Dabei war für Caroline, die auch von August
Wilhelms Bruder Friedrich umworben worden war, die "Freundschaftsehe
mit Schlegel [...] wohl auch so etwas wie Selbstschutz" (Appel
2013, S.132).
Es war ein
Arrangement, das in in den Vorstellungen dieser Zeit ihre
bürgerliche "Ehre" wiederherstellte. Nach dem Tode ihres Ehemanns
war sie mit ihrer Tochter Auguste in das revolutionäre Main gezogen.
Während der kurzen Zeit der ▪
Mainzer Republik (Oktober 1792-Juli 1793) hatte sie eine Affäre
mit dem 19-jährigen französischen Leutnant Jean-Baptiste des Crancé,
von dem sie schwanger wurde und kam dadurch sowohl gesellschaftlich
wie auch finanziell nach dem Ende der ersten Republik auf deutschem
Boden in eine äußerst schwierige Lage. Überall wo sie sich als
unehelich schwangere Frau auch hinbegab, wurde sie von der
bürgerlichen Gesellschaft geschnitten und verachtet. Um überhaupt
wieder Fuß fassen zu können, gab sie ihren kleinen Sohn, das
"Franzosenkind" nach seiner Geburt Pflegeeltern, bei denen der
Kleine aber schon bald verstarb.
Die Ehe mit Schlegel jedenfalls eröffnete ihr
wieder einen gewissen bürgerlich-gesellschaftlichen Rahmen, den sie
nach ihrer Mainzer Zeit als unehelich Schwangere von der
bürgerlichen Gesellschaft geschnitten und verachtet, lange hatte
leidvoll vermissen müssen. Sieht man von bestimmten Leuten, die ihr
die Sympathien für die deutschen Jakobiner weiter nachtrugen, und ▪
Intimfeinden wie den Schillers ab, fand sie jedenfalls an der
Seite ihres neuen Ehemanns wieder Luft zum Atmen. Und dieser fand in
der gebildeten Frau an seiner Seite, die "kongeniale Koautorin" (Roßbeck
2009, S.128), die er für seine werknahe Shakespeare-Übersetzung
unbedingt brauchte.
Die Ehe mit
Schlegel war von wechselseitiger Toleranz und dem Gewähren von
Freiheiten gekennzeichnet, was aber nicht verhindern konnte, dass
sie sechs Jahre später schon wieder geschieden wurde. August Wilhelm
"liebelte seit Beginn seiner Ehe anderweitig herum", schwärmte für
schöne Berliner Schauspielerinnen wie »Friederike
Unzelmann (1760-1815) und verliebte sich 1799 in "eine andere
Schöne der Berliner Gesellschaft, die geschiedene Elisa de Nuys".(ebd.,
S.215) Die 29-jährige frisch geschiedene Bremerin hatte es Schlegel
so angetan, dass er ihr in einem Brief von den "Süßigkeiten eines
Umgangs in wenigen Tagen" schwärmt. (zit. n.
Kleßmann
1975, S.197). Caroline jedenfalls scheint diese Affäre ihres
Mannes näher als seine sonstigen "Bettschätze" (ebd.)
gegangen zu sein.
So hatte August
Wilhelm auch kein wirkliches Problem damit, als sich eine Beziehung
zwischen Caroline und dem neuen 23-jährigen und damit, zwölf Jahre
jüngeren "Superstar" der Jenaer Universität, »Friedrich
Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854), entwickelte, der 1798 auf
Vermittlung Goethes als außerordentlicher Professor in Jena mit
seiner Lehrtätigkeit begonnen hatte und seitdem eigentlich ständig
bei den Schlegels zu Gast war.
So war es auch
nicht weiter verwunderlich, dass die Ehe der "beiden Ehefreunde" (Appel
2013, S.241) Caroline und August Schlegel mit Unterstützung
Goethes, der sich beim Herzog von Sachsen-Weimar dafür einsetzte,
schon nach sechs Jahren im Jahr 1803 wieder geschieden und Caroline
im gleichen Jahr Schelling heiratete.
In dem von allen
Schlegels bewohnten Haus in der Jenaer Leutragasse gaben sich
alle, die zum Kreis der Romantiker zählten, die Klinke in die Hand.
»Novalis
(1772-1801) (= Georg Philipp Friedrich von Hardenberg), »Ludwig
Tieck (1773-1835), »Wilhelm
Heinrich Wackenroder (1773-1798), »August
Wilhelm Schlegel (1767-1845) und »Friedrich
Schlegel (1772-1829) sowie die Philosophen »Friedrich
Schleiermacher (1768-1834), »Johann
Gottlieb Fichte (1762-1814), »Friedrich
Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) und der Naturphilosoph »Johann
Wilhelm Ritter (1776-1810) waren dort regelmäßig zu Besuch, täglich
kamen bis zu 18 Mittagsgäste, um miteinander gesellig zu "»Symphilosophieren«
[...] um zu reden, zu scherzen und zu streiten, einheimische und
auswärtige Gäste kamen hinzu." (ebd.,
S.54) An den Abenden trugen sich die Anwesenden eigene und fremde Werke
vor, man fachsimpelte über die Calderón- und Shakespeare
Übersetzungen August Wilhelms, sprach über dies und jenes, was
literarische gerade angesagt war, auch allerlei Jenaer Klatsch kam
dabei wohl zur Sprache, beschäftigte sich aber auch ausgiebig mit
den Gegnern der eigenen Überzeugungen.
Schon Ende des Jahres 1799 neigte sich die Zeit der Jenaer
Frühromantik mit ihrer typischen Gruppenbildung dem Ende zu und ihre
wichtigsten Vertreter verließen die Stadt. Friedrich Schlegel
pendelte ab dem Jahresende zwischen Berlin und Jena hin und her, ehe
er 1802 nach Paris zog. Und sein älterer Bruder August Wilhelm
verlegte seinen Wohnsitz nach seiner Entfremdung von seiner Frau
Caroline nach Berlin, wo er - Berlin hatte zu diesem Zeitpunkt
noch keine Universität – von 1801 bis 1804 öffentliche Vorlesungen -
es waren sogar Frauen zugelassen! – vor einem nichtakademischen,
bildungswilligen und zugleich zahlungskräftigen Hörerkreis hielt,
das sich für neues Wissen und aktuelle Themen interessierte.
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
29.12.2021