber wir wissen, dass im Winter 1782/83, Caroline hatte sich gerade mit dem Nachbarsohn verlobt, jeden Sonnabend 12 Paare von 20 bis 22 Uhr getanzt haben und am Geburtstag des Hausherrn im Februar ein Ball veranstaltet wurde. (vgl. Kleßmann 1975, S.286, Anm.32) Und der Geburtstag der Königin war offenbar immer wieder ein Ereignis, um eine größere Tanzveranstaltung im Hause Michaelis auszurichten. (Waitz 1871, S.8)

Wo man mehr Spaß an solcher Geselligkeit hatte, waren solche Veranstaltungen sicher häufiger. Das gilt auch sicher für die unmittelbaren Nachbarn. Frau Böhmer war offenbar eine Frohnatur und damit "ganz das Gegenteil der unfrohen und humorlosen" (ebd.1975, S.33) Mutter von Caroline, Louise Philippine Antoinette Michaelis, geb. Schröder (1743-1808), die keinerlei Aufregung in ihrem Alltag ertragen konnte und auf die Welt und ihre Herausforderungen mit unnachgiebiger Strenge, einem bis ins Kleinste reichenden Ordnungssinn und einer bigotten Religiosität begegnete. Am ehesten blühte sie auf, wenn sie ihren Kindern Geschichten und Erlebnisse aus dem Siebenjährigen Krieg erzählte und vor allem die jüngeren an ihren Lippen klebten (vgl. Wiedemann 1929, S.3).

Eine enge emotionale Beziehung zu ihren Kindern konnte sie jedenfalls nicht herstellen, auch wenn ihr ihre Söhne und Töchter in späteren Jahren bescheinigten, dass ihre kühle Distanzierheit und mangelnde emotionale Nähe ein Glück für den Familienfrieden gewesen sei, der sich sonst unter der autoritären Herrschernatur des Vaters sicher ständig in Schieflage befunden hätte.

Vater und Mutter Michaelis waren eine zeittypische »Konvenienzehe eingegangen. Das Eheleben, das sie ihren Kinder vorlebten, war wohl auch alles andere als von anhaltender Zuneigung gekennzeichnet. Das war ohnehin die Regel, denn die bürgerliche Ehe "war eben keine Lustpartie, sondern ein generalstabsmäßig geplantes Unternehmen mit klar definierten Zwecken." (Frevert 1986, S.42) 

Professor »Michaelis (1717-1791) gönnte sich über Jahre hinweg seinen jährlichen Kuraufenthalt in »Bad Pyrmont, einem knapp 100 Kilometer nordwestlich von Göttingen gelegenen mondänen Kurort, der es dem böhmischen »Karlsbad, dem englischen »Bath oder dem belgischen »Spa  durchaus aufnehmen konnte und Adelige und gut betuchte Bürger von überall anzog. Auch wenn entsprechende Belege dafür fehlen (vgl. Reulecke 2010, S.50, Anm.156), ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass er sich dort mit attraktiven weiblichen Badegästen vergnügte (vgl. Roßbeck 2009, S.21). Ob oder ob nicht, in jedem Falle hätte die von ihm abhängige, sechsundzwanzig Jahre jüngere Louise Philippine Antoinette Michaelis, die bei ihrer Heirat eine stattliche Mitgift in die Ehe mitgebracht hatte, diese hinnehmen müssen.


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Ausdruck dieser Zweckehe, deren Erwartungen im Hinblick auf Nachkommenschaft die junge Frau mit der Abfolge von neun Geburten bestens erfüllte, war, dass im Michaelis-Haus die Lebensbereiche des Vaters und der Familie räumlich vollständig voneinander getrennt waren. Vater Michaelis hatte sein Schlaf- und Arbeitszimmer im ersten Stock, während die Mutter mit den vier Kindern im Erdgeschoss wohnte. Lediglich zum Abendessen kam man täglich zusammen, ansonsten ging man den Tag über getrennte Wege. (Kleßmann 1975, S.31f.) Ob sich die Familie zu anderen Anlässen, wie sonst oft üblich, z. B. zu Bibelstunden oder anderweitigen Vorlesestunden zusammenfand, ist nicht bekannt. Wenn schon sonst nicht unbedingt, so blieb der Vater doch für Caroline stets ihr intellektuelles Vorbild. (Roßbeck 2009, S.18)

Tagsüber waren die Kinder nicht nur, bei dem, was sie trieben, so weitgehend sich selbst überlassen, sondern wuchsen auch weitgehend ohne elterliche Nestwärme auf, wie wir sie heute verstehen. Statt der Eltern hielt sich Caroline dabei wohl an ihren neun Jahre älteren Halbbruder »Christian Friedrich Michaelis (1754-1814) (Fritz), an dem sie "in schwärmerischer Verehrung (hing)" (ebd., S.15). Als sich der Bruder Ende 1781 als Stabsarzt für eine hessische Söldnertruppe anwerben lässt und bis Mai 1784 in Nordamerika für die Engländer gegen die aufständischen Kolonisten kämpft, bricht der Abschied von ihm Caroline schier das Herz.

Ansonsten bedeutete ihre Stellung als älteste Tochter und älteste der Kinder aus zweiter Ehe, dass sie schon von früh auf Verantwortung für Wohl und Wehe der jüngeren Geschwister zu tragen hatte. Eine sorglose und ausgedehnte Kindheit sieht jedenfalls aus heutiger Sicht anders aus und bei Caroline handelt es sich wohl eher um "ein frühes, allzu frühes Erwachsenenwerden" (Appel 2013, S.8).

Abwechslung für die Kinder brachten aber sicher nicht nur die im Nebentrakt wohnenden Studenten, sondern auch die große Zahl von mehr oder weniger bekannten Gästen, die dem anerkannten Professor ihre Aufwartung machten.

»Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) war schon 1766 auf der Rückreise von »Bad Pyrmont, wo er sich an der Seite von »Leopold von Brenkenhof (1750-1799) Ende Juni bis bis Mitte Juni aufgehalten hatte, bei Professor Michaelis zu Gast und veranlasste ihn, "sich an seine Ausgabe des Alten Testaments für ungelehrte Leser zu machen." (Nisbet 2008, S.438) Zur gleichen Zeit sprach auch »Benjamin Franklin (1706-1790), zu dieser Zeit noch »Interessenvertreter der nordamerikanischen britischen Kolonien in England, später einer der »Gründerväter der Vereinigten Staaten und Unterzeichner der »Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten vom 4. Juli 1776 im Hause Michaelis vor. Dabei hörte er sich die Prognose seines Gastgebers an, dass sich Amerika in absehbarer Zeit für unabhängig erklären werde, hielt aber dagegen, dass "die Liebe der Amerikaner zum britischen Mutterland (...) das nicht zulassen (würde)." (Kleßmann 1975, S.31)

Nicht dass Caroline im Alter von etwa drei Jahren vom Glanz solcher und anderer hochangesehener Besucher wirklich viel mitbekommen hätte, dafür waren die Lebensbereiche der Familie doch zu sehr getrennt. Wenn die Gäste allerdings im Hause Michaelis auch bewirtetet wurden, eine im Übrigen für den als sehr sparsam beschriebenen Hausherrn kostspielige Angelegenheit, konnte sie aber doch spüren, welches Flair ihren Vater und seine Gäste umwehte.

Die Erziehung Carolines zu Hause und im Mädchenpensionat in Gotha

In Göttingen gab es zwar zu dieser Zeit noch kein geregeltes Mädchenschulwesen (erst 100 Jahre später kommt es zur »Gründung einer mittleren und höheren Bürger- und Töchterschule, vgl. Dehler 2012/13). Trotzdem hätte Caroline auch auf eine der private Mädchenschulen für "höhere Töchter" gehen können, wie z. B. die Institute der Madame de la Port oder das von Madame de la Pont, wo der Französisch-Unterricht im Mittelpunkt stand oder an eine der anderen, eher an christlicher Lebensführung ausgerichteten privat geführten Einrichtung dieser Art. (vgl. Roßbeck 2009, S.21)

Vielleicht lag es an dem besonderen Milieu der hochgelehrten Professorenfamilien oder auch an einem allgemeinen Trend in gutsituierten bürgerlichen Kreisen, dass es Carolines Vater vorzog, seine Tochter nach seinen eigenen Vorstellungen von Hauslehrern, die allerdings häufig wechselten, unterrichten zu lassen.

So bekam sie in den eigenen vier Wänden Unterricht in Religion, Geschichte, Arithmetik und in Englisch, Französisch und Italienisch. Da sie offenbar bereitwillig lernte und dazu eine entsprechende Begabung zeigte, machte sie gute Fortschritte und las sogar verschiedene englische Autoren im Original. Dass sie als Mädchen in so verschiedenen Gebieten unterrichtet wurde, war indessen zu dieser Zeit nicht selbstverständlich, zumal Bildung nicht unbedingt das war, mit dem bürgerliche Mädchen ihr soziales Kapital für ihre Zukunft als Ehefrauen und Mütter vergrößern konnten.

Im Gegenteil: Schon »Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) hatte in seinem »Émile oder Über die Erziehung (1762) den Stab über "Blaustrümpfe und Schöngeister" (Rousseau 1762/41978, S.447) gebrochen und betont, dass sie "eine Geißel für ihren Mann, ihre Kinder, ihre Freunde, ihre Diener, für alle Welt" (ebd., S.447) seien: "Von der Höhe ihres Genies aus verachtet sie alle ihre fraulichen Pflichten und denkt nur daran, ein Mann [sic!] nach der Art des Fräulein von l'Enclos zu werden." (ebd.)

Dass Rousseau die gebildete, für ihre vielseitige musische Begabung, ihre Intelligenz und ihren Sprachwitz gesellschaftlich anerkannte »Ninon de Lenclos (1620-1705), die wegen ihrer Attraktivität auch zahlreiche Liebhaber hatte, ohne jemals ihre Unabhängigkeit aufzugeben und zu heiraten, so abwertet und sie, ohne den Begriff so zu gebrauchen, zum "Mannweib" abstempelte, einer Frau, die einfach aus Geltungssucht das soziale Geschlecht wechselte, zeigt auch wie groß die männliche Furcht vor selbstbewussten, aus den herkömmlichen Rollenklischees fallende oder diese bewusst abstreifende Frauen war und wie einfach solche Frauen zur Projektionsfläche dieser Ängste werden konnten und sich dabei tief im »kollektiven Gedächtnis dieser und nachfolgender Zeiten verankert haben, das die herkömmlichen Geschlechterbeziehungen und Rollenerwartungen prägte und immer weiter tradierte.

Was Rousseau und andere mit ihm vertraten, war also nicht neu und entsprach durchaus auch dem Mainstream, dem vorherrschenden Zeitgeist, den er im Anschluss an diese Bemerkung zitiert: "Draußen wirkt sie stets lächerlich und wird zu Recht kritisiert, denn die Kritik kann nicht ausbleiben, sobald man seinen Stand verlässt und einen annehmen möchte, für den man nicht geschaffen ist. Alle diese hochtalentierten Frauen nötigen nur den Dummen Achtung ab. [...] Dieser ganze Schwindel ist einer ehrbaren Frau unwürdig." Und am Ende dieser Überlegungen setzt er hinzu: "Leser ich berufe mich hierin auf euch selber. Seid ehrlich! Von welcher Frau habt ihr einen besseren Eindruck und welcher Frau nähert ihr euch mit größerer Ehrfurcht, wenn ihr das Zimmer betretet: wenn ihr sie mit Arbeiten ihres Geschlechtes, mit den Sorgen ihres Haushaltes und beim Flicken der Kindersachen beschäftigt seht, oder wenn sie auf ihrem Putztisch Verse schreibt, umgeben von allen möglichen Drucksachen und von Briefchen in allen Farben? Wenn es nur vernünftige Männer auf der Welt gäbe, so bliebe jedes gelehrte Mädchen ein Leben lang alte Jungfer." (ebd., S.447f,)

Mit nicht einmal 12 Jahren wurde Caroline von ihrem Vater um Ostern 1774 herum in ein Mädchenpensionat im etwa 100 km südöstlich von Göttingen gelegene »Gotha geschickt. In der Residenzstadt des »ernestinischen Herzogtums »Sachsen-Gotha-Altenburg bleibt sie drei Jahre, bis sie im Sommer 1771 als Fünfzehnjährige nach Göttingen zurückkehrt.

Unter den Fittichen von Justus Karl Schläger und seiner Frau Sarah Elisabeth Schläger, über deren persönliche und erzieherische Qualitäten die Meinungen der Zeitgenossen wohl weit auseinandergingen, soll das junge Mädchen den nötigen haushälterischen und gesellschaftlichen Feinschliff erhalten und damit auf die ihr vorgezeichnete Rolle als Ehefrau und Mutter weiter vorbereitet werden. Über Carolines Verhältnis zu ihnen, wissen wir wenig.

Carolines Vater hat dabei aber sicherlich auch andere Dinge vor Augen, als er sich entschließt, seine Tochter ins Pensionat zu geben. Ein junges, dazu etwas frühreifes bürgerliches Mädchen aus bestem Hause, war in Göttingen, wo Hunderte männlicher Studenten kaum Spielraum hatten, die ihnen prinzipiell zugestandenen vorehelichen sexuellen Erfahrungen zu machen, besonderen Gefährdungen ausgesetzt. Erlag sie den Verführungskünsten eines Liebhabers, war es um ihre "Keuschheit", die auch für Rousseau "die kostbarste Tugend für eine Frau" (Rousseau 1762/41978, S.427) darstellte, geschehen und mit dem Verlust der Jungfräulichkeit verspielte sie einen wichtigen Teil ihres sozialen Kapitals, das auch die beste Mitgift nicht mehr wettmachen konnte. Dass sich vor allem Studenten, denen gewiss auch in Göttingen nachgesagt wurde, sie kümmerten sich mehr um "Skandalieren, Trinken, Spielen, Bürgermädchen verführen" (Bauer 1926, S.57), sich immer wieder auch an gutsituierte bürgerliche junge Frauen heranmachten, dürfte Alltag gewesen sein, auch wenn »Friedrich Christian Laukhard (1757-1822) von ihnen "mit gnädiger und großgünstiger Erlaubnis" sagt, sie seien "durch die Bank – nicht schön" und hätten "so etwas Widerliches im Gesicht, welches durchaus mißfällt, und ihre Farbe, oder der Teint, wie man sagt, ist weit entfernt von jenen Lilien und Rosen, von denen unsere Herren Reimemacher so viel zu sagen wissen. Unter den gemeinen Mädchen findet man auch sehr wenig Rares." Trotzdem, versuchten, die, die das nötige Kleingeld hatten, auch bei "einem vornehmeren Frauenzimmer anzukommen" und ihr den Hof zu machen, meistens jedoch mit wenig Erfolg. Gewöhnlich habe dem "Galan" nichts genutzt, wenn "der Beutel tüchtig ausgeleert " worden sei. Allerdings konnte es auch gelingen, was in jedem Fall die bessere Wahl "als eine gefällige, busenreiche Aufwärterin" gewesen sei.Laukhard, Leben und Schicksale 1, 8. Kap.)

Bürgerliche Familienväter und -mütter hatten daher stets ihr wachsame Auge auf die Bewahrung der "Unberührtheit" ihrer Töchter gerichtet, die wie ein Schatz gehütet wurde, damit sie ihr künftiger Ehemann "»rein und unschuldig« in seinen Besitz" (Frevert 1986, S.50) nehmen konnte und der sich dabei darauf verlassen konnte, "dass sie seine Liebhaberkünste voraussetzungslos und ohne Vergleichsmöglichkeiten genoss." (ebd.) Dass der meist viele Jähre ältere Bräutigam vor der Ehe Erfahrungen mit Dienstmädchen oder Prostituierten machen durfte, war hingegen letzten Endes untadelig. Ein Bürgermädchen zu verführen, und sich dann aus dem Staube zu machen, war aber etwas ganz anderes, auch wenn die sozialen Konsequenzen eines solchen "Fehltritts" fast ausschließlich zu Lasten der Frau gingen.

Ein illegitimes Kind war im Bürgertum der Zeit unvorstellbar und "wenn schon das Verbot vor- und außerehelicher Sexualität in bestimmten Kreisen der literarischen Intelligenz nicht mehr geachtet wurde, blieb das Tabu unehelicher Geburt unangefochten." (ebd.)

Die Folgen des Makels einer unehelichen Geburt hat Caroline später selbst vor Augen, als sie als Witwe nach einer kurzen ▪ Affäre mit einem französischen Offizier in Mainz 1782 schwanger wird, die Schwangerschaft bis zur Geburt weitgehend verheimlicht und das dann geborene Kind Pflegeeltern abgegeben hat, wo es, so wie es den meisten solcher Pflegekindern erging (vgl. ebd., S.51), nach wenigen Monaten verstarb.

Die "Sexualnot unter jungen Männern war groß" (Kleßmann 1975, S.21) und wenn sie sich nicht mit der Gastwirtstochter (»filla hospitalis) oder ihrer "zwar verheirateten, aber sexuell enttäuschten Vermieterin",  vergnügen konnten, die ihnen – im Studentenjargon der Zeit gesprochen – ihre Dienste hie und da mit "Schwanzdukaten" entlohnten (vgl. ebd.), dann hielt man sich an die zahlreichen Dienstmädchen oder ging eben zu Prostituierten.

Die jungen Dienstmädchen waren oft für ihre Hausherrn, aber vor allem auch für die vielen Studenten der Stadt das vorrangige Objekt der Begierde. Von Studenten waren sie wohl leicht "rumzukriegen". Sie folgten wohl oft in recht naiver Weise der trügerischen Hoffnung, von ihren studentischen Liebhabern geheiratet zu werden, standen aber meistens, wenn sie schwanger wurden, und der Student, nachdem ihm  von zu Hause wegen dieser Angelegenheit der Geldhahn zugedreht worden war, die Stadt verlassen hatte, mit ihrem unehelichen Kind da.

So erging es vielen dieser jungen Frauen: Von den im Jahre 1793 in Göttingen 362 verzeichneten Geburten waren 103 unehelich. (vgl. Koerner 1989, S.25) Allerdings gehörten dazu auch etliche Geburten von Frauen,  die  von außerhalb als Schwangere nach Göttingen kamen, um in dem 1791 auf Initiative des Arztes »Friedrich Benjamin Osiander (1759-1822) Göttinger »Accouchierhaus (Entbindungshaus) ihr Kind zur Welt zu bringen.

Auch wenn die Entbindungsanstalt offenbar erheblich bessere hygienische Bedingungen bot als die Orte, an denen Kinder sonst oft geboren wurden und grundsätzlich allen schwangeren Frauen offenstand, wurden die gebärenden Mütter von Osiander zu Versuchsobjekten degradiert, an denen der Professor der Medizin vor der versammelten Mannschaft seiner Medizinstudenten ohne jede Rücksicht auf eine medizinisch begründete Indikation seine Zangengeburtstechnik entweder vorführte oder die Anwendung der Geburtszange durch Studenten beaufsichtigte. (vgl. ebd., S.25f.) Es ging hier also nur am Rande um die gebärenden Mütter, aber schon gar nicht um deren Bedürfnisse. Studenten und Hebammen auszubilden, war das eigentliche Ziel, das im Göttinger Accouchierhaus verfolgt wurde. Nach der Geburt kamen viele der dort geborenen unehelichen Kinder zu Pflegeeltern. Über die Zahl der unter schlimmsten Verhältnissen vorgenommenen Abtreibungen, die Dienstmädchen aus verschiedenen Gründen vornahmen, ehe sie die Dienste Osianders und seiner Studenten überhaupt beanspruchen konnten, gibt es keine verlässlichen Daten.

Wenn "Mann" keines der ledigen Dienstmädchen fand, die zu Hunderten nach Göttingen kamen, um als Näherinnen, Wäscherinnen oder als Hausbedienstete in den Haushalten der wohlhabenden Bürgerinnen und Bürger der Universitätsstadt zu arbeiten (Koerner 1989, S.60), ging man eben auch zu Prostituierten.

Der Student Johann Nikolaus Becker nahm 1798 dazu in seinen Reisebeschreibungen kein Blatt vor den Mund, als er der Einrichtung eines festen Bordells in Göttingen, rein wirtschaftlich betrachtet, wenig Chancen einräumte, weil es gefällige Aufwärterinnen giebt, die wohlfeiler und heimlicher zu haben sind als die Mädchen in so einem Hause." (Becker 1798/1985), zit. n. Kühn 1987, S.180f.)

Die jungen Frauen, die sich prostituierten, taten dies aus unterschiedlichen Gründen. Etliche von ihnen waren ja von ihren feinen bürgerlichen Hausherren vergewaltigt und geschwängert worden, und dann, nachdem sie von diesen geschwängert worden waren, mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt oder zumindest entlassen worden. Sie sahen danach kaum eine andere Möglichkeit, sich und ggf. ihr uneheliches Kind durchzubringen. Zudem lastete auf ihnen auch noch die soziale Verachtung derer, die ihre sexuellen Bedürfnisse rücksichtslos an ihnen befriedigt hatten, wie an einer Bemerkung von Gottlieb Christian Heinrich List 1785 mehr als deutlich wird: "Viele ledige Weibs-Personen, wenn ihnen das Dienen nicht weiter gefällt, setzen sich auf ihre eigene Hand, ziehen bey leichtgesinneten Leuten zu miethe ein, und suchen sodann quaestum corporis zu treiben, sich auf solche Arth zu ernehren. ... Sie affiniren recht darauf, wie sie diesen oder [jenen] jungen Menschen an sich locken, zu ihren bösen Absichten zu verleiten und um Zeit, Geld und um die bisherige unschuldige Aufführung bringen mögen." (zit. n. Kühn 1987, S.180)

Der strukturelle Frauenüberschuss in Göttingen, das 1767 6.365 ständige Einwohner zählte (Koerner 1989, S.60, dort Bezugnahme auf: Sachse 1989, S.208) ging vor allem auf das Konto der zwischen 15- und 25-jährigen zuziehenden Dienstmädchen. Er war mit 510 Frauen (1766) doch beachtlich, blieb aber bei vergleichsweise großer Fluktuation, weil die jungen Frauen auch immer wieder abwanderten, bis Ende des 19. Jahrhunderts auf einem hohen Niveau. Er relativiert sich aber, wenn man die vielen Hundert männlichen Studenten (mit »947 Studenten erreichte ihre Zahl im Sommersemester 1781 die Höchstzahl im 18. Jahrhundert) und die Soldaten der Garnison zur männlichen, allerdings nicht ständig in der Stadt wohnenden Bevölkerung hinzurechnet.

Wer als Mann seine sexuellen Bedürfnisse nicht mit einem Dienstmädchen befriedigen konnte, ging zu Prostituierten in die Turmstraße, in die »Klein-Paris genannte, völlig heruntergekommene Gegend der Stadt, wo neben kleineren Handwerkern, Tagelöhnern und Arbeitslosen, die dort in äußerst beengten und katastrophalen hygienischen Verhältnissen hausten (vgl. Reincke 2012/2013, dort Bezug auf von Frieling 1988, S. 18-31), auch Frauen der Prostitution nachgingen, um wenigstens das Nötigste für ihren Lebensunterhalt zusammen zu bekommen. Dort wohnten auch viele der ihrem Schicksal überlassenen und von ihren ehemaligen Herren missbrauchten und jetzt zur Prostitution gezwungenen ehemaligen Dienstmädchen. In Häusern, welche "mehr Schweineställen als Menschenwohnungen ähnlich" (Hochheimer 1791, zit. n.  Reincke 2012/2013) verrichteten sie ihre "Sexarbeit" und wurden dafür noch mit Verachtung durch ihre Kunden, ganz zu schweigen, von der durch die bürgerliche Gesellschaft insgesamt, bestraft. Sie bezahlten die Zeche mit Geschlechtskrankheiten und anderen Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Scharlach und Maser, die in den heruntergekommenen Straßen grassierten. Und sie gaben ihren studentischen Kunden auch einiges davon mit, die aber, im Gegensatz zu ihnen, ihre "Galanteriekrankheiten" soweit behandeln lassen konnten, wie es in der Zeit eben möglich war.

Angesichts dieser Lage war es wohl auch das voraussehende Kalkül des Vaters, mit der Entsendung seiner ältesten Tochter Caroline in Pensionat nach Göttingen die sittlichen Untiefen der Göttinger Universitätsstadt großräumig so lange zu umgehen, bis die Tochter sittlich gereift ins Heiratsalter kam.

Dass ein solches strategisches Denken von Vorteil war, zeigte sich am Beispiel seiner Tochter Charlotte Wilhelmine (1766-1793), genannt Lotte, Carolines drei Jahre jüngeren Schwester, die sich 1779 als Dreizehnjährige in den im Michaelishaus wohnenden Juristen Pedro Hockel verliebte. (vgl. Roßbeck 2009, S.27)

Die offensichtlich besonders frühreife Lotte, die von Caroline als eitel, affektiert-empfindsam, leichtsinnig, mit einer Vorliebe für ein Leben in den Tag hinein, im Ganzen als "eine äußerst gefährliche Mischung für ein junges Mädchen, das nicht ohne Schönheit ist" (zit. n. Kleßmann 1975, S.46) beschrieben wurde, war nicht nur nach Ansicht ihrer Schwester drauf und dran, eine Dummheit zu machen.

Überraschend kam dies sicher auch für ihre Schwester nicht, die bei aller Forschheit, die sie sonst zeigen konnte, in solchen Dingen eher zurückhaltend war. Sie hatte schließlich, auch wenn sie dies gewiss klar missbilligte, immer wieder mitbekommen, wie "die frühreife Lotte den unter ihrem Zimmerfester auf und ab patroullierenden Studenten ganz offen eindeutige Zeichen machte" (Roßbeck 2009, S.27), mit zugeworfenen Handküssen kokettierte, "anstatt, wie es sich für ein Mädchen ohne Fehl und Tadel gehörte, halb versteckt hinter den Gardinen nur einen flüchtigen Blick zu riskieren." (ebd.) So war es vielleicht in ihren und den Augen ihrer Eltern nur eine Frage der Zeit, bis "es" passieren würde, und: mit gravierenden Folgen für das dann "entehrte" Mädchen, aber auch für ihre Familie.

Für einen adeligen Liebhaber wäre das ohnehin folgenlos geblieben, wenn eine Frau "niederen" Standes geschwängert wurde. Aber in bürgerlichen Kreisen war eine Mutter mit einem unehelichen Kind untragbar und wurde mit sozialer Verachtung und Ausgrenzung bestraft. Und die Aussicht, dass ein bürgerlicher Student, der als Folge einer vorehelichen Affäre dieser Art, die im Übrigen als Unzucht strafbar war, aber selten wirklich verfolgt wurde, die von ihm geschwängerte Geliebte schnell heiraten hätte können, waren gering. Entweder standen dem gesetzliche Regelungen entgegen (in Jena durften die Studenten einfach nicht heiraten) oder die Eltern, die vielleicht schon lange eine andere Heiratskandidatin für ihren auf ihre Kosten studierenden Sohn ausgesucht hatten, hätten die ihnen zukommende Einwilligung für eine solche Ehe verweigert. Da Alimente nicht zu bezahlen waren, konnte sich jeder Liebhaber so wieder mehr oder weniger ungeschoren aus dem Staub machen. Das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft und ihre sozialen Folgen lagen einzig und allein auf Seiten der Frau, und auch ihrer Familie.

Lotte stand also früh schon an einem Scheideweg ihres Lebens und niemand weiß, ob sie sich als ganz und gar sexuell unaufgeklärtes Mädchen auch mit ihrem Schwarm sexuell eingelassen hätte. Ihre Schwärmerei machte aber nicht allen Sorgen. Von »Therese Heyne (1764-1829), der immer in einer Spannungsbeziehung zu ihrer Freundin und Konkurrentin Caroline Michaelis stehenden Professorentochter, ist bekannt, dass sie Lotte gegen den ausdrücklichen Willen der Michaelis-Eltern und Carolines Lotte darin unterstützt hat.

So schickte Vater Michaelis, als sich das Ganze hinzog, auch Lotte in das Mädchenpensionat nach Gotha, von wo sie erst wieder nach Göttingen zurückkehrte, nachdem Pedro Hockel, sehr zur Erleichterung von Caroline, im Dezember 1781 die Stadt verlassen hatte. (Kleßmann 1975, S.45f.) Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Lotte es aber kurz nach ihrer Ankunft im Gothaer Internat auch noch in Gotha schaffte, "Madame Schläger auszutricksen" (Roßbeck 2009, S.288, Anm. 46) und sich noch einmal mit Pedro Hockel zu treffen, ohne dass dies allerdings zu weiteren Verwicklungen führte.

Wie schnell man mit einer solchen Affäre, dazu noch mit einem "übel beleumundeten Studenten" "Stadtgespräch" werden, war der weitaus mehr auf ihre Sittsamkeit bedachten Caroline sicher eine Lehre. Und wie schnell man, wenn so eine Angelegenheit erst einmal in aller Munde war, ohne einen Grund dafür geliefert zu haben, in einen Topf geworfen werde konnte, machte ihr wirklich zu schaffen. Schlimm genug, dass Lotte allerorten als "kleiner Teufel" bezeichnet wurde. Dass aber Leute, die es angeblich ganz genau wissen wollten, davon sprachen, dass Lotte im Vergleich mit ihrer älteren Schwester noch gar nichts sei, hat sie bestimmt verletzt und vielleicht auch ihre Entscheidung, sich 1782 mit dem Nachbarsohn, ihrem späteren ersten Ehemann, Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788), zu verloben begünstigt.

Im Mädchenpensionat in Göttingen lernen die Mädchen sämtliche Handarbeiten kennen, hier entwickelt sich auch Carolines Fähigkeit, schöne Stickereien anzufertigen, die ihr später ▪ während ihrer Mainzer Zeit (1793/93) einmal helfen werden, sich finanziell über Wasser zu halten. Die Mädchen sollen im Internat in ihrer weiteren "sittlichen" Entwicklung so gefördert werden, dass sie ihrer weiblichen "Bestimmung" später gerecht werden konnten. Von neun Uhr morgens bis sechs Uhr abends wurde ihnen alles, was eine Frau zur Führung eines bürgerlichen Haushaltes wissen musste, dazu Handarbeiten und Schneidereien, beigebracht. Wenn es von den zahlenden Eltern gewünscht war, konnten auch musische "Fächer", z. B. Tanzen, Musizieren oder auch Zeichnen dazukommen. Caroline findet in der drei Jahre älteren Luise Stieler, später verheiratete Gotter (1760-1826) in Gotha eine lebenslange Freundin. Luise wird 1780, im Alter von zwanzig Jahren, drei Jahre nachdem Caroline Gotha verlassen hat, den Geheimen Rat und Schriftsteller »Friedrich Wilhelm Gotter (1746-1797) heiraten, wobei auch bei dieser Ehe wenig Zuneigung im Spiel gewesen ist.

Rückkehr Carolines nach Göttingen 1771

Nach drei Jahren kehrt Caroline im Sommer 1777 aus dem Mädchenpensionat im Alter von fünfzehn Jahren in ihre Heimatstadt zurück. Gotha bleibt aber stets »das Vaterland [ihres] Herzens« (Brief an Gotter 7.4.1785, Waitz 1871, S.16) 

Sie ist jetzt "eine aufs Ganze gesehen höchst erfreuliche Erscheinung" (Roßbeck 2009, S.28), vielleicht nicht unbedingt, das was man als Schönheit in dieser Zeit begriffen hat. Der Maler »Friedrich Tischbein (1750-1812), der einige der "Reichen und Schönen" seiner Zeit porträtiert hat, sagte von ihr: "Sie war gar nicht schön, kaum hübsch, aber ihre nette, gewandte, kleine Gestalt war graziös, wie ihr ganzes Wesen, und in dem von Pockennarben etwas beschädigten Antlitz lag so viel Einnehmendes, in ihren [dunklen, dezent schielenden] Augen leuchtete so viel Geist, und ihre Lippen zeigten, wenn sie sich öffneten, so schöne Zähne, daß man die maßlose Neigung ... vieler Männer begriff." (zit. n. Roßbeck 2009, S.28)

Caroline hatte offenbar eine Ausstrahlung, die einen aufmerksamen Beobachter nicht verkennen ließ, dass es sich bei ihr um eine intelligente junge Frau mit einem über das Übliche hinausgehenden Horizont handelte. Das hatte auch seinen Grund.

Den schon von klein auf, klebte sie wohl schon an den Lippen der Eltern, wenn, wie sonst in solchen Kreisen auch, vorgelesen wurde. Wie hoch die Zahl derer war, die in Göttingen zu dieser Zeit lesen und schreiben konnten, ist nicht ganz klar. Man schätzt dass Anfang der 1760er Jahre gerade Mal ein Viertel der Bevölkerung war (Roßbeck 2009, S.19f.) Feststeht jedenfalls, dass der Rat der Stadt Ende November 1775 anordnet, dass nach Michaelis 1776 bei den Gilden kein Lehrling mehr eingestellt werden dar, der nicht lesen und schreiben kann.

Als Caroline selbst lesen und schreiben konnte, hat sie jedenfalls die Bücher verschlungen, die im wohlsortierten Bücherschrank ihres Vaters ihr Interesse fanden und hat sich wohl auch aus der ein oder anderen Leihbibliothek mit Lesefutter versorgt. Aber auch in der gerade gegenüber der Straße liegenden Universitätsbibliothek findet sie allerlei triviale "Herz-Schmerz-Geschichten" (ebd., S.20), die ihre Fantasie anregen und die Gemütswelt des adoleszenten Mädchens ansprechen.

Es sind also die neuen Lesestoffe, die es Caroline angetan haben, weniger  Klassiker und auch wohl nicht die altherkömmlichen "wie Kalenderliteratur, Katechismus, religiöse Erbauungsliteratur und die Bibel" (vgl. Schneider 2015, S.751), deren Lektüre sich bei ihr zu einer ausgeprägten Leseleidenschaft entwickelte, die von Zeitgenossen, wenn sie Frauen betraf, herabsetzend gern als  "Lesewut" bezeichnet wurde.

Was sie auf jeden Fall besonders liebte, war das von Christian Felix Weiße (1726-1804) von 1775 bis 1882 in 24 Bänden erschienene Wochenblatt »Der Kinderfreund, in dem der Herausgeber der ersten Kinderzeitschrift auf deutschem Boden den Kindern Ratschläge für ein an Glaube und Sittlichkeit orientiertes Leben gab. Zugleich enthielt die Zeitschrift aber auch Unterhaltendes wie Rätsel und kleinere Theaterstücke zum Nachspielen und Rezitieren, ohnehin einer der großen Leidenschaften von Caroline, wie z. B. "Der Geburtsthag. ein kleines Lustspiel für Kinder in einem Aufzuge" (4.12.1775), indem ausgerechnet auch noch die pfiffige Tochter ihren Geburtstag feiernden Bruder, der sich mit einem Degen gegenüber den anderen Knaben seiner Geburtstagsgesellschaft aufspielen will, vor Dummheiten bewahrt.

Dabei sollten Frauen, die in der patriarchalischen Gesellschaft der Zeit, zumindest in bürgerlichen Kreisen, auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter festgelegt waren, durch Lesen nicht "gelehrt, allenfalls gebildet"  (Schneider 2015, S.752) werden. Daran orientierte sich auch das Lektüreangebot und die Lektüreempfehlungen, die allenthalben erteilt wurden, um eine, wo es möglich war, ins Rollenbild passende "Frauenzimmerbibliothek" zusammenzustellen. Zu solchen, auch als "Damenbibliotheken" bezeichneten, häuslichen Sammlungen sollten vor allem Schriften gehören, die eine tugendhafte Lebensführung thematisierten oder anderweitig Untadeliges in populärwissenschaftliche oder populärphilosophischen Texten zur Papier brachten.

Hinter den moralisierenden Bewertungen weiblichen Lesens durch die Männer, steht dabei stets die Angst, Frauen, die lesen, könnten auch die patriarchalischen Geschlechtsbeziehungen hinterfragen und aus den ihnen zugewiesenen Rollen ausbrechen. Aus diesem Grunde hat man wohl noch im 18. Jahrhundert in die Einbände mancher Romane Faden und Nadeln eingelassen, um die Frauen daran zu erinnern, was ihre eigentliche Bestimmung sei: "nicht lesen, sondern den Haushalt in Ordnung halten. Lesen ist verschwendete Zeit, verschwendetes Geld, und wer weiß, wohin das führt - eigene Ideen, Aufruhr, erotische Phantasien, ja, sonst noch was." (Heidenreich (2007, S.15) Trotzdem: Aus welcher Ecke die moralisierenden Einwände gegen das Lesen, insbesondere das weibliche Lesen auch kamen, sie konnten "den Siegeszug des Lesens, auch und gerade des ▪ weiblichen Lesens, nicht aufhalten." (Bollmann 2007, S.25)

Neben dem Lesen gehörte das Theater zu wichtigsten Freizeitvergnügen der jungen Frau. In Göttingen waren dies vor allem "billige Possen, Klamaukstücke und Schmachtfetzen" (Kleßmann 1975, S.38), die es auf die Bühne brachten. Man spielte, was gefiel, und lieferte dem Publikum, das oft Abend für Abend oder zumindest mehrmals in dasselbe Stück ging, den Rahmen für einen geselligen Abend.

Was gespielt wurde, waren damals große Publikumserfolge in den Groß- und Kleinstädten des Reiches, wie z. B. Nicht mehr als sechs Schüsseln. Ein Familiengemälde in fünf Aufzügen von »Gustav Friedrich Wilhelm Großmann (1746-1796) (das Goethe offenbar besonders hasste): Die Jagd, ein Singspiel von »Christian Felix Weiße (1726-1804) oder ähnliche Rührstücke von »Joseph August von Törring-Cronsfeld (1753-1826) und »Karl Martin Plümicke (1749-1833), sowie Die Liebe nach der Mode oder der Eheprokurator, ein Lustspiel von »Christoph Friedrich Bretzner (1748-1807) u. ä. m. Letzteres war eine Geschichte um die Liebe zwischen einem mittellosen Studenten und seiner unter der Vormundschaft eines professionellen Heiratsvermittlers stehenden Angebeten. Dieser Eheprokurator, »hat die genaueste Kenntnis aller heirathsmäßigen Jungfern und Witwen der Stadt, und des ganzen umliegenden Kreises und für Geld kannst Du bey ihm eine Gallerie Dames, mit allen ihren Qualitäten und Quantitäten aufgestellt sehen, dass einer auf meine Ehre der unempfindlichste Kloß auf der Welt seyn müßte, wenn er nicht Lust kriegte anzubeissen.« Alles in allem eine Handlung, die das Geschacher zwischen den in Frage kommenden Eheaspirant*innen und dem Heiratsvermittler bei der Anbahnung möglichst lukrativer Ehen mit zahlreichen Verwicklungen als Lustspiel inszeniert.

Solche Theaterstücke werden in Göttingen also vor allem gespielt und gehören zu dem, was Carolines Sozialisation auch ausmacht. Wenn Caroline das Stück gesehen hat, wurde ihr sicher bewusst, welche Sicherheit eine sorgsam ausgewählte Konvenienzehe, ohne solches Geschacher, bieten konnte. Mit achtzehn Jahren war sie in einer Zeit, in der Frauen Ende zwanzig schon als alte Jungfern gelten konnten, inzwischen im besten heiratsfähigen Alter.

1781, mit achtzehn Jahren kennt Caroline »Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Briefroman »Werther, der ja schon 1774 auf dem Markt ist und insbesondere bei Leserinnen wie ein Bombe eingeschlagen hat. Auf sie scheint der Roman allerdings keine große Wirkung gehabt zu haben, auch wenn sie in einem Brief an Luise Gotter Ende Oktober 1781 einräumt, dass er »so romanhaft (ist)«, einem die Handlung beim Lesen wirklich natürlich erscheine, »wenn man sich nur mit ein bischen Einbildungskraft hineinphantasiert.« (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.96). Vom Wertherfieber jedenfalls scheint die junge Frau, die von sich selbst in einem Brief an ihre Freundin Luise Stieler (1760-1826 aus Gotha sagte, sie sei »keine Schwärmerin, keine Enthusiastin« und was sie bewege, sei "das Resultat [...] bei kaltem Blut angestellte(r) Überlegung« (zit. n. Kleßmann 1975, S.39) nicht angesteckt worden zu sein. Von ▪ Friedrich Schiller  (1759-1809) kennt sie vom Lesen sein ▪ Stum-und-Drang Drama Die Räuber (1781) und auch Goethes Trauerspiel Stella (1775) ist ihr bekannt.

Mädchen wie Caroline Michaelis, die so gar nicht recht in das traditionelle Bild passen wollten, wurden in Göttingen etwas abschätzig »"Universitätsmamsellen" genannt. Sie waren allesamt Töchter anerkannter Professoren, zu denen außer »Caroline Michaelis (1763-1809), »Therese Heyne (1764–1829), »Philippine Gatterer (1756–1831), »Meta Wedekind (1765-1853) und »Dorothea Schlözer (1770–1825) gehörten, die sich alle gut kannten und ihr ganzes Leben in unterschiedlichem Ausmaß miteinander verbunden geblieben sind.

Alle waren sie "umfassend gebildete, mit soliden Kenntnissen der französischen und deutschen Literatur ausgestattete Intellektuelle" (Alt, Bd. II, 2004, S.321), von denen sich »Philippine Gatterer ( ab 1780 verh. Engelhard) literarisch als »Lyrikerin einen Namen machen konnte, Caroline und Meta Wedekind sehr erfolgreiche und produktive Übersetzerinnen wurden und die hochbegabte und von ihrem Vater vom Kindesalter an intensiv geförderte »Dorothea Schlözer (1770–1825) konnte sogar 1787 im Alter von gerade mal 17 Jahren auf Initiative von Carolines Vater. »Johann David Michaelis (1717-1791) als erste Frau in Deutschland einen Doktortitel in Philosophie nach einer über dreieinhalb Stunden dauernden Prüfung in zahlreichen Fächern erwerben. Auch wenn sie ihre Promotion nur mit »rite (also mit der schlechtesten Note) abschließen konnte, eine weitere akademische Karriere für eine junge Frau ohnehin nicht möglich war, hat der Doktortitel, und das klingt angesichts der Tatsache, dass ihre Promotion doch eine herausragende Sache war, ziemlich ernüchternd, "der Demosielle jedenfalls für das weitere Leben sicherlich nicht geschadet." (Appel 2013, S.31)

In ihren jungen Jahren brüstete sich die junge Frau aber nicht mit ihrer Begabung und ihren Kenntnissen und unter Männern vermied sie es, so weise war sie, "mit gelehrten Brocken ums sich zu werfen", ohne ihr Licht gänzlich unter den Scheffel zu stellen. (Christian von Schlözer 1828, Bd. 1, S.317)

Caroline und die "Blaustrümpfe"

Caroline, die später doch selbst "zur großen Lebensverwirklicherin" werden sollte, "die die Grenzen durchbrach und gegen alle üble Nachrede dafür stand, authentisch zu leben" (Appel 2013, S.28), konnte aber in dieser Phase ihres Lebens mit außergewöhnlichen Frauen – Rousseau hatte von ihnen als "Blaustrümpfe und Schöngeister" gesprochen, die sich nicht in das eigene Korsett vorbestimmter Lebensläufe als Ehefrau und Mutter zwängen lassen wollten – wenig anfangen. Was sie von ihnen mitbekam oder was ihr über sie zugetragen wurde, passte in dieser Zeit nicht zu dem, wie sie ihre zukünftige Rolle als Ehefrau und Mutter zu sehen gelernt hatte. Und doch: In ihren Briefen bis etwa 1788 betet sie immer wieder an "Gemeinplätzen des Aufklärungsstils" orientierte "Schicklichkeitsregeln" (Damm 1978/1997, S 19) herunter, die den Geist der Aufklärung "auf handhabbare Lebensregeln des Kleinbürgertums (verwandelt und reduziert)", "drapiert sich mit Ansichten von Tugend und Vernunft, trägt sie als Phrasen vor" (ebd.)

Mag das Urteil auch so hart ausfallen, all das ist nichts wirklich Außergewöhnliches für eine heranwachsende junge Frau, die in diesem Alter beginnt, neue und reifere Beziehungen zu Altergenossinnen beiderlei Geschlechts aufzubauen, die ihr zugewiesene weibliche Geschlechtsrolle zu übernehmen, ihren eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er ist, eine emotionale Unabhängigkeit von den Eltern und anderen Erwachsenen zu erreichen, Selbstbewusstsein zu entwickeln und sich dabei seiner eigenen Stärken und Schwächen mit eigenen Wertmaßstäben bewusst zu werden und sich auf die eigene Ehe und Familie vorzubereiten. Ein widersprüchlicher Prozess der Selbstfindung auch im 18. Jahrhundert.

Bei den kritischen Urteilen, die Caroline über Frauen, die die herkömmlichen Erwartungen nicht erfüllten, zeigen , wie weit sie bestimmte Rollenerwartungen schon internalisiert hat und mit welchen Argumenten sie diese Vorstellungen und das damit zusammenhängende eigene Selbstbild zur Deckung bringen will. Zugleich ist  aber auch stets herauszuspüren, dass sie damit auch einige Wünsche verdrängte und kompensierte.

Das zeigte sich schon im Sommer 1781, als sie den Besuch ▪ Herzog Carl Eugens von Württemberg(1728-93) in Begleitung seiner seit Jahren offiziellen Mätresse »Franziska von Hohenheim (1748-1811) und einer großen Hofgesellschaft Göttingen kommentiert.

Der württembergische Fürst reiste nach dem Tode seiner seit 24 Jahren von ihm getrennt lebenden Frau »Elisabeth Friederike von Brandenburg-Ansbach (1732-1780), die aber bis zuletzt die rechtmäßige Herzogin von Württemberg gewesen war, im Sommer 1781 mit einer großen Hofgesellschaft nach Göttingen, um offenbar weitere Anregungen für seine eigenes pädagogisches Projekt an seiner ▪ Karlsschule zu erhalten, deren Erhebung zu einer Schule mit universitärem Rang unmittelbar bevorstand. In Göttingen macht er allen Fakultäten der Universität einen Besuch, verschafft sich einen Eindruck von Universitätsbibliothek, hört sich Vorlesungen und gelehrte Disputationen an. Wie Caroline eine Freundin in einem Brief wissen lässt, habe ihn Franziska von Hohenheim oft dabei begleitet, sich aber sonst im Gasthof gelangweilt.

Fürst und Mätresse, das war in den Augen Carolines moralisch untragbar, vor allem wenn ein solches Verhältnis sogar mit gemeinsamem Reisen öffentlich ausgelebt wurde. So trifft beide gleichermaßen, was Caroline zu sagen hat: »Jeder, der sie gesehn hat, macht die reizendste Beschreibung von ihr, sie soll nicht schöhn, aber im höchsten Grad annehmlich gelehrt, voller Einsicht und Verstand seyn.« heißt es zunächst, um es aber sogleich als adelige Attitüde abzutun: »Gelehrsamkeit ist jetzt so ein Steckenpferd, daß es ihn lächerlich und zum Pedanten macht.« Dass eine Zuneigung zwischen beiden bestehen könnte, die sie veranlasst haben könnte, das in Carolines Augen wohl unmoralische Verhältnis miteinander einzugehen und über ein Jahrzehnt aufrechtzuerhalten, kommt für sie allein schon wegen der Unattraktivität des Herzogs überhaupt nicht in Frage: »Er ist häßlich {...} Wilst du ein Bild, so stell Dir einen großen und nicht magern Mann, mit einem rothen Angesicht, großer Nase nebst kleinen ditos drauf, große hervorstehende Augen, einen braunen kurzen Rock, schwefelgelbe Weste, so lang, daß man die schwarzatlaßne Beinkleider, über die graue Strümpfe nach alter Mode gewickelt waren, kaum sah, denn Weste und Strümpfe stießen zusammen mit Fischbein steif gemacht, den Gang eines alten Greises vor." Das äußere Erscheinungsbild des Fürsten korrespondiert dabei für sie eindeutig mit seiner gelebten Doppelmoral: »Tugend und Religion ist jetzt sein drittes Wort, er, der Unterdrücker weiblicher Tugend, der Zerstörer der Ruhe so mancher Familie, der Verläugner seiner Religion, wenn sie aus Thaten besteht, wagts diese beiden heiligen Namen zu misbrauchen. O er ist mir verhast!« Und: Obwohl seine Untertanen wünschten, er solle Franziska heiraten, scheue er weiterhin davor zurück, weil er offenbar weiterhin alle Optionen haben wolle. Und Franziska, Caroline spricht es nicht aus, bleibt - was könnte es anders sein - aus reinem Eigennutz bei ihrem hässlichen Kerl.

Waren es im Falle von Herzog Carl Eugen und Franziska von Hohenheim vor allem die bürgerlichen Wertvorstellungen, die Caroline der Unmoral der hohen Adeligen entgegenhält, von der man sich schließlich im Bürgertum allgemein distanzierte, ging die Kritik an Frauen, welche die herkömmlichen Erwartungen bürgerlichen Erwartungen nicht erfüllten, an die eigene Substanz.

Aber Caroline stand mit solchen Auffassungen nicht allein. Nicht selten "absolvierten" genau diese außergewöhnlichen Frauen zunächst das bürgerliche Pflichtprogramm einer Ehefrau und Mutter in einer Konvenienzehe, verwehren sich in einer Art Abwehrreaktion gegen längst vorhandene Bedürfnisse, sich genau diesem zu verweigern und verteidigen diesen konventionellen Lebensentwurf nach außen hin immer wieder entschieden, ehe es ihnen in einer weiteren Lebensphase gelingt, sich mehr oder weniger stark davon zu distanzieren und so etwas ein eigenes Leben zu leben.

Das war auch bei Caroline Michaelis nicht anders, wie sich z. B. in den Urteilen der knapp Achtzehnjährigen über die hochbegabte, sieben Jahre jüngere »Dorothea Schlözer (1770–1825), die Tochter des Göttinger Professors für Staatsrecht »August Ludwig von Schlözer (1735-1809), und die russische Fürstin »Amalia von Gallitzin (1748-1806), die sich im Jahr 1781 in Göttingen aufhält.

Dass die sieben Jahre jüngere Dorothea, die im Übrigen später auch auf dasselbe Mädchenpensionat in Göttingen ging wie sie selbst, im Alter knapp 12 Jahren ihren Vater im Rahmen seiner Reisegesellschaft ohne weibliche Begleitung 1781/82 auf eine mehrmonatige Reise nach Italien, dem Traumziel allen Fernwehs der Zeit schlechthin, begleiten durfte, ging ihr gegen den Strich und sie teilte die Vorbehalte, die viele Göttinger Bürgerinnen und Bürger gegen eine solche Reise und vor allem die Teilnahme eines jungen Mädchens in einer ansonsten nur aus Männern bestehenden Reisegesellschaft vorbrachten (vgl. Kleßmann 1975, S.48). Vielleicht war Carolines Kritik daran, aber auch nur Ergebnis ihrer eigenen Enttäuschung, darüber das sie nicht selbst mitreisen durfte, und zeugt auch von dem Neid auf Dorothea. Die "Lustreise" des Professors mit seiner Tochter war schließlich Stadtgespräch in Göttingen und Caroline hat mit ihrer Meinung dazu wohl nur dessen Tenor aufgegriffen.

Eine solche Reise war in den Augen vieler Menschen in Göttingen nämlich eine echte »Donquichottiade«  (Christian von Schlözer (1828) Bd. 1, S.277). Zudem war die brutale Ermordung »Johann Friedrich Winckelmanns (1717-1768), der maßgeblichen Stimme des »Klassizismus in Deutschland, am 8. Juni 1768 »während seiner Italienreise in Triest vielen Zeitgenossen offenbar noch in guter Erinnerung geblieben.

»Der eine drohte daher«, so erinnert sich der Sohn Professor Schlözers, »mit [...] italienischen Dolchen; der Andere mit dem Klima; der Dritte mit der Inquisition. Am meisten machte man es Schlözern zum Vorwurfe, dass seine zwölfjährige Tochter den Gefahren und Mühseligkeiten jener Reise aussetze; denn diese, darüber war nur eine Stimme, würde wegen ihres hübschen Äußern sicherlich von Zigeunern oder Seiltänzern geraubt werden.« (Christian von Schlözer 1828, Bd. 1, S.277f.)

Der Klatsch der anderen Göttinger Professorenfrauen traf dazu auch die Mutter von Dorothea. Scheinheilig lästerten die anderen immer wieder, »sie würden es nicht zugeben, daß ihre Männer sie auf eine solche Art in Angst und Unruhe setzten.« (ebd., S.278.)

Auf der Reise in den Süden will der Vater in einem Brief vom 13. Oktober 1781 aus Nürnberg seine Frau offenbar beruhigen, als er schreibt: »Mit der Dortchen bin ich auch zufrieden. Sie hat nur einen schweren Stand, daß sie nicht zur Thörin wird, denn was ihr die Leute schmeicheln , ist unaussprechlich, wegen ihrer Schönheit (davon wußte ich, weiß Gott, in Göttingen nichts.); 2. wegen ihres gesunden Aussehens und dreisten (aber doch nicht frechen) Wesens; 3. wegen ihrer Kenntnisse; 4. weil sie fein Deutsch spricht.« (ebd.., S.281)

Dass so eine Reise allerorten Neider auf den Plan rief, war dem Göttinger Professor für Staatsrecht »August Ludwig von Schlözer (1735-1809) bewusst. Trotzdem war er davon überzeugt, dass ihm das am Ende nicht schaden würde. Daher war er auch entschlossen, aus der Reise soziales Kapital zu schlagen. So lässt er seine Frau am 20. Dezember 1781 aus Venedig wissen: »die Göttingerinnen sollen lange von meiner Reise sprechen« (ebd., S.295). Vor allem seine Rückkehr aus Italien sollte als großes gesellschaftliches Ereignis inszeniert werden.

Aus »Neuchâtel kommt im Ende März 1782 die Nachricht, dass die Italienreisenden am 12. April in Kassel ankommen werden. »August Ludwig von Schlözer (1735-1809) erwartet dort neben seiner Gattin auch einen großen Bahnhof, darunter vielleicht auch die Familie Michaelis, in jedem Fall »je mehr, je besser« (ebd., S.314). Als die Reisegesellschaft dort ankommt, sind nicht nur Dorotheas Mutter mit ihrem Sohn Christian vor Ort, sondern in ihrer Begleitung auch Caroline Michaelis sowie etwa ein Dutzend seiner Studenten, die »in Kabriolet und zu Pferde« auf die vierundzwanzig Stunden verspäteten Heimkehrer*innen warten, sie unter großem Jubel begrüßen und dann nach Göttingen zurück eskortieren (ebd., S.325), wo die Reiserückkehrer von über 100 begeisterten Göttingerinnen und Göttingern begrüßt werden. (vgl. Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.99, vgl. Kleßmann 1975, S.50) Ein "Event", und Caroline mittendrin.

Gewiss war das, was Dorothea Caroline von ihrem italienischen Abenteuer zu erzählen hatte, mehr als spannend, zugleich brach damit aber bei Caroline eine alte, kaum vernarbte Wunde auf. Wie gerne wäre sie selbst die weibliche Begleitperson von Dorothea für diese Reise geworden, für die sie von deren Vater, der ohnehin große Stücke auf sie hielt (vgl. Wiedemann 1929, S.78), aber auch sicher auch wegen ihres untadeligen Rufs, ursprünglich einmal vorgesehen worden war. Liebend gerne wäre sie im Oktober 1781 mit der Schlözerschen Reisegesellschaft auf die Winterreise nach Italien mitgekommen, doch ihr Vater blieb, allem Betteln um Erlaubnis zum Trotz, bei seinem kategorischen Nein und das musste sie eben hinnehmen.

Als 7 Jahre Ältere war sie aber auch ohne Zweifel an anderem als den Reisegeschichten interessiert. 1778 hatte sie sich zum ersten Mal verliebt. Ihre Wahl war auf den den Heidelberger Jurastudenten Wilhelm Link gefallen, der ihr, seit sie 14 war, immer wieder  Die meist nur brieflich kommunizierte Zuneigung stand aber unter keinem guten Stern. So moniert Caroline einmal, dass dieser bei persönlichen Begegnungen über drei Jahre hinweg nicht »ein Kompliment, ein zärtliches Wort« herausgebracht hatte, ja überhaupt »kaum reden (konnte)«. Und doch dauerte es seine Zeit, bis  Caroline ihre "vage Sehnsucht nach Liebe" (Kleßmann 1975, S.43) nach dem sang- und klanglosen Wegzug Links aus Göttingen in einem Reifeprozess bewältigen konnte.

Als Caroline mit der Schlözerschen Reisegesellschaft nach Göttingen zurückreist und unterwegs die Erlebnisse Dorotheas in Italien anhört, beschäftigt sie innerlich wohl ganz etwas anderes, nämlich wie ihr persönliches Leben als bürgerliche Ehefrau weitergehen würde. Womöglich spuken ihr im Kopf auch schon schwärmerische Gedanken an eine Affäre mit »Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer (1759-1840) herum, der seit 1776 in Göttingen lebte und den jungen Göttinger »Universitätsmamsellen, den gebildeten Töchtern angesehener Göttinger Professoren, und nicht nur ihnen, den Kopf verdrehte, sich aber nie zu einer Frau wirklich bekannte.

Ein halbes Jahr später, im Oktober 1782, ist sie jedenfalls schon mit dem Nachbarsohn Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788), verlobt, den sie am 15. Juni 1784 heiratet.

Caroline Michaelis kommt, sieht man von ihrer Postkutschenfahrt als knapp zwölfjähriges Mädchen ins Pensionat nach Gotha ab, bis zum Alter von knapp achtzehn Jahren im Grunde nie über Göttingen hinaus. Die Zweitagesreise, die sie nach langem Hin und Her, in die knapp 50 Kilometer südöstlich gelegene Residenzstadt Kassel im April 1782 unternehmen durfte, um die Italientouristen dort wieder zu begrüßen, konnte mit dem, was Dorothea Schlözer gerade erlebt hatte, sicherlich nicht mithalten, war aber doch ein wahres Highlight dieses Jahres für die 18-jährige junge Caroline.

Das "Wunderkind" »Dorothea Schlözer (1770–1825) – sie erwirbt am 25.8. 1787 als erste Frau in Deutschland einen Doktortitel und promoviert zum Doktor der Philosophie – kommt allerdings bei Caroline nicht gänzlich ungeschoren weg, gerade in einer Zeit, als sie sich selbst mit ihrer unmittelbaren Zukunft als Ehefrau und Mutter zu beschäftigen beginnt. Die gesellschaftliche Prognose, die sie der von ihrem Vater immer wieder stolz präsentierten Tochter gibt, ist äußerst schlecht.

In einem Brief vom Ende Oktober 1781 an ihre drei Jahre ältere Gothaer Freundin Luise Stieler (1760-1826), die schon seit März 1780 verheiratet ist, schreibt sie: »Es ist wahr, Dortchen hat unendlich viel Talent und Geist, aber zu ihrem Unglück [...] kann sie weder wahres Glück noch Achtung erwarten. Man schätzt ein Frauenzimmer nur nach dem, was sie als Frauenzimmer ist.« (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.95) Die Schlözers, die Caroline selbst immer sehr zugetan sind, das weiß Caroline aber auch noch kritisch anzumerken, sind schließlich »sehr reich«, da kann man sich eben alles leisten. Kommt hinzu, dass die Schlözers in Göttingen immer wieder Hausbälle veranstalten und auch »Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), bei seinem zweitägigen Besuch in der Stadt 1783, "natürlich" bei den Schlözers zu Mittag isst und sie ihn wegen einer Landpartie mit den Böhmers verpasst.

Angesichts dieser Worte verwundert es auch nicht, dass sie Dorothea im gleichen Brief das Schicksal der Fürstin Gallitzin vorhersagt und meint, »Dortchen« werde »eine andere Gallitzin« werden. Sie hätte auch, ganz nach Rousseau sagen können, "ein Mann [sic!] nach der Art des Fräulein von l'Enclos", aber ihre Geschichte lag ja schon über ein halbes Jahrhundert zurück.

Der Aufenthalt der 33-jährigen »Amalia von Gallitzin (1748-1806) im September 1781 in Göttingen, einer von ihrem Mann, dem russischen Botschafters in Den Haag schon fünf Jahre getrennt lebenden Frau, mischte die Stadt und alle, die gerne klatschten, regelrecht auf. Die russische Aristokratin kleidete sich nämlich ganz gegen jede Konvention sehr schlicht »nach griechischer Art«. (»Mode à la greque), aber dieser Modestil galt in dieser Zeit oft auch als etwas anrüchig und wurde immer wieder, je nachdem wie sie getragen wurde, auch als "nackte Mode" oder "Nuditätenmode" abgewertet. Sie trug jedenfalls »flache Schuhe« und »kurze Haare« und hatte damit allein und ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt.

Die Fürstin, die seit 1779 in Münster lebte, pendelte in ihren Überzeugungen zwischen Aufklärung und dem Katholizismus hin und her, war mit dem französischen Philosophen Voltaire (1694-1778) und den französischen »Enzyklopädisten D’Alembert (1715-1783) und Denis Diderot (1713-1783) bekannt, der sie als eine lebhafte, fröhlich, ebenso geistreich wie attraktive und musikalische Frau beschrieben hat, die eine besondere Freude am Disputieren besaß. (vgl. Wikipedia)

Sie hatte sich 1774 noch in den Niederlanden, aus Enttäuschung über ihren Mann und aus Überdruss am höfischen Leben von ihrem Mann getrennt und in der Nähe der niederländischen Hauptstadt mit ihren Kindern ein einfaches Landhaus bezogen, wo sie sich zurückgezogen der Erziehung ihrer beiden Söhne widmete. Dabei ließ sie sich von den Erziehungsideen »Jean-Jaques Rousseaus (1712-1778) leiten, die dieser in seinem pädagogischen Hauptwerk »Émile oder Über die Erziehung (1762) dargelegt hatte. Im Kern war die Erziehung  für den französischen Aufklärer ein "behutsam lenkendes Freilegen natürlicher Anlagen" (Schmidts 1978, S.539) in einem dafür "paradigmatisch entwickelten Programm einer privaten, häuslichen »Erziehung der Natur«" (Schmitz 1995, S.760).

»Amalie von Gallitzin (1748-1806) trifft in ihrem späteren Leben mit einer großen Zahl von Intellektuellen ihrer Zeit zusammen und hält mit einigen von ihnen brieflich Kontakt. Darunter befindet sich auch »Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), den sie 1792 in Weimar trifft und mit dem sie eine Weile lang korrespondiert.

Im Urteil vieler argwöhnischer Zeitgenossen und Zeitgenossinen nützt ihr das alles wenig. Sie entsprach eben so gar nicht dem gängigen Frauenbild der Zeit und musste daher geradezu zwangsläufig mit ihrem "beständige(n) Streben nach Freiheit, innerer Erneuerung und Selbstvervollkommnung  [...] in den einengenden sozialen Räumen der höfischen und bürgerlichen Lebenswelten, deren Grenzen sie zu überschreiten suchte" (Oberdorf 2020, S.108), anecken. Kein Wunder also, dass ihr Auftreten in Göttingen Anlass zu Klatsch und Tratsch gab und man die vielfach interessierte und belesene Frau gerne abwertete.

Vor allem wird, wie Caroline weiter notiert, der eleganten und äußerst attraktiven »sehr gelehrte(n) Dame« offenbar nachgesagt, sie trage ihre Bildung regelrecht zur Schau, indem sie ohne einen Diener, der ihr ständig »ein Halbdutzend großer Folienbände« hintertrage, in der Öffentlichkeit kaum anzutreffen sei. Zudem gehe sie im »Gefolge von 6 bis 8 Herren am hellichten Tag in unserer Leine« baden (zit. n. Kleßmann 1975, S.47) Dass sich die feine Dame angeblich jeden Morgen (!) ins Bad tragen lasse, stempelte sie in ihren Augen wohl zu einer hedonistischen Exzentrikerin. Zudem lasse sie ihre Söhne barfuß herumgehen, nur um damit den von  »Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) propagierten Erziehungsstil zu »imitieren«, den sie aber gewiss nicht recht verstanden habe, traut sich Caroline zu urteilen.

Der französische Philosoph hatte im Rahmen der seinem Zögling zukommenden Sinneserziehung allerdings vertreten, dass Emil "jeden Morgen, zu jeder Tageszeit, barfuß durch das Zimmer, über die Treppe und durch den Garten laufen (muss)". (Rousseau 1762/41978, S.127) Dass sich die Fürstin dabei um die verdreckten Füße der Söhne nicht scherte und sie darüber hinaus mit »abgeschorenen«, nicht einmal »geschnittenen« Haaren herumlaufen ließ, während sie sich in der Bibliothek aufhielt oder Vorlesungen an Universität hörte (vgl. ebd., S.48), machte sie in den Augen Carolines zu einem Enfant terrible, über das sie sich in diesem Brief lustig machte.

Die Fürstin aber war sicherlich weder ein »Enfant terrible noch eine »Femme fatale, auch wenn ihr so mancher männliche Bewunderer in Göttingen auch zu Füßen gelegen sein mag. Und sie als "eine Art Frühfeministin" zu bezeichnen, wie dies Appel 2013, S.32) etwas leichtfertig formuliert, die ihre Kinder zu "pädagogischen Opfer(n)" der Erziehungstheorien Rousseaus gemacht habe, dürfte ihren Ambitionen und ihrem Handeln ebenso wenig gerecht werden.

Als offensichtlich selbstbewusste, intelligente und gelehrte, dazu noch sehr attraktive Frau von Rang repräsentierte sie ein Frauenbild, wie es die bürgerliche Gesellschaft als Ganze noch länger nicht zu akzeptieren gewillt war. Die ironisch-überhebliche Art, mit der die siebzehnjährige Caroline wahrscheinlich nachplappert, was ihr über die Fürstin zugetragen wurde, ist ihr angesichts ihres Alters und ihrer Erziehung und Sozialisation auch nicht vorzuwerfen. Sicher gab ihr die abwertende Abgrenzung von der Fürstin aber auch die Gelegenheit, ihre eigenen unbewussten Wünsche zu kompensieren.

Wahrscheinlich im Zusammenhang mit ihrer seit 1778. trotz aller Schwärmerei, so dahinplätschernden und 1781 endgültig auseinandergegangenen "Affäre" mit Wilhelm Link, Carolines erster, allerdings ganz und gar harmloser Beziehung, hatte sie, das Beispiel »Amalias von Gallitzin (1748-1806) und die Heirat von Luise Gotter , geb. Stieler, im März 1780 vor Augen, als sie am 1. November 1781 an ihre Freundin schrieb: »Ich würde, wenn ich ganz mein eigener Herr wäre und außerdem in einer anständigen und angenehmen  Lage leben könnte, weit lieber gar nicht heyathen und auf andre Art der Welt zu nutzen suchen.« (Schlegel-Schilling, Die Kunst zu leben 1997, S.97) Und im Brustton der Überzeugung fügt sie hinzu: »Wirklich verlieben werde ich mich gewiss nie.« (ebd.

Sie war in dieser Sache, wie die allermeisten bürgerlichen Mädchen aber ihr weder eigener Herr, noch fragte diese Zeit nach Liebe, wie Kleßmann (1975, S. 53), kurz bevor er das nächste Kapitel im Leben von Caroline Michaelis beschreibt, die Sache auf den Punkt bringt. Im Oktober 1782 verlobt sie sich mit dem Nachbarsohn Johann Franz Wilhelm Böhmer (1754-1788), den sie am 15. Juni 1784 heiratet.


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Zeittafel

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 21.02.2022

 
 

 
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