Home
Nach oben
Zurück
Weiter
 

 

Julius Hart (1859 - 1930)

Berlin

(1890)


 

Endlos ausbreitest du, dem grauen Ocean gleich
Den Riesenleib; in dunkler Ferne stoßen
Die Zinnen deiner Mauern ins Gewölk, und bleich
Und schattenhaft verschwimmen in der großen
Und letzten Weite deine steinigen Massen.
10 Weltstadt, zu Füßen mir! dich grüßt mein Geist
Zehntausend Mal, und wie ein Sperber kreist
Mein Lied wirr über dich hin, berauscht vom Rauch
Und Atem deines Mundes: Sei gegrüßt du, sei gegrüßt!

's ist Sommermittagszeit, und leuchtende Flut
Strömt aus den Himmeln über dich; rings blitzen
Und flammen deine Mauern, und in weißer Glut
Erglühen die Dächer und der Türme Spitzen,
Und helle Wolken Staubs, die aus den Tiefen steigen.
Gleich einem glühenden Riesenkessel liegst du, – Brand
Dein Atem! Feuer dein weitfließendes Gewand!
Starr, unbewegt, gleich wie ein Felsenmeer,
Das nackt mit weißen Rippen aus der Wüste steigt.

Erstorben scheinst du, doch du bist es nicht,
Erzittert nicht die Luft vom dumpfen Toben
Des Meeres, das in deinem Schlund sich bricht
Und wühlt und brandet, wie vom Sturm durchstoben,
Und donnernd tausend Schiffe zusammenschleudert?
Wild gellt der Schrei der Schiffer Tag und Nacht
Durch Licht und Nebeldunst, und ewig tost die Schlacht
in deinen Tiefen; trümmerübersät,
Von bleichen Knochen starrt dein dunkler Grund.

Schäum auf, du wilde Flut und tose an!
Die du zerreißend hinfegst und mit gierigem Maule
Zehntausende verschlingst; ein Schrei und dann
In dunklen Wirbeln schwemmst du alles Faule
Und Schwache tief hinab in deinen Abgrund . . .
Dich rührt kein Weinen und kein heiß Gebet,
Der Klagenden Geschrei lautlos verweht
In deiner Brandung Donnern, aber sanft
Und weich umschmeichelst zärtlich du des Starken Fuß.

Du ström in meinen Busen deinen Geist,
Gieß deine rauhe Kraft in meine Glieder, . . . .
Gewaltig faßt's an meine Seele, reißt
In deiner Schlachten wirr Gedräng' mich nieder,
Wo Schwert und Lanze auf die Brust mir fahren.
Erstick die Träne und den Klagelaut,
Der feig von meinen Lippen sonst getaut,
Den Becher trüben Weins, der nur zu lang
Die Zeit berauschte, werf' ich heut in deine Flut .

Grämliche Weisheit, die in unsre Brust
Den Giftpfeil stößt und uns als Schuldgeborne
Ewig Verdammte zeichnet, unsre Lust
Und Schaffen mordet und gleichwie Verlorne
Verachtet macht, hier will ich ihrer lachen.
Aus deinen düstren Mauern, Weltstadt, reckt
Ein Geist sich mächtig auf und streckt
Die Hand gewaltig aus und deiner Flut
Gesang stürmt mir ins Ohr ein besser Lied.

Dich fühl' ich, Menschengeist, dein Schatten steht
Gewaltig über der Stadt lichtglühenden Mauern,
Ich fühl es, wie dein Odem mich umweht
Und mich durchrinnt gleich heiligen Liebesschauern ...
Gewitter rollen auf, die Sinne dunkeln:
Schlachtruf durchgellt die Luft, der Himmel bricht,
Durch schwarze Wolken führt ein feurig Licht,
Und bleiche Schatten fliehn, ein Antlitz blutbeströmt,
Und dort ein anderes versinkt in Nacht.

Dich, Kraft, besing' ich, die Natur du zwingst
In deinen Dienst, und dumpfen Sinnesträumen,
 Des Fleisches totem Kerker uns entringst, –
Du Kraft, laß alle meine Adern schäumen
Von deinem warmen Blut ... Euch Alle sing ich,
Arbeiter, Krieger, die der Menschheit Baum
Mit ihrem Schweiß und mit dem heil'gen Schaum
Des Blutes düngen .. Singen will ich den Kampf
Mit dir Natur, Fleisch, Staub und Tod.

(Julius Hart, 1890, vgl. Rohe (Hg.) 1973, S.61-63  Wende (Hg.) (1999/2010), S.47-49)

 

 
 
   Arbeitsanregungen:

Interpretieren Sie das Gedicht.

 
               
  Center-Map ] Überblick ] Multimediale Interpretation ] Textauswahl ] Bausteine ]  
    

          CC-Lizenz
 

 

Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International License (CC-BY-SA) Dies gilt für alle Inhalte, sofern sie nicht von externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/www.teachsam.de